Seit Mitte Mai liefert Putin kein Gas mehr an Gazprom Germania. Die Ersatzbeschaffung kostet die deutsche Bevölkerung Milliarden von Euro, rechnet die «Welt» vor. Wie aber die Lücke konkret gefüllt werden soll, bleibt unklar.

von Peter Panther

Es hat bereits Polen, Bulgarien und Finnland getroffen: Diese Länder bekommen von Russland kein Erdgas mehr – angeblich, weil sie nicht bereit sind, die Lieferungen wie verlangt in Rubel zu bezahlen. Seit Anfang dieses Monats schickt Putin aus dem gleichen Grund auch kein Gas mehr nach Dänemark und in die Niederlande.

Was hierzulande aber kaum zur Kenntnis genommen wurde: Auch Deutschland ist inzwischen von einem Lieferstopp betroffen – wenn auch nicht von einem totalen: Am 11. Mai hat der russische Präsident Wladimir Putin per Dekret verfügt, dass Russland das Unternehmen Gazprom Germania nicht mehr beliefert. Seither fehlen in Deutschland täglich zehn Millionen Kubikmeter Erdgas. Das sind rund sieben Prozent der russischen Lieferungen und gut vier Prozent des deutschen Gasbedarfs insgesamt.

«Nicht mehr beteiligt»

Gazprom Germania war bis Anfang April ein wichtiger Baustein des mächtigen russischen Erdgasunternehmens Gazprom in Deutschland, Österreich und einigen anderen europäischen Ländern. Über das ehemalige Tochterunternehmen strömte nicht nur viel Gas nach Mitteleuropa, dieses besitzt auch grosse Erdgasspeicher in Deutschland, ist Miteigentümerin von Gasleitungen und betreibt Gashandel.

Doch am 31. März dieses Jahres teilte der Mutterkonzern überraschend mit, dass die Gazprom-Gruppe an Gazprom Germania «nicht mehr beteiligt» sei. In Deutschland rätselte man in der Folge, wem denn nun das Unternehmen gehört. Es kamen Befürchtungen vor Versorgungsproblemen auf.

Das Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck brachte zwar in Erfahrung, dass zwei bislang unbekannte andere russischen Firmen die neuen Besitzerinnen von Gazprom Germania sein sollen. Dennoch entschied sich der Grünen-Politiker zu einer Massnahme, die zuvor noch nie durchgesetzt worden war: Er unterstellte Gazprom Germania am 4. April unter die Treuhandschaft der Bundesnetzagentur.

Gazprom Germania unter Treuhandschaft

Diese Behörde, die unter anderem für die Versorgung Deutschlands mit Strom und Gas zuständig ist, bekam damit ein Weisungsrecht gegenüber dem Management von Gazprom Germania. Die Treuhandschaft soll kritische Energieinfrastrukturen vor der Willkür des Kremls schützen und gilt vorderhand bis Ende September.

Nach diesem Schritt war eine Reaktion von Putin erwartet worden. Sie kam am 11. Mai mit dem erwähnten Lieferstopp an Gazprom Germania. Robert Habeck wiederum versicherte an diesem Tag, die Bundesregierung werde alles tun, um die ehemalige Gazprom-Tochter zu stabilisieren. Zudem versprach er, die fehlenden Mengen an Gas könnten anderweitig beschafft werden.

Der Bundeswirtschaftsminister sagte allerdings nichts zu den Kosten der Ersatzbeschaffung. Das holte am Pfingstwochenende die «Welt» nach. Sie rechnete vor, dass der russische Lieferstopp an Gazprom Germania die deutschen Steuerzahler und Gasverbraucher finanziell massiv belastet. Konkret führte die Zeitung Mehrkosten von fünf Milliarden Euro an.

Überwälzung der Kosten an die Endkunden

Denn einerseits muss das unter Treuhandschaft stehende Unternehmen das fehlende Gas am Grosshandelsmarkt teuer nachkaufen, um die Lieferverträge mit diversen Stadtwerken und Regionalversorgern einhalten zu können. Die Kosten von knapp zehn Millionen Euro pro Tag (bei aktuellen Gaspreisen) muss vorerst der Staat übernehmen. Ab Oktober soll der Aufwand der Ersatzbeschaffung zum Teil in Form einer Gasumlage auf die Energieversorger und damit letztlich die Endkunden überwälzt werden.

Ins Geld geht andererseits die Befüllung des Erdgasspeichers Rehden in Niedersachsen. Es handelt sich um den mit Abstand grössten Gasspeicher Deutschlands. Die Kapazität beträgt fast vier Milliarden Kubikmeter, was einem Fünftel der gesamten Speicher des Landes entspricht.

Der Speicher Rehden ist derzeit fast leer, muss gemäss den deutschen Vorgaben aber bis anfangs Oktober zu mindestens achtzig Prozent gefüllt sein. Die Beschaffung der benötigten 3,1 Milliarden Kubikmeter Erdgas kostet allein rund 2,5 Milliarden Euro.

Ersatzlieferungen sind fraglich

Auch wenn Robert Habeck versichert, man finde Ersatz für die ausgefallenen Lieferungen: Es ist unklar, woher dieses Gas kommen sollen. Denn Deutschland sucht sowieso händeringend nach Ersatz für russisches Erdgas, um nicht weiter Putins Krieg in der Ukraine finanzieren zu müssen. Robert Habeck war zwar unter anderem in Katar, um für Flüssiggas-Lieferungen nach Deutschland zu sorgen. Ob und in welchen Mengen dieses Gas bald kommen wird, steht aber in den Sternen.

Vielmehr gibt es allen Grund, beunruhigt zu sein: Die Industrie und die privaten Haushalte in Deutschland sind auf Gedeih und Verderb auf Erdgas angewiesen. Vorderhand hat Putin zwar «nur» die Lieferungen an Gazprom Germania eingestellt. Schon morgen könnte er aber zu noch drastischeren Schritten bereit sein.

 

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