Mehrere Artikel, wie sie unterschiedlicher nicht sein können.

Stefan Rahmstorf sieht im Spiegel die Atlantische Umwälzzirkulation (AMOC) kurz vor einem Kipp-Punkt und zwar schon sehr bald. Anlaß für den Artikel ist eine neue Studie aus Dänemark. Rahmstorf geht in seinem Artikel davon aus, daß ein Umkippen der AMOC für Teile von Westeuropa sogar sinkende Temperaturen bringen könnte, die durch den allgemeinen Temperaturanstieg aber gedämpft werden könnten.

“Zusätzlich zu den Modellsimulationen werden daher Analysemethoden aus der Physik komplexer Systeme genutzt, mit denen von der Quantenphysik bis zur Kosmologie Warnsignale vor dem Erreichen von Kipppunkten untersucht werden. Genau dies tut auch die soeben in »Nature Communications« erschienene Studie aus Dänemark. Dabei werden Schwankungen um den Mittelwert analysiert, die sich bei der Annäherung an einen Kipppunkt verändern und daher als Warnzeichen dienen können.

Weil es kontinuierliche, direkte Messungen der Atlantikzirkulation erst seit 2004 gibt, nutzt die neue Studie dazu die Entwicklung der Kälteblase im nördlichen Atlantik, die als einer von mehreren Indikatoren einer Abschwächung der Atlantikströmung gilt. Das Resultat ist beunruhigend: Schon in rund 30 Jahren sei ein Überschreiten des Kipppunktes wahrscheinlich, heißt es. Die Unsicherheit in beide Richtungen ist dabei allerdings erheblich. So beziffert das Autorenduo die Wahrscheinlichkeit für den Kipppunkt im Zeitraum 2025 bis 2095 mit 95 Prozent.”

Am gleichen Tag erscheint in der Welt und auf Axel Bojanowskis Blog ein Interview mit Jochem Marotzke, vom Max-Planck-Institut in Hamburg. Er kann sich mit der Studie, die Rahmstorf zitiert, nicht anfreunden. Marotzke ist einer der stillen Klima-Wissenschaftler, der eher mit Erkenntnissen als mit Alarm auffällt. Sein Institut gilt als weltweit führend. Er merkt zur Studie an, dass sie den Erkenntnissen des IPCC widerspricht.

“WELT: Eine neue Studie sagt den Kollaps der Meeresströmung im Nordatlantik in 34 Jahren vorher. Sie erforschen diese Strömung seit den 1980er-Jahren – was halten Sie von der Prognose?

Jochem Marotzke: Ich wundere mich, dass die Studie die Begutachtung überstand und so publiziert werden konnte. Die Behauptung, es werde in diesem Jahrhundert zum Kollaps der Meeresströmung kommen, steht auf tönernen Füßen. Die Mathematik wird zwar fachkundig ausgeführt, aber die Voraussetzungen der Rechnungen sind höchst zweifelhaft.

WELT: Welche Voraussetzungen?

Marotzke: Die Interpretation verlässt sich darauf, dass das theoretische Verständnis über die Meeresströmung korrekt ist, doch daran sind riesige Zweifel angebracht. Es werden beispielsweise Messungen der Meeresoberflächentemperatur als Indikator für die Stärke der Strömung genutzt, aber diese Interpretation ist höchst unsicher.”

Im weiteren Verlauf des Interviews wird es dann noch sehr interessant. Es geht um das Szenario RCP8.5. Es wird offenbar in zukünftigen IPCC-Reports nicht mehr verwendet.

“WELT: Bundesbehörden, selbst der UN-Klimareport, stützen sich wesentlich auf ein äußerst pessimistisches Klimaszenario, das sogenannte RCP8.5-Szenario, obwohl das als widerlegt gilt. Wird die Öffentlichkeit damit nicht in die Irre geführt?

Marotzke: Das RCP8.5-Szenario wird vor allem deshalb verwendet, weil sich damit Klimaeffekte besser erforschen lassen. Es stellen sich in den Modellen eher Effekte ein, sodass wir sie studieren können. Deshalb finden sich RCP8.5-Studien häufig in der wissenschaftlichen Literatur – und damit eben auch im UN-Klimabericht des IPCC. Im nächsten IPCC-Report wird sich das aber ändern.”

Auch Scinexx.de beschäftigt sich mit der Studie. Hier ist interessant, dass die Seite Niklas Boers vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung PIK zitiert. Auch Rahmstorf beruft sich auf Niklas Boers als Unterstützung der These, daß die Zirkulation bald kippt. Scinexx zitiert ihn aber genau entgegengesetzt.

“Doch was ist dran an dieser gewagten Prognose? Fachkollegen des Forscherduos sehen deren Schlussfolgerungen eher kritisch. „Im Detail ist die statistische Analyse selbst korrekt. Ich finde aber nicht, dass die Schlussfolgerung der Studie mit der Datengrundlage und Modellqualität gerechtfertigt ist“, kommentiert Niklas Boers vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der selbst zur AMOC forscht.

Die Unsicherheiten seien so groß, dass man auf Grundlage der Analyse historischer Daten keine Aussage zum Zeitpunkt des Kippens treffen könne. Noch deutlicher fällt die Kritik von Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg aus.

Der renommierte Klimaforscher konstatiert: „Die in der nun erscheinenden Studie so zuversichtlich vorgetragene Aussage, es werde im 21. Jahrhundert zum Kollaps der AMOC kommen, steht auf tönernen Füßen.“ Seiner Ansicht nach ist sowohl die Reduktion des komplexen Systems auf ein relativ einfaches Modell als auch die Verwendung nur der regionalen Oberflächentemperatur als Fingerabdruck fragwürdig und die Schlussfolgerung daher höchst zweifelhaft.”

Bei SMC sind verschiedene Reaktion von Wissenschaftlern zur Studie gebündelt. Die Aussage von Prof. Dr. Johanna Baehr, Institut für Meereskunde, Universität Hamburg, in der deutschen Übersetzung:

 “Das Papier kann ein wertvoller Beitrag zur Diskussion über mathematische Modelle von Klimavariationen sein. Die rein statistische Untersuchung der AMOC konzentriert sich ausschließlich auf die Oberflächentemperaturen im Nordatlantik. Damit wird sie der Komplexität des Klimasystems in vielerlei Hinsicht nicht gerecht. Auch in Bezug auf den Verweis auf aktuelle Modellsimulationen und umfangreiche Messungen hält die Studie nicht, was sie zunächst suggeriert.

 “Persönlich bin ich überrascht, dass die Autoren aus dieser rein mathematischen Analyse so weitreichende Schlussfolgerungen für die zukünftige Entwicklung der AMOC ableiten. Die Ergebnisse der Studie sind meines Erachtens nicht auf die tatsächliche zukünftige Entwicklung der AMOC übertragbar. Ein abruptes Zusammenbrechen der AMOC – wie im 6. IPCC-Sachstandsbericht beschrieben – ist in absehbarer Zeit weiterhin nicht zu erwarten.”

 “Eine solche rein mathematische Analyse, die die physikalische Perspektive ausblendet, trägt nicht dazu bei, dem Klimawandel mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wir erleben schon jetzt eine ganze Reihe von Ereignissen, die auch Auswirkungen des anthropogenen, also vom Menschen verursachten, Klimawandels sind. Diese Auswirkungen sind Grund genug, um zu handeln. Es ist klar, dass die Treibhausgasemissionen drastisch reduziert werden müssen – je früher, desto besser. Wenn wir jetzt handeln, wird dies den Unterschied zwischen 1,5 oder 2 oder 3 Grad globaler Erwärmung ausmachen, mit drastischen Folgen für uns alle.

Wie auch immer, die neue Studie erwärmt so manches Süppchen. Jan Philipp Albrecht, Grüner und Präsident der Grünen Böll-Stiftung nutzt es für seine Zwecke. Zweifel oder Kritik an der Studie werden gekonnt ausgeblendet.

(Abbildung: Screenshot Twitter)

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