– Eine Chronik des Politikversagens –

von Prof. Dr. Hans-Joachim Kümpel, ehem. Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), und Ministerialdirektor a.D. Werner Ressing, ehem. Abteilungsleiter Industriepolitik im Bundeswirtschaftsministerium

Aufgrund zunehmender Diskussionen um das Thema Fracking erscheint es lohnend, sich eingehend mit den Gründen für eine Ablehnung des Frackings und den politischen Entscheidungen in Deutschland zu beschäftigen. Nachdem die Fachseite seit 2013 beständig darauf hingewiesen hat, und dies noch immer tut, dass Tiefbohrungen zum Erschließen unkonventioneller Erdgaslagerstätten in Deutschland das gleiche beherrschbare Restrisiko bergen, wie solche zum Erschließen konventioneller Lagerstätten (was hierzulande erlaubt ist), stellt sich insbesondere die Frage: Könnten auch politische Gründe zum Fracking-Verbot 2016/2017 geführt haben? Ohne sämtliche Informationsquellen zu nennen, halten wir dazu aus eigenem Erleben fest:

Es erscheint offensichtlich, dass im Wesentlichen fünf ernstzunehmende Gruppierungen von Vorteilsnehmern eines Fracking-Verbots dieses verantworten. Im Einzelnen sind dies:

 

  1. Gazprom ‚Russia today‘ hat jahrelang allzu deutlich einseitig gegen Fracking in D polemisiert, als dass dies eine unvoreingenommene Berichterstattung genannt werden kann. Um 2013/14 herum hatte Mitautor HJK als BGR-Chef u.a. RussiaToday-Interviewanfragen und auch einmal ein Telefoninterview. Im Sinne des Senders war es wohl nicht ausreichend fracking-feindlich, somit nicht verwendbar und wurde nie gesendet. In einem am 9. Juni 2016 veröffentlichten YouTube-Clip ‚Fracking: Dreckig aber politisch erfolgreich‘ von Russia Today heißt es beispielsweise: „Seit dem Jahr 2005 unterstützt die US-Regierung eine besondere Methode, um Öl und Gas zu fördern: Fracking. Damit konnte sie den Ölpreis senken und erlangte eine größere außenpolitische Freiheit. Die USA importieren weniger Erdöl als jemals zuvor. Während die Gewinne privatisiert werden, bezahlt die Gesellschaft die unkalkulierbaren Umweltschäden. Wie groß sind die Schäden für die Umwelt durch Fracking? Was ist mit geplanten Fracking-Operationen in Gebieten mit großer Wassernot, oder in Erdbebengebieten?“ Die zugehörige URL (https://youtu.de/innTFtk3L14) ist nicht mehr aktiv. —- Allerdings, auch wenn Gazprom als Mitbewerber im Gasmarkt aus naheliegenden Gründen gegen eine Schiefergasförderung in Deutschland war, reicht dies kaum aus, die hiesige nahezu kafkaeske Fracking-Gegnerschaft in den vergangenen 10 Jahren zu erklären. Tatsächlich hatten wohl auch andere Institutionen/Personen gewichtige Gründe.
  2. Altkanzler Gerhard Schröder, der die Abhängigkeit der deutschen Energieversorgung von Gazprom vergrößert hat. In den Jahren 2013 bis 2015 wurde die Pipeline Nord Stream 2 geplant und ihr Bau vorbereitet. Bemerkenswert: Ende 2012 lag zwischen BMWi (Philipp Rösler) und BMU (Peter Altmaier) ein abgestimmter Gesetzentwurf zur Erlaubnis von Fracking vor (u.a. https://www.bmuv.de/pressemitteilung/fracking-nur-mitstrengen-auflagen-zulassen ). Der Entwurf wurde vom Kabinett und Bundestag der Legislatur 2009 bis 2013 aber nicht mehr behandelt, weil es von Bundestagsabgeordneten aus dem Koalitionslager massive Widerstände gab. Ende 2013 begann die Legislatur der ersten Großen Koalition mit SPD-Vizekanzler und BMWi-Chef Sigmar Gabriel, enger niedersächsischer Parteigenosse von G. Schröder. Seine Verstrickung in das Nord Stream 2 Projekt, inzwischen von ihm als Fehler eingestanden, ist hinreichend dokumentiert (vgl. u.a. https://www.anstageslicht.de/themen/heizen-energie-politik/nordstream-2/ ). Natürlich wäre Fracking in Deutschland eine Konkurrenz zur Auslastung von Nord Stream 2 gewesen. Bezüglich S. Gabriel ist hinzuzufügen, dass er als Bundeswirtschaftsminister für Fragen der Energie, Versorgungssicherheit und Rohstoffe zuständig war; überdies gehört die BGR zum Geschäftsbereich des BMWi. In Gabriels Zuständigkeit lag daher das vorbereitete Frackingerlaubnisgesetz. Da er den hinlänglich bekannten fachlichen Rat ‚seiner‘ BGR, so scheint es, nicht hören wollte (bzw. nicht gebrauchen konnte), hat er die Federführung in Sachen Gesetzgebung Fracking an Parteigenossin und Umweltministerin Barbara Hendricks abgegeben. Sie hat sodann mithilfe des Umweltbundesamtes das Fracking-Thema zu einem Wasserschutzthema gemacht und damit schließlich das Fracking-Verbot verantwortet (vgl. hierzu u.a. aus der Panorama-Sendung von 2014: https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2014/Fracking-dieAngst-der-Politik-vor-dem-Buerger,panorama5244.html ). Allerdings fehlte nach wie vor die fachliche Grundlage für das Verbot, juristisch wäre es somit leicht anfechtbar gewesen. Aus diesem Grund hat man die Expertenkommission Fracking gegründet. Die Entscheidung wurde damit in die nächste oder übernächste Legislaturperiode (bis Ende 2021) verschoben. Auffällig: Obwohl sich der Bundestag dazu verpflichtet hat, bis Ende 2021 eine Bewertung der Stellungnahmen der Expertenkommission zu beschließen, ist er dieser Verpflichtung bisher nicht nachgenommen.
  3. Neben Gazprom hatten Teile der deutschen (wie auch der internationalen) Industrie Geschäftsinteressen an Nord Stream 2, so BASF durch Wintershall, E.ON, Shell, OMV, Engie (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Nord_Stream#Projektgesellschaften ). Es wundert daher nicht, dass sich in Deutschland im Wesentlichen nur EXXON (kein Partner bei Nord Stream 2) um eine Diskussion um inländische Schiefergasförderung bemüht hat (s. ‘InfoDialog Fracking‘ https://issuu.com/dialog-erdgasundfrac.de/docs/infodialog-risikostudieempfehlungen-praesentation ). Auch den Branchen der Erneuerbaren Energien kamen Proteste gegen eine inländische Schiefergasförderung entgegen, in Verkennung der Dimension der Energiewende, die aus ihrer Sicht einen baldmöglichen Ausstieg aus Kernkraft, Steinkohle, Braunkohle, Erdöl und Erdgas beinhalten sollte.
  4. Bündnis 90/Die Grünen: Sie waren von Beginn an gegen Nord Stream 2, fanden in der Fracking-Ablehnung aber ein wirkkräftiges Betätigungsfeld. Dies war offenbar willkommen, da der Ausstieg aus der Kernenergie infolge des Reaktorunfalls von Fukushima 2011 bereits beschlossen, ein identitätsstiftendes Thema für die Partei damit ‚befriedet‘ war. Abgeordnete wie Oliver Krischer (jetzt Umweltminister in Nordrhein-Westfalen) haben auf Anti-Fracking Kampagnen geradezu ihre Karriere aufgebaut (vgl. u.a. https://www.youtube.com/watch?v=hQ7kb-vWvow ). Ein hochrangiger Vertreter der Partei hat einst im engsten Fachkreis gesagt: „Nehmt uns doch nicht unser schönes Thema weg“. Zuvor war er von Fachseite darauf hingewiesen worden, dass das Bundesland, in dem er Regierungsmitglied war, kein Schiefergaspotenzial habe, er sich somit nicht notwendigerweise gegen Fracking positionieren bräuchte. Zweifellos haben die Grünen das Thema Fracking für sich erfolgreich instrumentalisiert – unter Nutzung eines eingängigen Narrativs, welches die Allgemeinheit im guten Glauben um den Schutz der Umwelt und unter dem Eindruck des als Dokumentarfilm deklarierten Films ‚Gasland‘ (‚brennender Wasserhahn‘; 2010) nicht hinterfragt hat, was ihr nicht vorzuwerfen ist.
  5. Schließlich noch die zahlreichen NGOs und Bürgerinitiativen. Auch sie haben das Thema für sich instrumentalisiert, im Wettbewerb um Aufmerksamkeit, um die Bündelung von Meinungen gegen Wirtschaftsinteressen und um Spendengelder.

 

Nun ist bekannt, dass das Thema Fracking in Deutschland eigentlich ‚durch‘ war, hätte es nicht den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gegeben. Zuvor waren die bundesdeutsche Allgemeinheit und Wirtschaft zudem mit sich und Nord Stream 2 im Reinen: billiges Gas vom verlässlichen Partner Russland; was will man mehr? Alle früheren Versuche der Fachseite, die verzerrten Darstellungen über die Risiken von Fracking zu korrigieren oder richtigzustellen – und das muss die Fachseite erkennen – , waren vor diesem Hintergrund zum Scheitern verurteilt. Erst jetzt, angesichts der größten Energiekrise seit dem Zweiten Weltkrieg, wacht man auf und reibt sich die Augen. Die Diskussion ums Fracking wird wegen der auf längere Sicht bevorstehenden Energieknappheit weitergehen. Zu Recht!

 

Zum Schluss: Hätte die Fachseite nicht eine solide fachliche Basis, um vertreten zu können, dass sich ein generelles Verbot von Hydraulic Fracturing auf Basis wissenschaftlicher und technischer Fakten nicht begründen lässt, würde ihr Hinweis, das Fracking-Verbot sei im Wesentlichen politisch begründet, nichts helfen. Es braucht beides. Überdies kann und darf man selbst nicht von allen „Geowissenschaftler*innen“ erwarten, dass sie ausreichende Kenntnisse für eine fundierte Bewertung der Fracking-Methode haben. Als die zu beherrschenden vier ‚Grundrechenarten‘ kann man nennen: Hydrogeologie, Gesteinsphysik, Tiefbohrtechnologie und Seismologie.

 

Aus fachlicher Sicht bestehen hierzulande keine Bedenken gegen eine inländische Schiefergas- oder Flözgasförderung. Nachweislich steht fest, dass

  • Tiefbohrungen zum Erschließen unkonventioneller Erdgaslagerstätten seit Jahren das gleiche Restrisiko bergen, wie solche zum Erschließen konventioneller Lagerstätten ; eine Grundwasserverschmutzung ist durch ein 3-faches Barrieresytem mit Detektoren faktisch ausgeschlossen, die eingebrachten Fracking-Fluide entsprechen der Wassergefährdungsklasse 1, wie Schwimmbadwasser;
  • eine Schiefergas-/Flözgasförderung in Deutschland in Menge und Förderzeitraum skalierbar ist und mitnichten ein Lock-in über Jahrzehnte hinaus bedeuten würde,
  • der Wasserbedarf beim Fracken dem von 1 bis 2 Freibädern entspricht und ggf. mit Tankwagen aus dem Unterlauf der in die Nordsee mündenden Flüsse gedeckt werden kann, mitnichten also in Konkurrenz zu anderen Nutzern steht,
  • aufgrund der Gasgewinnung aus kilometerlangen Horizontaltiefbohrungen der anfallende Flächenbedarf nur geringfügig landschaftsverändernd (ca. ein Fußballfeld je 50 km²) und temporär ist,
  • das Erdbebenrisiko bei unkonventioneller Erdgasförderung niedriger ist als bei konventioneller,
  • zugleich 20% Energieverlust gegenüber LNG aus Übersee eingespart werden kann (jährlich Millionen von Tonnen CO2äq, die woanders mit hohem Aufwand eingespart werden sollen),
  • der so genannte Methanschlupf bei einer Erdgasförderung in Deutschland erheblich besser kontrolliert und deutlich geringer wäre als bei Schiefergasförderung in Übersee,
  • der angespannte Gasmarkt durch eine Schiefergasförderung in Deutschland entlastet würde, Gasrechnungen von Mitbürgerinnen und Mitbürgern dadurch nachhaltig sinken würden,
  • die politische Souveränität Deutschlands, seine Resilienz und Handlungsoptionen als eine der maßgeblichen, demokratisch regierten Wirtschaftsnationen steigen würden,
  • das Land sich als Vorbild für andere Staaten zeigen könnte, indem es Anstrengungen unternimmt, sich selbst zu helfen und nicht dazu beiträgt, den ohnehin hohen Weltmarktpreis für Erdgas weiter zu verteuern, was andere Staaten dazu treibt, ihren Energiebedarf vermehrt durch Kohleverbrennung zu decken,
  • jährlich Devisenausgaben in Milliardenhöhe eingespart und dadurch z.B. dringend benötigte Mittel für den Ausbau Erneuerbarer Energien erwirtschaftet werden könnten,
  • grundsätzlich eine Nachnutzung der Schiefergas-Tiefbohrungen für petrothermale Erdwärmegewinnung möglich ist; jahrzehntelang, klimaneutral und grundlastfähig.

 

Wenn wir die Energiewende stemmen wollen, indem wir außer aus Kernkraft, Kohle und Erdöl auch gleich aus Erdgas aussteigen, ist das nicht realistisch! Bisher sollte Erdgas als der klimafreundlichste fossile Energieträger die Brücke sowie Backup-Lösung zu den Erneuerbaren Energien und zu Wasserstoff sein. BM Habeck prognostizierte im Juni dieses Jahres auf dem Kongress des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW): „Den Peak vom Erdgasverbrauch, den müssen wir 2030 erreicht haben.“ (https://www.finanzen.at/nachrichten/aktien/habeck-muessen-2030-den-hoehepunkt-beim-gasverbraucherreicht-haben-1031503029 ). Daher auch der rasante Zubau von LNG-Terminals und die Freude über die letztlich überschaubaren LNG-Lieferungen aus Katar für den Zeitraum 2026 bis 2041.

Die gute Nachricht: Fracking kann – wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen vergleichbar zu den LNG-Terminals geschaffen werden – nach 6 Monaten erstes Gas liefern. Damit bricht das neue K.O.-Argument der Frackinggegner weg, das aufgebaut wurde, weil die angebliche Grundwasserverseuchung nicht mehr überzeugt.

Ab 2026 könnten wir deshalb bei gleichem wirtschaftspolitischen Engagement ein Mehrfaches der mit Katar vereinbarten LNG-Liefermengen inländisch fördern; unter strengeren Umweltauflagen, weniger CO2- und Methan-Emissionen, kostengünstiger und, und, und … Aber das steht ja schon oben. Oder kann nicht sein, was nicht sein darf? Die massiven Herausforderungen seit dem 24. Februar rechtfertigen, dass sich die politischen Entscheidungsträger in puncto Fracking jetzt ehrlich machen. An Argumenten, verloren gegangene Akzeptanz wiederzugewinnen, mangelt es nicht.

 

gez. H.-J. Kümpel u. W. Ressing, 09.12.2022

 

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