In mittelalterlichen Zeiten hätte der Priester erklärt, es wäre eine Strafe Gottes gewesen, für das frevelhafte Verhalten der Sünder. Die heutige Erklärung ist leider nicht weit davon entfernt. –

Von Sebastian Lüning

Langanhaltender Starkregen verursachte Mitte Juli 2021 in Westdeutschland schwere Überflutungen. Es gab viele Tote und Vermisste, Häuser stürzten ein, Menschen mussten per Helikopter von den Dächern gerettet werden. Die Strom- und Wasserversorgung fiel teilweise aus. Eine Katastrophe. Allen Betroffenen gilt mein Mitgefühl. Die Unterstützung der Geschädigten sollte nun im Vordergrund stehen: Ein Dach über dem Kopf, Verpflegung, medizinische Versorgung, Reparatur der Schäden und Ausfüllen von Versicherungsformularen. Umso befremdlicher ist es, wenn einzelne Akteure die Tragödie nun für eigene Zwecke instrumentalisieren.

Natürlich interessieren sich die Medien für die Frage, was oder wer an dem Starkregen Schuld hatte. In mittelalterlichen Zeiten hätte der Priester erklärt, es wäre eine Strafe Gottes gewesen, für das frevelhafte Verhalten der Sünder. Die heutige Erklärung ist leider nicht weit davon entfernt. Wie nach jedem Extremwetterereignis konsultieren die Redaktionen stets dieselben Experten. Sie rufen Mojib Latif vom Geomar in Kiel an und befragen Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, vielleicht noch zwei drei weitere. Aber das war’s auch schon.

Eine deutsche Klimaerklär-Oligarchie. Übersehen wird dabei, dass Latif Präsident der Deutschen Gesellschaft Club of Rome ist und Rahmstorf eng mit Klimaaktivisten zusammenarbeit. Keine gute Grundlage für neutrale Einschätzungen zu politisch hochrelevanten Klimawandelthemen. So erklärte Mojib Latif dem WDR am 12.7.2021:

„Wir beobachten auch in den letzten Jahren, dass es immer häufiger zu diesen sintflutartigen Niederschlägen mit Überschwemmungen kommt.“

Der WDR behauptet dann, dass die extremen Wetterlagen länger bestehn blieben. Wäre das auch mit dem Klimawandel zu erklären? Latif:

„Das steht zu befürchten. Da geht es um den berühmten Jetstream, dieses Starkwindband in der oberen Atmosphäre, also in fünf oder sechs Kilometer Höhe. Das ist sozusagen eine Autobahn für Wettersysteme. Und wenn die Autobahn langsamer wird, bewegen die sich auch langsamer, können sich länger halten. Bei Extremwetterlagen ist das auch so, zum Beispiel mit längeren Hitze- oder Trockenphasen und auf der anderen Seite sehr langen Niederschlagsphasen.”

Ähnlich äußerte sich Stefan Rahmstorf auf Spiegel Online am 16.7.2021. Auch er behauptet eine Zunahme des Starkregens in der Welt:

„Inzwischen ist die Zunahme von Starkregen auch in den weltweiten Niederschlagsmessdaten gut belegt. 2015 hat eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) eine signifikante weltweite Zunahme von Tagesrekorden bei den Niederschlägen aufgezeigt.“

Rahmstorf suggeriert, alles sei vollkommen logisch, weil physikalisch leicht zu erklären:

„Dass die Zunahme von Starkregen in Zusammenhang mit einer globalen Erwärmung so vorhersehbar war, liegt vor allem an einem einfachen physikalischen Gesetz, der sogenannten Clausius-Clapeyron-Gleichung aus dem frühen 19. Jahrhundert. Es besagt, dass der Sättigungsdampfdruck von Wasserdampf exponentiell mit der Temperatur zunimmt. Was konkret bedeutet, dass eine feuchtegesättigte Luftmasse pro Grad Erwärmung sieben Prozent mehr Wasserdampf enthält. Wo mehr Wasser drin ist, kann auch mehr abregnen.“

Und natürlich darf bei Rahmstorf auch der der Jetstream nicht fehlen:

„Beispiel Jetstream: Das flatternde Windband um die Nordhalbkugel in rund zehn Kilometer Höhe hat sich im Sommer offenbar abgeschwächt, ebenso wie die generelle Westwindströmung in mittleren Breiten. Ursache ist die starke Erwärmung der Arktis – dadurch wird das Temperaturgefälle in Richtung Nordpol schwächer, das die Westwinde antreibt. Das hat zur Folge, dass Hoch- oder Tiefdruckgebiete, die in die Mäander des Jetstreams eingebettet sind, öfter mal trödeln und länger auf einer Stelle verweilen. Das begünstigt länger anhaltende Wetterlagen.”

NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Armin Laschet ließ sich schnell überzeugen. Angesichts der Hochwasser-Katastrophe forderte er weltweit mehr Tempo beim Klimaschutz. Die zunehmenden Starkregen- und Hitzeereignisse seien mit dem Klimawandel verbunden, zitiert ihn die Welt. Und auch die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, sieht in den schweren Unwettern im Westen Deutschlands ein Alarmzeichen für den Klimawandel.

Was sagt die Wissenschaft zu den behaupteten Zusammenhängen? Hat der Starkregen bereits nachweislich den Bereich der üblichen natürlichen Klimavariabilität verlassen? Wie sehen die globalen und mitteleuropäischen Trends der letzten 150 Jahre aus? Sind blockierte Wetterlagen wirklich häufiger geworden?

Wie so oft bei Krimis wie dem „Tatort“, ist die erste Vermutung zum Täter meist falsch. So scheint es auch hier zu sein. Und Argumente, die auf den ersten Blick stichhaltig erscheinen, entpuppen sich bei näherem Hinsehen als wenig robust. Die erste Überraschung: Es gibt weltweit gar keinen robusten Trend zu mehr Starkregen und Hochwasser.

So dokumentierte ein Team der National University in Canberra, dass die globalen Niederschläge in den letzten 70 Jahren trotz globaler Erwärmung sogar weniger extrem geworden sind, und dies sowohl in zeitlicher als auch in räumlicher Hinsicht. Eher gibt es eine Tendenz zu ausgeglicheneren Verhältnissen: Trockene Gebiete wurden feuchter, und feuchte Gebiete wurden trockener. Eine Temperaturabhängigkeit der Niederschlagsvariabilität war nicht festzustellen.

Zu einem ähnlichen Schluss kam 2021 auch eine Forschergruppe um Louise Slater von der University of Oxford. Sie hat über 10.000 verschiedene Flußpegel-Aufzeichnungen aus der ganzen Welt ausgewertet und für die letzten 50 Jahre auf Trends hin untersucht. Die Wissenschaftler stießen dabei auf signifikante Veränderungen, die sich je nach Klimazone und betrachtetem Zeitmaßstab jedoch voneinander unterschieden. Im globalen Maßstab hat die Stärke der Überflutungen insgesamt abgenommen. Die sogenannten Jahrhundert-Hochwässer sind in den trockenen und gemäßigten Klimazonen der Erde zurückgegangen. Das sind jene Hochwasser-Ereignisse, die statistisch gesehen alle 100 Jahre auftreten. In den kalten Regionen der Erde zeigten sich bei den Jahrhundert-Hochwässern durchmischte Trends.

Und wie sieht es in Deutschland aus? Das Umweltbundesamt berichtete in seinem Monitoringbericht zur deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel 2019, dass keine Hochwassertrends feststellbar seien:

“Die Zeitreihe zum [deutschen] Hochwassergeschehen ist durch einzelne wiederkehrende Hochwasserereignisse sowohl im Winter- als auch im Sommerhalbjahr geprägt. Signifikante Trends lassen sich nicht feststellen. Je nach Witterungskonstellation ergeben sich räumliche Schwerpunkte des Hochwasserauftretens. In der Regel sind aber mehrere Flussgebiete betroffen.”

 

 

Ähnlich sieht es der Deutsche Wetterdienst in seinem Klimareport von 2020. Dort heißt es auf den Seiten 38-39:

„Für den Sommer lassen sich derzeit mit den vorhandenen Beobachtungsdaten und den bekannten Methoden keine Trends der Anzahl von Tagen mit hohen Niederschlagsmengen identifizieren. Hier dominiert eine kurz- und mittelfristige zyklische Variabilität.“

Es ist ein Rätsel, weshalb Mojib Latif und Stefan Rahmstorf suggerieren, es gäbe hier bereits belastbare Trends zu vermehrtem Starkregen. Weder in Deutschland noch global lassen sich solche Trends statistisch robust nachweisen. Dies ist relevant, denn während der vergangenen 150 Jahre ist die globale Temperatur um 1,0°C angestiegen. Die von Stefan Rahmstorf professoral zelebrierte „Clausius-Clapeyron-Gleichung“ spielt offenbar bislang keine bedeutende Rolle für die Starkregenentwicklung. Das erinnert an ähnliche physikalische Diskussionen zur Intensität von Wirbelstürmen, die gemäß theoretischen Überlegungen im Zuge des Klimawandels eigentlich immer heftiger werden sollten. Mittlerweile ist die Theorie jedoch wieder einkassiert und verworfen worden.

Das bringt uns zu Teil 2 des Faktenchecks. Schlängelt sich der Jetstream heute wirklich langsamer als früher und nagelt die Wetterlagen daher länger an einer Stelle fest? Und was ist von der Idee zu halten, dass sich die starke Arktiserwärmung auf den Jetstream auswirken könnte? Dazu muss man wissen, dass der Jetstream eines der Steckenpferde von Stefan Rahmstorf ist. Bereits im Winter 2020/21 hat er das Höhen-Starkwindband aus der Klamottenkiste herausgekramt, um Kältewellen zu erklären. Bei seinen Fachkollegen stieß das jedoch auf wenig Gegenliebe.

Nun ist Sommer, da sind die Hitzewellen dran. Wieder muss der Jetstream als Begründung herhalten. Und auch hier widerspricht der Großteil der Fachkollegen. Eine Zunahme blockierter Wetterlagen konnten sie trotz sorgfältiger Auswertung der Daten bislang nicht feststellen. Zudem kommen die meisten Simulationen zu dem Schluss, dass Blockierungen im Zuge einer Klimaerwärmung eher seltener werden, also sogar weniger Extremwetter zu befürchten wäre. Nachzulesen in Veröffentlichungen von Kennedy, Woollings, Hoskins, de Vries und Kollegen.

Andere Klimamodelle zeigen an, dass sich der Jetstream wohl auch in Zukunft wie gehabt hin- und herwinden wird, bzw. Veränderungen regional sehr unterschiedlich ausfallen. In den kommenden Jahrzehnten wird wohl eher die natürliche Variabilität den Jetstream dominieren, so wie bereits in der Vergangenheit.

Kürzlich überprüfte auch eine Forschergruppe der ETH Zürich und MeteoSwiss die Rahmstorf-Behauptung, dass die Jetstreamwellen im Zuge des menschengemachten Klimawandels ins Stocken geraten könnten. Die Schweizer untersuchten dazu eine ganze Reihe von Klimamodellen für Mitteleuropa, wobei die Simulationen den Zeitraum bis zum Ende des Jahrhunderts abdeckten. Das Ergebnis fiel deutlich aus: Die schweizerischen Modellierungsexperten konnten die alarmierenden Potsdamer Vorstellungen nicht bestätigen. In ihren Modellen fanden sie lediglich geringe Veränderungen bei den blockierten Wetterlagen, die sich im Rahmen der natürlichen Variabilität abspielten. Zum Teil widersprachen sich die Modellierungsergebnisse sogar so sehr, so dass sie wenig verlässlich sind. Ein Trend zu extremeren Wetterlagen durch vermehrte Blockaden ist daher in Mitteleuropa auch in Zukunft wohl nicht zu befürchten. Die Studie erschien im Mai 2020 in den Geophysical Research Letters. Neben dem Leitautor Maurice Huguenin war übrigens auch der bekannte ETH-Klimaforscher Reto Knutti an der Publikation beteiligt.

Und abschließend schauen wir noch auf den von Stefan Rahmstorf suggerierten Arktis-Einfluss auf den Jetstream. Eine Forschergruppe um Jacopo Riboldi veröffentlichte hierzu im September 2020 in den Geophysical Research Letters ein ganz klares Ergebnis: Trotz arktischer Klimaverstärkung („Arctic Amplification“) fanden die Wissenschaftler keinen Trend bei den Jetstream-Bewegungen. Somit entpuppt sich auch die Jetstream-Geschichte der medialen Lieblings-Klimaerklärer Latif und Rahmstorf als wissenschaftliche Randmeinung. Der Großteil der Wissenschaft sieht die Sachlage gänzlich anders. Aber jene Forscher werden von den Redaktionen leider nicht angerufen. Schade.

Fazit: Weder die in den Medien verbreiteten Hochwasser-Häufigkeitstrends, noch die Jetstream-Theorie hält einem genaueren wissenschaftlichen Faktencheck stand. Kanzlerkandidat Armin Laschet sollte dringend seine wissenschaftliche Beraterbasis diversifizieren, um in Zukunft nicht auf fragwürdige Thesen aus der Presse vertrauen zu müssen. Wie kann es sein, dass in einem Land mit hunderten von hochqualifizierten Klimaforschern in den Medien stets nur dieselben zwei, drei Experten zu Wort kommen? Wie lange können wir uns diese unausgewogene Klima-Oligarchie noch leisten?

Dr. Sebastian Lüning ist habilitierter Geowissenschafler und publiziert regelmäßig in klimawissenschaftlichen Fachzeitschriften. Als Gutachter wirkte er an den IPCC-Berichten SR15, SROCC und AR6 mit. Zusammen mit Fritz Vahrenholt schrieb er die Bücher „Unerwünschte Wahrheiten: Was Sie über den Klimawandel wissen sollten“ und „Unanfechtbar: Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz im Faktencheck”. Auf Youtube präsentiert Lüning zweimal wöchentlich die Nachrichtensendung „Klimaschau“.

Der Beitrag erschien zuerst bei TE hier

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