Die Schweiz mache zu wenig gegen die Erderwärmung, darum seien sie einem erhöhten Sterberisiko infolge Hitze ausgesetzt. Mit dieser Begründung bekamen die sogenannten Klimaseniorinnen vor dem EGMR recht. Doch wissenschaftlich gesehen ist die Argumentation totaler Bullshit.  

Von Peter Panther

Das Urteil der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom April in Sachen Klimaseniorinnen hat viel Echo ausgelöst. Die Richter in Strassburg rügten die Schweiz, dass sie zu wenig gegen den Klimawandel unternehme und so die Menschenrechte der klagenden älteren Frauen aus diesem Land verletze. Die Klimaseniorinnen hatten argumentiert, dass sie wegen der angeblich mangelhaften Klimapolitik ihres Landes zunehmender Hitze ausgesetzt seien. Das bringe gesundheitliche Gefahren für sie mit, insbesondere ein erhöhtes Sterberisiko wegen Wärme.

Das Urteil wurde bereits verschiedentlich kritisiert. Es wurde bemängelt, dass es gar nicht in der Macht der Schweizer Regierung liege, die Erderwärmung zu stoppen, da das Land nur einen Anteil von 0,1 Prozent am weltweiten Klimagas-Ausstoss habe. Auch wurde die extensive Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch das Gericht in Frage gestellt, denn aus dieser lässt sich ein Menschenrecht auf ein gesundes Klima nur mit sehr viel Phantasie ableiten. Das Urteil bedeute darum einen Übergriff der Richter auf die Klimapolitik der Schweiz, für die nur Parlament, Regierung und Volk zuständig seien.

Auch tiefe Temperaturen töten

Kaum diskutiert wurde bisher aber, ob die Argumentation der Klimaseniorinnen aus wissenschaftlicher Sicht Sinn macht. Trifft es zu, dass ältere Menschen, insbesondere Frauen, wegen der Erderwärmung einem erhöhten Sterberisiko ausgesetzt sind?

Zuerst ist festzuhalten, dass Hitzewellen, wie sie in den letzten Jahren ohne Zweifel vermehrt aufgetreten sind, älteren Menschen tatsächlich gesundheitlich zusetzen können. Insbesondere, wenn Senioren körperlich schwach sind, kann die Hitze zu Herz-Kreislauf-Problemen und mitunter zum Tod führen. So soll der heisse Sommer 2022 europaweit zu rund 60’000 Hitzetoten geführt haben.

Umgekehrt sind aber auch tiefe Temperaturen für viele Menschen mitunter tödlich. Dabei sind nicht nur eigentliche Erfrierungsopfer gemeint, wie sie in strengen Wintern unter Obdachlosen vorkommen, sondern vor allem Todesursachen, die durch Kälte latent begünstigt werden. Es geht insbesondere um Infektionen, Schlaganfälle und Herzkrankheiten. Die Opfer sind überwiegend ebenfalls alte, schwache Menschen. Man denke etwa an die Grippetoten, deren Zahl sich typischerweise in den Wintermonaten jeweils häuft.

Mehr Kälte- als Hitzetote

Wichtig ist dabei: Die Zahl dieser Kältetoten übersteigt die Zahl der Hitzetoten bei weitem, wie verschiedene wissenschaftliche Abschätzungen zeigen. Zwei Beispiele: 2015 ermittelten Forscher der London School of Hygiene & Tropical Medicine aufgrund von Daten aus 13 Staaten aus der ganzen Welt, dass das Sterberisiko wegen Kälte 17 mal grösser ist das wegen Hitze. Spanische Forscher haben 2021 für 16 europäische Staaten gezeigt, dass insgesamt rund zehnmal mehr Menschen wegen Kälte als wegen Hitze sterben.

Auch die Sterbestatistiken mitteleuropäischer Länder bilden dieses Faktum in der Regel eindrücklich ab. Diese zeigen saisonale Schwankungen: Im Winter sterben jeweils deutlich mehr Menschen als im Sommer. In der Schweiz etwa werden in der kalten Jahreszeit durchschnittlich 20 bis 30 Prozent mehr Todesfälle als in der warmen Jahreszeit verzeichnet.

Es liegt nun auf der Hand, dass der Trend zu höheren Temperaturen – egal, ob von Menschen verursacht oder nicht – zu insgesamt weniger klimatisch bedingten Todesopfern führt. Denn weil es so viel mehr Kälte- als Hitzetote gibt, muss bei einer Erwärmung die Zahl der Kältetoten rascher abnehmen, als die Zahl der Hitzetoten zunimmt.

Der Klimawandel rettet Menschen

Dass das keineswegs nur Theorie ist, zeigt eine Erhebung des britischen Office for National Statistics. Diese Behörde kam 2022 zum Schluss, dass von 2001 bis 2020 in England und Wales über 555’000 Menschen weniger wegen Hitze oder Kälte gestorben sind, als ohne Klimawandel zu erwarten gewesen wäre: Es gab in diesen Jahren zwar etwas mehr Hitzetote. Die gleichzeitige rasante Abnahme der Kältetoten wog diese Zunahme aber bei weitem auf. Da die klimatischen Bedingungen in weiten Teilen Europas, Nordamerikas und Asien vergleichbar mit denen in England und Wales sind, dürften es in den letzten beiden Jahrzehnten viele Millionen Menschen sein, denen die Erderwärmung das Leben gerettet hat.

Doch es kommt noch besser: Vielerorts nimmt auch die Zahl der hitzebedingten Todesfälle ab – trotz Klimawandel. Der Grund ist, dass die Menschen immer besser wissen, sich vor hohen Temperaturen zu schützen. Vor allem ältere Menschen trinken bei Hitze mehr, suchen vermehrt Schattenplätze auf und werden allgemein besser betreut. Langfristige Massnahmen sind etwa, in den Städten mehr Grünflächen vorzusehen und Gebäude hitzeisolierend zu bauen.

So gibt es zum Beispiel aus Spanien, Frankreich oder Japan Forschungsresultate, die einen Trend zu immer weniger Hitzeopfer belegen. 2018 erschien im Fachblatt “Environmental International” eine Auswertung zu 305 Orten in zehn Ländern, die zeigte, dass die Hitzesterblichkeit zwischen 1985 und 2012 deutlich zurückgegangen ist. In der ersten Fünfjahresperiode machten die Hitzetoten noch zwischen 0,45 und 1,66 aller Todesfälle aus. In der letzten Fünfjahresperiode belief sich deren Anteil nur noch auf 0,15 bis 0,93 Prozent.

Sterben wie die Fliegen

Auch für die Schweiz, die wegen des Strassburger Urteils besonders im Fokus steht, gibt es ein entsprechendes Resultat. Das Swiss Tropical and Public Health Institute kam letztes Jahr zu diesem Schluss: “Über die Zeit lässt sich eine leichte Abnahme des hitzebedingten Sterberisikos an Hitzetagen beobachten.” Dieser Satz allein lässt die Argumentation der Klimaseniorinnen einstürzen.

Eigentlich muss man aber nur eine simple Beobachtung anführen, um zu zeigen, wie unsinnig diese Argumentation ist: Wenn es stimmt, dass höhere Temperaturen zu mehr Todesfällen führen, müssten ältere Frauen in Ländern, wo es sehr viel wärmer ist als in der Schweiz, sterben wie die Fliegen. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. So liegt die Lebenserwartung von Frauen in Singapur, wo es im Schnitt 15 Grad wärmer ist als in Mitteleuropa, sogar leicht höher als in der Schweiz. Dasselbe trifft auf die warmen Mittelmeerländer Italien und Spanien zu.

Offensichtlich wissen die Menschen in heissen Ländern also sehr gut, wie sie sich vor Hitze schützen können. Warum das nicht auch in Ländern wie der Schweiz oder Deutschland funktionieren sollte, ist nicht einzusehen. Oder anders gesagt: Die Umweltorganisation Greenpeace, die die Klage der Klimaseniorinnen mit Hunderttausenden Franken finanziert hat, hätte für dieses Geld besser Klimaanlagen für die älteren Damen angeschafft. Für deren Gesundheit wäre so mit Sicherheit besser gesorgt gewesen als mit juristischen Kreuzzügen gegen das eigene Land.

 

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