Teil 1: Wind – eine Frage des Standortes. Die oft raren und mangelhaften Datensätze der Windgeschwindigkeit.

Stefan Kämpfe

Mit dem Kernenergie-Ausstieg wurde Deutschland noch abhängiger von der Gunst des Windes. Windstrom, so hofft man, lässt die Stromversorgung ökologischer werden und trotzdem zuverlässig bleiben. Doch spielt der Wind da auch mit? Denn Wind ist auch nur eine begrenzte Ressource, und jenseits naturschutzfachlicher Bedenken, welche hier nicht erörtert werden, stellt der Entzug kinetischer Energie einen offenbar erheblichen Eingriff in das Klimasystem dar. Es konnten anhand der Auswertung von über einhundert Wetterstationen interessante Erkenntnisse zum Verhalten der Windgeschwindigkeit in Deutschland seit 1988 gewonnen werden. Wegen des großen Umfangs der Auswertung werden die Ergebnisse in mehreren Teilen besprochen.

Einführung: Warum diese Untersuchung mit dem Jahr 1988 beginnt und sehr zeitraubend war

Seit 1988 herrscht eine neue Warmzeit, das sogenannte Moderne Klimaoptimum. Es begann zunächst mit einer kräftigen Winter- und Frühjahrserwärmung; ab den frühen bis mittleren 1990er Jahren erwärmten sich dann die Sommer und Herbste in Deutschland enorm. Diese Erwärmungen sind im Winter vor allem auf häufigere und intensivere Westwetterlagen, im Sommerhalbjahr auf eine stark zunehmende Sonnenscheindauer sowie geänderte Zirkulationsverhältnisse mit häufigeren und intensiveren südlichen Großwetterlagen, besonders im Sommer und Herbst, zurückzuführen. Näheres zum Klimasprung 1988 hier. Einerseits musste dieses neue Warmklima auch Auswirkungen auf die Windgeschwindigkeit haben, andererseits sind Winddaten viel rarer und lückiger, als Temperaturaufzeichnungen. Erst seit den späten 1980er bis mittleren 1990er Jahren lag eine halbwegs große Zahl an Datensätzen vor. Sie mussten mühsam vor allem bei der Wetterzentrale hier eingelesen werden, weil der DWD in seinen eigenen Leistungen keine Jahresauswertungen zur Windgeschwindigkeit und monatsweise nur Daten in Beaufort anbietet – Geschwindigkeitsangaben gibt es dort nur tageweise (Auswertung zu zeitintensiv). In die Betrachtungen wurden auch Winddaten aus Österreich einbezogen. Und dann begann in den 1990er Jahren auch der Ausbau der Windenergie, welcher das Windverhalten ebenfalls beeinflusst hat. In dem Artikel „Geht der Windenergie die Puste aus?“ wurde die Thematik 2017 hier schon einmal nur auf der Grundlage der Beaufort-Daten und mit weniger Datensätzen beleuchtet. Insgesamt behalten die damaligen, freilich noch unscharfen Erkenntnisse ihre Gültigkeit; die jetzige Studie baut auf ihnen auf.

Abbildung 1: Entwicklung der Windstärke, gemittelt aus 25 norddeutschen Stationen. Erst ab 1992 lagen dafür ausreichend Daten vor.

Es fehlen auch jegliche Gebietsmittel zur Windgeschwindigkeit (diese gibt es beim DWD nur für Temperaturmittel, Sonnenstunden und die Niederschlagsmenge). Mit den jetzt vorliegenden, genaueren Geschwindigkeitsangaben in Metern pro Sekunde (m/s, 1 m/s = 3,6 Km/h) konnten nun schwerpunktmäßig Jahresauswertungen, eingeschränkt auch für die meteorologischen Jahreszeiten, regionsbezogen erfolgen.

Die Windstärke – regional sehr unterschiedlich

Preisfrage: Wo befindet sich der windigste Ort Deutschlands? Es ist weder die Hochsee-Insel Helgoland noch die Zugspitze, sondern – der Brocken im Harz. Er wird uns in dieser Untersuchung noch öfters begegnen.

Abbildung 2: Während auf dem Brockengipfel selbst im Jahresmittel stets eine steife Brise von um oder über 10 m/s (etwa 40 Km/h) weht, sind es auf der viel höheren, aber auch viel weiter südlich liegenden Zugspitze nur um die 7 m/s und im nordostdeutschen Tiefland nur 3 bis 4 m/s.

Abbildung 3: Das windschwächere Süddeutschland (hier: Garmisch-Partenkirchen und Nürnberg) sowie Nordostdeutschland und die windigere Ostseeküste (Boltenhagen) im Vergleich.

Nun wäre es für die Windindustrie ganz toll, gäbe es nur solche Standorte wie den Brocken oder wenigstens die deutschen Küsten – aber fast alle guten Standorte sind bereits belegt oder (bislang) wie der relativ kleine Brockengipfel (noch) tabu. Und ob es wirklich so eine gute Idee wäre, im windschwachen Bayern auf die Windkraft zu setzen? Man achte auf die gegenläufigen Trends der nord- und süddeutschen Stationen – könnten sie ein erster Hinweis für die Übernutzung der Windenergie in Norddeutschland sein? Dazu später mehr.

Daten zur Windgeschwindigkeit – oft fehlerhaft

Von den etwa 2.000 DWD-Wetterstationen wurden viele erstens nur zeitweise betrieben – sie passten nicht in das geplante Zeitfenster ab 1988 oder wenigstens ab 1994. Und zweitens wird an vielen gar keine Windgeschwindigkeit gemessen; besonders in Süd- und Westdeutschland konnte bislang keine ausreichende Stationszahl mit Winddaten gefunden werden. Drittens sind Winddaten oft fehlerbehaftet; jede der gefundenen Stationen wurde anhand der Metadaten einer groben Prüfung unterzogen, doch nicht immer konnten Unstimmigkeiten geklärt werden. In der Annahme, dass sich Fehler bei genügend großer Stationszahl ausmitteln, wurden auch diese fehlerhaften im Datenkollektiv belassen; gelegentlich wird bei der Auswertung auf fehlerhafte Stationen hingewiesen. Im Folgenden werden einige Stationen mit auffallend untypischer Entwicklung der Windgeschwindigkeit gezeigt. Zunächst untypische, plötzliche Windzunahmen, meist durch Stationsverlegungen an offenere und/oder höhere Standorte bedingt. Diese scheinen bei den Fehlern zu überwiegen und täuschen Windzunahmen vor, die es real nicht gab.

Abbildung 4: Plötzliche, meteorologisch nicht zu erklärende Windzunahme in Erfurt/Weimar in den mittleren 1990er Jahren durch Stationsverlegung.

Selbiges, jedoch später, geschah in Bad Kissingen an der Rhön.

Abbildung 5: Bad Kissingen wurde mehrfach verlegt, aber nur die Verlegung von 2006 führte zu dem enormen Windsprung.

Doch nicht immer sind Verlagerungseffekte die Ursache plötzlicher „Windsprünge“. Eine merkwürdige Schwachwindphase in Müncheberg/Mark in den 1990er Jahren blieb ungeklärt. Waren es Mess-oder Instrumentenfehler, Aufzeichnungslücken, oder wuchsen in Stationsnähe Gehölze auf, die dann plötzlich entfernt wurden?

Abbildung 6: Zwar erwies sich das Jahr 1996 im Rahmen der Auswertung als eines der windschwächeren, aber keineswegs so extrem, wie in diesem Beispiel. Und das hier ebenfalls flaue Jahr 1998 war eines der windigsten. Ab der Jahrtausendwende „erholte“ sich der Wind plötzlich wieder – der starke Positiv-Trend ist unrealistisch!

In Osterfeld bei Naumburg fand sich hingegen ein eher seltener Fall einer jähen, nicht plausiblen Windabnahme.

Abbildung 7: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen einer Stationsverlegung an einen geschützteren Standort fiel die Windgeschwindigkeit in Osterfeld um die Jahrtausendwende rapide ab.

Am Hohepeißenberg, welcher gerne wegen seiner weit zurückreichenden Beobachtungsreihen für Veröffentlichungen und Analysen verwendet wird, ist ebenfalls Skepsis geboten – ein untypischer „Windberg“ in den 2000er Jahren passt nicht zu den meteorologischen Gegebenheiten.

Abbildung 8: Die nachweislich flauen Jahre 2003 und 2006 verliefen am Hohepeißenberg viel windiger, als die sehr windreichen 1990er Jahre.

Zum Glück fallen derartige Fehler beim Einlesen der Daten meist auf. Dem Deutschen Wetterdienst (DWD) als von uns Steuerzahlern finanzierter Behörde wäre zu empfehlen, seine Daten kritischer zu prüfen und Fehler besser zu kennzeichnen. Leider scheinen auch die österreichischen Winddaten, welche nur von 1990 bis 2022 vorlagen, auch nicht von guter Qualität zu sein. Trotz der Datenmängel erbrachte die Datenauswertung erstaunliche Erkenntnisse; diese werden dann ab dem dritten Teil besprochen.

(wird fortgesetzt)

Stefan Kämpfe, Diplom- Agraringenieur, unabhängiger Natur- und Klimaforscher

 

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