Ein Unglück kommt selten allein. Und so können wir heute schon unserer Solarfährenposse ein neues Kapitel hinzufügen. Es spielt etwa zwei Stunden entfernt von Missunde, nahe Travemünde.

von Manfred Haferburg

Ei, wer hätte das gedacht. Im Abspann des Achse-Artikels „Solarfähre von Missunde – kein Glück und dann noch Pech” schrieb ich auf der Achse: „Vielleicht können wir ja irgendwann einen sechsten Akt zu dieser Posse hinzufügen“. Oh, göttliche Fügung, genau einen Tag später flattert der sechste Akt direkt auf meine Laptoptastatur. Unsere Missunde-Misere ist nicht mehr einsam. Sie hat eine Leidensgenossin gefunden. Geteiltes Leid ist halbes Leid? Nö, geteiltes Leid sind doppelte Kosten für den Steuerzahler.

Die Priwallfähre gehört zu den ältesten Schiffsverbindungen in Norddeutschland und besteht seit dem 13. Jahrhundert. Zu dieser Zeit wurden ein Kahn zum Übersetzen eingesetzt, der Waren, Vieh und Menschen aus Mecklenburg nach Travemünde und Holstein und retour transportierte. In moderneren Zeiten verrichteten dieselgetriebene Fähren brav ihren Dienst und setzten drei Millionen Passagiere und eine Million Autos über. Wenn etwas schon ein paar hundert Jahre funktioniert, dann kommen ganz plötzlich und ungefragt diverse profilierungssüchtige Gesellschaftsklempner daher und schicken sich an, es zu verbessern.

Eine Hybrid-Fähre für fünf Millionen muss her!

Am 11. Juni 2020 beschloss der Aufsichtsrat der Stadtwerke Lübeck die Anschaffung einer dritten Autofähre mit Hybridantrieb, also mit diesel-elektrischem Antrieb.

Denn der Lübecker Bürgermeister Jan Lindenau hatte die neue Fähre als wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu einem emissionsfreien Fährverkehr zwischen Travemünde und dem Priwall gewürdigt: „Mit der Möglichkeit, künftig auch vollelektrisch zu fahren sei sie zudem ein weiteres Element, um Lübecks Ziele für den Klimaschutz im wichtigen Bereich der Mobilität zu erreichen“, sagte Lindenau, „Klima, Tourismus, Anlieger:innen – alle profitieren von dem jetzt auch seemännisch gesehen klimafreundlichen Kurs, den die Stadtwerke Lübeck Mobil mit diesem Neubau eingeschlagen haben.“ Andreas Ortz, Geschäftsführer Stadtwerke Lübeck Mobil, verkündete: „Jetzt fahren nicht nur E-Busse auf Lübecks Straßen – auch der Einstieg in einen emissionsfreien Schiffsbetrieb ist geschafft. Dies unterstreicht unseren Anspruch, auf allen Feldern Klimaschutz in der Mobilität zu gestalten und voranzutreiben“.

Den Zuschlag zum Bau erhielt die Stralsunder Werft Ostseestaal, die bereits über Erfahrungen im Bau von Elektroschiffen verfügte. Geschätzte Investitionskosten waren 4,2 Millionen Euro, später wurde laut Stadtwerke ein Festpreis von fünf Millionen Euro vereinbart.  Anfang November 2022 erfolgte die feierliche Kiellegung in der Werft. Im November 2023 war die neue Fähre mit einiger Verspätung fertig.

Weltoffen, modern und zukunftsorientiert wollte sich der Fährbetrieb geben. Daher wurde die neue Hybridfähre am 14. Mai 2024 auf den Namen „Welt Ahoi!“ getauft. Mit Ausrufungszeichen, darunter machen sie es nicht an der Küste. Für die 70 geladenen Gäste bei der Taufe gab es Häppchen und Sekt. Ein paar Wochen später sollte die „Welt ahoi!“ ihren Regelbetrieb aufnehmen, so war der Plan. Doch wie sagte Bertolt Brecht dereinst so weise? „Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan. Geh’n tun sie beide nicht“.

Die neue Fähre liegt still wie die Missunde III

Seit ihrer Ankunft in Travemünde am 27. November 2023 liegt die „Welt ahoi!“ meist fest vertäut. Von Anfang an gab es Probleme. Zuerst wurde festgestellt, dass die Ladeklappen der Fähre nicht zu den Anlegern passten. Sie wurden von der Werft umgebaut. Später wurde bemängelt, dass Fußgänger und Radfahrer nur eine Seite nutzen können. Bei den beiden älteren Fähren „Travemünde“ und „Pötenitz“ ist für sie Platz auf beiden Seiten vorgesehen. Bei Probefahrten soll sich ein „komplexes Fehlerbild bei der Steuerung“ gezeigt haben. Zudem sollen die Batterie-Packs defekt sein. Alles Ursachen dafür, dass die „Welt ahoi!“ bisher nicht ihren Dienst aufnehmen konnte.

Bild berichtet: „Werft und Auftraggeber streiten sich jetzt über Ursache und Zusatz- und Reparaturkosten“. Die Umweltbewegten haben sich nämlich zu früh gefreut und zu früh geblecht. Die „Welt Ahoi!“ ist bereits vom Auftraggeber, den Stadtwerken Lübeck, abgenommen und bezahlt worden. Nun wird’s schwierig mit einer Reklamation, ein langer Rechtsstreit steht ins Haus. Immerhin hat das gute Stück ja fünf Millionen Euro gekostet.

Es tuckern die Diesel über die Trave

Der Bürgermeister und der Geschäftsführer haben sich derweil diskret in die Büsche geschlagen. Jetzt muss der Stadtwerke-Sprecher Lars Hertrampf ran: „Wir bedauern sehr, dass die Welt ahoi! als Aushängeschild eines modernen, emissionsarmen Fährverkehrs aktuell nicht in Betrieb gehen kann. Alle Beteiligten sind sich aber darüber einig, dass es zielführender ist, bis auf Weiteres auf jegliche Fahrten zu verzichten, um jetzt von Grund auf die Behebung aller Fehler anzugehen“. Natürlich wird mit Hochdruck an der Fehlerbeseitigung gearbeitet.

Wenigstens haben die Lübecker ihre alten Dieselfähren nicht an die Dänen verkauft. Die tuckern daher jetzt zuverlässig weiter.

Noch ein Hinweis für die Öko-Fähren-Betreiber. Liebe Schleswig-Holsteiner, da geht noch was, falls mal die Sonne nicht scheint. Nehmt Euch mal ein Beispiel an Scandlines, die bauen ein Riesenrohr, einen Flettner-Rotor, auf Ihr Deck und nennen das Ungetüm „Rotorsegel“. Das soll vier bis fünf Prozent des Dieseltreibstoffes einsparen, oh la la. Vergesst aber nicht, die Durchfahrtshöhe von Brücken zu messen, durch die ihr eventuell auf eurer Reise in eine bessere Zukunft fahrt.

Der Beitrag erschien zuerst bei ACHGUT hier

 

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