Frankreich sollte sich von der deutschen Energiepolitik lösen.

Edgar L. Gärtner

 

Da freut man sich einmal über eine positive Pressemeldung, aber schon wenige Wochen später kommt die Ernüchterung. Die Rede ist hier von der Meldung, der französische Senat habe sich der breiten Volksbewegung gegen den Bau von Windrädern angeschlossen, indem die Mehrheit der republikanischen Senatoren (LR) unter Führung des damaligen LR-Vorsitzenden Laurent Wauquiez zusammen mit den Vertretern des rechten Rassemblement National (RN) unter Jordan Bardella und Marine Le Pen ein Moratorium für die Installation von terrestrischen Windkraft-Anlagen (WKA) forderte.

Die Mehrheit der Landbevölkerung sieht in Windrädern Belästigung

Die Senatsmehrheit schloss sich damit einer Reihe von Gerichtsurteilen an, die die Installation größerer Windparks mit dem Hinweis auf die Belästigung der Landbevölkerung untersagten. Das Umfrage-Institut OpinonWay stellte im Jahre 2023 fest, dass 72 Prozent der befragten Franzosen von der Anlage von Windparks negative Einflüsse auf ihre Lebensqualität und die Biodiversität erwarten. 69 Prozent forderten den Rückbau existierender Windkraftanlagen, die sich als schädlich für die Anlieger erwiesen haben. 61 Prozent sprachen sich für ein mehrjähriges Moratorium für den Bau terrestrischer WKA aus. Für nicht wenige Franzosen zum Augenöffner wurde schließlich der gefährliche Blackout auf der iberischen Halbinsel Ende April dieses Jahres, der höchstwahrscheinlich auf einen übermäßigen Ausbau der Photovoltaik zurückging. Wir haben darüber berichtet.

Doch die Eintracht zwischen LR und RN hat nicht lange gehalten. In den Debatten um die Ausgestaltung der dritten Energieprogrammierung Frankreichs für die kommenden 10 Jahre (PPE3), auch bekannt unter dem Namen “Loi Gremillet”, droht sich auch in Frankreich eine politische Polarisierung durchzusetzen, die sehr an die “Brandmauer” zwischen den “europäisch” ambitionierten Alt-Parteien und der an nationalen Interessen orientierten Alternative für Deutschland (AfD) erinnert.

Laurent Wauquiez wurde vor einigen Wochen per Internet-Abstimmung durch Bruno Retailleau als Vorsitzender der LR abgelöst. Retailleau begleitet in der bunten Regierung des Zentristen François Bayrou den wichtigen Posten des Innenministers. Er versucht sich durch hartes Durchgreifen gegenüber islamistischen Terroristen und Drogenkriminellen zu profilieren, um dem RN, der durch den gerichtlichen Entzug des passiven Wahlrechts Marine Le Pens angeschlagen wirkt, nicht das Feld zu überlassen. Das gelingt ihm aber nur bruchstückhaft. Immerhin hat sich Retailleau auch kritisch gegenüber Windparks geäußert.

Republikaner (LR) vollziehen 180-Grad-Wende

Dennoch haben sich die Republikaner bei der Abstimmung in der Nationalversammlung am 24. Juni der Stimme enthalten oder waren abwesend und so den Weg freigemacht für ein Übergewicht von “Erneuerbaren” und die Vernachlässigung der Kernenergie im PPE3. Eine naheliegende Erklärung für diese 180-Grad-Wende der Republikaner ist die Tatsache, dass Retailleau im Nationalen Rat der LR bzw. in dessen “Pole Project” ausgewiesene Befürworter der “Klima-Ziele” der EU-Kommission und des Staatspräsidenten Emmanuel Macron und somit des Baus von Windparks gegenübersitzen: Philippe Juvin, Medizin-Professor und Bürgermeister der kleinbürgerlichen bis schicken Pariser Vorstadt La Garenne-Colombes sowie Ex-EU-Abgeordneter und seit 2022 Abgeordneter der Nationalversammlung, und der LR-Vizepräsident François-Xavier Bellamy, ein bekannter junger Philosoph und Essayist, der als Listenführer bei der Europa-Wahl nun Sprecher der französischen Vertreter der Europäischen Volkspartei im Europa-Parlament ist.

Jean-François Copé, Mann mit Schwefelgeruch

Hinzu kommt der bekannte Spitzenfunktionär und Anwalt Jean-François Copé, der seit über 30 Jahren die Stadt Meaux an der Marne, 40 Kilometer von Paris entfernt, als Bürgermeister regiert. Er ist jüdischer Herkunft, bezeichnet sich aber als Laizist. Copé, der schon Ministerämter bekleidete und sogar nach dem Amt des Staatspräsidenten schielte, sieht sich in letzter Zeit wachsenden Angriffen ausgesetzt, weil er den französischen Ableger des deutschen WKA-Anbieters WindStrom im Prozess gegen das kleine westfranzösische Dorf Puyrolland vertritt. Dessen Bürgermeister hat es gewagt, den Bau eines größeren Windparks zu stoppen, der nur über kommunale und private Wege erreichbar wäre. Thierry Giraud, der Bürgermeister des kleinen Dorfes, verweigert der im ausländischen Interesse handelnden Wind-Firma schlicht die Durchfahrt. WindStrom fordert nun von der 200-Seelen-Gemeinde eine Entschädigung von nicht weniger als 44 Millionen Euro.

Copé war schon vorher als Mann bekannt, dessen politische Vergangenheit nach Schwefel riecht. Er spielte unter anderem eine unrühmliche Rolle als enger Vertrauter des Präsidentschaftskandidaten und späteren Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy in einem Parteispenden-Skandal, der in Frankreich noch heute als “Affaire Bygmalion” für Schlagzeilen sorgt. Denn Sarkozy wurde für seine Manipulationen erst vor kurzem mit einer Fußfessel-Haft bestraft. Es ging dabei um die Finanzierung von Sarkozys Wahlkampagnen mithilfe falscher Rechnungen, die die PR-Firma Bygmalion der Kontroll-Behörde für die Erstattung von Wahlkampf-Kosten vorlegte. Sarkozy verlor die Wahl gegen seinen sozialistischen Herausforderer François Hollande trotzdem. Doch der schlaue Copé konnte sich aus der Affäre ziehen.

Nach der Gründung der LR anstelle der verbrauchten Mitte-Rechts-Partei UMP (Union pour un Mouvement Populaire) kandidierte Copé im Februar 2016 bei nach US-Vorbild abgehaltenen Vorwahlen für den Parteivorsitz und die Präsidentschaftskandidatur, wurde dabei aber mit nur 0,3 Prozent der Stimmen haushoch vom früheren Ministerpräsidenten François Fillon geschlagen. Fillon wiederum wurde als aussichtsreichster Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen von 2017 aufgrund einer von langer Hand vorbereiteten Rufmord-Kampagne vom jetzigen Staatspräsidenten Emmanuel Macron geschlagen. Copé, der sich zeitweise aus der großen Politik abgemeldet hatte, unterstützt heute offen Emmanuel Macron und seine Pläne für die starke Ausweitung des Anteils der “Erneuerbaren” in der Stromversorgung. Trotz des wiederholten Lippenbekenntnisses zur Kernenergie würde sich Frankreich dadurch an der deutschen “Energiewende” orientieren. Für die Finanzierung der offiziell beschlossenen Renaissance der Kernenergie bliebe dem kurz vor der Pleite stehenden französischen Staat kein Spielraum.

Wirtschaftskrieg zwischen Deutschland und Frankreich

Neogaullisten wie der auf Deutschland spezialisierte Historiker Edouard Husson bezeichnen Copé deshalb als “Advokat deutscher Energieinterssen”. Husson verweist auf den im Juni 2023 erschienenen Bericht der französischen Wirtschaftskriegsschule École de Guerre Économique (EGE) über die Einmischung deutscher politischer Stiftungen mit dem Ziel, französische Wettbewerbsvorteile infolge der Verfügbarkeit preiswerter Elektrizität durch die Sabotage des französischen Atomprogramms zu annullieren. Der Bericht zeigt zum Beispiel auf, dass es die französischen Grünen ohne die Wühlarbeit der in Frankreich mit einem eigenen Büro vertretenen Heinrich-Böll-Stiftung nicht gäbe. Das Netzwerk Réseau Action Climate (RAC), das die nicht vorhandene Klimakrise ausschließlich mit der Förderung “erneuerbarer” Energie bekämpfen möchte, bekam sogar direkt Geld vom Berliner Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck. Auch die der Linken nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung beteiligt sich an der Förderung anti-nuklearer Kampagnen in Frankreich. Dabei gibt es keine Rechtsgrundlage für die Tätigkeit deutscher Stiftungen in Frankreich. Die EGE regt an, die Wühlarbeit deutscher Stiftungen mithilfe der Anti-Sekten-Behörde MIVILUDES zu bekämpfen. Das bleibt unter den gegebenen Bedingungen zweifelsohne ein frommer Wunsch. Denn es ist ohnehin klar, dass Berlin sich bei der Einmischung in die französische Energiepolitik hauptsächlich Brüsseler Kanäle bedient. Das zeigte sich insbesondere bei der lange aufrechterhaltenen Weigerung der EU-Kommission, die Kernenergie in ihrer “Taxonomie” als umweltfreundlich anzuerkennen.

Edouard Husson geht einen großen Schritt weiter, indem er die offizielle Aufkündigung der deutsch-französischen Freundschaft fordert, die seines Erachtens ohnehin größtenteils auf Illusionen beruhte. Die engen Beziehungen zwischen Paris und Berlin hätten schon im Jahre 2011 beendet werden sollen, nachdem Angela Merkel ohne Rücksprache mit dem damals noch regierenden französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy einseitig den Atomausstieg verkündete und damit den europäischen Elektrizitätsversorgungs-Verbund in Frage stellte. Die bisherigen Versuche des jetzigen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, die Beziehungen zwischen Paris und Berlin wieder zu kitten, hätten zu einem Zeitverlust von acht Jahren geführt.

Husson wirft neuen Bundesregierung unter Friedrich Merz vor, einerseits am Ausstieg aus der zivilen Nutzung der Kernenergie festzuhalten, gleichzeitig aber in Form des von Macron vorgeschlagenen europäischen Atomschirms (unter deutscher Führung!) nach der Entscheidungsgewalt über Atomwaffen zu streben. Der in Deutschland herrschenden politischen Klasse gehe es in Wirklichkeit um die Infragestellung des Zwei-plus-Vier-Vertrages von 1990, der die Wiedererlangung der deutschen Einheit vom Verzicht auf Massenvernichtungswaffen abhängig macht.

 

image_pdfBeitrag als PDF speichernimage_printBeitrag drucken