von Edgar L. Gärtner
Vor wenigen Tagen, am 21. November 2023, hat sich das Europa-Parlament nach jahrelangem Hin und Her endlich klar dafür ausgesprochen, die Kernenergie als „grün“, das heißt CO2-frei zu klassifizieren. Nach Ansicht der französischen Tageszeitung „Le Figaro“ ist diese Entscheidung „définitif“. Wir werden sehen…
Jedenfalls bereiten sich Franzosen, die heute noch zu den politischen und wirtschaftlichen Zielen General Charles de Gaulles stehen, schon einmal darauf vor, in Europa wieder eine Führungsrolle zu übernehmen. Schon am 14. November gab der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire den Preis für Atomstrom bekannt, mit dem der Staatskonzern EDF rechnen kann, wenn die mit der EU abgestimmte Tarifregelung ARENH (Accès réglementé à l‘électricité nucléaire historique) Ende 2025 ausläuft. Nach dieser Regelung, die verhindern soll, dass Frankreich wegen seines Strom-Monopols von der EU bestraft wird, muss EDF ein Viertel bis ein Drittel seines Nuklearstroms zum Spottpreis von 42 €/MWh an Großhändler ohne eigene Produktionskapazitäten abgeben. Deren Leistung erschöpft sich darin, ihren Kunden Rechnungen zu schreiben. Sie existieren nur, weil die EU-Politik den Anschein erwecken will, hier werde Marktwirtschaft praktiziert. In Wirklichkeit handelt es sich um staatlich anerkannte Parasiten. Damit soll nun Schluss gemacht werden. Ab 2026 soll der Staat EDF nun einen mittleren Preis von mindestens 70 €/MWh garantieren. Das soll ausreichen, um privaten Stromkunden Preisstabilität und industriellen Kunden Wettbewerbsfähigkeit zu sichern sowie den Bau neuer Reaktoren zu finanzieren. Um das auch reicht, um die Entschuldung des hoch verschuldeten Staatskonzerns voranzubringen, seht dahin.
Mit der Bekanntgabe eines garantierten mittleren Preisniveaus für Nuklearstrom hat sich die Regierung Macron/Borne offenbar dafür entschieden, sich von den bislang von der EU-Kommission favorisierten ohnehin nur scheinbar marktwirtschaftlichen Strompreisfindungs-Formeln zu verabschieden und stattdessen auf staatlich regulierte Preise zu setzen. Das haben verschiedene Experten angeregt, die die Anerkennung natürlicher Monopole in der Energie- und Wasserversorgung fordern, um die Transaktionskosten zu minimieren. Darauf weist inzwischen sogar das liberale Wirtschaftsmagazin „Contrepoints“ hin. Um wirklich von Marktwirtschaft reden zu können, müssten die Stromkunden tatsächlich die freie Wahl zwischen konkurrierenden Anbietern mit jeweils eigenen Produktions- und Distributions-Kapazitäten haben. Das bedeutete mindestens eine Verdoppelung, wenn nicht Verdreifachung der notwendigen Infrastrukturen und eine entsprechende Kostensteigerung für die Verbraucher. Es gibt deshalb in der Elektrizitäts- und Wasserwirtschaft keinen wirklichen Wettbewerb, sondern allenfalls Wettbewerbs-Simulation. Auch der Liberalismus kann also zu einer realitätsfernen Ideologie werden, die nur Kosten verursacht und niemandem außer einer winzigen Minderheit von Staatsprofiteuren zu einem besseren Leben verhilft. Viele Europäer sind heute vor allem deshalb nicht gut auf den Liberalismus zu sprechen, weil die Liberalisierung der Elektrizitätswirtschaft in der EU ihnen nur kräftige Preissteigerungen, aber keine Vorteile gebracht hat.
Für die Franzosen kommt hinzu, dass sie EDF und die Nuklearwirtschaft wegen deren Wurzeln in der Résistance gegen den Nazismus mit einigem Recht als Volkseigentum betrachten können. Der Aufbau der französischen Nuklearwirtschaft in der Nachkriegszeit wurde mithilfe des internationalen Kapitalmarktes vollständig von den französischen Stromkunden finanziert. Der durch Indochina-, Suez- und Algerienkrieg geschwächte französische Staat wäre dazu gar nicht in der Lage gewesen. Die Franzosen konnten sich glücklich schätzen, mit General de Gaulle einen weitsichtigen Staatsmann ans Ruder gebracht zu haben, der früh die Bedeutung der Verfügbarkeit preiswerter Energie im Überfluss für den wirtschaftlichen Wohlstand erkannte. Allerdings brauchte der Aufbau der Kernenergie längere Zeit. Viel schneller ging die Erschließung der Wasserkraft in den Alpen und den Pyrenäen vonstatten. Stauseen und Kanäle ermöglichten gleichzeitig die Entwicklung einer hochproduktiven Landwirtschaft im Süden Frankreichs, der zuvor eher steppen-, wenn nicht wüstenähnlich aussah. Dass die Provence heute überwiegend grün ist, verdanken wir EDF und dem Canal de Provence.
Leider setzte de Gaulle bei der Entwicklung der Kernenergie zunächst (wohl aus militärischen Gründen) einseitig auf den Bau (mittel-)großer Natururan-Reaktoren, obwohl der erste von den Pazifisten Frédéric und Irène Joliot-Curie entwickelte funktionsfähige französische Kernreaktor „Zoé“ sehr klein war und durchaus zu zusammenschaltbaren Modulen (im Sinne der heutigen SMR-Konzepte) hätte weiterentwickelt werden können. Das soll jetzt nachgeholt werden. Vor kurzem stellte die französische Start-up Naarea im Wissenschaftsmagazin „Sciences et Avenir“ die Konzeptstudie eines inhärent sicheren Molten-Salt-Kleinreaktors vor, der mithilfe schneller Neutronen aus nuklearen Abfällen Energie gewinnen soll. Das Konzept dieses Reaktors mit einer Leistung von 40 Megawatt ist nicht vollkommen neu. Es erinnert in manchem an den Dual-Fluid-Reaktor des privaten Berliner Instituts für Festkörper-Kernphysik.
Allerdings rechnet das französische Entwickler-Team unter Jean-Luc Alexandre mit einer niedrigeren Betriebstemperatur von nur 700 Grad Celsius und die verwendete Kochsalzlösung soll nicht in Rohren aus rostfreiem Metall, sondern in Keramikrohren aus Siliziumkarbid zirkulieren. Auch Graphen soll im Reaktorkern eingesetzt werden. Die französischen Forscher haben allerdings den Vorteil, nicht wie Dual Fluid Energy Inc. nach Kanada ausweichen zu müssen, um ihr Konzept bis zu einem funktionierenden Prototypen umsetzen zu können. Der Prototyp des Naarea-Reaktors soll zwischen 2027 und 2028 fertig sein. Ab 2030 soll dann die Serienproduktion von Hunderten von Kleinreaktoren mithilfe von 3D-Druckern beginnen. Die im Jahre 2020 gegründete Firma Naarea beschäftigt zurzeit 170 Personen und soll noch vor dem Ende dieses Jahres eine Beschäftigtenzahl von 200 Personen erreichen. Schon im nächsten Jahr soll die Belegschaft auf 350 Personen aufgestockt werden. Finanziert wurde die Start-up bislang überwiegend über Spenden-Aufrufe. In diesem Frühsommer gewann Naarea den von der französischen Regierung im Rahmen des Investitionsplans 2030 ausgeschriebenen Wettbewerb „Réacteurs Nucléaires innovants“ und erhielt dadurch vom Staat eine Starthilfe von 10 Millionen Euro. Zurzeit versucht Naarea mithilfe einer Werbekampagne 150 Millionen Euro einzutreiben. Deren Chancen gelten aber wegen des Rückschlags beim konkurrierenden Projektes Nu Scale Power zurzeit als nicht besonders gut.
Wie dem auch sei: Auch Frankreich beteiligt sich nun aktiv an der Suche nach dem tragfähigsten Mikroreaktor-Konzept und hat dabei wegen seiner Willkommenskultur in Sachen Kernenergie sicher bessere Karten als Deutschland. Der jetzt von der französischen Regierung versprochene Garantiepreis von 70 €/MWh dürfte allerdings nicht ausreichen, um die Suche nach neuen Reaktor-Konzepten attraktiv zu machen. Als attraktiv für zukünftige Nutzer erscheint jedoch die Möglichkeit, die Kleinreaktoren – unabhängig von weiträumigen Verteiler-Netzen – in unmittelbarer Nähe zu den Orten des Verbrauchs aufzustellen. Der Kern des 40 MW-Reaktors von Naarea soll nicht größer sein als ein Kühlschrank, die Gesamtanlage soll die Größe eines Autobusses nicht überschreiten. So erscheint die Annahme durchaus realistisch, dass der massenhafte Einsatz von Kleinreaktoren eines Tages zur Versöhnung zwischen Kernenergie und Marktwirtschaft führen könnte. (29. November 2023)
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Nach intensiver Google-Suche habe ich die Entscheidung des EU Parlaments vom 21 November 2023, dass die Kernenergie grün ist, nicht gefunden. Weder die Tagesschau, ARD, ZDF oder sonstige ÖR Medien scheinen hierzu eine Bekanntgabe gegeben zu haben? Kann mir hierzu eine den Link zu dieser Entscheidung zu schicken?
Ich beziehe mich auf einen Artikel im „Figaro“ vom 21. November. Dort ist nur der Wochentag, nicht das genaue Datum der Parlamentsentscheidung angeführt. Deshalb ist es möglich, dass die Entscheidung nicht am 21. 11., sondern schon eine Woche früher fiel.
„Jedenfalls bereiten sich Franzosen, die heute noch zu den politischen und wirtschaftlichen Zielen General Charles de Gaulles stehen, schon einmal darauf vor, in Europa wieder eine Führungsrolle zu übernehmen.“
Vergleichbares haben uns Merkel, Grüne und die Blockparteien gründlich vermasselt. Bei uns wird stattdessen die Entwicklung der Kernenergie verboten und man vertreibt die Industrie ins Ausland. Grüne sind darauf spezialisiert, jeden Fortschritt zu blockieren und kennen nur eine Richtung – zurück ins Mittelalter! Wer hat nur diesen Politikern ins Hirn geschi….? Jahrzehntelange Grün-Verdummung in den Schulen und den grünen Medien haben es geschafft.
„… muss EDF ein Viertel bis ein Drittel seines Nuklearstroms zum Spottpreis von 42 €/MWh an Großhändler ohne eigene Produktionskapazitäten abgeben. Deren Leistung erschöpft sich darin, ihren Kunden Rechnungen zu schreiben.“
Genau solche Konstruktionen wurden um 2000 herum erst ermöglicht, man nannte es „Liberalisierung des Strommarktes“. Der Effekt war, daß Kunden den Anbieter wechseln konnten. Und Anbieter waren eben auch solche, die selbst mit Strom nichts zu tun haben, also nur billig einkaufen und teurer weiterverkaufen.
Diese Struktur wurde damals in der gazen EU eingeführt. Wenn die Franzosen die ersten sind, die das wieder korrigieren wollen, gebührt Respekt. Die aktuelle Situation zeigt, daß die Überlassung von so wichtiger Infrastruktur wie der Energieversorgung voll an die Privatwirtschaft höchst gefählich für Wirtschaftsstandorte ist. Weil die privaten Nutznießer kümmert es wenig, was ihr Handeln im ganzen Staat verursacht, denen ist nur ihr eigener Gewinn wichtig.
Wer ein AKW mit 7ct./kWh Einspeisevergütung finanzieren will, hebe die Hand
Herr Kwass,
da reichen keine 17 Cent/kWh, dass ein AKW-Neubau eine schwarze Null schreibt.
Gelassen abwarten. Es wird nicht mehr lange dauern, dann stehen modular gefertigte Einheiten kleiner Reaktoren zur Verfügung, welche in Serie gefertigt werden. Kosten dann nur noch einen Bruchteil jetziger Großprojekte, da industriell in Serie gefertigt. Die Investition in hunderte Kilometer Hoch- und Höchstspannungstrassen wird sich als verpulvertes Geld herausstellen, da völlig unnötig. Wind und Solar werden vom Markt verschwinden, weil zu teuer und unzuverlässig. Und das wird alles passieren, bevor wir eine gangbare Speicherlösung haben. Probleme werden durch Ideologien verursacht und durch technischen Fortschritt gelöst. Deutschland wird davon allerdings nicht profitieren, hier wird man das tote Pferd „Erneuerbare“ weiterreiten und sich einreden, dass es fliegen kann.
Das dachten die bei NuScale auch.
Das denken die immer noch. Der Reaktortyp ist zertifiziert und kann somit gebaut werden. Wenn mal ein Projekt in die Hose geht heißt das nicht, dass das ganze Konzept untauglich ist. Wäre es so, stünden heute nicht überall Windmühlen in der Gegend rum. Einfach mal über „Growian“ informieren. Ist fürchterlich in die Hose gegangen.
Ach ja, den Plan vom grünen Wasserstoff müssen wir dann ja wohl auch aufgeben….
https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Gruener-Wasserstoff-Raffinerie-Heide-bricht-Vorreiter-Projekt-ab,wasserstoff480.html
Wer brauch Wasserstoff ?
eigentlich keiner
E-Auto am Stellplatz, Wärmepumpe vor dem Haus und eine XXL-Solarstromanlage auf dem Dach, da braucht der Bürger keinen Wasserstoff.
@Ute Frölich am 5. Dezember 2023 um 8:21
Sind Sie so …. oder tun Sie nur so? Von fast jedem anderen hier hätte ich diesen „Beitrag“ als Satire aufgefasst, aber Sie meinen das wohl ernst.
Was hat Ihre XXXL-Solarstromanlage in der letzten Wochen gebracht?????
Das E-Auto wurde nachgeladen, mussten keine kWh extern kaufen.
Von ca. Sonnenaufgang bis ca. Sonnenuntergag hatten wir auch in den vergangenen Wochen an jedem Tag Solarstrom.
Sie Herr Tengler,
mussten auch in den vergangenen Wochen 100% vom Kraftstoff an der Tankstelle kaufen und auch 100% beim Strom mussten Sie kaufen.
Ute Frölich am 5. Dezember 2023 um 8:21
Wer braucht Wasserstoff? Die Industrie, die Elektrizitätswerke, die Schifffahrt etc., kurzum alle Bereiche, die sich nicht elektrifiziren lassen. Ihre Ausführungen lassen deutlich erkennen, dass Sie nicht in der Lage sind, das Gesamtbild zu erfassen. Jedem Haushalt seine Solarzelle mit Akku und alles ist gut. Alles ist gut? Nichts ist gut. Kommt es zu häufigerem Abschalten von Großverbrauchern, werden diese Deutschland verlassen. Kommt es zu einem Blackout, werden Sie kein Wasser haben und Ihre Toilette wird ihren Inhalt nicht mehr loswerden. Viel Spaß.
Die Franzosen heizen gerne directement mit ihrem billigen Atomstrom. Wenn ihnen der Boche nun klarmachen könnte, doch lieber Wärmepumpen damit zu betreiben und den so ersparten el. Strom an uns zu verkloppen, dann hätten wir win-win vom Feinsten: Die Franzosen sollen mit dem erwirtschafteten Geld die Wärmepumpen bei uns kaufen. Das nenne ich echte, ideale Partnerschaft.