Von Dr. Lars Schernikau

Der economist schreibt: „Unser Cover in dieser Woche befasst sich mit dem ersten großen Energieschock im grünen Zeitalter. Seit Mai ist der Preis für den Warenkorb aus Öl, Kohle und Gas um 95 % gestiegen. Die amerikanischen Benzinpreise haben die Marke von 3 Dollar pro Gallone erreicht, Stromausfälle haben China und Indien heimgesucht.

Titelbild economist vom 16.Okt. 2021

Großbritannien hat wieder Kohlekraftwerke in Betrieb genommen. Und Wladimir Putin hat Europa gerade daran erinnert, dass seine Brennstoffversorgung vom guten Willen Russlands abhängt. Die aufkommende Energiepanik zeigt, wie sehr das moderne Leben von ausreichend viel Energie abhängt: Ohne diese Energie können Rechnungen nicht mehr bezahlt werden, in den Häuser wird es kalt, und Unternehmen kommen zum Stillstand.“

 

2021 Deutschland, tägliche Elektrizitäts-Auktions-Preise (Day Ahead Auktion) (Frauenhofer Website)

Es wurde weltweit so viel über die Energieproblematik geschrieben, dass ich nicht auf alle Punkte eingehen kann. Ich möchte nur betonen, dass ich es absolut unverantwortlich finde, wie die EU-Chefin von der Leyen und andere Politiker behaupten, dass wir das Problem der hohen Energiepreise mit mehr erneuerbaren Energie gar nicht hätten…

  • Von der Leyen und andere Politiker haben es nicht oder falsch verstanden. Der langfristige Hauptgrund für die Energieknappheit sind die fehlenden Investitionen in 80% der Energieressourcen und -erzeugung… Wir haben NICHT zu wenig Energieressourcen, es gibt mehr als genug! Wir müssen nur in sie investieren….
  • Wir können unser Energiesystem nicht „umstellen“, ohne eine wirklich praktikable Lösung im weltweiten Maßstab zur Hand zu haben.

Von der Leyen behauptet dagegen „wir müssen mehr in Erneuerbare investieren“: EU’s von der Leyen: „We must invest in renewables for more stable energy prices“ | Reuters

Prof. Claudia Kemfert (eine der bekanntesten „Energieökonominnen“, die die deutsche Regierung beraten) behauptet auf Twitter aus meiner Sicht irreführend „mehr erneuerbare Energien werden die Energiepreise senken“.

  •  Selbst die IEA sagte im Dezember 2020 (hier auf S. 13), dass „der Systemwert variabler erneuerbarer Energien wie Wind und Sonne mit steigendem Anteil an der Stromversorgung abnimmt“.

Bloomberg (hier) drückt die aktuelle Situation am Energiemarkt diesmal unverblümter aus: „Die Welt erlebt gerade die erste große Energiekrise der sauberen Energiewende. Es wird nicht die letzte sein“.

 

Die Energiepreise müssen angepasst werden

Mein Beitrag auf LinkedIn von vor 2 Wochen zum Thema Energiepreise

Warum die Kohle-, Gas- und Energiepreise nicht so hoch bleiben können…

Kohle- und Gaspreise haben in der vergangenen Woche neue Höchststände erreicht, und die Strompreise sind in mehreren westlichen Märkten in die Höhe geschnellt.

Seit Jahren weise ich auf die strukturelle Verknappung der Energierohstoffe und die daraus resultierenden hohen Preise hin … angetrieben durch Unterinvestitionen in ~80 % der Energie (das sind Öl, Kohle und Gas) und Überinvestitionen in so genannte variablen erneuerbaren Energien – vor allem Wind und Solar. Die derzeitigen Energiepreiserhöhungen sind eine Manifestation globaler Phänomene, darunter u. a.

  • enorme finanzielle Post-Covid Stimulierungen und der daraus resultierende drastische Nachfrageanstieg,  während das Angebot nicht mithalten konnte.
  • geopolitische „Spiele“ (siehe Russland oder China/Australien).
  • allgemeiner Mangel an Investitionen in Ressourcen vor, während und nach Covid (man bedenke, dass in Wind/Solar 2019/2020 etwa 13 Mal mehr investiert wurde als in Öl, Kohle und Gas zusammen).

Die Tatsache, dass Banken, Regierungen und Institutionen vor Investitionen in viele Bergbauaktivitäten zurückschrecken, insbesondere wenn diese etwas mit fossilen Brennstoffen zu tun haben, ist ein langfristiger Trend und ein zunehmendes Problem für die Welt als Ganzes. Dieser Trend wird zu Störungen der globalen industriellen Abläufe führen, die schwer vorhersehbar sind. Obwohl die Energieausgaben „nur“ 2-5 % des globalen BIP ausmachen, ist Energie der Kern all unserer Aktivitäten…

Ohne Energie gibt es keine Lebensmittel, kein sauberes Wasser, keine Impfstoffe, keine Schulen, keine Brücken, kein Netflix, keine Schuhe, keine Formel-1-Rennen, keine Teslas, keine iPhones,… Sie verstehen sicher, was ich sagen will.

Die Kohleindustrie, die über ein Viertel der Primärenergie und über 35 % der weltweiten Elektrizität liefert, ist nicht mit der Tabakindustrie vergleichbar… Glauben Sie mir… so etwas können nur Leute sagen, die nicht die Zeit haben, die Energiemärkte zu verstehen und die nicht begreifen, wie unsere Welt funktioniert. Ein Genussmittel wie Tabak mit Energie zu vergleichen, finde ich persönlich lächerlich.

 

Warum behaupte ich dann unter diesen Umständen „Die Kohle-, Gas- und Energiepreise können nicht so hoch bleiben“? Die Kohlepreise in Europa erreichten im Oktober kurzzeitig 300 USD pro Tonne (von weniger als 50 USD im Jahr 2020). Die asiatischen LNG-Preise überstiegen 40 USD/mmBtu von weniger als 2 USD/mmBtu im Mai 2020 (LNG = Liquified Natural Gas, mmBtu = 1,000,000 British thermal units). Infolgedessen verdienen Kraftwerke in Europa fast 100 EUR/MWh mehr, wenn sie Kohle statt Gas verbrennen, und dies trotz rekordhoher CO2-Preise von über 60 EUR/t.

Zu Ihrer Information: Die Börsenpreise für Strom haben in Europa kurzzeitig 400 EUR/MWh überschritten. Erinnern Sie sich noch an 2020, als sie bei unter 40 EUR lagen?

Es ist eigentlich ganz einfach: Man kann von den Verbrauchern industrieller Energierohstoffe nicht ernsthaft erwarten, dass sie ihre Produktion bei solch hohen Inputpreisen fortsetzen. Zementfabriken werden aufhören, Zement zu produzieren, Kraftwerke werden aufhören, Strom zu produzieren, Ziegelhersteller werden aufhören, Ziegel zu produzieren, Papierfabriken werden aufhören, Papier zu produzieren, Stahlhersteller werden aufhören, Stahl zu produzieren… vielleicht nicht alle, aber immer mehr.

 

Focus vom 19.10.2021 über Benzinpreisanstieg (hier)

 

Die Regierungen müssten eingreifen und entweder die häufig kontrollierten Strompreise erhöhen, oder die Industrie zwingen, mit Verlust zu produzieren, oder Endverbraucherpreise in die Höhe schnellen lassen. So oder so könnten weniger Produkte hergestellt werden (einschließlich weniger Teslas, denn die Zulieferindustrie von Tesla leidet unter dem Kohlemangel in China), da die Nachfrage zurückgehen wird, getrieben durch erhöhte Preise. Die Aktienkurse würden einbrechen, da die Unternehmen keine Produkte mehr herstellen. Kredite können nicht zurückgezahlt werden, da die Unternehmen nicht genug produzieren. Geschäftspläne werden in den Mülleimer geworfen…

Argus Gas: links: wöchentlicher europäischer industrieller Gas-Bedarf TWh/d, rechts: wöchentlicher industrieller Gasbedarf United Kingdom mm m3/d

Dazu kommt noch eine drohende Kreditkrise. Welcher Importeur oder Händler verfügt über eine ausreichende Banklinie, um Hunderte von Millionen Tonnen Rohstoffe zu dreifachen/vierfachen Preisen zu handeln? Die Kredite sind knapp, der Warenfluss wird zum Erliegen kommen (oder zumindest abnehmen), und die Leistungsrisiken werden steigen. Immer mehr Unternehmen werden in eine Liquiditätskrise geraten, und am unteren Ende wird der Verbraucher darunter leiden.

Gleichzeitig passt sich das Angebot an, die hohen Preise sind ein Anreiz für meine Kinder, mehr Kohle auszugraben und mit der Schubkarre zu einem Schiff zu transportieren. Diese Angebotsanpassung erfolgt wahrscheinlich genau dann, wenn die Preise zu fallen beginnen, was alles noch schlimmer macht.

Deshalb glaube ich, dass diese hohen Preise nicht von Dauer sein können. Die Preise müssen sich schnell etwas normalisieren. Wenn sie es nicht tun, wird der Markt die Preise mit ziemlicher Sicherheit zu einer noch heftigeren Anpassung zwingen. Je später die Preise angepasst werden, desto schlimmer wird es.

Dies steht nicht im Widerspruch zu meiner früheren Aussage, dass wir in eine Zeit der Energie- und Ressourcenknappheit mit all ihren Folgen eintreten – einschließlich der erhöhten Gefahr von Stromausfällen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ein neuer Rohstoff-Superzyklus mit allgemein hohen Rohstoffpreisen (inkl. fossiler Brennstoffe) begonnen hat.

Ich sehe voraus, dass die Preise trotz der sich abzeichnenden Energieknappheit im kommenden Winter sehr bald, d.h. noch vor Neujahr, deutlich fallen oder zumindest sehr stark variieren werden. Trotz der erwarteten Preisanpassungen werden Preise immer noch weit über den Grenzkosten der Produktion und somit über den Preisen von 2019/20 liegen, so dass sich die Produzenten keine Sorgen machen müssen.

Baker et al. (Bloomberg-Artikel hier) spricht einige wichtige Punkte an: „Die Welt erlebt gerade die erste große Energiekrise des Übergangs zu sauberer Energie. Es wird nicht die letzte sein.

 

Anmerkung der EIKE-Redaktion

Dr. Lars Schernikau, Deutscher, ist Energieökonom, Rohstoffhändler, und Entrepreneur. Er ist seit fast 20 Jahren in der Rohstoff- und Energiebranche tätig. Zuvor war er bei der Boston Consulting Group in den USA und Deutschland tätig. Er studierte in den USA, Frankreich und Deutschland. Wir danken Herrn Schernikau für die freundliche Genehmigung, dass wir seinen Beitrag bei uns veröffentlichen können. Er schreibt regelmäßig über Energie und Klima.

https://www.faz.net/aktuell/finanzen/tci-gruender-hohn-will-oelfirmen-den-kredithahn-zudrehen-17581932.html

https://www.boell.de/de/2020/12/17/die-carbon-bubble-finanzwirtschaft-am-kipppunkt

https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/eib-europas-wichtigste-zwischenstaatliche-bank-wird-nachhaltig-a-1296600.html

 

 

 

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