„Mehr Fortschritt wagen“, lautet das Regierungsmotto. Energiepolitisch droht Rückschritt, auch durch Ignoranz gegenüber den Empfehlungen des IPCC. Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit, heißt es. Der Vorwurf, Politiker würden dies nicht tun und Realitäten nicht wahrnehmen, ist schon alt, aber oft richtig.

Als eine deutliche Mehrheit der Bundestagsabgeordneten im Jahr 2011 der Änderung des Atomgesetzes zustimmte und damit der Kernkraft in Deutschland für unabsehbar lange Zeit den Garaus machte, galt es als ausgemacht, dass die Stromlücke auch durch neue, moderne Kohlekraftwerke geschlossen werden sollte. Elf Jahre später soll der Ausstieg erledigt sein. Ob die Einzelheiten gründlich überlegt wurden, darf bezweifelt werden. Die Abschalttermine wurden jeweils zum Ende eines Jahres fixiert, also mitten in den Winter hinein, in die Saison des höchsten Stromverbrauchs. Zudem entfällt nicht nur die Stromproduktion, sondern aus den Kraftwerksstandorten werden Lastsenken, denn für den Abklingbetrieb in der Nachbetriebsphase wird erhebliche Leistung benötigt. Jedes der drei am Ende dieses Jahres abzuschaltenden Kernkraftwerke in Grundremmingen, Grohnde und Brokdorf wird für das Netz nun statt plus 1.400 Megawatt bereitzustellen minus 30 Megawatt benötigen, die woanders entstehen müssen. Diese neuen Verbraucher sind absolut stabil zu beliefern, weil die Nachzerfallswärme aus den Reaktoren sicher abgeführt werden muss.

Zu Einstiegen gibt es nichts Konkretes, von Gaskraftwerken ist die Rede, ohne konkrete Pläne zu haben. Kohlekraftwerke sind inzwischen Teufelszeug. Dabei haben sich die Bedingungen seit 2011 deutlich geändert. Wie war es damals? Soeben hatte es an der japanischen Ostküste einen furchtbaren Tsunami mit folgendem GAU an mehreren Kernkraftwerksblöcken gegeben, in Deutschland befand man sich auf dem Höhepunkt der Solareuphorie und die Dynamik des Zubaus an Wind-, Sonne- und Biomasseanlagen schien unaufhaltsam zu sein. Das Wüstenstromprojekt Desertec war in aller Munde, der Ölpreis war permanent am Steigen. Der „Peak-Oil“ war großes Thema, heute wird kein Termin mehr genannt. Frau Merkel war noch Klimakanzlerin und Obama grüner Präsident. Eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen im Jahr 2020 schienen genau so realistisch wie Glasfaserkabel für alle im selben Jahr. Die Anzahl der Beschäftigten in der Ökoindustrie hatte ihren Höhepunkt erreicht und schien gesichert weiter zu steigen – das Platzen der Solar-Subventionsblase stand dem dann entgegen.

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