von AR Göhring, Interview mit Ramin Peymani von der Liberalen Warte

Das neue Buch des Autors der Liberalen Warte ist da! Ramin Peymani, einer der profiliertesten Kritiker der Politik im Deutschland unter Angela Merkel, untersucht in zahlreichen kurzen Kapiteln die Probleme und deren Ursachen im „besten Deutschland, das wir jemals hatten“ (Zitat Steinmeier).

Herr Peymani, Sie haben ja nicht nur die Perspektive des liberalen Europäers, sondern durch ihre Eltern, die als Christen aus dem Iran geflohen sind, auch ein wenig die von außerhalb. Andere bekannte Autoren wie Imad Karim oder Akif Pirinçci, die familiär ebenfalls aus dem islamischen Kulturkreis stammen, beschreiben in ihren Erinnerungen zu den 1970ern und 80ern ein einerseits wohlhabendes und wohlgeordnetes, aber auch tolerant-lockeres und liebenswertes Westdeutschland. Fast ein Paradies im Vergleich zum Herkunftsland. Stimmen Sie zu?

Ja, in der Tat war es beeindruckend, wie wohlgeordnet der deutsche Staat war und wie offen seine Gesellschaft. Alles funktionierte wie selbstverständlich, Stabilität war das oberste Gebot. Dabei waren es ja keine einfachen Zeiten. Es gab den „Kalten Krieg“ und eine viel realere Bedrohung durch Atomwaffen, als uns dies heute von den Panikmedien suggeriert wird. Es gab die zweite Ölpreiskrise. Es gab die „RAF“, die grausam mordete. Es gab plötzlich diese neue tödliche Seuche AIDS. Es gab den Reaktorunfall in Tschernobyl. Es gab riesige Umweltkatastrophen. Und noch vieles mehr. Das Aufkommen der Grünen war die Folge der tatsächlichen Bedrohungen der damaligen Zeit. All das spielte sich zwischen Ende der 1970er Jahre und Mitte der 1980er Jahre ab, also exakt in meiner Teenagerzeit. Und dennoch war die damalige Bundesrepublik ein viel weniger ideologisches Land als heute, waren die Bürger frei und die Medien regierungskritisch. Der Staat hielt sich aus dem Privatleben weitgehend heraus, Bevormundungspolitik war unbekannt. Die Deutsche Mark war stark und die Politik verstand ihre Aufgabe darin, den Wohlstand der Menschen zu vergrößern.

Viele reifere Autoren, deren persönliche Erinnerungen in die 1980er und davor zurückreichen, beschreiben die Bonner und die Berliner Republik ab 1990 als demokratisch und vernünftig regiert, während sie vor allem die 16 Regierungsjahre von Merkel als allmähliches Abgleiten in ein ideologisches Drittweltland mit Gender, Klima und Coronapolitik betrachten. Diese drei Punkte nennen Sie gleich auf dem Titel Ihres neuen Buchs; zudem fällt der Begriff der „Wohlstandsverwahrlosung“. Warum?

Tatsächlich markierte die Jahrtausendwende wohl eine Zäsur. Als Ergebnis der Globalisierung und in Europa mit der durch den Vertrag von Maastricht errichteten Europäischen Union bildeten sich immer mächtigere supranationale Gremien und Netzwerke. Auf globaler Ebene nahm der Einfluß der Vereinten Nationen und der Weltgesundheitsorganisation auf die nationale Politik zu. Gleichzeitig führte eine Welle der Deregulierung zur Ausbildung eines regelrechten Finanzkasinos auch in Deutschland. Mit der Einführung des Euros und der damit einhergehenden Aufgabe währungspolitischer Grundprinzipien wurde dieser Effekt noch verstärkt. Parallel dazu hatte der Vormarsch der Grünen bis in Regierungsverantwortung den Weg für ökosozialistische Phantasien geebnet, und die aus Amerika einströmende Political Correctness erfaßte ganze Milieus. In diese Gemengelage hinein startete Angela Merkel ihre Kanzlerschaft, in der sie sich die populistischen Strömungen zunutze machte, um die urbanen „Progressiven“ frühzeitig an die Union zu binden und den politischen Gegnern die Themen zu nehmen. Zugleich traf sie damit den Nerv der mehrheitlich links-grünen Journalisten. Merkel scheute sich nicht, selbst die verrücktesten Ansinnen zu unterstützen, solange sie dabei einen Vorteil für sich sah. Dadurch wurden viele gemeinwohlschädliche Ideologien salonfähig. Von der „Wohlstandsverwahrlosung“ spreche ich, weil die trügerische Sicherheit des Wohlstands und des Friedens uns selbstzufrieden und nachlässig gemacht hat. Das Ergebnis können wir jeden Tag sehen, etwa in der obsessiven Beschäftigung mit der Gendergerechtigkeit, dem grotesken Fetisch unwissenschaftlicher Umweltgrenzwerte, einer gefährlichen Energiepolitik und nicht zuletzt einer Fülle absurdester Corona-Verordnungen. Für mich handelt es sich um die Symptome einer Zivilisationskrankheit, ein Begriff, der wohl zur Verwahrlosung paßt. Wir sehen heute, dass man sich in den guten Jahren besser um eine zukunftssichernde Finanz- und Währungspolitik, um den Erhalt der Wehrfähigkeit und die Sicherstellung einer bezahlbaren, zuverlässigen und sauberen Energieversorgung gekümmert hätte.

In der Kurzbeschreibung des Buchs schreiben Sie von den „Schwachstellen“ der Demokratie. Nun ist die Volksherrschaft ja gerade die Staatsform mit Anspruch zur stetigen Anpassung und Verbesserung. Sie nennen als schwerwiegendes Problem die vielen Nichtregierungsorganisationen wie Fridays for future oder die Deutsche Umwelthilfe. Aber sind diese nicht gerade eine sinnvolle Ergänzung zu den anderen gesellschaftlichen Körperschaften wie Firmen, Kirchen, Medien und Parteien?

Sie wären eine sinnvolle Ergänzung, wenn sie wirklich das wären, was sie vorgeben zu sein. In Wahrheit sind die meisten NGOs heute aber weltweit agierende oder vernetzte Konzerne mit knallharten wirtschaftlichen Interessen und skrupelloser Vorgehensweise. Sie rekrutieren Ihr Fußvolk regelrecht, was ihnen vor allem bei den ganz Jungen leicht fällt, weil ihre Endzeit-Erzählungen dort auf besonders fruchtbaren Boden fallen. Aus Großbritannien ist außerdem bekannt, dass Extinction Rebellion offensiv damit geworben hat, seinen „Aktivisten“ im Falle der Bedürftigkeit ein monatliches Zubrot zu zahlen. Das dürfte kein Einzelfall sein. Auch die Geschichte von Fridays for Future als Projekt der Plants for the Planet-Foundation sollte den Lesern bekannt sein. Daß macht die anderen Genannten nicht besser. Gerade Parteien und Medien sehe ich hier besonders kritisch, von den unseligen Lobbyisten aller möglichen Verbände und Konzerne ganz abgesehen. Die Demokratie lebt von der gleichberechtigten Mitsprache aller. Diese schöne Utopie findet man heute aber nirgendwo mehr und das ist eine Zwangsläufigkeit. Genau das ist es, was ich mit der „Schwachstelle“ meine: Es liegt in der Grundanlage demokratischer Systeme, dass sie sich selbst abschaffen, weil einzelne Gruppen zwar auf demokratischem Wege Macht anhäufen, diese aber anschließend zur Schleifung der Demokratie nutzen. Zudem befördert die Demokratie die Wahl wenig geeigneter Personen in die Parlamente und die führenden Staatsämter, weil die Wähler Heilsversprechern den Vorzug gegenüber nüchtern argumentierenden Sachwaltern geben. Die Ochlokratie ist das Ergebnis, in diese Phase treten wir gerade ein. Das Modell des Kreislaufs der Staatsformen mit dem unvermeidlichen Übergang demokratischer Regierungsformen in totalitäre Systeme kannten bereits die alten Griechen.

In einigen Kapiteln betrachten Sie die Situation außerhalb Deutschlands, Europa insgesamt, Großbritannien und Österreich. Geht Deutschland wie schon öfter einen Sonderweg, oder sind die Eliten in Berlin diesmal nicht anders als die in London, Paris oder Washington? Welche Gesellschaft hat die besten Chancen auf Re-Demokratisierung?

Mit dem im Weltwirtschaftsforum verabredeten Great Reset wurde eine globale Initiative gestartet. Hier geht es darum, wie Bundesfinanzminister Christian Lindner unlängst freimütig öffentlich zu Protokoll gab, eine neue Welt- und Wirtschaftsordnung zu errichten. Ausgangspunkt ist die völlig entgleiste Staatsverschuldung in aller Welt, deren Ursachen bis in die 1970er Jahre mit der Aufgabe der Goldpreisbindung zurückreichen. Im letzten Jahrzehnt hat man sich mit den abenteuerlichsten Zentralbankmanövern, der Abschaffung des Zinses und heiß laufenden Gelddruckmaschinen über die Runden gerettet. Es war aber nicht nur mir schon 2010 klar, daß dies nicht lange gutgehen würde. Die nunmehr galoppierende Inflation war unvermeidlich und ist – anders, als von Politik und Medien behauptet – nicht die direkte Folge des Ukraine-Krieges oder durch Corona gestörter Lieferketten. Wer genau hinschaut, sieht, daß die Inflation bereits deutlich früher eingesetzt hat. Hohe Inflationsraten sind ein „Demokratiekiller“, das wissen auch alle Verantwortlichen, doch scheint im Euro-Raum und speziell in Deutschland die Neigung, sie zu bekämpfen, wenig ausgeprägt. Ohnehin ist die Demokratie mit den Corona-Gesetzen ein Stück weit gestorben. Unsere Grundrechte werden seither ins Belieben der Regierenden gestellt. Jeder Versuch einer Wiederbelebung wird nicht nur auf den erbitterten Widerstand der „Transformatoren“ treffen, denen die Demokratie beim Umbau der Welt im Weg ist, sondern auch auf den der NGOs, die davon profitieren, daß sie außerhalb demokratischer Strukturen über politische Entscheidungsgewalt verfügen. Es gibt Lichtblicke, nämlich dort, wo das gewachsene Demokratieverständnis der Bürger viele Jahrhunderte zurückreicht, etwa in der Schweiz. Selbst für Großbritannien sehe ich nicht ganz so schwarz wie für Deutschland.

Die harsche Coronapolitik und der Ukraine-Krieg mit seinen Folgeproblemen auf dem Energiesektor haben einen Realitätsschock ausgelöst, der vielen politisch Korrekten wie den Künstlern und grünen Ministern nun ins Gesicht geschrieben steht. Halten Sie diesen Schock für heilsam, oder müssen noch ganz andere Dinge passieren, um die „Wohlstandsverwahrlosung“ zu kurieren?

Ich würde gerne einen positiveren Ausblick geben, doch scheint es mir weltfremd, von einem „heilsamen Schock“ zu sprechen. Der eingeschlagene Weg wird fortgesetzt werden, da mögen grüne Minister und naive Kulturschaffende noch so erschrocken aus ihren Tagträumen erwachen. Ideologen gestehen sich und der Welt ungern ein, daß sie falsch lagen. Abgesehen von der mißratenen deutschen Energiepolitik werden die Dinge ohnehin an anderer Stelle entschieden. Die „Holy Church of Global Warming“ wird auch weiterhin ihr Unwesen treiben und uns mit grotesken Untergangsszenarien versorgen. Sie wird ihren Einfluß eher noch ausdehnen. Ebenso wird der Gesundheitstotalitarismus nicht nur weltweit manifestiert, sondern in organisatorische Strukturen gegossen werden. Die Schaffung von Feindbildern ist stets Dreh- und Angelpunkt von Ideologien. Da haben die Akteure zuletzt große Fortschritte gemacht, denn es sind nicht mehr bloß abstrakte Spurenelemente oder unsichtbare Viren, sondern Staaten, ganz wie in Zeiten des „Kalten Krieges“. Erst, wenn sich wirklich für die Mehrzahl der Haushalte die Frage stellt: „Essen oder Heizen?“, werden die grünen Umerzieher echten Gegenwind spüren. Das Gleiche gilt für die Kriegstreiber, die in der Ukraine Öl ins Feuer gießen. Auch hier wird es erst ein Umdenken geben, wenn die ersten Raketen in Mitteleuropa einschlagen. Aber soll man sich wirklich wünschen, dass es so weit kommt? Es wird erst noch viel schlechter werden müssen, bevor eine Aussicht auf Besserung besteht. Wer hungrig im Luftschutzbunker um sein Leben zittert, dem sind Windräder, Solardächer und Elektroautos auf einmal genauso egal wie Corona-Inzidenzen, Umweltgrenzwerte und Genderfragen.

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Ramin Peymani, Jahrgang 1968, arbeitete nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik für amerikanische Großbanken sowie später als Innenrevisor und anschließend als Büroleiter des DFB-Präsidenten beim Deutschen Fußball-Bund. Heute schreibt er als Freier Autor für eine Reihe bekannter Debattenmagazine. Der begehrte Vortragsredner hat bislang zehn Bücher zu wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Themen veröffentlicht. Seine Medienarbeit umfasst außerdem mehrere wöchentlich erscheinende Videoformate und Podcasts. Daneben betätigt sich der iranischstämmige Autor und Publizist als ehrenamtlicher Kreisbeigeordneter in der kommunalen Politik. Peymani ist Mitglied der Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft.

CORONA, KLIMA, GENDERGAGA: Der große Aufbruch in eine Welt ohne Vernunft

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