von Eike Roth

Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist seit Beginn der Industriellen Revolution von 280 auf 420 ppm gestiegen. In dieser Zeit haben wir Menschen sogar die doppelte Menge an CO2 in die Atmosphäre freigesetzt. Und genau so geht es offensichtlich auch weiter: Heute setzen wir 5 ppm/a frei und die Konzentration steigt um 2,5 ppm/a.

Diese Zahlen sind m. E. unstrittig. Aber bei ihrer Interpretation scheiden sich die Geister: Die Einen meinen, sie würden beweisen, dass immer die Hälfte der anthropogenen Freisetzungen langfristig in der Atmosphäre verbleibt. Die Konzentration würde daher immer weiter steigen, solange wir CO2 freisetzen. Daher dürften wir, um die Erwärmung auf einen bestimmten Wert zu begrenzen, ein „festes CO2-Budget“ nicht überschreiten, und wenn das ausgeschöpft wäre, dann müssten wir unsere Freisetzungen zwingend vollständig einstellen. Die Anderen meinen, die Zahlen würden beweisen, dass wir unsere Freisetzungen gerade nicht vollständig einstellen müssen. Schon wenn wir sie um 2,5 ppm/a reduzieren, würde gleich viel CO2 wieder entnommen werden wie freigesetzt wird, und die Konzentration würde dann trotz fortgesetzter Freisetzung nicht mehr weiter steigen. Für die Klimastabilisierung würde das auf jeden Fall reichen, wird gesagt.

Beides ist m. E. nach den Regeln der Logik aber klar falsch. Damit die Hälfte unserer Freisetzungen langfristig in der Atmosphäre verbleibt, müssen m. E. drei Voraussetzungen unbedingt erfüllt sein:

  1. Unsere Freisetzungen müssen die einzigen sein, die hinzugekommen sind.
  2. Die Speicher, auf die sich das in die Atmosphäre freigesetzte CO2 anschließend verteilt, müssen alle zusammen genommen gerade so groß sein wie die Atmosphäre.
  3. Unsere Freisetzungen müssen in ein abgeschlossenes System gehen, das als einzige Verbindung nach außen die anthropogenen Freisetzungen hat.

Voraussetzung 1 kann schon deswegen nicht erfüllt sein, weil zumindest die allgemeine Erwärmung unabänderlich das Ausgasen von CO2 aus dem Ozeanwasser erhöht hat, wodurch auch immer sie zustande gekommen ist. Weitere Veränderungen der Freisetzungen aus natürlichen Quellen sind aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen eher wahrscheinlich, z. B. mehr CO2 aus der Biomasse, oder infolge von Umlagerungen von Meeresströmungen, oder durch vulkanische Ausgasungen. „Nur die anthropogenen Freisetzungen“ gilt daher wohl auf keinen Fall.

Bei Voraussetzung 2 muss zunächst geklärt werden, welches denn überhaupt die Speicher sind, in die Teile des erhöht freigesetzten CO2 weitergeleitet werden: Es sind die Biomasse und die oberflächennahe Ozeanschicht. Sie stehen mit der Atmosphäre in intensivem CO2-Austausch („kurzer Kohlenstoffkreislauf“). IPCC gibt im AR 6, Fig. 5.12, folgende Inventare an: Atmosphäre 870 Gt C, Biomasse 450 Gt C in der Vegetation, zuzüglich 1200 Gt C im Permafrost und 1700 Gt C im Boden, und oberflächennahe Ozeanschicht 900 Gt C, zuzüglich 3 Gt C in marinen Lebewesen. Auch wenn man konservativerweise vom Permafrost und vom Boden nichts dem kurzen Kohlenstoffkreislauf zurechnet, sind die „anderen Speicher“ mit zusammen 1353 Gt C klar größer als die Atmosphäre mit 870 Gt C. 50 % Verbleib geht daher schon rein deswegen nicht. Wenn man außerdem berücksichtigt, dass ja nur ein Teil dieser Freisetzungen die anthropogenen Freisetzungen sind (Voraussetzung 1), dann verbleibt von den letzteren nur ein noch viel kleinerer Teil in der Atmosphäre. Voraussetzung 2 ist also wohl auch klar nicht erfüllt.

Voraussetzung 3 schließlich ist sicher nicht erfüllt, weil die Atmosphäre, die Biomasse und die oberflächennahe Ozeanschicht eindeutig kein abgeschlossenes System sind. Nach IPCC tauschen sie sogar mehr CO2 mit dem tiefen Ozean aus, als untereinander. Allerdings hat dieser Austausch eine Besonderheit: Es erhöht sich zwar der Transfer in den tiefen Ozean unmittelbar mit einem erhöhten Angebot an Kohlenstoff, infolge der riesigen Größe des tiefen Ozeans und der langsamen Meeresströmungen in ihm reagiert der Rücktransport aus ihm auf eine solche Störung aber nur mit einer Verzögerung von 500 bis 1000 Jahren. Solange entnimmt der tiefe Ozean mehr als er zurückgibt, und dieser Unterschied wird umso größer, je höher die Konzentration wird. Er wirkt damit jeder Konzentrationserhöhung massiv entgegen. Um 50 % konnte die Konzentration überhaupt nur ansteigen, indem eine weitere wesentlich verstärkte Freisetzung hinzugekommen ist. Und weil der Anstieg so langfristig angehalten hat, muss diese Freisetzung auch selbst immer größer geworden sein.

Es sind also wohl alle drei Voraussetzungen eindeutig nicht erfüllt. Der Anstieg der Konzentration um 2,5 ppm/a kann daher ebenso eindeutig nicht die Folge der Zurückhaltung von 50 % der anthropogenen Freisetzungen sein. Vielmehr kann er nur die Folge der Zurückhaltung eines viel kleineren Prozentsatzes einer viel höheren Freisetzung sein, die außerdem auch noch stark wächst. Es kann daher auch nicht zielführend sein, unsere Freisetzungen um 2,5 ppm/a zurückfahren, oder sie gar ganz einzustellen. Solange nicht auch die Natur ihr Wachsen einstellt, würde die Konzentration immer noch weiterwachsen. Da wir über die Ursachen der in der Erdgeschichte oft noch viel stärkeren Veränderungen der CO2-Konzentation kaum Bescheid wissen, können wir auch nicht vorhersagen, wie sich die natürlichen Freisetzungen und damit die Konzentration zukünftig entwickeln wird. Nur unsere Freisetzungen haben darauf höchstens einen vernachlässigbaren Einfluss. Wir können die Vorteile der Nutzung fossiler Energien also ohne schlechtes Gewissen ausnutzen.

Und weil die Konzentration vorwiegend von natürlichen Quellen bestimmt wird, kann es auch kein „festes CO2-Budget“ für die anthropogenen Freisetzungen geben, wie eng auch immer der Zusammenhang zwischen CO2-Konzentration und Klima sein mag. Alle sich darauf berufenden getroffene Entscheidungen und Forderungen verlieren ihre Berechtigung.

 

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