Teil 3: Die Entwicklung der Windgeschwindigkeit in nordostdeutschen Binnen-Tiefland. Die Windenergienutzung – ein Windkiller?

Und: Folgte dem Klimasprung von 1988 ein Windsprung „nach unten“ zur Jahrtausendwende?

Stefan Kämpfe

„Man erkennt das Wetter am Winde, so wie den Herren am Gesinde“ – doch seit man die Windgeschwindigkeit auch messen kann, lassen sich daraus interessante Rückschlüsse ziehen. In diesem Teil werden wir sehen, wie sich die Windgeschwindigkeit im Nordostdeutschen Tiefland (mit dem Kernland Brandenburg) entwickelt hat.

Einführung: Warum zuerst das nordostdeutsche Binnen-Tiefland?

Weil an den Küsten (etwa 25 bis 45 Km landeinwärts) an ruhigen Tagen der Seewind und an den Bergrändern der Bergwind weht – siehe Teil 2. Diese Regionen werden später behandelt. Im Binnen-Tiefland wehen bei Hochdruckwetter nur schwache Flur- und Seewinde (kühlere Binnengewässer und Wälder). Außerdem erlaubte nur hier eine ausreichende Stationsdichte mit Winddaten genauere Untersuchungen. Und drittens liegt das Gebiet im Lee der in Nordwestdeutschland besonders zahlreichen Windkraftanlagen (WKA), doch auch in Brandenburg stehen sehr viele Windräder. Die Daten–Auswertung dieser Gegend erbrachte eine überraschend eindeutige Dominanz von Windgeschwindigkeitsabnahmen, welche sich so in keiner anderen Region finden lässt. Es konnten maximal 28 Stationen (1994 bis 2023) ermittelt werden, ab 1988 immerhin noch 22. Die (leider) vom DWD 2021 eingestellte Station Tegel sowie die Station Magdeburg, deren Daten nur in Beaufort vorliegt, weisen ebenfalls auf Windabnahme hin. Problematisch (Daten) waren Müncheberg/Mark, Neuruppin (nach Alt-Ruppin verlegt) und Osterfeld (im Grenzbereich zum Mittelgebirgsvorland); siehe Teil 1. Nur in Nord- und Ostsachsen fehlt es an Stationen, hier konnten bislang lediglich der Flughafen Leipzig/Halle und Oschatz (Grenzbereich zum Mittelgebirgsvorland) ermittelt werden. Von diesen 28 (mit Magdeburg und Tegel 30 Stationen) wies nur das fehlerhafte Müncheberg eine deutliche Windzunahme und der BER-Flughafen (alt: Berlin-Schönefeld) eine minimale Zunahme auf, alle anderen Stationen zeigten mehr oder weniger deutliche Abnahmen.

Die Ergebnisse: Ein Windsprung zur Jahrtausendwende und Brandenburg-Berlin als Deutschlands Zentrum der Windabnahme

Zuerst wird der größtmögliche Zeitraum ab 1988 gezeigt; 22 Stationen waren verfügbar.

Abbildung 1: Im Mittel von 22 Stationen (mit zwei nachweislich mangelhaften) zeigt sich ein deutlicher Windsprung abwärts nach 1998 um gute 0,3 m/s, danach eine weitere, leichte Abnahme. Auch das an Tagen mit Westwetterlagen (nach HESS/BREZOWSKY) etwas überdurchschnittliche Jahr 2023 blieb erstaunlich windschwach. Selbst das an Westlagen reichste Jahr seit 1988, nämlich 1998 mit 203 Tagen, reichte nicht ganz an das Jahr 1999 heran (191 Tage). Der Zeitraum 1988 bis 1990 wies auffallend viele Westwettertage auf; damals hätte es eine enorme Windstrom-Ausbeute gegeben.

Seit 1988 nahm die Zahl der Tage mit westlichem Strömungsanteil deutlich ab, um knapp 28 Tage im Jahresmittel, was die überdurchschnittliche Windabnahme in Nordostdeutschland aber nur teilweise erklären kann, denn auch 2023 hätte hier ein gutes Windjahr sein müssen – besonders im Januar, März, Juli und von Oktober bis Dezember gab es überdurchschnittlich viele Westlagen. Aber es blieb unterdurchschnittlich. Am Ende dieses Teils kommen wir noch einmal auf diese Problematik zurück. Fünf Stationen waren (fast) ortsfest, aber auch sie deuten unisono auf Windabnahme hin.

Abbildung 2: Auch an den fünf fast ortsfesten Stationen zeigt sich die Windabnahme, wenngleich mit etwas schwächerem Windsprung. 1990 und 1998 waren hier gleich windstark, 2016 und 2021 besonders flau, auch 2023 blieb erstaunlicherweise unterdurchschnittlich.

Weil sich ab 1994 ein paar mehr Stationen einfanden, soll auch der Zeitraum 1994-2023 gezeigt werden.

Abbildung 3: Mehr Stationen – kürzerer Betrachtungszeitraum, aber die Windabnahme bleibt so, wie sie ist.

Und schließlich noch etwas Einmaliges für Deutschland: Weil nirgendwo sonst so viele Stationen verfügbar waren, hier das Mittel der Windgeschwindigkeit für Brandenburg mit Berlin, wegen zwei Stationen (Manschnow und Kyritz) erst ab 1989.

Abbildung 4: Berlin-Brandenburg (ohne fehlerhafte Stationsdaten) als mutmaßliches Zentrum der Windabnahme. Hier war das Jahr 1990 am windigsten. Man achte auf den deutlichen Windsprung sowie die Flaute-Jahre 2016 und 2021; auch 2023 blieb unterdurchschnittlich.

Hier wurden nur Jahresmittel der Windstärke betrachtet, aber gab es vielleicht jahreszeitliche Unterschiede? Eventuell nahm ja der Wind nur in bestimmten Zeiten ab, was möglicherweise Hinweise auf eine vorwiegend natürliche Ursache der zunehmenden Flaute liefern könnte – zum Beispiel die immer heißeren, sonnigeren Sommer oder die immer wärmeren Herbste. Aus Zeitgründen konnten in dieser Frage nur die fünf ortsfesten Stationen untersucht werden; wir sahen ja, dass sie grundsätzlich für das Gesamtkollektiv repräsentativ sind. Doch Pustekuchen – einhellig tendieren alle Jahreszeiten zur Windabnahme.

Abbildung 5: Fast gleichförmige Windabnahme in allen meteorologischen Jahreszeiten im Mittel der fünf nahezu ortsfesten Stationen. Erwartungsgemäß verläuft der Winter am windigsten und der Sommer am windärmsten. Einzige Überraschung: Der Herbst, früher gerühmt für seine Stürme, ist flauer als der Lenz – ein möglicher Hinweis, dass stabil geschichtete Warmluftmassen, welche in dieser Jahreszeit in Bodennähe (meist) windschwächer sind, im Herbst die Oberhand gewonnen haben.

Windabnahme im Nordostdeutschen Tiefland – warum?

In seinen Beiträgen zur Zirkulation unter anderem hier und hier hatte der Autor in den vergangenen Jahren schon mehrfach auf die merkliche Häufigkeits- und Intensitätsabnahme der Westwetterlagen und deren mögliche Ursachen hingewiesen. Die Häufigkeit der meist windreichen Westlagen nahm also stark ab – eine wichtige Ursache der Windgeschwindigkeitsabnahme.

Abbildung 6: Häufigkeitsentwicklung der Westwetterlagen (Tage pro Jahr, nach HESS/BREZOWSKY) und das Jahresmittel der Windgeschwindigkeit der 22 nordostdeutschen Binnentiefland-Stationen 1988 bis 2023. Gute 53% der Windgeschwindigkeits-Variabilität wurden von der Häufigkeit der Westlagen bestimmt, das ist signifikant. Aber die an Westlagen reichen Jahre 2015, 2016 und 2023 wiesen schon unternormale Windgeschwindigkeiten auf. Umrechnung der Wetterlagen-Häufigkeit in Indexwerte (Anzahl geteilt durch 25), um sie anschaulicher darstellen zu können.

Selbiges zeigt sich, wenngleich etwas schwächer, wenn man die Westwetterlagen (alle SW- und NW-Lagen) nach der Objektiven Wetterlagen-Klassifikation des DWD verwendet. Bei dieser zeigte sich der engste Zusammenhang zu den (meist) sehr windschwachen XX-Lagen, das sind solche ohne eindeutige Anströmrichtung über Deutschland in höheren Luftschichten.

Abbildung 7: Häufigkeitsentwicklung der XX-Wetterlagen (Tage pro Jahr, nach DWD) und das Jahresmittel der Windgeschwindigkeit der 22 nordostdeutschen Binnentiefland-Stationen 1988 bis 2023. Gute 33% der Windgeschwindigkeits-Variabilität wurden von der Häufigkeit der XX-Lagen bestimmt, das ist signifikant. Aber die an XX-Lagen relativ armen Jahre 2017 und 2023 wiesen schon unternormale Windgeschwindigkeiten auf. Umrechnung der Wetterlagen-Häufigkeit in Indexwerte (Anzahl geteilt durch 25), um sie anschaulicher darstellen zu können.

Eine andere Möglichkeit ist, die Wind- und die Luftdruckgefälle-Entwicklung (Süd-Nord) in Relation zu setzen. Das Luftdruckgefälle nach Norden ist ein Ausdruck für die Intensität der Westströmung. Hierfür wurde aus den NOAA-Daten (US-Wetterdienst) das Luftdruckgefälle zwischen 50 und 55°N entlang des Längengrades 12,5° Östlicher Länge berechnet.

Abbildung 8: Entwicklung des Luftdruck-Gefälles (Hektopascal) zwischen 50 und 55° Nord entlang des Längengrades 12,5° Ost und das Jahresmittel der Windgeschwindigkeit der 22 nordostdeutschen Binnentiefland-Stationen 1988 bis 2023. Gute 30% der Windgeschwindigkeits-Variabilität wurden von der Größe des Luftdruck-Gefälles bestimmt, das ist signifikant. Aber die Gefälle-reichen Jahre 2017 und 2023 wiesen schon unternormale Windgeschwindigkeiten auf. Man achte auf die gegenüber dem Druckgefälle etwas höhere Abnahme der Windgeschwindigkeit.

Die Häufigkeitsentwicklung der Wetterlagen erklärt also Vieles – aber eben nicht Alles. Daten zur deuschlandweit installierten Nennleistung der Windkraftanlagen liegen leider erst seit 1998 vor. Weil das nordostdeutsche Binnen-Tiefland im Lee der Anlagen liegt und auch dort selbst beträchtliche Kapazitäten geschaffen wurden, lag es nahe, diese Leistungs-Zahlen in Relation zur Windgeschwindigkeitsentwicklung zu setzten. Es zeigte sich mit einem Bestimmtheitsmaß von fast 30% ein merklich negativer Zusammenhang, welcher fast dem der Wetterlagen-Häufigkeiten entspricht. Das bedeutet: je mehr Windstrom-Leistung installiert wurde, desto geringer war (tendenziell) die jährliche Windgeschwindigkeit. Betrachtet man nur Brandenburg, so war der Zusammenhang gar noch etwas enger. Hier konnte außerdem (leider erst seit dem Jahre 2000 verfügbar) die Anzahl der in Brandenburg aufgestellten WKA in Beziehung zur Entwicklung der Windstärke gesetzt werden; das Ergebnis sieht so aus:

Abbildung 9: Mit dem Brandenburg-Berlin-Mittel der Jahreswindgeschwindigkeit wurde die Anzahl der in Brandenburg stehenden WKA in Relation gesetzt (leider erst seit dem Jahr 2000 verfügbar). Tendenziell nahm die Windgeschwindigkeit mit der steigenden Anlagen-Anzahl ab.

Auch der markante Windsprung nach unten könnte also, zumindest teilweise, dem um die Jahrtausendwende forcierten Ausbau der Windenergienutzung geschuldet sein. Wir werden allerdings in kommenden Teilen noch sehen, dass es nicht überall in Deutschland eine so markante Windabnahme gab. Während die Windgeschwindigkeit an der Küste überwiegend sank, änderte sie sich im nordwestdeutschen Binnentiefland (nördl. NRW und Niedersachsen) nicht – vermutlich, weil die dortigen Anlagen vor allem eine negative Fernwirkung entfalten und ein Plus an südlichen uns südwestlichen Wetterlagen seit 1988 nur im Nordwesten mehr Wind brachte. In Bayern, wo sehr wenige Windräder stehen und das nur bei den selten gewordenen Nordwest- und Nordlagen im Lee der Windparks liegt, nahm die Windgeschwindigkeit seit 1988 sogar ein wenig zu.

(wird später fortgesetzt)

Stefan Kämpfe, Diplom- Agraringenieur, unabhängiger Natur- und Klimaforscher

 

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