Herr Professor Renn, was sind die größten Lebensrisiken hierzulande?

Bei den Todesursachen stehen die Herz-Kreislauf-Erkrankungen an erster Stelle, gefolgt von Krebs. Was ernste, lang anhaltende Krankheiten angeht, kommen nach den Herz-Kreislauf- Erkrankungen psychische Depressionen an zweiter Stelle.

Und die restlichen Todesfälle?

Da steht der Suizid ganz vorne, wenn man die ganz Alten und die ganz Jungen weglässt. Tödliche Unfälle passieren meist im Haushalt oder in der Freizeit, gefolgt vom Straßenverkehr. Ganz zum Schluss kommen die Arbeitsunfälle.

Haben somit jene Recht, die sagen, die Debatte um die Atomkraft sei hierzulande hysterisch, die Ängste stünden in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Risiko?

Nicht ganz. Die Angst vor der Atomkraft hat ja durchaus ihre Gründe. Ich sage gern: Die Atomkraft ist zwar ein Sündenbock, auf dem vieles abgeladen wird, aber kein Unschuldslamm.

Aber bislang sind relativ wenige Menschen durch einen Akw-Unfall umgekommen?

Wenn wir nur die Todesfälle betrachten, ist die Bilanz der Atomenergie in der Tat wesentlich besser als die der Alternativen. Denken Sie nur an die Wasserkraft, da gab es schon verheerende Brüche von Staudämmen mit tausenden von Toten. Oder nehmen Sie die Unglücke beim Kohleabbau. Weltweit sterben dabei knapp 8000 Menschen pro Jahr, allein in China sind es rund 5000.

Dennoch scheint Kohle kurzfristig die einzige Alternative zur Kernkraft zu sein. Neue Kohlekraftwerke sind schon in Bau, die Aktien der Kohleunternehmen sind nach dem Reaktorunglück von Japan stark gestiegen.

Wenn ich mich persönlich entscheiden müsste zwischen Kernenergie und Kohle, dann würde ich mich eher für die Kernenergie entscheiden – allein der Risiken wegen. Beim Verbrennen von Kohle werden ja nicht nur Schadstoffe in die Luft geblasen, sondern auch oft radioaktive Stoffe freigesetzt – und zwar in nicht unerheblichen Mengen. Wenn ich die Belastung für das Klima durch den CO-2-Ausstoß hinzunehme, addiert sich das zu einem flächendeckenden, schwer veränderbarem Risiko, das von der Größenordnung her durchaus mit der Kernkraft vergleichbar ist. Und dieser Vergleich geht nach meiner Einschätzung eher zugunsten der Kernkraft aus – auch nach Japan

Lesen Sie hier das ganze Interview hier in den Stuttgarter Nachrichten

Sehen Sie hierzu auch den Essay von Prof. Kepplinger : 

Phantomangst Atomangst

hier

Auszug aus die Welt vom 11.4.11 

Angst vor direkten Gefahren ist überlebenswichtig. Doch wenn die gefühlte Angst vor einer Katastrophe größer ist als die Wahrscheinlichkeit, jemals Opfer zu werden, wird es irrational

Seit der Inbetriebnahme des ersten deutschen Kernkraftwerks 1961 sind hierzulande über 600 000 Menschen den Unfalltod gestorben – allerdings nicht durch Reaktor-, sondern durch Verkehrsunfälle. Tote durch Unfälle in deutschen Kernkraftwerken hat es nicht gegeben. Bis zur Stilllegung des letzten deutschen Kernkraftwerks in vermutlich 15 Jahren kann man auch hierzulande kernkraftbedingte Todesfälle nicht völlig ausschließen. Allerdings ist ihre Wahrscheinlichkeit sehr gering. Im gleichen Zeitraum werden bei Verkehrsunfällen circa 60 000 Menschen sterben. Trotzdem hat keine Partei die Forderung nach der sofortigen Stilllegung des Auto- und Motorradverkehrs im Programm. Den üblichen Vorstellungen von Rationalität entspricht das nicht. Aber man kann es mit einer Reihe von Ursachen rational erklären….
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