Die Kernenergie behält in der EU die Rolle des Aschenputtels – Gaskraftwerke sind technisch nicht realisierbar
Edgar L. Gärtner
Am 2. Februar wurde die ab 1. Januar 2022 geltende EU-Verordnung 2020/852, bekanntgeworden als Taxonomie als „grün“ klassifizierter Energiequellen, nach langem Tauziehen zwischen zwei Gruppen von EU-Mitgliedsstaaten endlich verabschiedet. Wichtigster Streitpunkt war bekanntlich die Frage, ob auch die Kernenergie als nachweislich „saubere“, das heißt aus EU-Sicht kohlenstoffarme Energie sich mit dem grünen Label schmücken darf. Dieses soll dazu dienen, im Rahmen des „Green Deal“ der EU Investitionen anzulocken. Wie erwartet, kam der stärkste Widerstand gegen die von Frankreich im Verein mit einigen ost- und nordeuropäischen EU-Mitgliedsstaaten eingebrachte Forderung von Deutschland, Österreich und Luxemburg sowie auch Italien und Spanien, wo der „Atomausstieg“ seit längerem als unabänderliche „Beschlusslage“ gilt. Da Deutschland aber wegen des inzwischen ebenfalls beschlossenen „Kohleausstiegs“ auf Gaskraftwerke als Backup für die unsteten „Erneuerbaren“ angewiesen sein wird, drängte Berlin darauf, diese ebenfalls für eine Übergangszeit als „grün“ anzuerkennen, obwohl diese bis auf weiteres das Kriterium maximal 100 Gramm CO2 je erzeugter Kilowattstunde nicht erfüllen können.
So entstand der nun erzielte Kompromiss. Diesen als Sieg der Vernunft in der Energiepolitik zu feiern, wäre allerdings verfrüht. Vor allem Samuel Furfari, ein inzwischen pensionierter leitender Beamter der EU-Generaldirektion Energie, warnt Freunde der Kernenergie davor, sich zu früh zu freuen. Das EU-Parlament könnte den Kompromiss mit einfacher Mehrheit ablehnen, was allerdings als wenig wahrscheinlich gilt. Etwas höher ist die Hürde im Europäischen Rat, wo eine qualifizierte Mehrheit von 20 Mitgliedsstaaten für die Ablehnung des Kompromisses erforderlich ist. Ohnehin gilt der Kompromiss nur für eine Übergangszeit: Für Kernkraftwerke, deren Baugenehmigung vor 2045 erteilt wurde, und für Kernkraftwerke, die vor 2040 für eine Laufzeitverlängerung ertüchtigt wurden. Gaskraftwerke, deren Bau vor dem 31. Dezember 2030 genehmigt wurde, dürfen statt 100 Gramm 270 Gramm CO2 je Kilowattstunde ausstoßen, sofern sie Kohlekraftwerke oder andere Anlagen mit höherem CO2-Ausstoß ersetzen. Die fortgeschrittensten Gaskraftwerke schaffen bislang aber nur 340g/kWh. Überdies hat die EU-Wettbewerbs-Kommissarin Margrethe Vestager noch vor Weihnachten 2021 mithilfe einer Richtlinie dafür gesorgt, dass die Mitgliedsstaaten nur nicht wettbewerbsfähige „Erneuerbare“ (Wind und Solar) subventionieren dürfen. So bleibt es dabei, dass die EU-Kommission letztlich allein entscheidet, wohin die energiepolitische Reise geht.
Das aber widerspricht dem Artikel 194.2 des Lissabon-Vertrags, der auf Druck des damaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterand eingefügt wurde, um den französischen Alleingang in Sachen Kernenergie verfassungsrechtlich abzusichern. Nach diesem Artikel darf die EU-Kommission den Mitgliedsstaaten nicht vorschreiben, mit welchem Mix sie ihren Energiebedarf decken. Die Franzosen können sich bei ihrer Förderung der Kernenergie immerhin auf den Euratom-Vertrag von 1957 berufen, der als einer der Gründungsverträge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und damit auch der Europäischen Union gilt. Dahinter stand bekanntlich die Vision, durch die Bereitstellung von möglichst billiger Energie im Überfluss Wachstum und Wohlstand für alle zu ermöglichen.
Es war der damalige Präsident der Europäischen Kommission, der französische Sozialist Jacques Delors, der anregte, in die Verträge von Maastricht über die Schaffung eines einheitlichen EU-Binnenmarktes (1992) auch die Elektrizität einzubeziehen, obwohl deren Erzeugung in großen Kraftwerken eher die Anerkennung natürlicher Monopole verlangt. Was als „Liberalisierung“ des europäischen Strommarktes angekündigt wurde, beschränkte sich aber in Wirklichkeit auf eine Öffnung des Marktes für neue Anbieter, die oft gar nicht über eigene Erzeugungskapazitäten verfügen, sondern das Angebot der alten Platzhirsche (früher überwiegend in Staatskonzerne oder Firmen im Kommunaleigentum) lediglich parasitieren. Darüber beklagen sich heute vor allem die Franzosen. Deren ehemaliges Staatsmonopol Électricité de France (EdF), dessen Aktien sich heute noch zu 84 Prozent in den Händen des französischen Staates befinden, hat den derzeit größten Nuklearpark der Welt nicht mithilfe staatlicher Subventionen, sondern mithilfe über den (moderaten) Strompreis erwirtschafteter Eigenmittel und internationaler Anleihen aus eigener Kraft aufgebaut. Das ging so weit, dass der französische Staat, der nach den verlorenen Indochina-, Suez- und Algerienkriegen nicht weit von der Pleite war, zeitweilig die bessere Bonität von EdF als Garantie nutzte, um sich am internationalen Kapitalmarkt bedienen zu können. Der Wachstumsschub nach dem Ende der Revolte von Mai 1968, der fast bis zum Ende des 20. Jahrhunderts reichte und in der französischen Wirtschaftspublizistik noch heute als die „Trente Glorieuses“ (die 30 herrlichen Jahre) bejubelt wird, wurde zum großen Teil auf Pump finanziert, worin ein Grund für die heutige hohe Verschuldung des französischen Staates liegt.
EdF muss heute nicht nur die flächendeckende Stromversorgung zu staatlich kontrollierten niedrigen Preisen sicherstellen, sondern auch entsprechend angeblich marktwirtschaftlicher Vorgaben der Brüsseler Bürokratie einen Teil seiner mithilfe der Kernkraft immer noch preisgünstig erzeugten Elektrizität zu Spottpreisen (€ 46,3 je MWh) an Konkurrenten abgeben, die selbst keinen Strom produzieren. Dadurch verringern sich selbstverständlich seine Möglichkeiten, die in Frankreich beschlossene Renaissance der Kernkraft aus Eigenmitteln zu finanzieren. Ob und inwieweit EdF das fehlende Kapital auf den internationalen Kapitalmärkten auftreiben kann, hängt davon ab, wie sich die Mastodonten der globalen Finanzindustrie dazu stellen. Angefangen mit BlackRock, der größten Investment-Gesellschaft der Welt, die über 10 Billionen US-Dollar Anleger-Vermögen verwaltet. BlackRock bekennt sich wie seine wichtigsten Wettbewerber zu einer „grünen“ Agenda und versucht auch den Firmen, denen er mit Kapitalspritzen beispringt, eine solche aufzudrücken. Beim Ölkonzern ExxonMobile setzte BlackRock zum Beispiel die Besetzung von gleich drei Verwaltungsratssitzen mit ihm genehmen Managern durch. Man sollte nicht vergessen, dass es die großen Finanzgesellschaften waren, die die „Klimapolitik“ gegen Ende der 1980er Jahre in New York aus der Taufe gehoben haben, denn sobald CO2 zur Hauptursache des Klimawandels erklärt worden ist, erscheinen die Renditeaussichten von „nachhaltigen“ Investitionen exakt berechenbar. Bislang hat sich BlackRock gegenüber der Kernenergie eher flexibel gezeigt. In Deutschland spricht sich BlackRock den Anlegern gegenüber im Rahmen des „Green and Sustainable Finance Cluster Germany“ gegen Investitionen in Kern- und Gaskraftwerke aus. Im Nachbarland Frankreich schließt er das nicht aus. Staatspräsident Emmanuel Macron hat wohl als Ex-Investment-Banker mit Vertretern der Finanzindustrie geredet, bevor er die Renaissance der Kernenergie verkündete. Da die führenden Fonds-Anbieter aber eng mit „grünen“ NGOs wie „Fridays for Future“ u.a. zusammenarbeiten, kann sich das rasch ändern. Wetter- und damit zufallsabhängige „Erneuerbare“, die sich wegen der Notwendigkeit zahlreicher zusätzlicher Investitionen in Backup- und Speicheranlagen als Fass ohne Boden erweisen, sind für die Manager der Finanzindustrie vermutlich attraktiver als wirklich nachhaltige Investitionen in Kernkraftwerke, die anfangs Milliardenbeträge erfordern, dann aber 60 Jahre lang rund um die Uhr zuverlässig Strom liefern.
Wir freuen uns über Ihren Kommentar, bitten aber folgende Regeln zu beachten:
Dass durch eine völlig sinnlose CO2-Abgabe der Stromerzeugungspreis mal so eben VERDOPPELT wird, ist verantwortungslos – und es wird immer schlimmer. CO2-freie KKW abzuschalten und (vorerst mal zum Übergang auf die grosse Transformation) Hunderte von Gaskraftwerken bauen zu wollen/zu müssen – obwohl soviel Gas und erst recht nicht eine Beimischung von Wasserstoff sowie der nötige Ökostrom und schon garnicht die gigantischen Speicher weder verfügbar noch bezahlbar sind – und dann noch NordStream2 (1230 km für 10 Mrd. €) nicht nutzen zu wollen, ist grotesk. Und auch die bald verfügbare Fusionsenergie, welche mit nur 10 €ct an Brennstoffkosten etwa 66.000 kWh (!) produzieren kann, wird ignoriert.
Heute gefunden, Zitat: „Wie ertappte Kinder versuchen die Grünen, das Desaster ihrer Politik zu vertuschen. Gestern telefonierte ich mit einem Insider der Deutschen Energiebörse. Er informierte mich darüber, dass heimlich schon wieder Eisenbahnwaggons mit Braunkohle in die Kraftwerke rollen und die Leistung dort um 60-70% hochgefahren wird. Der Blackout kommt mit Sicherheit. Ein Tipp von ihm noch: Ab 15 Minuten Stromausfall sollte man schon mal die Badewanne volllaufen lassen…….“. [Zitatende] (Quelle: ACHGUT. Kommentator: Heike Olme)
Guter, informativer Überblick, der einem beim Verständnis von so manchem in der EU hilft!
Den beschriebenen Anlagegesellschaften würde ich keinen Cent anvertrauen. Es wird immer verständlicher, warum sogenannte „aktiv gemanagte“ Aktienfonds in aller Regel schlechter abschneiden als simple Index-Fonds (ETF), die einfach nur Aktien-Indices nachbilden und schon lange auf dem Vormarsch sind – zumindest für Kleinanleger.
Ein anderes Kapitel sind Großanleger, denen es vor allem um Steuervermeidung geht. Von denen es anscheinend auch viele „Klima-Weltretter“ gibt – meistens die einfältige Erbengeneration. Klar, auch in ETFs mögen grün-gepuschte Werte mit enthalten sein. Aber wenn letztere nicht mehr performen, sind sie auch schon wieder draußen, ganz automatisch…
Und so große Anlage-Gesellschaften wie Blackrock bei den Menschheits-Verdummern, wo auch ein Merz herkommt – prost Mahlzeit! Verständlich, warum dieser Merz von „der größten Menschheitsaufgabe des 21. Jahrhunderts“ tönt – Blackrock wird es ihm danken. Jedenfalls scheint es sich für Blackrock auszuzahlen.
Mit klassischer Kapitalanlage hat das alles nicht mehr viel zu tun. Sollen doch Blackrock & Co. mit den grünen Klima-Deppen ihr Geschäft machen. Anscheinend gibt es genug davon – aber wie lange noch? Klar, Blackrock puscht dann einen neuen Popanz – die Gesellschaft verdient immer, wenn nur viele betuchte Anleger zu Blackrock kommen. Bisher scheint sich die „Klima-Katastrophe“ zu lohnen – ähnlich wie für die Grünen…
Das Ganze ist ein weiteres Indiz dafür, wie „erfolgreich“ die Grün- und Klima-Verdummung im Westen ist
„Mit klassischer Kapitalanlage hat das alles nicht mehr viel zu tun.“
Ursache ist der unausrottbare Glaube, das *Geld* an sich *arbeiten* könne. Die Deregulierung der Finanzmärkte führte zum Aufstieg der *Finanzindustrie*, ermöglichte es dieser, Konstrukte (ernsthaft nannten die es *Finanzprodukte*) zu erfinden, wo es möglich schien, unter Umgehung bzw. Ausschaltung der Realwirtschaft *Gewinne* zu generieren. Zugleich wurden für die eine Marktwirtschaft unabdingbaren Korrekturmechanismen ausgehebelt (Too big too fail).
Die wesentlichen wirtschaftspolitischen Entscheidungen, auch in Sozialbereich, der letzten Jahrzehnte wurden in einer Art getroffen, die Versicherungen, Vermögensverwaltungen und Großbanken *neues Geschäft* beschehrten, ohne den mühsamen Umweg Investition in Sachwerte ->höhere Produktivität -> Gewinn gehen zu müssen.
Auch wenn es manchmal scheinbar so ist, geschieht es seit mindestens einem Jahrzehnt fast ausschließlich in Segmenten, die entweder bis zum Hals subventioniert werden, über gesetzliche Umlagesysteme sich relativ risikolos finanzieren, oder sogar über unsere „Sozialabgaben“ die Gewinne sicher fließen zu lassen. (Was zum Teufel hat bespielsweise Goldmann Sachs als Anteilseigener an den Rhön- Kliniken zu suchen, die sich dadurch mit den Krankenversicherungsbeiträgen der *Solidargemeinschaft* die Taschen füllen? Bei den Fresenius- Kliniken dasselbe: Blackrock, Allianz, DWS. Mittlerweile gehört Helios zu Teilen zu Fresenius. Lobbyist war übrigens ein Karl Lauterbach)
Das alles führte zu Fehlallokationen von nicht nur Kapital in einem nie dagewesenen Ausmaß, so dass eine Korrektur ohne größte Verwerfungen gar nicht mehr möglich ist.
Hervorragender Beitrag, der insbesondere auch herausarbeitet, in welchem Ausmaß das US-Finanzkapital zum eigentlichen Treiber der Klimapolitik geworden ist. Die Vorstände normaler Kapitalgesellschaften sind durch diesen Druck völlig entmündigt. Hinzu kommen zahllose Vorschriften, die bewirken sollen, dass sie „sozial verantwortlich“, „umweltverantwortlich“, gendergerecht, divers und etc pp. zum Geschäftszweck erklären und dies in ihren Geschäftsberichten ständig detailliert nachweisen, da sie sonst im Kreditranking und auch steuerlich zurückgestuft werden. Besonders toll ist das „zertifizierte Energiemanagement nach ISO 50001“, das Unternehmen dazu zwingt, ständig die Energieeffizienz zu verbessern und dafür Personal abzustellen. Das ist Schwachsinn der schlimmsten Art, denn jedes Management hat seit jeher sowieso die Aufgabe, Kosten einzusparen, und tut das in der Regel von sich aus auch bei den Energiekosten. Dazu braucht es keinen staatlichen Aufpasser. Da heutige Fertigungsanlagen wegen steigender Lohnkosten immer höher automatisiert werden müssen, ist Energieeinsparung jedoch auf Dauer nicht erreichbar. Trotzdem müssen die Unternehmen für die Zertifizierung teure Beratungen und ständige Nachzertifizierungen berappen.
„Trotzdem müssen die Unternehmen für die Zertifizierung teure Beratungen und ständige Nachzertifizierungen berappen.“
Da guckste, wenn die Berater antraben und Tagessätze um die 1500€ aufrufen. Sie wären billig, im Vergleich… Und haben ein Leckerli gleich noch parat: Das RKW (former: „Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit in Industrie…, jetzt Rationalisierungskuratorium“) übernimmt mit Antrag blablabla 50% der Beratungskosten!!!! Kost fast nix!!!
Und ja, das wäre wichtig, für die Performance, für die Kundengewinnung und überhaupt, neue Gesetzlichkeiten und EU- Verordnungen verlangen das halt.
So schafft man sich mit Gesetzen und Richtlinien und Verordnungen selbst neue Geschäftsfelder und bedient sich aus Steuertöpfen. Mich ödet das nur noch an… Ich mag echt nicht mehr für die ganze Schnöseltruppe von Beratern, Bankern, Versicherungsfuzzis, NGOs, Politikern und den anderen Minderleistern die Kohle mit herbeischaffen.