Von Günther Leudinger

Der Paukenschlag kam am 5.10.2018 mit einer knappen Meldung der Deutschen Presseagentur dpa, in der es heißt: „Im Streit um die geplanten Rodungen im Hambacher Forst hat der Energiekonzern RWE nach Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster die Notwendigkeit für die Versorgungssicherheit nicht belegt. Der Konzern und die Bezirksregierung Arnsberg als zuständige Behörde hätten nicht durch Tatsachen oder Unterlagen belegt, dass bei einem Rodungsstopp die Energieversorgung bundes- oder landesweit gefährdet sei, hieß es am Freitag in der Begründung der OVG-Entscheidung“.

 

Diese Entscheidung kam nach den zahllosen jahrelangen Rechtsstreitigkeiten, die mittlerweile so gut wie alle im Sinne von RWE und der Landesregierung entschieden worden waren, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Der Schaden für die RWE und die Landesregierung ist immens. Während die Fäkalienwerfer in den Baumhäusern und ihre aus ganz Deutschland zusammengeströmten Unterstützer ein Freudenfest feierten, musste RWE eilig eine Gewinnwarnung herausgeben und befürchtet, in nächster Zeit einen Teil seiner Stromerzeugungskapazitäten stilllegen zu müssen. In Zeitungsmeldungen war von zu erwartenden Verlusten in Höhe mehrerer Milliarden Eurodie Rede. Für die CDU-geführte Landesregierung war es ein PR-Desaster. Doch wie kam es überhaupt zu dieser unerwarteten Entscheidung?

 

Eine richterliche Retourkutsche?

Um dieses Urteil einordnen zu können, sollte man sich mit der Vorgeschichte beschäftigen. Denn erst vor kurzem gab es eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen dem jetzt urteilenden Gericht und den NRW-Behörden, und zwar im Fall der Abschiebung des islamistischen Gefährders Sami Ben Mohamed A.Dieser hatte nach Zeugenaussagen Kontakte zu Al Quaida in Afghanistan und betätigte sich in Deutschland als sogenannter Hassprediger. Trotz jahrelanger Bemühungen um Abschiebung gelang es den Behörden aufgrund seiner ständigen juristischen Winkelzüge nicht, ihn loszuwerden. Letzte Stufe der Auseinandersetzung war ein Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, welches die bevorstehende Abschiebung extrem kurzfristig untersagte. Dieses Urteil ging bei der Behörde erst ein, als der Flieger bereits weniger als eine Stunde von Tunesien entfernt war. Deshalb wurde der Flug fortgesetzt. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen verurteilte diese Behördenmaßnahme am 15. August als „offensichtlich rechtswidrig. Die folgende Fehde zwischen dem Oberverwaltungsgericht Münster und den zuständigen Behörden sowohl des Bundes als auch des Landes NRW wurde mit großer Erbitterung geführt. Sami A. konnte jedoch trotz richterlicher Weisung bisher nicht zurückgeholt werden. Es ist nicht auszuschließen, dass dies beim OVG Münster zu einem gewissen Groll gegenüber der Landesregierung führte. Immerhin waren die dort tätigen Richter seit Jahrzehnten unter einer SPD-geführten Regierung berufen worden, während die jetzige Regierung bekanntlich von der CDU geführt wird.

 

Sind unsere Richter wirklich unabhängig und neutral?

Im Prinzip sind Richter in unseren Rechtsstaaten nur dem Gesetz verpflichtet und verhalten sich parteipolitisch ebenso wie gesellschaftspolitisch neutral. Doch die Realität sieht offenkundig anders aus, wie nicht zuletzt die erbitterten Auseinandersetzungen in den USA um die Berufung von Brett Kavanaugh zum Richter im Obersten Gericht belegen. In Deutschland geht es zwar im Ton gesitteter, doch in der Sache dennoch knallhart ebenfalls um Einflussnahme der berufenden Gremien, in denen die jeweils führenden politischen Parteien das Sagen haben. Dies wird selbst von Richtern offen bemängelt, wie das folgende Wikipedia-Zitat belegt: „Das Richterwahlverfahren wird immer wieder kritisiert, insbesondere wird die mangelnde Transparenz des Verfahrens bemängelt und dass bei der Wahl neben der fachlichen Qualifikation auch die parteipolitische Ausrichtung der Kandidaten eine Rolle spiele. Dementsprechend forderten z. B. die Präsidenten der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs auf ihrer Jahrestagung 2002 unter anderem, dass die Bundesrichter in einem transparenten Verfahren ausschließlich aufgrund ihrer persönlichen und fachlichen Eignung zu berufen seien. Der ehemalige BundesverfassungsrichterBöckenfördespricht von „Parteipatronage“ und „personeller Machtausdehnung der Parteien“. Der Einfluss der Exekutive ist sogar so stark, dass in der gleichen Qualle ausgeführt wird, dass: „Deutschland,…wäre es nicht schon Kernland der EU, ein problematischer Beitrittskandidat“ wäre. Und weiter: „Die Bundesvertreterversammlung des Deutschen Richterbundes(DRB) forderte am 27. April 2007, der Justiz die Stellung zu verschaffen, die ihr nach dem Gewaltteilungsprinzip und nach der im Grundgesetz vorgesehenen Gerichtsorganisation zugewiesen ist. Die Unabhängigkeit der Justiz werde zunehmend durch den Einfluss der Exekutive eingeschränkt“.

 

Missachtung wirtschaftlicher Aspekte

Juristen haben in unserer Gesellschaft das Privileg, sich nicht mit den wirtschaftlichen Konsequenzen ihrer Entscheidungen herumplagen zu müssen. Das geflügelte Wort hierfür lautet „Judex non kalkulat“ – der Jurist rechnet nicht. Worauf diese auch stolz sind. Was dann aber dazu führen kann, dass ein Gericht die Ausführungen eines Konzerns bezüglich der wirtschaftlichen Notwendigkeit einer Maßnahme wie der Abholzung des Hambacher Forsts souverän einfach beiseite wischt. Und sei es nur aus dem Grund, dass sie keine Vorstellung davon haben, was es heißt, eine so komplexe Unternehmung wie ein Kraftwerk mit direkt angeschlossenem Tagebau zu betreiben. Im Falle des oben angesprochenen Urteils ist es nicht auszuschließen, dass die zuständigen Richter in der Angelegenheit eine willkommene Gelegenheit gesehen haben könnten, einer ungeliebten neuen Landesregierung eins auszuwischen. Über die Konsequenzen für die Firma und das Bundesland braucht man sich in diesen Kreisen nicht den Kopf zu zerbrechen. Unterstellt man die bereits erwähnte Schadenshöhe von bis zu 5 Mrd. Euro, so könnte dieser Richterspruch jeden Einwohner von NRW – vom Säugling bis zur Greisin – rund 280,- Euro kosten. Von Arbeitsplatzverlusten gar nicht zu reden. Judex non kalkulat.

 

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