von Edgar L. Gärtner

Wollte man offiziellen Verlautbarungen glauben, dann bereitet sich Frankreich darauf vor, die Lieferung von günstigem Atomstrom in großem Stil an die von der grünen Energiewende ruinierte deutsche Energiewirtschaft zum lukrativen Geschäftsmodell zu machen. Im vergangenen Jahr lieferten die französischen „dekarbonisierten“ Energiequellen insgesamt 536 Terawattstunden (TWh) Elektrizität. Die Kernkraftwerke lieferten über 67 Prozent des Strom-Mixes. Die Pressemitteilung verschweigt, dass der französische Kernenergie-Anteil schon einmal deutlich höher lag. Dank der Inbetriebnahme des ersten französischen EPR-Reaktors Flamville3 in der Normandie hofft der Staatskonzern EDF in den Jahren 2025 und 2026 zwischen 350 und 370 TWh liefern zu können. Stolz verkündet EDF, es sei gelungen, im vergangenen Jahr unterm Strich fast 90 TWh zu exportieren.

Dennoch bleibt es nach Ansicht des französischen Rechnungshofes zweifelhaft, ob der Kernkraft in Frankreich unter den gegebenen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen tatsächlich eine rosige Zukunft bevorsteht. Denn die Finanzierung des beschlossenen Baus weiterer sechs EPR ist noch immer ungeklärt. Ausschlaggebend für das Zögern von Investoren sind die aus dem Ruder gelaufenen Kosten des ersten EPR auf französischem Boden und die Zweifel, ob das Modell in die Serienproduktion gehen kann.

Chaotischer Start

Die Nuclear Energy Agency (NEA) führt die Kostenexplosion auf den chaotischen Start des Baus des EPR von Flamanville zurück. Nur knapp 40 Prozent der detaillierten Ingenieurarbeiten waren beendet, als sein Bau im Jahre 2007 begann. Geplant war die Inbetriebnahme des Reaktors für das Jahr 2012. Stattdessen führten unvorhergesehene technische Probleme und deren zeitraubende und kostentreibende Behebung dazu, dass der Reaktor erst kurz vor Weihnachten 2024 erste Elektronen in das Stromnetz einspeisen konnte. Statt der ursprünglich projektierten 3 verschlang der Bau des Reaktors über 13 Milliarden Euro. (Wir haben darüber berichtet.) Noch immer fehlt dem Design des Reaktors die behördliche Sicherheitsgarantie. Erst wenn diese vorliegt, kann eine Serienproduktion beginnen. Diese würde sich allerdings nur bei einer guten Auslastung der Reaktoren rechnen, wäre aber kaum gewährleistet, wenn die Einspeisung von „erneuerbarem“ Flatterstrom wie in Deutschland Priorität bekäme.

Denn es gibt in Frankreich relativ weit gediehene Pläne, Hunderte Milliarden Euro in die Entwicklung so genannter erneuerbarer Energien, in Frankreich benannt als „énergies renouvelables intermittentes (EnRI)“, zu investieren. Das ist der Inhalt der im vergangenen Jahr durch eine „Concertation“ der Regierung mit Kommunen, Unternehmen und Bürgern zustande gekommenen dritten „Programmation pluriannuelle de l’énergie (PPE3) de 2025 à 2035“, die sich als Umsetzung des EU-Ziels der Kohlenstoff-Neutralität bis 2050 versteht.

Wie das in Deutschland vom grünen Vizekanzler Robert Habeck unbemerkt durchs Parlament geschleuste „Energieeffizienzgesetz“, dessen Anwendung die Menschen zu einem Leben auf Sparflamme verdammen würde, benennt das französische Programm die Reduktion des Energieeinsatzes als höchste Priorität. Es geht also nicht nur darum, Energie immer effektiver anzuwenden. Als zweite Priorität gibt die „Programmation“ die Beendigung der Kohleverstromung bis 2027 an. Schon heute liegt Kohleanteil an der französischen Elektrizitätsproduktion unter einem Prozent. An dritter Stelle folgt die Entwicklung aller Formen „dekarbonisierter“ Energiequellen (einschließlich der Kernenergie), wobei die nationale Wahlfreiheit betont wird. Ein umfangreicher Anhang beschäftigt sich mit der Dekarbonisierung des Verkehrs.

Verrückte Flucht in die „Erneuerbaren“

Der Unternehmer und Energie-Ingenieur Jean-Louis Butré, heute Vorsitzender der skeptischen NGO „Fédération Energie Durable“, weist darauf hin, dass Frankreich das Ziel des PPE3, den Energieeinsatz global zu senken, wegen der Schließung oder Abwanderung zahlreicher Industriebetriebe unfreiwillig längst erreicht hat: Der französische Stromverbrauch ist zwischen 2019 und 2024 von 478 auf 428 TWh gefallen. Das erst erlaubte es EDF, besonders viel Strom zu exportieren. Die Energie-Experten Bernard Durand und Michel Gay weisen überdies darauf hin, dass die „verrückte Flucht nach vorne“ in Sachen „erneuerbare“ Energien den proklamierten Zielen des PPE3 sogar widerspricht, weil selbst die in dieser Sache unverdächtige grünlastige „Agence pour la transition énergétique ADEME“ (Energiewende-Agentur) in einer umfangreichen Ökobilanz feststellte, dass der Kohlenstoff-Fußabdruck von Windrädern und Photovoltaik-Paneelen, über den gesamten Lebenszyklus gerechnet, mit 15 beziehungsweise 55 Gramm CO2 je Kilowattstunde Output um ein Vielfaches größer ist als der Fußabdruck bisheriger Kern- und Wasserkraftwerke. Französische Kernkraftwerke verursachen nur 6 Gramm CO2 je Kilowattstunde. Ich habe schon vor vier Jahren darüber auf dieser Plattform berichtet. (Um Missverständnisse auszuschließen: Da ich nicht glaube, dass CO2 maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich ist, benutze ich diese Angabe lediglich als Indikator für die Energieeffizienz.)

Der PPE3 sieht für die kommenden 10 Jahre einen massiven Ausbau der Windkraft- und Solarkapazitäten vor, der sich am Stand der deutschen „Energiewende“ orientiert, die bislang über eine halbe Billion Euro gekostet hat. Deshalb sehen die Autoren des PPE3 einen „Nachholbedarf“. Im Jahre 2035 wollen sie mit einer Windkraft- und Photovoltaik-Kapazität von 133 bis 163 Gigawatt den gegenwärtigen Stand des „Erneuerbaren-Ausbaus“ je Einwohner in Deutschland annähernd eingeholt haben. Dabei konzentrieren sich die Planungen auf die Anlage von Offshore-Windparks, weil die Windkraft-Projekte im Landesinneren auf wachsenden Widerstand der Bevölkerung stoßen.

Die höheren Aufwendungen für die „Erneuerbaren“ rühren zu einem großen Teil von der Notwendigkeit des Anschlusses von Offshore-Windparks und des Ausbaus der Transport- und Verteilernetze an Land her. Diese soll verhindern, dass die unstete Produktion von Wind- und Solarstrom zu Braun- oder Blackouts führt. Zum Teil geht es aber auch schlicht um die Instandhaltung bereits vorhandener Hochspannungsleitungen, die zum Teil über 70 Jahre alt sind. Die französische Commission de Régulation de l’Énergie (CRE) schätzt den Finanzierungsbedarf des Netzausbaus für die kommenden 15 Jahre auf nicht weniger als 200 Milliarden Euro. Der Netzbetreiber RTE, verantwortlich für die großräumigen Stromtransportnetze, sieht Arbeiten auf insgesamt 40.000 Kilometern vor und veranschlagt dafür in seinem detaillierten Investitionsplan für die nächsten 15 Jahre 100 Milliarden Euro. Ein beträchtlicher Teil dieser Summe soll dem Anschluss von Offshore-Windparks dienen. Oft geht es aber nur um die Erneuerung morsch gewordener Strommasten. Der Netzbetreiber ENEDIS, der sich dagegen um die örtlichen und regionalen Verteilernetze kümmert, hat Investitionen in ähnlicher Größenordnung angekündigt, bei denen ebenfalls die „Erneuerbaren“ im Vordergrund stehen.

Steigende Strompreise

Allerdings muss die neue französische Regierung unter dem zentristischen Premierminister François Bayrou wegen des drohenden Staatsbankrotts bei der Subventionierung von „Erneuerbaren“ bereits auf die Bremse treten, was schon den Protest der Solarlobby provoziert hat. Der von Bayrou mithilfe des umstrittenen Verfassungsartikels 49.3 ohne Abstimmung des Parlaments erlassene Staatshaushalt für 2025 sieht auch vor, dass der Strompreis für Endkunden ab 1. Januar 2026 um fast 20 Prozent steigt, weil das Gesetz ARENH, das für einen Teil des günstig erzeugten Nuklearstroms einen präferenziellen Preis von 42 €/MWh festlegt, Ende 2025 ausläuft und durch eine Preisbildung ersetzt wird, die sich an der Entwicklung des europäischen Strommarktes orientiert. Der durchschnittliche Strompreis wird dadurch in Frankreich voraussichtlich von 81,37 €/MWh auf über 117 €/MWh, das heißt um 44 Prozent steigen. Das kommt dem hoch verschuldeten Staatskonzern EDF entgegen, der dadurch Mittel für die Finanzierung des Baus neuer EPR in die Hand bekäme.

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und sein Regierungschef François Bayrou (sowie ihre europäischen Amtskollegen) könnten von einem Tag auf den andern viel mehr Mittel für notwendige Investiti0onen freimachen, wenn sie nach dem Vorbild der neuen US-Regierung unter Präsident Donald Trump die irrige CO2-Treibhaus-Hypothese und die darauf fußenden Reduktionsziele des Pariser Klima-Abkommens von 2015 fallen ließen. Ihnen käme entgegen, dass die intellektuelle und mediale Gleichschaltung in Frankreich noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in Deutschland. Denn noch vor wenigen Jahren konnten dort bekannte Klimaskeptiker wie der kürzlich verstorbene Geophysiker Claude Allègre wichtige Ministerämter in sozialistischen Regierungen begleiten. Es geht hier nicht um links oder rechts, sondern schlicht um die Wahrheit: Jeder halbwegs vernünftige Mensch könnte feststellen, dass es zwar historische Belege für die Tatsache des Klimawandels bis in die graue Vorzeit gibt, aber kein sicheres Wissen über dessen Ursachen.

 

 

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