Fast die Hälfte des Erdgases bezieht die Schweiz aus Russland. Fracking wäre eine Möglichkeit, von dieser Abhängigkeit loszukommen. Dazu müsste aber der Widerstand gegen die Gasförderung aus Schiefergestein und Sandstein überwunden werden.

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Alex Reichmuth

Bis vor rund zehn Jahren war die Förderung von sogenannt unkonventionellem Gas mittels Fracking (siehe Kasten) noch eine plausible Option in der Schweiz. Firmen aus den USA interessierten sich für eine Förderung am Genfersee. Diese Unternehmen reichten beim Kanton Waadt ein Gesuch für Testbohrungen ein. Die Behandlung dieses Gesuchs schleppte sich aber jahrelang dahin. Die öffentliche Meinung wandte sich immer stärker gegen Fracking – vorwiegend wegen des Klimaschutzes. Seit 2020 gilt in der Waadt gar ein Verbot für das Suchen und Fördern von Gas und Öl.

Inzwischen gibt es in der Schweiz keine Firmen mehr, die Interesse an einer Förderung von unkonventionellem Erdgas haben. Dabei wäre das Land jetzt, nach dem Überfall Russland auf die Ukraine, eventuell froh darum. Denn Erdgas macht 14 Prozent des hiesigen Energiekonsums aus. Fast die Hälfte davon kommt aus Russland. Wie andere Länder in West- und Mitteleuropa will auch die Schweiz möglichst auf die Lieferungen Putins verzichten.

Unkonventionelles Gas in Sandstein und Schiefergestein

In unserem Land gibt es mutmasslich erhebliche Vorkommen an unkonventionellem Gas. Wie gross die Mengen genau sind, ist unklar, weil noch kaum entsprechende Probebohrungen vorgenommen wurden. Ein Kenner der hiesigen Verhältnisse ist der Geologe Werner Leu. Er arbeitete einst für den Erdölkonzern Shell und hat mit seiner Beratungsfirma Geoform jahrzehntelange Erfahrung bei der Exploration von Öl und Gas.

«Gemäss Schätzungen könnten Gasvorkommen in dichtem Sandstein den 30-fachen Jahresbedarf der Schweiz ausmachen.»

Werner Leu, Geologe und Fracking-Experte

«In der Schweiz gibt es einerseits dichten Sandstein, der Gas enthalten könnte», sagt Leu. «Dieser Sandstein ist 2,5 bis 4,5 Kilometer unter dem Boden und zieht sich unter das ganze Mittelland hin.» Weil es bisher nur einige wenige Bohrungen in diesem Gestein gegeben habe, bestünden grosse Unsicherheit über die Reserven. «Gemäss Schätzungen könnten sie aber den 30-fachen Jahresbedarf der Schweiz ausmachen.»

Auch Schiefergas dürfte es gemäss Werner Leu in der Schweiz in beträchtlichen Mengen geben, ebenfalls im Mittelland. «Aufgrund der rund 20 Probebohrungen in Schiefergestein könnte das Potenzial hier ebenfalls etwa 30 Mal so viel wie der Jahresbedarf betragen.»

Als gefährlich und umweltschädlich verschrien

Das Bundesamt für Umwelt schrieb 2018: «Trotz grossen Wissenslücken dürfte es in der Schweiz beträchtliche Vorkommen an ‘unkonventionellen Gasressourcen’ in grossen Tiefen von zwei bis fünf Kilometern geben: Gas, das sich nur mittels Fracking erschliessen lässt.» Die Schätzungen reichten von 114 bis 3400 Milliarden Kubikmeter, denen ein jährlicher Verbrauch von 3,2 Milliarden Kubikmetern gegenüberstehe.

Obwohl die Aussichten gut sind, wurde Fracking in der Schweiz bis jetzt nie Wirklichkeit. Die Technologie ist als gefährlich und umweltschädlich angeprangert – obwohl Fachleute betonen, dass entsprechende Befürchtungen bei einem sachgerechten Vorgehen weitgehend unnötig seien (siehe Kasten). Zudem ist die Förderung von Öl und Gas grundsätzlich verpönt, weil sie dem Klimaschutz entgegenlaufe.

Gegenwehr auch aus SVP-Kreisen

Der Widerstand kommt vor allem von links-grünen Kreisen – aber auch aus der SVP: 2012 wurde bekannt, dass britische Unternehmen auf der deutschen Seite des Bodensees mittels Fracking nach Gas bohren wollen. Der St. Galler SVP-Nationalrat Lukas Reimann verlangte daraufhin in einem Vorstoss vom Bundesrat, dass er sich gegen solche Bohrungen einsetzt. «Insbesondere in der Bodenseeregion, die Trinkwasser für fast fünf Millionen Menschen bereitstellt, ist dies ein unvertretbares Risiko», schrieb er (siehe hier). Der Vorstoss wurde vom Parlament abgelehnt. Aber auch die Fracking-Pläne konkretisierten sich nicht.

Er stehe zu seinem Vorstoss vor zehn Jahren, sagt Lukas Reimann auf Anfrage des «Nebelspalters»: «Fracking kann zwar eine Option sein, von russischem Gas unabhängig zu werden. Aber es sollte nicht in einer Region erfolgen, die so wichtig für die Trinkwasseraufbereitung ist.» Darauf angesprochen, dass sachgemässes Fracking keine Gefahr für das Trinkwasser darstellt, meint Reimann: «Man muss es ja nicht unbedingt provozieren. Es gibt bessere Standorte. Wenn etwa an meinem Wohnort Wil gefrackt würde, hätte ich nichts dagegen.»

Bundesrat «aus umwelt- und klimapolitischen Gründen» gegen Fracking

Jedenfalls ist Fracking heute in mehreren Kantonen verboten – nebst der Waadt in Genf, Freiburg, Bern, St. Gallen und Zürich. Auch der Bundesrat ist gegen die Förderung von unkonventionellem Gas. Zwar hat er sich 2018 gegen ein landesweites Verbot oder ein Moratorium punkto Fracking ausgesprochen. Aber er hielt fest, dass die Technologie hierzulande «aus umwelt- und klimapolitischen Gründen» unerwünscht sei (siehe hier).

Ob der Wind nun wegen der Abhängigkeit von Putins Gaslieferungen dreht, ist offen. Bis jetzt sind zumindest keine Vorstösse zu einer Wiedererweckung des Frackings in der Schweiz bekannt. Falls das Land aber künftig auf russische Importe verzichten will, müsste damit vorwärtsgemacht werden. Denn die Vorlaufzeiten sind lang. «Um eine kommerzielle Erdgasgewinnung durch Fracking aufzuziehen, sind mindestens zehn Jahre notwendig», sagt Geologe Werner Leu.

Was ist Fracking?

Beim Fracking wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien mit grossem Druck in den Untergrund gepumpt. Damit entstehen Risse und Brüche, die Porenräume verbinden, in denen sogenannt unkonventionelles Erdgas oder Erdöl gespeichert ist. Meist erfolgt dies in dichtem Sandstein oder Schiefergestein. Vor allem in den USA hat Fracking in Verbindung mit horizontalem Bohren, dank dem günstigen Gesteinschichten gefolgt werden kann, einen Boom erlebt. Von einer Bohrstelle aus können mehrere Horizontalbohrungen gestartet werden, bei denen je 30 bis 40 Mal gefrackt wird, entlang mehrerer Kilometer. Durch Fracking werden Rohstoffvorkommen erschlossen, die durch konventionelles Bohren nicht zur Verfügung stünden.

Kaum ökologische Risiken beim Fracking

Fracking hat noch immer den Ruf, eine Gefahr für die Umwelt darzustellen. Ökologische Kreise führen an, dass bei dieser Technologie das Grund- und Trinkwasser durch Gas kontaminiert werden könnte, das durch die erzeugten Risse und Spälte nach oben dringe. Die Chemikalien, die dem Wasser beim Fracking beigemischt werden, könnten ebenfalls zu Gewässerverschmutzungen führen. Zudem drohten wegen des Aufbrechens von Gestein Erdbeben. Auch sei der Landbedarf bei die Fracking-Technologie gross.

Diese Risiken sind bei richtigem und umsichtigem Vorgehen allerdings weitgehend vermeidbar. Die chemischen Substanzen, die heute dem Wasser beim Fracken beigemischt werden, sind umwelt- und gesundheitsverträglich. Eine Gewässerverunreinigung ist praktisch ausgeschlossen. Eine Gefahr, dass Gas durch erzeugte Risse im Gestein bis an die Oberfläche gelangt, besteht kaum. Das Risiko eines Gasaustritts durch unsachgemässes Vorgehen ist nicht grösser als bei konventionellen Bohrungen.

Beim Fracking kommt es zwar immer wieder zu Mikrobeben. Weil heute zur Erdgas- und Erdölgewinnung öfter, aber weniger stark gefrackt wird, ist das Risiko grösserer Erdbeben aber minimal. Die Bohrungen werden mit Seismografen ständig überwacht, um stärkeren Beben vorzubeugen. Auch der Landbedarf bei Fracking-Bohrungen ist kleiner als früher: Dank der Möglichkeit zu horizontalem Bohren können von einem Bohrplatz aus Schichten erschlossen werden, die mehrere Kilometer entfernt liegen.

Der Beitrag erschien zuerst im Schweizer Nebelspalter hier

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