Nach der Katastrophe im Wallis dauerte es nur wenige Tage, bis in der Öffentlichkeit scheinbar Klarheit über ihre Ursache herrschte: Der Klimawandel war schuld! Diese Erklärung war so verlockend, dass Unstimmigkeiten und Widersprüche flugs unter den Teppich gekehrt wurden.

Von Peter Panther

Es nützt offenbar, weniger Auto zu fahren, um künftig Ereignisse wie den Bergsturz von Blatten zu verhindern: Zu dieser Erkenntnis muss man gelangen, wenn man dem Walliser Regierungspräsidenten Mathias Reynard zuhört. Er komme zum Schluss, verkündete der Sozialdemokrat vor einigen Tagen, dass das Wallis «immer regelmässiger und stärker von Extremereignissen heimgesucht» werde. Deshalb wolle er nun «in den Kampf gegen den Klimawandel investieren». Will heissen: Die Vermeidung von CO₂ ist scheinbar das effizienteste Mittel, um weiteren Naturkatastrophen vorzubeugen.

Eines ist unbestritten: Der Bergsturz in der Schweiz war ein monumentales Ereignis, das die heutigen Bewohner der Alpenlandes in dieser Wucht noch nicht erlebt haben: Neun Millionen Tonnen Gestein, Geröll und Eis stürzten ins Tal und verschütteten innert Sekunden das Bergdorf Blatten. Von der Kirche, den Häusern, den Hotels und den Strassen blieb kaum mehr etwas übrig. Diejenigen Dorfteile, die verschont blieben, versanken bald in einem See, den der Schuttkegel aufgestaut hatte. Weil aber Blatten rechtzeitig geräumt worden war, gab es «nur» ein Todesopfer: ein Bauer, der unglücklicherweise nach seinen Tieren geschaut hatte.

Die Klimaapokalyptiker krochen aus ihren Löchern

Noch unter dem Eindruck der Geschehnisse sprach Regierungsmitglied und Umweltminister Albert Rösti von einem «Jahrtausend-Ereignis». Das war es – trotz aller Dramatik – aber nicht. Es gab in den letzten Jahrhunderten in der Schweiz eine Handvoll Bergstürze, die punkto Gesteinsmassen und Auswirkungen gar noch um einiges schlimmer waren. Zu erwähnen ist etwa der Bergsturz von Goldau im Jahr 1806, der fast 500 Menschen unter sich begrub. 1881 ereignete sich auch in Elm ein Felssturz, dem über hundert Personen zum Opfer fielen.

Kaum hatte sich aber die Staubwolke über dem zerstörten Blatten gelegt, krochen die Klimaapokalyptiker in Wissenschaft, Politik und Medien aus ihren Löchern. Ein solches Ereignis wie der zerstörerische Bergsturz liessen sie sich nicht entgehen, um für ihre Ziele zu trommeln. Ihr Deutungsmuster der Katastrophe: Der Permafrost sei verschwunden, die Felsen seien deshalb instabil geworden.

Der Bergsturz sei klar auf die Erderwärmung zurückzuführen, liess etwa Christophe Lambiel verlauten, Permafrost-Experte an der Universität Lausanne. «Klimawandel verursacht den Bergsturz von Blatten», titelte die Schweizerische Depeschenagentur. «Es hat einen Zusammenhang mit dem Klimawandel», behauptete Katharina Prelicz-Huber, Bundesparlamentarierin der Grünen. Christian Huggel, Geographieprofessor an der Universität Zürich, doppelte nach, es wäre geradezu «absurd, ignorant oder unehrlich» zu sagen, die Klimaerwärmung hätte im Lötschental keine Rolle gespielt.

Zehnmal mehr Bergstürze als vor 50 Jahren?

Die Schuldzuweisungen an die Erderwärmung wurden mit den Tagen immer schriller. Boris Previšić, Direktor des Instituts für Kulturen der Alpen, machte geltend, die Häufigkeit von Bergstürzen in den Alpen habe sich innerhalb der vergangenen 50 Jahren verzehnfacht. Andrea Masüger, Präsident des Schweizer Verlegerverbands, schrieb mit Blick auf die betroffene Bevölkerung in Blatten gar von «Klimaflüchtlingen» – ungeachtet der Tatsache, dass diese Bevölkerung das Lötschental nicht etwa verlassen, sondern ihr Dorf wieder aufbauen will. Und das links-grüne Onlineportal «Republik» mahnte düster: «Gestern war es Blatten, morgen wird es ein anderes Dorf oder Tal treffen.» Es werde in Zukunft «kein Normal mehr geben».

Wer sich solche Untergangsprophezeiungen genauer anschaut, muss zwei Dinge konstatieren: Erstens ist es bei so seltenen Ereignisse wie grossen Bergstürzen statistisch unzulässig, eine Vervielfachung oder gar Verzehnfachung in den letzten Jahrzehnten geltend zu machen. Der Zufall spielt bei Fallzahlen im einstelligen Bereich schlicht eine zu grosse Rolle, als dass ein solcher Schluss haltbar wäre.

Da sind noch ganz andere Kräfte im Spiel

Zweitens ist der Zusammenhang solcher Bergstürze mit dem Klimawandel wissenschaftlich höchst spekulativ. Zwar ist es richtig, dass die steigenden Temperaturen den Permafrost allmählich zurückdrängen. Ob aber dieser Prozess einen so gewaltigen Bergsturz wie den von Blatten direkt verursacht hat, kann heute kein Mensch mit hinlänglicher Sicherheit sagen. Da sind noch ganz andere Kräfte im Spiel.

Immerhin gab es vereinzelt Experten, die entsprechende Zweifel äusserten. So wies der Berner Geologe Ueli Gruner darauf hin, dass kein Zusammenhang des Blattner Bergsturzes mit dem Klimawandel belegbar sei. Er muss es wissen, schliesslich hat er Hunderte von solchen Ereignissen der letzten Jahrtausende untersucht und darüber wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht. «Leider gibt es eine unschöne Tendenz, jedes Mal, wenn etwas passiert, den Klimawandel als Ursache zu bezeichnen», kommentierte Gruner gegenüber dem Onlineportal «Nebelspalter».

Aber solche Stimmen werden kaum gehört. Unstimmigkeiten und Widersprüche beim behaupteten Zusammenhang mit der Erderwärmung werden flugs übergangen. Schliesslich duldet der Kampf gegen den Klimawandel keinen Aufschub!

Die Menschen wissen sich immer besser zu schützen

Doch der eingangs erwähnte Appell, man müsse die Erderwärmung bekämpfen, um die Bergbevölkerung zu schützen, gleicht dem Aufruf, den Bodensee mit einem Teelöffel zu leeren. Dazu kommt, dass die Menschen sich – Klimawandel hin oder her – immer besser gegen Bergstürze und andere Naturereignisse zu schützen wissen. Wie erwähnt, gab es beim Ereignis im Lötschental ein einziges Todesopfer – und nicht Hunderte wie bei vergleichbaren Vorkommen im 19. Jahrhundert. Die moderne Technologie, mit der sich kleinste Felsbewegungen beobachten lassen,  ermöglichte es, die Bergbewohner dieses Mal zu warnen und rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.

Nicht nur Menschen können effektiver geschützt werden, sondern auch Sachwerte. In der Schweiz wird seit 1972 eine nationale Unwetterschadens-Datenbank geführt, in der materielle Schäden durch Hochwasser, Murgänge und Felsstürze systematisch erfasst werden. Diese Datenbank zeigt für die letzten 15 Jahre sogar einen deutlichen Rückgang der registrierten Verlustsummen. Fels- und Bergstürze machen in dieser Statistik sowieso nur zwei Prozent aller Schadensereignisse aus. Vom angekündigten Zusammenbruch der Bergwelt ist also weit und breit nichts zu sehen.

 

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