Teil 2: Wozu brauchen wir den Wind?

Stefan Kämpfe

Bevor wir ab dem dritten Teil in die Auswertung der Ergebnisse zur Windstärke-Entwicklung einsteigen, soll erst einmal die überragende Bedeutung des Windes gewürdigt werden. Die Energiewende-Phrasen „Der Wind weht umsonst“ oder „Der Wind schickt uns keine Rechnung“ sind leider unzutreffend. Laut Naturschutzgesetzgebung sind vermeidbare Eingriffe in Natur und Landschaft zu unterlassen, dazu gehört auch die Atmosphäre. Unvermeidliche Eingriffe sind mittels Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu kompensieren – doch wie soll der massive Entzug von kinetischer Energie der Atmosphäre durch die Windenergienutzung ausgeglichen oder ersetzt werden? Um nicht falsch verstanden zu werden – eine maßvolle Windenergienutzung ist sicher möglich. Aber erstens wird Windkraft unsere Energieprobleme höchstens mindern und nicht lösen – und zweitens deuten sich schon jetzt wesentliche Klimaänderungen, verursacht durch ein Zuviel an Windkraftnutzung, an.

Ohne Wind kein Wetter und Klima!

Wir machen folgendes Gedankenexperiment: Die Erde habe zwar ihre normale Atmosphäre, aber die Luft sei völlig unbeweglich. Wie würde die Temperaturverteilung aussehen? Es wäre in den Tropen für das Leben zu heiß und in unseren Breiten viel kälter, als mit Wind.

Abbildung 1: Ohne Wind wäre es in den Tropen viel heißer, an den Polen aber viel kälter. In Deutschland, etwa am 50. Breitengrad gelegen, müssten wir ohne Wind mit einem viel kälteren Klima leben, speziell im Winterhalbjahr wäre es unerträglich kalt, im kurzen Sommer aber extrem heiß. Bildquelle: BALZER, K.: WEITERE AUSSICHTEN: WECHSELHAFT. Verlag Neues Leben Berlin, 1982

Nicht nur großräumig, auch regional gleicht der Wind Temperaturunterschiede aus. Den Seewind und den Bergwind wollen wir uns merken, weil diese bei den Interpretationen der Ergebnisse zur Windgeschwindigkeitsentwicklung zu berücksichtigen sind. Nicht umsonst liegen viele Kurorte an den Küsten oder an den Gebirgsrändern, weil dort der kühlende Wind die heißen Sommer erträglicher macht, und es ist sicher keine gute Idee, diese wichtigen Regionalwinde mittels übermäßiger Windkraftnutzung zu sehr zu schwächen.

Abbildung 2: In dieser Grafik ist nicht die Windstärke, sondern der Gang der Lufttemperatur an der Ostseeküste an einem sonnigen, von Hochdruckwetter beeinflussten Frühsommertag gezeigt. Nur während der Seewind- Phase, die in diesem Beispiel von etwa 10 bis 16 Uhr Normalzeit dauerte, steht ausreichend Wind zur Stromerzeugung zur Verfügung. Der Seewind gibt sich durch seine Kühlungswirkung zu erkennen; er verursachte am Vormittag einen Temperatursturz von etwa 6 Grad. Bildquelle: BALZER, K.: WEITERE AUSSICHTEN: WECHSELHAFT. Verlag Neues Leben Berlin, 1982

Quasi als Nebenprodukt dieser Studie wurde punktuell die Frage untersucht, ob sich die ausgleichende Wirkung des Windes auch in Deutschland nachweisen lässt. Windige Winter müssten tendenziell wärmer, windige Sommer eher kühler sein – vor allem abseits der Gebiete mit See- oder Bergwind. Zumindest im Nordostdeutschen Binnentiefland ist dieser Zusammenhang tatsächlich gut erkennbar.

Abbildung 3: Streudiagramm der Wertepaare Windgeschwindigkeit und Lufttemperatur im meteorologischen Winter (Dezember bis Februar), errechnet aus den Mittelwerten von fünf fast ortsfesten DWD-Wetterstationen in Berlin-Brandenburg. Ein Winter bildet immer ein Wertepaar. Die Variabilität der Winter-Temperatur wurde im Betrachtungszeitraum (Winter 1987/88 bis 2023/24) zu immerhin 37% von der Windgeschwindigkeit bestimmt – je windiger der Winter, desto milder fällt er tendenziell aus.

Abbildung 4: Streudiagramm der Wertepaare Windgeschwindigkeit und Lufttemperatur im meteorologischen Sommer (Juni bis August), errechnet aus den Mittelwerten von fünf fast ortsfesten DWD-Wetterstationen in Berlin-Brandenburg. Ein Sommer bildet immer ein Wertepaar. Die Variabilität der Sommer-Temperatur wurde im Betrachtungszeitraum (Sommer 1988 bis 2023) zu immerhin 38% von der Windgeschwindigkeit bestimmt – je windiger der Sommer, desto kühler fällt er tendenziell aus.

Allerdings ist dieser gezeigte Zusammenhang bei weitem nicht überall so deutlich, wie in Brandenburg, aber doch meist erkennbar. Der Wind hält aber nicht bloß die Temperaturen erträglich, denn nur er kann das über Seegebieten verdunstende Wasser als Wasserdampf, Wolken und Niederschlag auf das Festland transportieren – ohne den Wind wäre alles Land so trocken, wie der Wüstenplanet Mars.

Der Wind als Diener der Pflanzen- und Tierwelt – ohne Wind kein Brot!

Zahllose Pflanzenarten und Gehölze sind Windbestäuber, dazu gehören auch einige unserer wichtigsten Kulturpflanzen, nämlich die Getreidearten und alle anderen Gräser (als Tierfutter wichtig). Der Wind überträgt auch alle Duft- und Lockstoffe (Pheromone), diese sind unter anderem für viele Insekten in der Paarungszeit essentiell. Viele Samen (Ahorne, Pappeln, Kiefern, Fichten, Birken…) sind flugfähig – der Wind sorgt für eine rasche Wiederbegrünung kahler Bodenflächen. Auch die meisten Pilzsporen werden vom Wind verbreitet. Oft sind auch Insekten- und Vogelarten bei ihren Wanderungen auf Windunterstützung angewiesen. Tiere mit hervorragendem Geruchssinn (Hunde, Wildschweine, Rehe, Hirsche…) werden per Wind vor Feinden gewarnt (Geruch) oder finden mit dem Wind ihre Beute oder Nahrung – sofern er richtig steht. Auch die auf den ersten Blick zerstörerischen Stürme bewirken viel Gutes: Sie fällen altersschwache, kranke Bäume, befreien die übrigen von kranken Ästen oder Totholz und rütteln ihre Wurzelteller durch, was den Boden lockert und die Sauerstoff-Versorgung der Wurzeln verbessert. Der Wind wirbelt aber auch den an Mineralstoffen reichen Sahara-Staub auf und „düngt“ damit den Atlantik und den Amazonas-Wald, der ohne diese Mineralien verkümmern würde. Er facht auch Brände an, die auf den ersten Blick zerstörerisch sind, aber neue Lebensräume schaffen und zur Waldverjüngung beitragen – manche Baumarten keimen nur nach Feuern. Kurzum – in der Natur erfüllt der Wind zahllose Funktionen.

Der Wind als Landschaftsgestalter

Weltweit war und ist der Wind an der Veränderung ganzer Landschaften beteiligt. Er formt die Dünen der Wüsten und die Küstenlinien oder schleift Felsen ab, deren Mineralien so erst für die Pflanzen nutzbar werden. Wir verdanken ihm den Lößgürtel, welcher sich von der Ukraine bis nach Westeuropa erstreckt und reiche Ernten ermöglicht; doch auch in Nordwestchina und Nordamerika erschuf er ähnlich fruchtbare Böden. Die Ostsee wird bei schweren West- bis Nordweststürmen mit sauerstoff- und salzreichem Nordseewasser versorgt.

Der Wind im Dienste des Menschen: Das Kubische Gesetz als Spaßbremse

Spätestens in der Antike lernte der Mensch, den Wind zu nutzen (Segelschiffe, Mühlen, Ballone, Drachen, seit etwa 1920 auch Segelflugzeuge). Doch ein Problem blieb bis in unsere Tage bestehen – sein unstetes Verhalten. Pausiert er, können Segelschiffe nicht fahren, Mühlen nicht mahlen und Windkraftanlagen (WKA) keinen Strom liefern. Aber es kommt noch schlimmer – Windräder können selbst bei Wind nur in einem bestimmten Geschwindigkeitsbereich gleichbleibende Strommengen liefern. Ein Blick auf die Leistungskurve einer typischen Anlage verdeutlicht das:

Abbildung 5: Unterhalb von 3 m/s, also schwachem Wind, der aber immerhin schon mit ca. 10 Km/h die doppelte Geschwindigkeit eines Fußgängers hat und 1 bis 2 Beaufort entspricht, wird gar kein Strom erzeugt. Danach verachtfacht (!) sich die Leistungsabgabe mit der Verdoppelung der Windgeschwindigkeit („Kubisches Gesetz“), bis erst zwischen 40 und 45 Km/h (etwa 12 bis 13 m/s oder 6 Beaufort) die Nennleistung erreicht wird, welche selbst bei weiter steigender Windgeschwindigkeit nur noch gleich bleibt. Bei Sturm (25 m/s sind 90 Km/h, das entspricht 10 Beaufort) schalten sich Windräder ab; dieser besonders starke Wind kann also gar nicht genutzt werden. Bildquelle Stefan Kopp.

In Norddeutschland ist es zwar zeitweise recht windig, aber die zum Erreichen der Nennleistung erforderlichen etwa 6 Beaufort werden nur selten über längere Zeiträume erreicht, und Flauten (erst im Grenzbereich von 2 bis 3 Beaufort springen die meisten Anlagen an) sind leider recht häufig. Selbst der windigste Ort Norddeutschlands, der Brocken, hat nur etwa 5,5 Beaufort im Jahresmittel zu bieten; an der Nordsee etwa 3,5 bis 5, im Binnenland sind es nur 2 bis 3 Beaufort. Auch wenn die Windstärken in Nabenhöhe etwas höher sind, verdeutlichen diese Werte schon, warum trotz der mittlerweile enormen Anlagenzahl nur so wenig Strom erzeugt wird. Das „Kubische Gesetz“ besagt, dass die vom Wind gelieferte elektrische Energie in etwa mit der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit steigt. Verdoppelt sich die Windgeschwindigkeit, wird also nicht die doppelte, sondern die achtfache Energiemenge erzeugt. Das bedeutet aber auch: Der in Deutschland, besonders nach Süden hin, so häufige Schwachwind liefert nur ganz wenig Energie; daher laufen die WKA meistens zu weit unter 20% ihrer Betriebszeit mit ihrer installierten Nennleistung. Und zieht dann doch einmal ein schwerer Sturm durch, lässt sich dessen gewaltiges Energiepotential gar nicht nutzen – die Windräder würden zerstört und müssen oberhalb von etwa 90 Km/h abgeschaltet und aus dem Wind gedreht werden. Das Gespenst von der Dunkelflaute, bei welcher außer dem Wind auch die Solarenergie wegen Wolken, Nebel oder Nacht ausfällt, geht spätestens seit Beginn der Energiekrise um und sorgt dafür, dass trotz all der milliardenschweren Investitionen in so genannte „Erneuerbare“ Energien und massive Strompreiserhöhungen nach wie vor viel Strom aus konventionellen Quellen (Braun- und Steinkohle, Erdgas) erzeugt werden muss.

Abbildung 6: Deutsche Stromerzeugung im sehr flauen Januar 2021. Damals lieferte die mittlerweile abgeschaltete Kernenergie noch wesentliche Strommengen (rot), und der Stromverbrauch, welcher in Deutschland wegen der aktuellen Wirtschaftskrise momentan stark gesunken ist, war noch höher – aber selbst in viel windreicheren Monaten, wie etwa dem Dezember 2023, geht es nicht ohne Kohle und Gas. Bildquelle: energy-charts.info, ergänzt.

Dem sehr windschwachen Jahr 2021 werden wir im Rahmen dieser Serie über die Entwicklung der Windgeschwindigkeit noch öfter begegnen – es zeigt die Grenzen der Windenergieerzeugung auf, denn trotz Zubau ging damals die erzeugte Windstrommenge erstmals stark zurück – ein Warnsignal.

Abbildung 7: Entwicklung der deutschen Windstrom-Produktion 1998 bis 2023 mit dem Einbruch im Flaute-Jahr 2021. Bildquelle statista.com, ergänzt.

Wie wir im dritten Teil sehen werden, mehren sich die Anzeichen für eine merkliche Abnahme der Windgeschwindigkeit in manchen Regionen Deutschlands. Es scheint, als sei der Wind doch keine unerschöpfliche Energiequelle – die Natur zeigt uns einmal mehr unsere Grenzen auf.

(wird fortgesetzt)

Stefan Kämpfe, Diplom- Agraringenieur, unabhängiger Natur- und Klimaforscher

 

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