Wird Donald Trumps „Revolution des gesunden Menschenverstands“ den Gnostizismus eindämmen können?

Edgar L. Gärtner

Donald Trump und seine Getreuen haben sich vorgenommen, die selbstmörderische Woke-Ideologie zurückzudrängen, wenn nicht auszurotten, was auch ich sympathisch finde. Doch die Begeisterung für Donald Trumps und Elon Musks Revolution, sofern sie bei uns überhaupt vorhanden war, lässt schon wieder nach. Ursache ist weniger die ungewohnte Tatsache, dass Trump tatsächlich mit seinen Wahlversprechen ernst macht, sondern das Nachgeben von Börsekursen als Reaktion auf die von Trump verhängten Zölle und die von Musks „extragouvernementalen“ Behörde verfügte Entlassung Zigtausender von Beamten und Forschern sowie der Boykott von Produkten der von Trump und Musk repräsentierten neuen Elite auf dem Markt, der Trump-freundliche Milliardäre viel Geld verlieren lässt. Um zu erkunden, wohin die beiden mit ihren zum Teil drakonischen Maßnahmen überhaupt wollen, ist es ratsam, sich intensiver mit deren theologischen und ideologischen Begründungen zu beschäftigen. Es geht im Folgenden also nicht um den problematischen Charakter Trumps und die extravagante Psyche seiner Förderer Elon Musk und Peter Thiel, sondern um deren Glauben.

Sage niemand, Politik im Allgemeinen und speziell Klima- und Energiepolitik habe nichts mit Theologie zu tun. Zumindest die Pastorentochter Angela Merkel würde der Aussage, dass Politik einer theologischen Begründung bedarf, wohl nicht widersprechen. Für die Begründung des von ihr aus wahltaktischen Gründen überstürzt verfügten Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Kernenergie nach der Havarie von Fukushima setzte sie im März 2011 die „Ethik-Kommission für eine sichere Energieversorgung“ ein, der zwar führende römisch-katholische und protestantische Bischöfe, aber keine Ingenieure angehörten.

Deutsche Bischöfe gehen voran

Besonders profiliert hat sich in und um diese Kommission der damalige Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) Kardinal Reinhard Marx. Im Mai 2011 veröffentlichte dieser in der „Frankfurter Allgemeinen“ einen ganzseitigen Gastbeitrag unter dem Titel „Energie – eine Frage der Gerechtigkeit“. Darin forderte er, sich auf eine weit ins technische Detail gehende Ausarbeitung der DBK unter dem Titel „Der Schöpfung verpflichtet“ berufend: „Der Ausstieg aus der Kernenergie sollte…auf jeden Fall unter der Prämisse einer gleichzeitigen Abkehr von den fossilen Energieträgern erfolgen.“

„Der Schöpfung verpflichtet“ oder „Schöpfung bewahren“ sind wiederkehrende Schlagworte, die der Forderung nach einem Stopp des Einsatzes „fossiler“ Energieträger den Anschein einer biblischen Begründung verleihen sollen. In Wirklichkeit widersprechen sie aber nicht nur dem Wortlaut des Alten Testaments, sondern auch dem gesunden Menschenverstand, den der Schöpfer der Krone seiner Schöpfung (zusammen mit der Freiheit, sich dieser Gabe zu bedienen oder darauf zu verzichten) mitgegeben hat. Im Buch „Genesis“ heißt es nur: „Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, dass er ihn bebaue und bewahre.“ (1. Mose 2,15) Das Bebauen, Umwandeln einer Landschaft kommt also eindeutig vor dem Bewahren. Ginge es nur um das Bewahren, müssten die Menschen sich eigentlich abschaffen. Es geht aber bei dem göttlichen Auftrag gar nicht um das Ganze, sondern um einen eingezäunten Bereich, den wir einigermaßen überblicken und kontrollieren können. Die Schöpfung in ihrer Gänze bewahren zu wollen, wäre ein blasphemisches Ansinnen, denn logischerweise könnte nur der Schöpfer selbst das tun, weil uns sterblichen Menschen dazu Durchblick und Übersicht fehlen.

Grenzen der Erkenntnis

In Form des Verbotes, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen, warnt das erste Buch Mose vor dem Versuch, unsere grundsätzlichen Verständnisgrenzen verbal zu überschreiten. Heute zeigt uns die Quantenphysik diese Grenzen. Wir wissen zum Beispiel, dass die verzögerungsfreie Verschränkung von Elementarteilchen eine experimentell überprüfbare und technisch nutzbare Tatsache ist. Wir verstehen aber nicht, was dahintersteckt. Wir können (und müssen) die Gravitation, die Anziehungskraft zwischen Körpern messen und für die Konstruktion mechanischer Vorrichtungen zur Befriedigung unserer Bedürfnisse nutzen. Wir wissen aber nicht, was Gravitation ist.

Deshalb stützen sich die 10 Gebote des Mose, eigentlich Regeln, die im Futur und nicht im Imperativ formuliert sind (den einen Gott respektieren, nicht morden, nicht stehlen, nicht ehebrechen, nicht neiden), mit denen meiner Ansicht nach das Menschsein beginnt, nicht primär auf Aussagen über den Zustand der äußeren Welt. Nach Ansicht des liberalen Wirtschaftsnobelpreisträgers Friedrich-August von Hayek handelt es sich dabei vielmehr um „Regeln, die uns zwar nicht sagen, was in dieser Welt geschieht, aber sagen, dass uns wahrscheinlich nichts geschehen wird, wenn wir sie befolgen.“ Das legt Demut nahe. Hayek zufolge begünstigt der freie marktwirtschaftliche Wettbewerb diese Haltung. So kommt es zu einem Gleichklang zwischen der Demutsforderung des Dekalogs und dem klassischen Liberalismus.

Wissensanmaßung

Das Gegenteil von Demut ist die Wissensanmaßung. Nach der Gnosis, einer einflussreichen geistigen Strömung in der Spätantike, nennt man diese Wissensanmaßung, die die Göttlichkeit des Menschen behauptet bzw. das Gottspielen zum Programm erhebt und letzten Endes nicht davor zurückschreckt, für das Ansteuern „alternativloser“ Ziele den Dekalog in Frage zu stellen, Gnostizismus. Schon die Bibel lehrt, dass die Versuchung groß ist, etwas zu behaupten, was eigentlich nur Gott wissen könnte, und berichtet, dass sich immer wieder gnostische Sekten bildeten, denen Wissensanmaßung und Rechthaberei zum Lebensbedürfnis geworden waren. Im Neuen Testament geht es dabei vor allem um die Sadduzäer (Tempelwächter), die Jesus Christus ans Kreuz brachten, zum Teil aber auch um die beleseneren und toleranteren Pharisäer, d.h. Schriftgelehrte, denen Jesus Christus weniger ablehnend gegenüberstand. Zu diesen gehörte der Rabbi Saulus, der später durch sein „Damaskus-Erlebnis“ zum maßgeblichen Interpreten des Wortes Jesu wurde. Auch in den frühen christlichen Gemeinden tauchten immer wieder falsche Propheten auf, mit denen sich Saulus/Paulus in seinen berühmten apostolischen Briefen auseinandersetzte. Diese Briefe bilden einen kanonischen Bestandteil des Neuen Testaments.

Mit dem (Märtyrer-)Tod der letzten Apostel gilt die biblische Offenbarung als abgeschlossen. In der nachapostolischen Zeit (im 2. Jh. n. Chr.) erlangte die dualistische Häresie des reichen Reeders Marcion großen Einfluss. Marcion leugnete die Fleischwerdung des Wortes Jesu und konstruierte einen Gegensatz zwischen dem bösen Gott des Alten und dem guten Gott des Neuen Testaments und lieferte damit dem Antisemitismus Argumente, die noch heute benutzt werden. Von seinen Schriften sind nur die Zitate überliefert, die der 130 n. Chr. In Smyrna (Kleinasien) geborene Märtyrer-Bischof Irenäus von Lyon in seinen Polemiken gegen den Häretiker verwendete, weil die Gemeinden der treuen Jesu-Nachfolger alle seine Schriften verbrannten. Damit waren die gnostischen Ideen allerdings nicht aus der Welt. Im Gegenteil blieb die Geschichte des Christentums eine ständige Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen des Gnostizismus.

Konsequenzialismus

Worauf es hier ankommt, ist die Tatsache, dass Formen des Gnostizismus eine besondere Rolle in der europäischen „Aufklärung“ und in den Schriften der davon beeinflussten Gründerväter der USA spielten. Namentlich die französischen Aufklärer beriefen sich auf einen Sinn der Geschichte, der auf mechanische bzw. fatalistische Weise auf ein „Endziel“, den Kommunismus oder die Freiheit (ober- und unterhalb der Gürtellinie) hinführt. Der Dekalog (einschließlich des Mordverbots) wurde dadurch nach und nach vom Konsequenzialismus verdrängt: Als „gut“ galt fortan alles, was den Fortschritt in Richtung auf das Endziel fördert, als „böse“ das, was den Fortschritt hemmt. Dabei verschwanden bei vielen Akteuren die letzten religiös begründeten Skrupel. Der Darwinismus lieferte dafür später die szientistische Begründung. Heute finden wir das gleiche Argumentationsschema bei der Begründung der „Brandmauer“ gegen die verteufelten „Rechten“. Ein solches Denken muss m.E. in eine Sackgasse münden, was man gerade bei den unglücklichen Verhandlungen des Kanzlerkandidaten der CDU über eine mögliche Regierungskoalition unter Ausschluss der „bösen“ AfD beobachten kann. Aber das ist nicht Thema dieses Beitrags.

Die Gründerväter der USA haben sich offen zu einer gnostizistischen Verfälschung der Bibel bekannt. Das gilt insbesondere für den dritten Präsidenten der USA Thomas Jefferson (1743-1826), dem Hauptverfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, der so weit ging, eine eigene gnostisch zurechtgestutzte Version des Neuen Testamentes zu schreiben. Wie man darin sofort erkennt, verstand er die Bibel als Märchenbuch und wollte sie lediglich als moralische Anleitung verstehen. Er sah folglich alles, was darin über Wunder (einschließlich des Wunders der leiblichen Auferstehung Jesu Christi nach seinem Kreuzestod) berichtet wird, als überflüssig, wenn nicht irreführend und schädlich an. Als Zumutung muss ihm auch die Offenbarung des Johannes erschienen sein. So eliminierte er alles, was dem Geist der „Aufklärung“ widersprach, und schuf damit ein Kompendium erbaulicher Sprüche und Handlungsempfehlungen, das sich heute wohl gut als Glaubensbekenntnis einer „woken“ bzw. gnostischen Sekte eignen würde. Das Kompendium wurde allerdings erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, also lange nach Jeffersons Tod, in Amerika veröffentlicht. Immerhin könnte Jeffersons Kompendium meines Erachtens die Erkenntnis fördern, dass die „Aufklärung“, auf die sich Liberalismus und Sozialismus gleichermaßen berufen, im Kern eine in Selbstbeweihräucherung schwelgende gnostische Bewegung war. (Ich habe darauf in meinem auch hier erschienen Aufsatz „Abschied von der Aufklärung“ hingewiesen.)

Kein Zweifel: Die politische Instrumentalisierung des ideologisch zurechtgestutzten Neuen Testaments hat in den USA Tradition. Führt nicht ein mehr oder weniger direkter Weg von Jefferson zu Trump und Musk? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Trump und Musk müssen zwar als typisch amerikanisch betrachtet werden, können aber aus europäischer Sicht äußerlich kaum als Vertreter des authentischen Christentums gelten. Beim US-Vizepräsidenten J.D. Vance ist das nach allem, was ich über seine Konversion zum orthodoxen Katholizismus mithilfe eines Dominikaners weiß, ganz anders. Nicht von ungefähr gilt Vance bei den Verfechtern der Woke-Bewegung als gefährlicher als Trump. Deshalb unterstütze ich bis auf Weiteres den Kreuzzug der drei sowie ihres Sponsors Peter Thiel gegen den Wokismus („Es gibt nur zwei Geschlechter“) und insbesondere ihren Einsatz für die Meinungs- und Redefreiheit, weil sich die Woke-Bewegung noch viel weiter von den 10 Geboten und dem gesunden Menschenverstand entfernt hat. Gegen deren auffälligen Irrationalismus sündigen Donald Trump, Elon Musk und Peter Thiel meines Erachtens vielleicht eher durch übertriebenen Rationalismus.

Technokratie

Schon das überhebliche und siegesgewisse, wenn nicht großmäulige Auftreten Trumps weist m.E. darauf hin, dass nicht die demütige Nachfolge Christi, sondern die vom Gnostizismus beeinflusste Technokratie sein geistiger Hintergrund ist. „Technokratie“ war in den USA im 20. Jahrhundert über lange Zeit kein Schimpfwort, sondern der Name einer relativ anspruchsvollen und einflussreichen intellektuellen Bewegung, die auch in Europa Anhänger fand, wenn auch nicht massenhaft. Der italienischstämmige amerikanische Autor Guido Giacomo Preparata führt den in den USA sich ausbreitenden technik-affinen Neognostizismus auf überwiegend französische Wurzeln zurück. In seinem lesenswerten Buch „Die Ideologie der Tyrannei“ (ins Deutsche übersetzt von unserem Freund Helmut Böttiger) zeigt er auf, wie das pornografische und gnostische Weltbild eines Georges Bataille (1897-1962) über Michel Foucault (1926-1984), Gilles Deleuze 1925-1995) und Félix Guattari 1930-1992) sowie über den Machiavellismus eines Leo Strauss (1899-1973) in Nordamerika Fuß fasste.

Worum es dabei ging und noch geht, zeigt beispielhaft das 1911 erschienene Buch „The Principles of Scientific Management“ des bekannten US-Ingenieurs Frederick Winslow Taylor, der zum Namensgeber einer internationalen Bewegung wurde. Der Taylorismus, die Philosophie der Fließband-Arbeit, ist heute zwar verrufen, aber noch immer wirksam. Links-Libertäre Autoren wie Iain Davis mutmaßen, dass Trump und seine Leute nicht nur auf eine staatsstreichartige Ersetzung der aktuellen woken durch eine technokratische Elite aus sind, sondern auch auf einen privat-öffentlichen Überwachungsstaat mithilfe der KI. Das zeige ihre neokameralistische Gleichsetzung des Staates mit einem Unternehmen („Gov-Corp“). Es gehe ihnen letzten Endes um eine Umpolung von Klaus Schwabs „Great Reset“. Immerhin wirft Davis in seiner Kritik Trump und Musk keine Heuchelei vor, denn bisher haben diese stur versucht, ihre Ankündigungen wahrzumachen. Gerade das macht der verlogenen EU-Kaste um Ursula von der Leyen ja Angst.

Dunkle Aufklärung

Die Tech-Milliardäre Elon Musk und Peter Thiel, die Trumps Wahlkampf großzügig finanzieren halfen, berufen sich beide offen auf die Denkschule des neoreaktionären „Dark Enlightenment“ (Dunkle Aufklärung), als deren Köpfe Curtis Yarvin und Nick Land gelten. Curtis Yarvin, auf den sich auch Vizepräsident J.D. Vance beruft, ist wohl irgendwann klargeworden, dass libertäre Ideen chancenlos sind, wenn sie nicht autoritär durchgesetzt werden. Der bisherige Erfolg Javier Mileis in Argentinien scheint ihnen rechtzugeben. Doch muss man mit schwer kontrollierbaren Gegenbewegungen an den Börsen rechnen.

Die verschiedenen Richtungen der Technokratie sind sich einig in der Überzeugung, dass es für alle sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme technische Lösungen gibt. Sich auf Systemdenken, Verhaltenskontrolle durch Social Engineering und beschleunigte technische Innovationen zu konzentrieren und dabei individuelle Emanzipationsbestrebungen zu vernachlässigen wird auch Trump und Musk vorgeworfen. Der technokratische Ansatz laufe auf die Ersetzung der Demokratie durch eine Oligarchie hinaus: Die Intelligentesten und nicht der Wille der schlecht informierten Mehrheit sollen die Hackordnung bestimmen, klagt Davis. (In der EU herrscht dagegen, wie es scheint, das Prinzip der negativen Auslese.) Die deutschen Klassiker Goethe und Schiller dachten ähnlich und ich selbst halte mich mit meiner mittleren Intelligenz an diesen Grundsatz, indem ich versuche, intelligenten Anhängern der Lehren Jesu zu folgen.

Das bringt mich aber, im Unterschied zu den „Tech-Kings“ Musk und Thiel, in größere Distanz zum Staat und dessen militärischen und zivilen Geheimdiensten. Ich denke dabei an Thieles Spionagesoftware-Unternehmen Palantir und an Musks Starlink-Satellitensystem, die beide im Ukraine-Krieg offensiv eingesetzt werden. Was mich aber nachdenklich macht, sind deren Sympathien für Konzepte des Transhumanismus. Thiel entschied sich für die Kryokonservierung seines Leichnams durch die „Alcor Life Extension Foundation“ in Arizona, weil er offenbar so zum ewigen Leben gelangen möchte. Gleichzeitig bekennt sich Thiel aber zum Christentum, in dem die Sterblichkeit des Leibes zum normalen Leben gehört und Gott über dessen Ende und die Unsterblichkeit der Seele entscheidet. Deshalb zweifelt der hier zitierte Iain Davis an der Ernsthaftigkeit von Thieles religiösem Engagement. Ich selbst bin als Biologe christlichen Glaubens davon überzeugt, dass die irdische Wiederauferstehung nach der Kryokonservierung nicht funktionieren wird, und mache mich deshalb über die Träume der Milliardäre des Silicon Valley eher lustig.

René Girards Sündenbock-Theorie

Immerhin weist Davis aber darauf hin, dass Thiel in Stanford bei dem in Avignon geborenen Literaturwissenschaftler und Anthropologen René Girard (1923-2015), der 1959 zum Katholismus konvertiert ist, studiert hat und dessen Mimesis- und Sündenbock-Theorie so ernstnimmt, dass er dadurch selbst zum – freilich kopflastigen – Gläubigen wurde. Er betrieb, wie wir wissen, auf der Grundlage der Theorie von Girard sogar christliche Missionsarbeit.

Karikaturmäßig verkürzt, könnte man die Theorie Girards so zusammenfassen: Der als guter Mensch geschaffene Adam wurde durch Eva zur Ursünde des Essens vom Baum der Erkenntnis verführt. Die in Horden und Stämmen lebenden Kinder und Kindeskinder des Paares wurden, angetrieben durch die Mimetik, d.h. den Neid zu Kannibalen, indem sie ihren Hass auf einen schuldig gesprochenen Sündenbock konzentrierten, durch dessen kollektive Opferung für eine Weile Frieden geschaffen wurde. Am Ursprung aller Gesellschaften steht nach Girard ein „Gründungsmord“. Auch den Kreuzestod Jesu Christi interpretiert Girard als Opferung eines angeblichen, in Wirklichkeit aber unschuldigen Sündenbocks. Das Christentum macht also Schluss mit der Opferung Unschuldiger. Moses Zehn Gebote führten bei den Juden zum Ersatz der Menschen- durch Tieropfer und das Andenken an Jesu Christis Kreuzestod in der Eucharistie (nach Girard die Sublimierung des Kannibalismus) gibt uns die Chance, den „Frieden des Reiches Gottes“ zu erreichen.

Mir selbst half die Lektüre einiger Bücher Girards, zum Glauben meiner Jugend zurückzufinden. Besonders beeindruckt hat mich Girards auch auf deutsch erschienenes Spätwerk „Eine kritische Apologie des Christentums“ (2002, 2008). Darin geht Girard auch der philosophischen Ursache von Friedrich Nietzsches Zusammenbruch in Turin nach. Ich habe auf der Grundlage der Theorie Girards am 1. November 2014 in einem Vortrag beim Lutherischen Konvent im Rheinland (abgedruckt in: Lutherische Nachrichten 35. Jg. Nr.1) mit dem Titel „Die Öko-Religion – eine manichäische Häresie“ die theologischen Hintergründe des suizidären Ökologismus analysiert. Ich konnte vor zehn Jahren nicht ahnen, dass Girards Sündenbock-Theorie einmal in den USA quasi zu einer Regierungsdoktrin werden würde.

Die Apokalypse nicht ausschließen

Wie bei Girard spielt auch in der Gedankenwelt Peter Thiels und J.D. Vances die Wiederkunft Christi, die Apokalypse eine zentrale Rolle. Dieser von „Gutmenschen“ verdrängte, wenn nicht gar mit Häme bedachter Text muss als integraler Teil der frohen Botschaft des Neuen Testaments betrachtet werden. Trump, Vance, Musk und Thiel können ihre bedingungslose Unterstützung des Kampfes Israels direkt mit der Offenbarung des Johannes rechtfertigen, denn Israel muss bei der Wiederkunft des Herrn noch existieren. Insofern ist die Apokalypse keine selbsterfüllende Prophezeiung. Thiel sieht in dem von den „Guten“ angestrebten Eine-Welt-Staat das Werk des „Antichrist“. Das zeigt, dass er und sein Schüler Vance dem Geist des Neuen Testaments näherstehen als Jefferson, auch wenn sie nicht von gnostischen Einflüssen frei sind. Man kann eben nicht alles haben.

Schließlich sollte man m.E. nicht verdrängen, dass Donald Trump und seine Mitkämpfer trotz ihres manchmal etwas lautstarken und rabiaten Auftretens grundsätzlich viel bescheidener sind als Joe Biden und seine neokonservativen Berater, weil sie für eine multipolare Weltordnung anstelle der Verteidigung der US-Hegemonie um beinahe jeden Preis eintreten und sich gleichzeitig auf handfeste Deals mit Immobilien, Öl, Gas und Mineralien konzentrieren statt auf „Luftgeschäfte“ mit CO2-Zertifikaten. Wir dürfen außerdem nicht vergessen, dass religiöse Überzeugungen viel weiter tragen können als wirtschaftliche Gewinnerwartungen. Deshalb können wir uns wohl darauf verlassen, dass Trumps „Revolution des gesunden Menschenverstandes“ keine Eintagsfliege bleiben wird. Doch kein Sterblicher kennt die Zukunft.

 

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