Erdwärme-Strom gilt als äusserst umweltfreundlich. Doch in Wahrheit schadet Geothermie dem Klima zum Teil massiv. Der Grund: Das Wasser aus der Tiefe enthält CO₂, das an der Erdoberfläche freigesetzt wird. Betroffen sind vor allem Kraftwerke in der Türkei und in Italien.

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von Alex Reichmuth

In der Schweiz gibt es einen Lichtblick für die Tiefengeothermie. Nachdem Projekte in Basel und St. Gallen spektakulär gescheitert sind, soll nun im jurassischen Haute-Sorne ein Kraftwerk mit Erdwärme-Strom für 6000 Haushalte entstehen. Die Regierung des Kantons Jura hat vor kurzem bekannt gegeben, dass sie das Projekt unterstützt, nachdem sie vor zwei Jahren ihre Unterstützung noch einstellen wollte (siehe hier).

Eigentlich soll die Geothermie zu einer tragenden Stütze der Schweizer Stromwirtschaft werden. Der Bund rechnet bis zum Jahr 2050 mit einem Beitrag von immerhin zwei Terawattstunden pro Jahr, was etwa zwei Dritteln der Produktion des inzwischen abgestellten Atomkraftwerks Mühleberg entspricht. Doch bis jetzt gibt es kein einziges funktionierendes Geothermiewerk in der Schweiz. Vielmehr haben die bisherigen Versuche in Basel und St. Gallen Erdbeben ausgelöst, was zu deren Abbruch führte.

Geothermie produziert zuverlässig und wetterunabhängig

Dabei hat die Geothermie ein hervorragendes Image. Die Idee dabei ist, heißes Wasser aus mehreren Kilometern Tiefe an die Erdoberfläche zu pumpen, sodass dieses verdampft und eine Turbine antreibt. Geothermie-Kraftwerke produzieren zuverlässig Energie, wetterunabhängig und – vermeintlich – klimaschonend.

Doch vor einigen Tagen hat die deutsche «Wirtschaftswoche» einen Artikel publiziert, der am Bild des umweltfreundlichen Erdwärme-Stroms rüttelt. «Geothermie gilt als eine klimaneutrale Energiequelle», schrieb die Zeitung. «Dabei emittieren viele dieser Kraftwerke enorme Mengen CO₂.» (siehe hier) Insbesondere einige Geothermie-Kraftwerke in der Türkei und in Italien würden mehr als 500 Gramm Kohlendioxid pro produzierte Kilowattstunde Strom ausstossen, unter Umständen sogar über 1000 Gramm. Damit sei Geothermie zum Teil klimaschädlicher als die Stromerzeugung mittels Kohle.

Wie bei einer geschüttelten Mineralwasserflasche

Der Artikel in der «Wirtschaftswoche» nahm Bezug auf einen wissenschaftlichen Bericht der Weltbank von 2017 (siehe hier). Demnach ist der Klimagasausstoß der Geothermie darauf zurückzuführen, dass im Wasser, das an die Erdoberfläche geholt wird, je nach geologischer Beschaffenheit sehr viel CO₂ gelöst ist. Dieses Kohlendioxid stammt aus dem umgebenden Gestein oder aus vulkanischen Einträgen. Steht das Wasser nicht mehr unter Druck, gast es aus, gibt also CO₂ ab. Die Ausgasung ist vergleichbar mit der einer geschüttelten Mineralwasserflasche, die geöffnet wird.

In einer türkischen Studie ist von bis zu 1800 Gramm Kohlendioxid bei der Geothermie die Rede. Das ist etwa doppelt soviel wie bei der Kohleverstromung.

Gemäß dem Bericht der Weltbank stossen manche Geothermie-Kraftwerke in der Türkei zwischen 900 und 1300 Gramm CO₂ pro Kilowattstunde aus. In einer türkischen Studie von 2015 ist gar von bis zu 1800 Gramm die Rede (siehe hier). Zum Vergleich: In einem Kohlekraftwerk werden zwischen 800 und 1000 Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde frei. Der Ausstoss eines Gaskraftwerkes beläuft sich auf 400 bis 500 Gramm.

Kalkstein und Marmor

Laut der Weltbank sind die entsprechenden Gebiete in der Türkei von karbonatischen Sedimenten und metamorphischem Gestein geprägt, insbesondere von Kalkstein und Marmor. Hoch ist der CO₂-Ausstoss auch bei Geothermie-Kraftwerken am Monte Amiata in der italienischen Toskana, einem Vulkan. Dort werden Werte zwischen 245 und 779 Gramm pro Kilowattstunde erreicht.

Der CO₂-Ausstoss bei einem Geothermie-Kraftwerk kann über die Zeit deutlich abnehmen oder zunehmen – je nachdem, wie stark das Wasser, das in die unterirdischen Reservoirs nachfliesst, mit Kohlendioxid versetzt ist. Laut einer weiteren türkischen Studie von 2020 ist der CO₂-Ausstoss in den türkischen Kraftwerken Büyük Menderes und Gediz Graben seit 2015 von 887 Gramm auf 596 Gramm pro Kilowattstunde zurückgegangen (siehe hier).

Geschlossene System verhindern CO₂-Ausstoss

Die Weltbank hat auch den durchschnittlichen CO₂-Ausstoss der Geothermie in anderen Ländern zusammengetragen. So beträgt er in Island 34 Gramm, in Kalifornien 107 Gramm und in Neuseeland 104 Gramm. Der weltweite Durchschnittswert beträgt immerhin 122 Gramm. Damit ist Geothermie nebst der fossilen Produktion (mit Kohle, Öl oder Gas) die CO₂-intensivste Form der Stromerzeugung (mit Ausnahme von Biomasse).

Bei Geothermie-Anlagen in der Schweiz wäre der Ausstoss hundertmal kleiner als bei einem alten Kohlekraftwerk.

Der CO₂-Ausstoss hängt dabei wesentlich vom Typ der Geothermie-Stromerzeugung ab. Beim hydrothermalen Verfahren, bei dem unterirdisches, heisses Wasser hochgepumpt wird, dürfte dieser Ausstoss deutlich höher sein als beim petrothermalen Verfahren, bei dem zuerst Wasser in die Tiefe gepresst, dort erhitzt und anschliessend wieder nach oben befördert wird. Auch gibt es geschlossene Systeme wie bei einigen Geothermie-Kraftwerken in Deutschland, wo kein CO₂ in die Atmosphäre gelangt. Solche Systeme sind aber aufwändig und entsprechend teuer.

Kaum Emissionen in der Schweiz

Mögliche Geothermie-Kraftwerke in der Schweiz würden bezüglich des CO₂-Ausstosses «sehr gut» abschneiden. Das versichert Jürg Abbühl, Generalsekretär des Branchenverbands Geothermie Schweiz. Bei Anlagen zur Stromproduktion sei der Ausstoss hundertmal kleiner als bei einem alten Kohlekraftwerk. Das liege einerseits daran, dass der CO₂-Gehalt des Thermalwassers, das in der Schweiz vorkomme, tief sei. Andererseits würden in der Schweiz geschlossene Kreisläufe gebaut.

Gemäss einer Studie des Kompetenzzentrums für Technologiefolgen-Abschätzung TA Swiss ist bei geothermischen Anlagen in der Schweiz über den ganzen Lebenszyklus mit einer Belastung von 8 bis 46 Gramm CO₂ pro Kilowattstunde zu rechnen (siehe hier). So gesehen kann diese Form der Stromerzeugung bei uns als umweltfreundlich gelten – wenn sie denn einmal läuft.

Der Beitrag erschien zuerst im Schweizer Nebelspalter hier

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