Die Richtlinie 2014/23/EU über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen ist nicht zielführend
Edgar L. Gärtner
Das französische System der Elektrizitätsversorgung unterscheidet sich nicht nur durch seinen hohen Kernenergie-Anteil von den Systemen seiner unmittelbaren Nachbarländer, sondern auch durch die relativ hohe Bedeutung von Wasserkraftwerken an großen Stauseen und manchen Flüssen. Zwar reicht die Produktion der französischen Wasserkraftwerke mit etwa 75 Terawattstunden (TWh) im Jahre 2024 bei weitem nicht an das Niveau Norwegens heran, wo Wasserkraftwerke im regenreichen Jahr 2024 die Rekordmenge von 140 TWh und damit 89 Prozent der gesamten Elektrizitätsproduktion erzeugten.
Aber die Wasserkraftwerke erzeugten in Frankreich in den letzten Jahren im Schnitt immerhin etwa 12 Prozent der nationalen Bruttostromproduktion gegenüber nur etwa 4 Prozent in Deutschland. Im Jahre 2024 waren es in Frankreich sogar fast 14 Prozent. Damit ist die Hydroelektrizität nach der Kernkraft Frankeichs zweitwichtigste Stromquelle. Dabei ist das Wasserkraft-Potenzial in Frankreich noch keineswegs ausgeschöpft. Es könnten ohne Weiteres 100 TWh gewonnen werden, stünden dem nicht ökologische Einwände und bürokratische Hindernisse entgegen.
Als besonderer Hemmschuh erweist sich die Regulierung durch Brüssel Es geht dabei nicht nur um die SUP- und UVP-Richtlinie, die in Verbindung mit dem Widerstand grüner NGOs einen langwierige Papierkrieg nach sich ziehen können, sondern in neuer Zeit mehr um die Richtlinien 2006/123/EG (Dienstleistungsrichtlinie) über die Transparenz von Projekten und die Richtlinie 2014/23/EU über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen.
Danach müssen Wasserkraftprojekte ab einer gewissen Größe durch Ausschreibungen grundsätzlich für Wettbewerber geöffnet werden. Damit wird zum einen die historisch gewachsene Monopolstellung des inzwischen verstaatlichten Versorgungskonzerns Électricité de France (EDF), der die Nutzung der Wasserkraft in Frankreich heute zu 70 Prozent kontrolliert, in Frage gestellt. Nach dem Ende der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg gab es in der französischen Gesellschaft einen breiten antifaschistischen Konsens über den Aufbau eines national einheitlichen Stromversorgungssystems mit garantiertem Anschluss auch isolierter Häuser außerhalb geschlossener Ortschaften.
Es gibt aber nicht nur historische, sondern auch physische Gründe für die Monopolstellung eines Talsperrenbetreibers in einem Wassereinzugsgebiet (Bassin). Um die Fischfauna schützen, die Hochwassergefahr vermindern, die landwirtschaftliche Bewässerung, die Kühlung der Kernreaktoren und die Schiffbarkeit eines Gewässers garantieren zu können, müssen Zu- und Abfluss der oft in Kaskaden hintereinander angeordneten Talsperren fein untereinander abgestimmt werden, was am besten gelingt, wenn sich alle Staustufen in einer Hand befinden. Wir verdanken es EDF, der Compagnie Nationale du Rhône (CNR) und der Société hydroélectrique du Midi (Shem), dass die zum Teil ariden Regionen Provence und Languedoc heute überwiegend grün sind. (Ich habe selbst in den 1970er Jahren meine Diplomarbeit über den wichtigen Alpenfluss Durance erstellt, die von den Hochalpen in die Provence fließt und eine solche Kette großer und kleinerer Stauwerke versorgt, die alle von EDF gemanagt werden.) Dabei ist klar, dass jede Wasseraufstauung gewichtige ökologische Belastungen mit sich bringt, die gegen den möglichen gesellschaftlichen Nutzen der Elektrizitätsproduktion unvoreingenommen abgewogen werden müssen, was in der Vergangenheit leider oft vernachlässigt wurde.
Die boomende Nachkriegswirtschaft fußte in Frankreich bis in die 1960er Jahre überwiegend auf dem Einsatz günstiger Elektrizität aus Wasserkraftwerken, weil größere Kernkraftwerke zunächst nicht zur Verfügung standen. Neben EDF beteiligten sich auch private Investoren am Bau von Wasserkraftwerken. Zum Teil handelt es sich dabei um das Erbe mittelständischer Industrien, die bis zum Aufbau einer halbwegs leistungsfähigen überregionalen Elektrizitätsversorgung direkt mit Wasserkraft betrieben wurden. Insgesamt gibt es zurzeit in Frankreich noch etwa 400 Konzessionen für den Betrieb von Talsperren und Laufwasser-Staustufen. Die Kapazität vieler kleiner und mittlerer Wasserkraftwerke könnte durch den Bau zusätzlicher Turbinen bzw. den Ersatz herkömmlicher durch Kaplan-Turbinen mit überschaubarem Investitionsaufwand erheblich gesteigert werden. Doch verhindert die durch den Erlass der EU-Richtlinie 2014/23/EU entstandene Rechtsunsicherheit solche Investitionen.
Das offiziöse Franceinfo des französischen Staatssenders Radio France schildert in einer Reportage an konkreten Beispielen, wie die EU-Regulierung zum Investitionshemmnis wird: So schildert Yves Dubief, ein Textilienfabrikant, der in den Vogesen am Zusammenfluss von Mosel und Vologne das 1947 von seinem Großvater erbaute Wasserkraftwerk betreibt, dass er dieses mit einer Investitionen von nur 700.000 Euro ertüchtigen könnte. Doch seine Konzession läuft, wie die der meisten nach dem Krieg für 75 Jahre erteilten Konzessionen zum Ende dieses Jahres aus. Da er nicht weiß, wer nach deren Neuausschreibung den Zuschlag bekommen wird, ist die Investition für ihn sinnlos.
Auch der riesige Staatskonzern EDF befindet sich in einer vergleichbaren Lage. Zum Beispiel beim großen Wasserkraftwerk Montézic im südfranzösischen Département Aveyron. Dieses Kraftwerk, dessen Kapazität mit einem Kernreaktor vergleichbar ist, arbeitet zurzeit mit vier Turbinen. EDF möchte hier für eine halbe Milliarde Euro zwei zusätzliche Turbinen installieren. Das würde sieben Jahre in Anspruch nehmen. Es wäre aber gut möglich, dass bei der von der Brüsseler Kommission geforderten Neuausschreibung der Kraftwerks-Konzession ein Wettbewerber das Rennen macht. Caroline Togna, die zuständige EDF-Direktorin, sieht deshalb keine andere Möglichkeit, als den Ausgang der begonnenen Kraftprobe zwischen dem französischen Staat und der Brüsseler Kommission abzuwarten.
Anders als in Frankreich üblich, steht die französische Nationalversammlung beim Rechtsstreit zwischen Paris und Brüssel einstimmig hinter der Regierung. Gerade im Hinblick auf de befriedigende Lösung einer Vielzahl sozialökonomischer Aufgaben durch EDF und andere Projekte des Wassermanagements sehen die Volksvertreter keinen Sinn in der von Brüssel geforderten Privatisierung mit Konkurrenz zwischen verschiedenen Betreibern. Die Wasserkraft gilt den einen wegen ihrer Stetigkeit und Speicherfähigkeit als beinahe ideale „erneuerbare“ Energie, mit deren Hilfe sie dem (illusorischen) Ziel 100 Prozent „Erneuerbare“ näher zu kommen glauben. Andere hingegen sehen in der Wasserkraft eine interessante Ergänzung der Kernenergie. Anders als die noch in den Kinderschuhen steckenden Small Modular Reactors (SMR) sind auch große Kernkraftwerke nur schwer privatisierbar. Es ist schwierig bis unmöglich, die heraufziehende europäische Energiekrise nach einem einzigen marktwirtschaftlichen Schema anzugehen.
Kurz: Die von der Brüsseler Kommission beschlossene und vom Europa-Parlament abgesegnete Richtlinie 2014/23/EU über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen steht der Ansteuerung der proklamierten Ziele des „Green Deal“ zumindest in Frankreich entgegen. Die Ansteuerung hehrer grüner Ziele bedarf keiner bürokratischer Zentralisierung, sondern verlangt nach nationaler Selbstbestimmung.















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Momentan ist gefühlt alles was aus Brüssel kommt, vor Ort mit Einflussverlust, Bürokratieerhöhung, Verhinderung von Subsidarität, Lähmung, ökonomischen Nachteilen sowie Wohlstands-, Macht- und Freiheitsverlust verbunden, dies gehört grundlegend reformiert und/oder abgeschafft, Brüssel ist ein Parasität in Europas Körper, oder?
Aus medizinischer Sicht dürfte Brüssel als ein unheilbares Krebsgeschwür in Europas Körper zu bewerten sein.
@ Peter Kraus:
Der in den vergangenen 10 Jahren erfolgte Nettoausbau der Windkraft mit der Leistung von ca. +14GW in Frankreich hat dementsprechend landesweite Zerstörungen in der Natur und Umwelt gebracht, aber keinen Nutzen für das Klima. Zählen Sie hier doch einfach mal die mit der Windkraft in Frankreich erfolgten CO2-Einsparungen und den damit erzielten Gewinn für das Klima auf, ehe Sie mit hinter-dem-Mond-Zahlen argumentieren. Ihre Zahlen mögen für sich stimmen, vermitteln aber keinen Sinn in der hier thematisierten Sache.
Mit CO2-Einsparung kann man keinen gesamtgesellschaftlichen Nutzen erzielen, nur Umverteilungsnutzen, und der ist deutlich kleiner als der auf der anderen Seite erzielte Umverteilungsschaden, aber für die wenigen Profitmacher reicht es, davon will Kraus et al. ständig mit irgendwelchen Zahlendarstellungen ablenken, oder?
Frau Alanka,
in Frankreich wurden die erneuerbaren insgesamt um ca. +35GW ausgebaut in 10 Jahren und die Kernkraft um ca. -2GW rückgebaut.
So sieht nun mal die Realität in Frankreich aus, ob es Ihnen gefällt oder nicht spielt da keine Rolle.
Bei der Wasserkraft hat es in den vergangen 10 Jahren (2014-2024) einen Nettoausbau der Leistung von ca. +2GW gegeben.
.
Bei der Windkraft hat es in den vergangen 10 Jahren einen Nettoausbau der Leistung von ca. +14GW gegeben, in Frankreich.
.
Bei der Kernkraft hat es in den vergangen 10 Jahren einen Nettorückbau der Leistung von ca. -2GW gegeben, in Frankreich.
Das ist mir bekannt. Die Auseinandersetzung um den noch nicht beschlossenen Dritten Zehn-Jahresplan der französischen Energieversorgung zeigt, dass die französische politische Klasse noch immer stark unter dem Einfluss der grünen Selbstmord-Ideologie steht, die us Deutschland herüberweht.
@Peter Kraus:
Bei solchen Vergleichen gilt:
Die installierte Leistung alleine sagt nichts über die zuverlässig erzeugbare Energiemenge aus.
Der Leistungskredit (die gesicherte Leistung) eines Kraftwerkstyps ist da aussagekräftiger, z.B.:
PV-Anlage = 0% der installierten Leistung
Windkraftanlage = 6% der installierten Leistung
Pumpspeicherkraftwerk = 80% der installierten Leistung
Kernkraftwerk = 95% der installierten Keistung
https://de.wikipedia.org/wiki/Leistungskredit
Die erneuerbaren wurden ausgebaut, so steigen auch die TWh Strom an, Herr Hager, nicht nur die installierte Leistung.
Es kommt aber auf die bedarfsgerechte Bereitstellung der Energie an und nicht auf die kumulierte Menge, die zur ‚Unzeit‘ erzeugt wird.
Deshalb haben wir ja das Problem mit den negativen Preisen um die Mittagszeit im Sommer und die Gefahr eines ’spanischen Blackouts‘.
Um es verständlicher auszudrücken:
Im Mittel ist der Teich 1 m tief und trotzdem ist die Kuh ersoffen 😢
Das ist doch kein Thema Herr Treutler, in Frankreich.
Frankreich hat doch ca. 28 GW bei den Wasserkraftanlagen, Pumpspeicher, Speicherkraftwerke und Biomasse, da kann man doch die bedarfsgerechte Bereitstellung der elektrischen Energie machen.
@Ute Frölich:
Ein Blick auf die Electricity Maps für Frankreich genügt:
Die bedarfsgerechte und zuverlässige elektrische Energie wird überwiegend von den Kernkraftwerken erzeugt (inst. Leistung 61,4 GW).
https://app.electricitymaps.com/zone/FR/72h/hourly
.
2014 waren das noch ca. 63,1 GW AKW-Leistung in Frankreich, Herr Hager.
Nur die erneuerbaren wurden in den vergangen 10 Jahren in Frankreich nennenswert ausgebaut um ca. +35 GW.
@Peter Kraus:
In meinem Kommentar ging es um die zuverlässig erzeugte Energiemenge.
Wenn Sie die installierte Leistung ihrer privaten PV-Anlage erhöhen, wird sich die erzeugte Jahresstrommenge ebenfalls erhöhen.
Dennoch bleibt die gesicherte Leistung bei 0% der installierten Leistung, denn Nachts liefert die PV-Anlage nichts.
Die gesicherte Leistung ist doch nicht entscheidend beim PV-Strom.
Was zählt und bezahlt werden muss, ist der Preis je kWh.