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Der renommierte amerikanische Wissenschaftspublizist Michael Shellenberger skizziert,
wie eine gute Energiepolitik aussehen müsste.
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Beat Gygi (Red. WELTWOCHE Zürich)*
Mit seinem Buch «Apocalypse Never – Why Environmental Alarmism Hurts Us All» hat sich der amerikanische Wissenschaftspublizist und Bestsellerautor Michael Shellenberger einen Namen gemacht als nüchterner Analytiker, der den Weltuntergangswarnungen der Klima-Aktivisten die Grundlage entzieht. Im Gespräch legt er hier dar, wie sich der Alarmismus auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt auswirkt und welche Art von Klimapolitik den Menschen mehr bringt.
Weltwoche: Herr Shellenberger, die Preise für Erdöl und Erdgas schiessen in die Höhe, die Energieversorgung wird für Private und Firmen teurer, vielerorts werden Mangelsituationen befürchtet. Das müsste doch die Chance sein für Alternativen, wie sie die Klimabewegung will, für neue erneuerbare Energieformen aus Sonne und Wind. Solche Preissteigerungen unterstützen doch die Entwicklung in Richtung massiver CO2-Reduktion, wie sie Klimapolitiker im Uno-Rahmen vorantreiben wollen.
Michael Shellenberger: Es läuft anders. Die ganze globale Klima-Agenda ist grundsätzlich in einer völlig verfahrenen Situation. Die Welt leidet tatsächlich unter einer ungenügenden Öl- und Gasproduktion, es gibt Mangelsituationen. Was man beobachtet, ist, dass viele Länder zur verstärkten Nutzung von Kohleenergie zurückgehen. Das hat zur Folge, dass die CO2-Emissionen wieder steigen, nachdem sie vorher abgenommen haben.
Weltwoche: Viele Regierungen haben aber im Dezember am Uno-Klimagipfel in Glasgow zugesagt, ihre Emissionen drastisch zu reduzieren.
Shellenberger: Es hat sich doch klar gezeigt, dass diese Uno-Klimagespräche eine Farce waren.
Weltwoche: Warum? Hat Glasgow denn nichts verändert an der Energiepolitik der Länder? Viele Regierungen legten sich in den Klimaversprechen nach dem Pariser Abkommen doch auf eine Reduktion der Treibhausgas-Emissionen auf netto null bis 2050 oder ähnlich fest. Auch die Schweizer Regierung. Bringt das nichts?
Shellenberger: Ich glaube, das Glasgow-Treffen hat vielen gezeigt, dass man die Klimawandeldebatten der Uno nicht ernst nehmen kann. Das beginnt schon mit der computeranimierten Darstellung eines sprechenden Dinosauriers, der in eine Uno-Versammlung eindringt und die Menschheit davor warnt, durchs Zulassen des Klimawandels sich selbst auszurotten. Das ist absurd.
Weltwoche: Das ist halt Marketing für die Klimasache.
Shellenberger: Ja, aber etwa gleichzeitig beschwor der als Klimaretter auftretende amerikanische Präsident Joe Biden die Erdölproduzenten des Opec-Kartells, ihre Ölförderung zu steigern, damit es Ruhe an den Märkten und in der Bevölkerung gebe. Das zeigt, wie schizophren Klima-Aktivisten handeln, die vorgeben, sie seien in grosser Sorge um den Planeten.
Weltwoche: Hat die Glasgow-Konferenz aber insgesamt den Klima-Alarmismus in Öffentlichkeit und Politik verstärkt?
«Null Emissionen bedeutet im Prinzip Greenwashing: sich grün geben, aber nicht so handeln.»
Shellenberger: Ja, aber gleichzeitig hat diese Bewegung auch gezeigt, wie kraftlos und wie ziellos sie eigentlich ist. Die Aktivisten haben sich quer über den Globus als Bewegung organisiert, haben die ganze weltweite Medienszene mehr oder weniger auf ihrer Seite, aber letztlich doch wenig Einfluss auf die Politik.
Weltwoche: Aber es gibt doch vielerorts Regierungen und Parlamente, die neue Klimaregulierungen mit Blick auf die Pariser Ziele erlassen haben.
Shellenberger: Gut, man kann sagen, der Alarmismus habe die Politik insofern beeinflusst, als die Öl- und die Gasproduktion reduziert wurden. Und das führte zur schwersten Energiekrise in Europa seit fünfzig Jahren. Die Energiepreise schossen auf Rekordwerte hoch, vor allem in Deutschland, aber auch in Grossbritannien oder Frankreich. Dass an den Märkten Öl und Gas so knapp wurden, ist darauf zurückzuführen, dass unter dem Druck der Klimaaktivisten die öffentlichen und privaten Investitionen in die Öl- und in die Gasproduktion reduziert wurden.
Weltwoche: Also war die Uno-Konferenz eigentlich eine teure Sache.
Shellenberger: Ja, und die Europäer bezahlen den Preis für diesen Klima-Aktivismus jeden Tag.
Weltwoche: Dass bei den fossilen Energieformen der Verbrauch verringert und der Preis erhöht wird, entspricht ja der Klimapolitik gemäss Uno-Zielen. Das soll die Anreize zum Ausbau von Solar- und Windenergie steigern.
Shellenberger: Die Reduktion der Investitionen in Öl und Gas hat die Energiepreise in die Höhe getrieben, klar, das liegt auf der Linie der Aktivisten. Aber die Wirkung ist nicht so, wie sie es wollen. Vielmehr gibt es den grossen Rückschlag, indem die Welt wieder zurückgeht zu mehr Kohleverbrauch. Wenn Erdgas fehlt, ist die Alternative, mehr Kohle zu verbrennen.
Weltwoche: In vielen Ländern laufen aber mehr oder weniger grosse Programme zum Ausbau von Solar- und Windenergie.
Shellenberger: In einigen Ländern sicher, aber es gibt jetzt wachsenden Widerstand dagegen. Sanktionen gegen China wegen Menschenrechtsverletzungen und Arbeitsbedingungen schlagen allmählich auch auf den Solarsektor durch. Die meisten Solarpanels kommen aus China, aus einer Produktion, deren Arbeitsbedingungen kritisiert werden. Das macht eine Verteuerung dieser Produkte wahrscheinlich. Hinzu kommt das Entsorgungsproblem, das nicht gelöst ist. Solarpanels kommen nach Ablauf ihrer Lebensdauer in den Abfall, massenhaft, eine Mischung aus vielen unterschiedlichen Rohstoffen. Die Internalisierung der Umweltschäden durch Solarabfälle, Recycling, da ist kaum etwas geregelt. Das kann teuer werden.
Weltwoche: Was sollen denn die Politiker jetzt machen?
«Die Welt sollte langfristig den Weg fortsetzen, der zu Erdgas und Kernenergie führt.»
Shellenberger: Ich glaube, die Energiekrise bietet jetzt eine gute Chance für die Kernenergie. Wir sehen in Frankreich, Grossbritannien, Japan und in den Niederlanden Bestrebungen, sich wieder mehr auf die Atomkraft einzulassen. Wir haben von unserer Organisation aus die Entwicklung in den Niederlanden längere Zeit näher mitverfolgt, ich habe kürzlich eine Analyse dazu verfasst.
Weltwoche: Haben Sie den Eindruck, der Ausbau der Kernenergie sei politisch ein gangbarer Weg?
Shellenberger: Ja, nach meiner Einschätzung war die Nuklearenergie aus einer politischen Perspektive betrachtet nie in einer besseren Ausgangslage als heute. Die Popularität der Kernenergie hat dramatisch zugenommen. In den USA hat sie vor allem auch bei den Demokraten an Zustimmung gewonnen, jetzt nach der Verknappung auf den Energiemärkten erst recht. Auch in vielen anderen Ländern denkt man angesichts der massiv gestiegenen Energiepreise nicht an den Ausbau der wetterabhängigen erneuerbaren Energien aus Sonne und Wind, sondern an neue Investitionen in die Kernenergie. Die Kernenergie steht meiner Ansicht nach im Zentrum. Erdgas ist und bleibt auch eine wichtige Quelle, sodass man sagen kann: Die Welt sollte langfristig den Weg fortsetzen, der zu Erdgas und Kernenergie führt.
Weltwoche: Wie sehen Sie die Entwicklung des Energiemix der nächsten zwanzig Jahre?
Shellenberger: Wir werden definitiv den Übergang sehen von Kohle zu Erdgas. Dann aber auch die Zunahme von Kernenergie. In China beispielsweise ist der Bau von viel neuer Nuklearenergie-Kapazität unterwegs, von ungefähr 150 Reaktoren in den nächsten fünfzehn Jahren. Diese neue Kapazität übertrifft das, was in den vergangenen 35 Jahren erstellt wurde.
Weltwoche: Die CO2-Emissionen drückt das aber wohl noch nicht im grossen Stil.
Shellenberger: Gut, aber wir befinden uns am Anfang des Endes des Emissionswachstums aus der Verbrennung fossiler Energien. Dieser Rückgang war bereits im vergangenen Jahrzehnt zu beobachten, und er wird sich verstärken in dem Ausmass, in dem die Länder vom Kohleverbrauch zu Erdgas übergehen. Die CO2-Emissionen von Erdgas sind bei der gleichen Energie nur halb so hoch wie bei Kohle, von daher kommt die laufende Verbesserung. Das war auch der Grund, warum die USA in den vergangenen zehn Jahren sinkende Treibhausgasemissionen auswiesen.
Weltwoche: Aber wie ist es mit China, Indien und anderen Entwicklungsländern?
Shellenberger: Nach meiner Einschätzung dürfte China jetzt etwa auf dem Höhepunkt sein. Der Rückgang wird einsetzen, Indien braucht dazu noch etwas länger. Weltweit dürften wir das Maximum in näherer Zukunft sehen, dann sollten die Belastungen nachlassen.
Weltwoche: Welche Innovationen sollte man staatlich fördern? Und wieweit ist das Sache des Privatsektors?
«Das Glasgow-Treffen hat gezeigt, dass man die Klimawandeldebatten der Uno nicht ernst nehmen kann.»
Shellenberger: Die wichtigste Massnahme ist, von Kohle auf Erdgas umzustellen und dann den Übergang zur nuklearen Energie voranzutreiben. Gewisse staatliche Forschungsinvestitionen sind sicher sinnvoll.
Weltwoche: Viele Ökonomen schlagen eine CO2-Steuer vor, um schneller zu emissionsärmeren Energieformen zu kommen, zu Nachhaltigkeit in Richtung netto null. Ist das ein gutes Rezept?
Shellenberger: Das Problem mit CO2-Abgaben oder CO2-Steuern ist, dass sie sehr hoch sein müssen, um eine Lenkungswirkung zu erreichen und die Emissionen spürbar zu drücken. Aber auf solch hohem Niveau drücken sie derart auf das Einkommen, dass Konsum und Wirtschaft Rückschläge drohen. Deshalb sind CO2-Steuern wenig wirksam in der Dekarbonisierung des Energiemix.
Weltwoche: Nach Berechnungen namhafter Ökonomen sollten Preise von 50 bis 70 Dollar pro Tonne CO2 die Welt auf einen nachhaltigen Klimapfad bringen können. Finden Sie das zu niedrig angesetzt?
Shellenberger: Ein solcher Preis kann helfen bei der Beschleunigung des Übergangs von Kohle zu Erdgas, vor allem in Ländern, in denen Kohle noch etwas billiger ist als Erdgas. Aber der Ersatz von Kohle durch Erdgas kann auch mit anderen politischen Massnahmen oder Umweltregulierungen erreicht werden.
Weltwoche: Um Treibhausgasemissionen zu drücken, ist in den Klimagesprächen der Uno eine Entschädigung der Armen durch die Reichen vorgesehen. Wie beurteilen Sie solche Nord-Süd-Zahlungen, die in ärmeren Ländern die Dekarbonisierung beschleunigen sollen?
Shellenberger: Da wird hauptsächlich die Entwicklungshilfe in neuer Hülle präsentiert. Zahlungen, die bisher als Hilfsgelder von Nord nach Süd flossen, werden in Klimaanpassungshilfe umbenannt. Ändern tut sich grundsätzlich wenig. Die Entwicklungshilfe war nie besonders erfolgreich in der Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung. Ja zum Teil nutzte man sie als Rechtfertigung, um Investitionen in traditionelle Kraftwerke wie Staudämme oder Gaskraftwerke zu verhindern.
Weltwoche: Leiden die Entwicklungsländer so gesehen unter der Klimapolitik?
Shellenberger: Jedenfalls ist zu befürchten, dass die reichen Länder unter dem Druck von Umwelt-Interessengruppen, Hilfswerken und Klimabewegung Investitionen in die Energieproduktion, die in Entwicklungsländern nötig wären, zurückfahren. Dabei ist das Wichtigste für die wirtschaftliche Entwicklung, dass wir billige und allgemein gut verfügbare Energie haben. Es entwickelt sich ja automatisch so, dass die Treibhausgasemissionen abnehmen, je günstiger und breiter verfügbar Erdgas wird und die Kohle ablöst. Um diesen Prozess noch weiterzuführen, müssen die Regierungen dafür schauen, dass der Ausbau der Nuklearenergie vorankommt.
Weltwoche: Viele Firmenchefs, alle, die etwas auf sich halten, präsentieren jetzt Pläne, um ihr Unternehmen auf netto null Emissionen zu bringen, mit 2040 oder 2050 als Ziel. Sind das effiziente Initiativen der Wirtschaft auf privater Basis?
Shellenberger: Das ergibt kaum Sinn. Null Emissionen bedeutet ja meistens, dass die Unternehmen dann die Energie aus dem Stromnetz beziehen. Das ist im Prinzip Greenwashing, sich grün geben, aber nicht so handeln. Viele kaufen Kompensationszertifikate, die aber oft von ungewissem Wert sind. Wenn da etwa steht, der Partner verpflichte sich, bestimmte Bäume nicht zu fällen – woher weiss man denn, dass er sie überhaupt fällen wollte?
Weltwoche: Wie würde ein wirklicher Green Deal aus Ihrer Sicht aussehen?
Shellenberger: Ich würde sagen, so, wie die Niederlande es gemacht haben. Da ist es gelungen, dass in der Gesellschaft und den Regierungsparteien ein Konsens zustande kam, der darauf abzielt, dass die Kernkraftwerke weiterlaufen und dann zusätzliche Reaktoren dazukommen sollen, um die Energieversorgung zu sichern.
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Michael Shellenberger zählt zu den renommiertesten Wissenschaftsautoren und ist in der Politikberatung in mehreren Ländern engagiert. Sein Buch «Apocalypse Never – Why Environmental Alarmism Hurts Us All» (2020), das in siebzehn Sprachen vorliegt, beeinflusste nachhaltig die aufgeheizte Klimadebatte.
)* Anmerkung der EIKE-Redaktion :
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der WELTWOCHE Zürich | Die WELTWOCHE GRÜN, 24. Februar 2022, S.16 ; EIKE dankt der Redaktion der WELTWOCHE und dem Autor Beat Gygi für die Gestattung der ungekürzten Übernahme des Beitrages, wie schon bei früheren Beiträgen : https://weltwoche.ch/story/die-zukunft-gehoert-der-kernenergie /; Hervorhebungen und Markierungen v.d. EIKE-Redaktion.
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