von Günter Keil und Klaus Tägder

Die Zeitschrift DIE WELT berichtete am 17. März über ihren WELT-Wirtschaftsgipfel, der zwei Tage zuvor stattfand 1). Dort hätte Bundeskanzler Olaf Scholz im Zusammenhang mit den neuen Herausforderungen, die sich aus dem Angriff Russlands auf die Ukraine ergeben würden, sehr deutlich Stellung genommen. Es war insbesondere darum gegangen, wie Deutschland auf die neue Situation reagieren sollte, indem sie ihre bisherige Energiepolitik, die zu einer extremen Abhängigkeit von Russland bei der Versorgung Deutschlands insbesondere mit Erdgas geführt hat, weitestgehend verändern müsste. Auch die Rohöl-Lieferungen aus Russland gehören zu diesem Problemkreis.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte dazu betont, dass „der Pragmatismus jede politische Festlegung schlagen muss – aber die Versorgungssicherheit muss gewährleistet sein.“ Woraus man entnehmen kann, dass sich Deutschland nicht für einen Stop der russischen Gas- und Mineralöl-Lieferungen entschließen wird. Diese gewiss sehr wirksame Sanktion täte auch uns wohl viel zu weh.
Die Autoren dieses Artikels der WELT hatten den Eindruck, dass die Bundesregierung „mittelfristig“ darauf setzt, sich aus verschiedenen Quellen mehr Erdgas zu sichern, wobei sogar das durch das hier verpönte Frackingverfahren geförderte Flüssig-Erdgas importiert werden könnte. Wobei es dann etwas peinlich werden könnte, weil der Bau einer Hafenanlage für die Gastanker ewig bis heute verschleppt worden ist. Und das wohl nicht aus Unfähigkeit, sondern mit Absicht. Aber über niederländische Häfen ginge es dann doch.
Die Annahme allerdings, dass damit wohl das große deutsche Ziel, die sogenannten erneuerbaren Energien (die es in der Physik gar nicht gibt) rasch weiter auszubauen, weitgehend aufgegeben sei, wurde vom Kanzler widerlegt. Er erklärte: „In diesem Jahr müssen wir die rechtlichen Hürden beseitigen, damit wir die Ausbauziele bei Windkraft und Sonne schaffen. Der Rückgriff auf Kernenergie wird dabei keine Lösung sein, denn dafür braucht man Uran, und das stammt vor allem aus Russland.“

Der erste dieser beiden Sätze zeigt ein eigenartiges Verständnis vom Recht der Bürger, mittels Klagen vor Gericht sowohl unzumutbare und gesundheitsschädliche Lärm- und Infraschall-Belastungen durch solche Anlagen zu stoppen, als auch Kahlschläge in Wäldern sowie Landschaftsverschandelungen zu verhindern.

Der zweite Satz allerdings stellt eine bewusst falsche Behauptung dar. Es ist leicht, im Internet alle Informationen über die wichtigsten Lieferländer von Uran zu erhalten. Die „Gemeinsame Gruppe NEA/IAEA für Uran“ 3) veröffentlicht alle 2 Jahre das „Red Book“. Darin sind alle Informationen zu diesem Thema enthalten.

Im „Red Book“ von 2020 gibt es eine Grafik (Weltkarte) mit den Ländern, die „Gesicherte Ressourcen“ (RAR) von Uran besitzen, die zu einem Uranpreis bis zu 260 USD/kg gewonnen werden könnten. Zahlen zu den globalen Uranreserven beziehen sich immer auf die heute bekannten Lagerstätten und auf einen bestimmten Uranhandelspreis, zu dem die Vorkommen wirtschaftlich abbaubar sind. Aktuell liegt der Uranpreis bei etwa der Hälfte, also bei 130 USD/kg Uran.

Die Zahlenangaben sind das Vielfache von 1000 Tonnen. Genannt sind daraus hier 15 Länder in der Reihenfolge ihrer U-Vorkommen.

Australien: 1285 (also 1.285.000 Tonnen)
Kanada: 652
Kasachstan: 465

Namibia: 321
Niger: 316
Südafrika: 258
Russland: 257

Indien: 188

Brasilien: 156
China: 123
EU 104 (ohne Grönland)
USA: 102
Mongolei: 61
CZ: 51
Grönland: 51

Zu den Hauptlieferländern an Uran für die deutschen ehemals 17 Kernkraftwerke gehören Australien, Kanada, Niger und Kasachstan. Diese führenden Produzenten deckten unseren Uran-Bedarf mit rd. 75%. Der (hierin nicht enthaltene) Beitrag Russlands lag bei etwa 4%.

In der Literatur wird betont, dass die wichtigsten Uran-Lieferländer politisch wesentlich zuverlässiger sind, als die Lieferländer für fossile Brennstoffe. Für Uran bestünde daher die größere Versorgungssicherheit. Zudem seien die Ressourcen von Uran größer als die von Mineralöl.

Und wenn man höhere Erzeugerpreise in den Berechnungen ansetzt, werden weitere Gewinnungsmethoden interessant: Die Abraumhalden von Goldminen und die Asche aus Kohlekraftwerken enthält bedeutende Uranmengen, womit die Reichweite der U-Vorräte auf 500 Jahre steige. Das Wasser der Ozeane enthält 4,5 Milliarden Tonnen Uran bei einer Konzentration von 0,003 ppm (jeweils 3 Milligramm pro Tonne Wasser).

Schließlich wurde bereits oft auf zwei weitere technische Optionen hingewiesen, die beide bereits weitgehend entwickelt wurden:
– Schnelle Brutreaktoren können über 60-mal mehr Energie aus Uran gewinnen, als die heutigen  Leichtwasserreaktoren. Mit solchen Brutreaktoren stiege die Reichweite des Urans auf mehrere  Tausend Jahre. Deutschland war bei der Entwicklung dieser Technologie vorne mit dabei.
Die Regierung hat das beendet.
– Aus Thorium kann der Kernbrennstoff U-233 erzeugt werden. Thorium kommt in der  Natur dreimal so häufig vor, wie Uran. Indien und China verfolgen langfristig angelegte  Entwicklungsprogramme zur kerntechnischen Nutzung von Thorium. Deutsche Forscher haben es gezeigt – mit dem Hochtemperaturreaktor (HTR), der „inhärent sicher“ war, weil er selbständig bei  Abschaltung der Kühlung die Leistung absenkte. Ebenfalls regierungsamtlich beendet. Aber im Magazin der Kerntechnischen Gesellschaft ist in einem Fachartikel von chinesischen Wissenschaftlern über die Entwicklung des dortigen HTR zu lesen, dass den deutschen HTR- Fachleuten für ihre Hilfe gedankt wurde. Diese Anlage wurde inzwischen fertiggestellt; eine
Serienfertigung wird beginnen. Das könnte man als erfolgreiche Entwicklungshilfe bezeichnen.
Dass der Entwicklungshelfer aber seine neue, eindrucksvolle Technik selbst nicht gar nutzen will, ist nicht normal. In Deutschland aber schon.

Aber zurück zur Behauptung von Kanzler Olaf Scholz:
Es muss nur kurz nachgeschaut werden, was wahr ist. Dann werden Qualität und Realitätsbezug des Arguments, Russland sei der bedeutendste Uranlieferant für Deutschland, auf das reduziert, was es ist….eine Falschaussage.

Dieser Vorgang erinnert an eine vor einigen Jahren gehaltene Rede von Frau Merkel, in der sie sinngemäß Folgendes sagte: ‚Es gäbe immer mehr harte Kritik an der Richtigkeit der CO2-Klimakatastrophen-Theorie. Vielleicht sollte man gar nicht mehr darauf achten und lieber betonen, dass mit dem Verbrennen von Öl, Kohle und Gas nicht nur CO2 erzeugt wird, sondern dass dadurch wichtige Rohstoffe verbraucht werden.’

Abgesehen davon, dass die Kohle noch 600 Jahre reichen würde, ist das sicherlich nicht falsch. Dies ist aber die Methode: „Ich bin halt dagegen. Und wenn die bisherige Begründung für meine Meinung wegfallen sollte, dann suche ich mir eben eine neue.“

Diese Methode scheint jetzt auch unser Bundeskanzler anzuwenden. Dass Kernkraftstrom tatsächlich CO2-frei ist, muss er wohl inzwischen hinnehmen. Aber jetzt lässt er das Uran knapp werden – und wenn man Russland nun auch noch bei seinen Uranlieferungen sanktionieren sollte, wäre es laut Scholz mit der Option der weiteren Nutzung der Kernkraft in Deutschland vorbei.

Dieser Unsinn gilt aber anscheinend nur für Deutschland. Also nicht etwa für alle anderen Länder dieser Welt, die insgesamt (ohne die 37 KKW Russlands) 405 Kernkraftwerke betreiben und für die ein Ankauf von Uran bei den führenden Produzenten (siehe obige Tabelle) – zu denen Russland wahrlich nicht gehört – kein Problem darstellt. Für Deutschland selbstverständlich auch nicht.

Für Uran, das hauptsächlich für die russischen Kernkrafttypen osteuropäischer Länder gebraucht wird, ist Russland allerdings in der Tat als Lieferant bedeutend. Für uns ist das bedeutungslos.

Wer ihm diesen Sprechzettel (so nennt man das in einem Ministerium) geschrieben hat, der hatte leider keine Ahnung. Folgsam, aber doof. Harte Zeiten für alle.

*) Dieser Artikel erschien in <ageu-die-realisten.com>

Quellen:

1. Nikolaus Doll, Claus-Christian Malzahn: „Die Ampel und der Fortschritt nach der Zeitenwende“,
DIE WELT, 17.03.2022; dort: Zitat einer Mitteilung von BK Scholz auf dem WELT-Wirtschaftsgipfel
am 15.03.2022.
2. Mitteilung der Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG (Schweiz): „Der Rohstoff Uran“, 01.01.2019;

www.kkg.ch/de/i/rohstoff-uran-_content—1—1257.html
3. Nuklearforum Schweiz unter Bezugnahme auf die 2-jährige Publikation „Red Book“ der NEA/IAEO;
2020. Die NEA ist die Nuclear Energy Agency; die IAEA ist die International Atomic Energy Agency,
eine autonome wissenschaftlich-technische Organisation.
www.oecd-nea.org/jcms/pl_28567/the-joint-nea/iaea-group-on-uranium-ug

 

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