Christian Freuer aka Chris Frey (Einleitung sowie Teil 1) und Stefan Kämpfe (Teil 2)

Zwar mutet der Titel dieses Beitrags an wie eine Erzählung des Schriftstellers Chris Frey, aber hier ist er buchstäblich wörtlich zu nehmen.

Der Autor fragt sich schon lange, woher die Weiße-Weihnacht-Romantik eigentlich kommt. Im Internet werden unterschiedlichste Erklärungen aller Art angeboten. Die Frage stellt sich, weil aufgrund der Weihnachtsgeschichte des Lukas-Evangeliums, welche dieser Tage sicher wieder tausendfach gelesen wird, höchstselbst der Hinweis kommt, dass zu Jesu Geburt kein Winterwetter geherrscht haben kann.

Die Stadt Bethlehem liegt über 1000 m ü. NN hoch, und im dortigen Hochland ist es die absolute Ausnahme, wenn dort mal in einem Winter kein Schnee liegt. Wenn der „Sibirien-Express“ – sprich ein Kaltlufthammer aus Russland – direkt dorthin fährt, kann es regelmäßig -10 bis -20°C kalt werden.

Und warum kann das bei Jesu Geburt nicht der Fall gewesen sein? Nun, wie hätten die Hirten auf dem Felde unter solchen Bedingungen ihre Schafe hüten können?

Wie auch immer, der Traum von einer „Weißen Weihnacht“ ist nicht nur bei uns, sondern auch in den USA allgegenwärtig. Wer kennt nicht das berühmte Lied von Bing Crosby?

Damit kommen wir allmählich zum Kern dieses Beitrags. In weiten Gebieten der mittleren und östlichen USA bis hinunter nach Florida und zur Küste des Golfes von Mexiko gab es in diesem Jahr tatsächlich eine Weiße Weihnacht – aber was für eine!

Im Folgenden werden einige Graphiken gezeigt, welche die Entwicklung dieses Mega-Tiefdruckwirbels zeigen. Es ist eine spannende Frage, ob das in unseren werten MSM erwähnt wird (vermutlich ja) und in welchem Umfang, denn das Wetter dort drüben ist ja politisch absolut unkorrekt.

Teil 1: Entwicklung und Verlauf einer Zyklogenese, wie sie so wohl nur in den USA möglich ist

Tatsächlich fand dieser Sturm breiteren Raum in den MSM – natürlich mit den üblichen Übertreibungen. Nun, als „Extremwetter“ kann man das sicher bezeichnen, aber es ist keineswegs so ungewöhnlich wie man es uns einreden will.

Der nordamerikanische Kontinent ist gekennzeichnet durch von Nord nach Süd verlaufende Landschaftsformen. Zwischen den Appalachen im Osten (vergleichbar mit Mittelgebirgen bei uns) und den Gebirgen im Westen herrscht von Nord nach Süd und umgekehrt freie Bahn für Luftmassen jedweder Couleur. Tropische Meeresluft vom Golf von Mexiko trifft immer wieder auf arktische Festlandskaltluft aus Kanada. Auch kein ausgleichend wirkendes Meeresgebiet dämpft die Temperaturextreme – die Hudson-Bay ist wie üblich vollständig zugefroren.

Verstärkend kommt jedoch in diesem Falle hinzu, dass der kanadische Kältepol, der hier angezapft wird, diesmal außerordentlich kalt ist – aus welchen Gründen auch immer. Tatsächlich zeigen die Simulationen über den Jahreswechsel hinaus, dass sich auch in Kanada derartig extreme Kälte nicht wieder in dieser starken Ausprägung regenerieren soll.

Wie gesagt ist ein solcher Vorgang nicht ungewöhnlich. Er kommt in jedem Winter dort mehrmals vor. Auch der Autor hat in seiner Zeit in den USA (im östlichen Pennsylvania) mehrmals den Durchzug solcher Wetterphänomene erlebt. Einen davon hat er seinerzeit ähnlich analysiert wie im vorliegenden Fall. Höchst interessant waren jedoch die Wetter-Auswirkungen an Ort und Stelle. Diese hat der Autor damals so beschrieben:

Hier nun also der Ablauf der Wetterereignisse in Gestalt verschiedener Aspekte. Sinnvollerweise schaut man immer zunächst auf die Verhältnisse in höheren Schichten der Troposphäre:

[Hinweis: Alle genannten Zeitpunkte der Höhenkarten sind in UTC angegeben. Die Ortszeit im Osten der USA liegt etwa 6 Stunden zurück. 00 UTC entspricht also etwa 18 Uhr Ortszeit, usw. Graphiken der Abbildungen 1 bis 7 von wetterzentrale.de]

Abbildung 1: Wetterlage am 22. Dezember 2022 um 00 UTC: LINKS: 500 hPa Geopotential (bunt) und Bodendruck (weiße Linien), RECHTS: 850 hPa Temperatur (bunt) und Geopotential (weiße Linien).

[Zur Verdeutlichung: Geopotential 552 im 500-hPa-Niveau bedeutet, dass der Luftdruck in 5520 m ü. NN genau 500 hPa beträgt. Es ist von der Temperatur abhängig, wie hoch man steigen muss, um genau diesen Luftdruck zu haben.]

Während man im 500-hPa-Niveau nichts Besonderes erkennt, fällt bei der Temperaturverteilung im 850-hPa-Niveau der extrem starke Gradient über den zentralen USA auf. Ein solcher Vorgang deutet in den USA immer auf eine unmittelbar bevor stehende extreme Entwicklung hin. Die Luftdruckverteilung am Boden (weiße Linien in der linken Graphik der Abb. 1) zeigt aber noch ein relativ schwach ausgeprägtes Tiefdruckgebiet.

Schon 12 Stunden später zeigt sich aber schon deutlich der Beginn einer starken Entwicklung:

Abbildung 2: Wie Abbildung 1, aber am 22. Dezember 2022 um 12 UTC

Der Temperaturgradient im 850-hPa-Niveau ist sogar noch schärfer geworden. Subtropische Warmluft trifft direkt auf kanadische Festlandskaltluft.

Einschub: Wie extrem das sein kann, hat der Autor in einem früheren Fall dokumentiert, ohne dass diese Unterlagen heute noch verfügbar sind. Eines Tages im September 1982 meldete die auf etwa 1000 m Seehöhe liegende Stadt Amarillo in Texas mittags eine Temperatur von 33°C bei einem Taupunkt von 3°C – also trocken-heiße Wüstenluft. 12 Stunden später meldete die gleiche Station bei +1°C und schwerem Nordsturm Schneeregen – ein Temperatursturz von über 30 K innerhalb von 12 Stunden! – Ende Einschub]

Am 23. Dezember 2022 nahm die Entwicklung dann Fahrt auf:

Abbildung 3: Wie Abb. 1, aber am 23. Dezember 2022 um 00 UTC.

Abbildung 4: Wie Abb. 1, aber am 23. Dezember 2022 um 12 UTC

Abbildung 5: Wie Abb. 1, aber am 24. Dezember 2022 um 00UTC

Abbildung 6: Wie Abb. 1, aber am 24. Dezember 2022 um 12 UTC

Abbildung 7: Wie Abb. 1, aber am 25. Dezember 2022 um 00 UTC

Als besonders extrem muss im Verlauf der schwere Sturm an der Südwestflanke des Tiefdruckwirbels eingestuft werden, geht er doch einher mit genauso extrem niedriger Temperatur: Bei Windstärke 6 bis 8 Bft und Temperaturwerten unter -20°C zieht man sich fast augenblicklich Erfrierungen zu. Etwas salopp ausgedrückt: Es gibt dort zwar eine „Weiße Weihnacht“, aber ob das unter diesen Umständen so erbaulich ist, mag man selbst entscheiden. Ein gemütlicher Weihnachts-Spaziergang dürfte jedenfalls ziemlich gefährlich sein!

Schauen wir uns nun den Temperaturverlauf am Boden an [Graphiken von wetteronline.de]:

Abbildung 8: Temperaturverlauf vom 22. bis 24. Dezember, jeweils morgens MEZ (nachts MOZ).

Die Graphik links ist mit „Höchsttemperatur“ betitelt, aber unter diesen Umständen wird der normale Tagesgang weit überkompensiert, so dass in der Mitte und rechts nur die aktuelle Temperatur gezeigt wird. Man beachte vor allem den gewaltigen Temperatursturz vom 22. zum 23 Dezember (links und Mitte in Abb. 8) und wie sich die Kaltluft bis zum 24. Dezember bis nach Florida ausgebreitet und auch die Ostküste erfasst hat.

Werfen wir noch kurz einen Blick auf die mit diesem Vorgang verbundenen Niederschlagsmengen:

Abbildung 9: 72-stündige Regenmenge vom 21. Dezember 2022, 00 UTC [01 Uhr MEZ] bis zum 24. Dezember 2022, 00 UTC.

Man erkennt, dass der Hauptniederschlag noch im Bereich der Warmluft als Regen gefallen ist. Die Niederschlagsmengen im Nordosten der USA und in Kanada bis hinüber zu den Großen Seen sind aber als Schnee gefallen. Dies zeigt abschließend der Blick auf das Wetter-Radar (Quelle: wetteronline.de):

Abbildung 10: Wetterradarbilder, LINKS: 23. Dezember 2022, RECHTS: 24. Dezember 2022, jeweils morgens MEZ (~Mitternacht Ortszeit).

In Abbildung 10 lässt sich ein interessanter Effekt beobachten: Wenn die Frodtluft auf den warmen Westatlantik und den noch wärmeren Golf von Mexiko hinausweht, können zunächst in der extrem Wasserdampf-armen luft keinerlei Wolken entstehen. Erst viel später mit dem weiteren Überströmen setzt Cumulusbildung ein. Man kann also am Golf von Mexiko bei -10°C in das 25°C warme Wasser springen – zum Aufwärmen!

Fazit: Sehr starke Schneefälle bei schwerem Sturm und arktischen Temperaturwerten – ob das wirklich erstrebenswerter ist als die milde Südwestlage bei uns?

Schlussbemerkung dazu: Extremwetter dieser Art kommt in den USA in jedem Winter mehrmals vor, ist also normal. Es wäre sehr extrem, wenn solches Extremwetter einmal NICHT auftritt!

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Es ist klar, dass man solche Vorgänge immer auch in einem größeren Zusammenhang einordnen muss. Der oben beschriebene Vorgang ist natürlich Wetter und seine Wiederholung in anderen Wintern auch. Hat sich also in klimatischer Hinsicht etwas geändert? Dieser Frage geht KÄMPFE im 2. Teil dieses Beitrags nach.

Teil 2: Die langfristige Entwicklung der Wintertemperaturen im Nordosten Amerikas und mögliche Ursachen – wird das Klima dort extremer, weil es wärmer wird?

Stefan Kämpfe

Insgesamt sind auch in Nordamerika die Wintertemperaturen in den letzten Jahrzehnten leicht gestiegen – allerdings ohne Wärmeinselbereinigung und nicht überall. Die wärmeinselarme Station DALE ENTERPRISE in den Ausläufern der Appalachen westlich der Bundeshauptstadt Washington ist nicht repräsentativ, zeigt aber dennoch das Fehlen einer besorgniserregenden winterlichen Erwärmung.

Abbildung 11: An der wärmeinselarmen US-Wetterstation Dale Enterprise gab es weder langfristig noch in den letzten Jahrzehnten eine winterliche Erwärmung.

Ein Temperatur-Flächenmittel für den Nordosten Nordamerikas, welcher klimatisch noch am ehesten mit dem Klima Mitteleuropas vergleichbar ist, liegt in den aerologischen Daten des amerikanischen Wetterdienstes seit dem Winter 1948/49 für die 1.000-hPa-Fläche vor; das entspricht in grober Näherung dem 2-Meter-Lufttemperaturmittel. Man erkennt eine Periode relativ milder Winter am Anfang und am Ende des Betrachtungszeitraumes; dazwischen liegt die typische, markante Abkühlungsphase der späten 1960er bis zu den frühen 1990er Jahren. Anders als in Deutschland, scheint die AMO die Wintertemperaturen im Nordosten Amerikas signifikant positiv zu beeinflussen. Hingegen hat die NAO, welche in Deutschland einen signifikant positiven Einfluss auf die Wintertemperaturen ausübt, dort einen schwach negativen (allerdings nicht signifikanten) Einfluss; Selbiges gilt auch für die PDO. Das bedeutet aber auch: Zumindest tendenziell fallen NAO-Mildwinter in Deutschland mit kälteren in Nordostamerika zusammen – es besteht hier aber noch erheblicher Forschungsbedarf.

Abbildung 12: Die Entwicklung der Wintertemperaturen in Nordost-Amerika seit dem Winter 1948/49 sowie der AMO im Winter. Die AMO beeinflusst die dortigen Wintertemperaturen signifikant positiv; für immerhin 31% der Gesamtvariabilität der Wintertemperaturen ist sie verantwortlich. Da die aktuelle AMO-Warmphase vermutlich bald endet, wird es also bald wieder vermehrt Kaltwinter an der US-Ostküste geben – möglicherweise sind die aktuellen Kältewellen schon erste Anzeichen hierfür.

Offenbar steuern natürliche, periodische Schwankungen der Meeresoberflächentemperaturen die Wintertemperaturen weitaus stärker, als das unsere CO-gläubigen Klimakonsensforscher zugeben wollen. Bliebe noch das Argument „Es wird halt manchmal kälter, weil es wärmer wird – und die Zirkulation schwächt sich wegen der Klimaerwärmung bedrohlich ab, was Extremwetter begünstigt“. Angeblich soll das stark schwindende arktische Meereis für viele Kapriolen verantwortlich sein – aber in den letzten Jahren deutet sich eine merkliche Stabilisierung der Eisflächengröße an.

Abbildung 13: Halbwegs verlässliche Daten der Meereisfläche liegen erst seit dem Jahre 1979 vor (satellitengestützte Erfassung). Der starke Schwund scheint gestoppt; aktuell deutet sich gar eine leichte Flächenzunahme an, welche sich auch im Jahr 2022 fortsetzte.

 

Und was ist mit den angeblich schwächelnden Zirkulationsverhältnissen? Auf die Schnelle lagen für diesen Beitrag umfassende Daten nur aus Europa vor, wo sich aber im Winter die Westwind-Zirkulation, welche auch periodisch schwankt, eher beschleunigt hat – das erklärt auch die enorme Häufung von Mildwintern in Mitteleuropa seit den späten 1980er Jahren.

Abbildung 14: Häufigkeitsentwicklung der Tage mit Westanteil (Mitteleuropa, nach HESS/BREZOWSKY) im meteorologischen Winter seit 1881/82 sowie der winterliche Temperaturverlauf (Flächenmittel Deutschland), dessen Varianz zu fast 48% von der Häufigkeit der Westlagen bestimmt wird. Man achte auf die seit 1882 so bis in die frühen 1980er Jahre nie beobachtete Westlagen-Häufung, beginnend mit dem Winter 1987/88, welche bis heuer (noch) andauert. Zwecks anschaulicherer Darstellung Umrechnung in Indexwerte; einige herausragende Winter sind gekennzeichnet.

Einen groben Hinweis, ob sich die Zirkulation wenigstens über Nordamerika abschwächte, liefert die Entwicklung des winterlichen Luftdruckgefälles zwischen der nördlichen Golfregion und dem nördlichen Kanada; man kann es aus den Aerologischen Daten des NOAA berechnen. Es zeigt sich eine leichte Gefälle-Zunahme (höhere Luftdruckdifferenz zwischen Süd und Nord), was der These, die winterliche Zirkulation schwäche sich wegen der Klimaerwärmung ab, ebenfalls widerspricht.

Abbildung 15: Entwicklung des winterlichen Luftdruckgefälles (Dez. bis Feb.) auf Meeresspiegelhöhe zwischen den Gitterpunkten 25°N, 90°W und 65°N, 90°W seit dem Winter 1948/49. Neben periodischen Schwankungen (blau, neunjähriges, endbetontes Gleitmittel) erkennt man eine langfristige lineare Zunahme (violett), was auf eine Beschleunigung der Zonalzirkulation hindeutet. Zwar ist das nur ein grober Hinweis – aber eine Zirkulationsabschwächung gab es im Winter auch über Nordamerika nicht.

Ein weiteres Indiz liefert das Verhalten des Zonalwindes, welcher sich bei nachlassender Zirkulation ebenfalls abschwächen müsste. Am Gitterpunkt 45°N, 90°W (entspricht etwa der Mitte des US-Bundesstaates Wisconsin am Westrand der Großen Seen) zeigt sich aber eher eine geringe Geschwindigkeitszunahme des winterlichen Zonalwindes:

Abbildung 16: Zumindest im Gebiet der Großen Seen schwächte sich der Zonalwind nicht ab – im Gegenteil!

Fazit: Mit hoher Wahrscheinlichkeit sind es überwiegend natürliche Ursachen, welche das Verhalten der Wintertemperaturen in Nordamerika steuern – auf die so wichtige Sonnenaktivität soll hier im Interesse der Übersichtlichkeit nur kurz hingewiesen werden. Ohnehin neigt das Klima Nordamerikas wegen seiner nord-südwärts verlaufenden Gebirgszüge („Kanalisationseffekt“ für extrem kalte Nord- und extrem heiße Südluft) zu Extremen, welche es auch in der Vergangenheit reichlich gab, was mein Kollege Christian Freuer schon am Schluss des ersten Teils ansprach.

 

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