Corona legt auch den Irrweg der deutschen Energiewende schonungslos offen. Losgelöst vom Bedarf verteuert Ökostrom das System. Der krisenbedingt gesunkene Verbrauch trifft auf erratische, subventionierte und verpflichtende Einspeisung. Es beschert uns einen Blick in die Zukunft unseres Energiesystems. Von Frank Hennig und Dr.-Ing. Detlef Ahlborn.
Zweiundfünfzig – 52 Prozent! So groß ist der Anteil der von Januar bis März 2020 gelieferten Produktion der „Erneuerbaren“ am Gesamtstromaufkommen. Am 21. April speisten Wind- und Solaranlagen den Rekordwert von 58,5 Gigawatt Strom ein (was einen kritischen Blick auf die installierte Leistung von 115,5 GW wirft. Warum kommt bei optimalem Wetter nicht mehr heraus?).
Wie immer, wenn die medialen Jubelperser einen Anlass suchen und finden, der deutschen Energiewende zu huldigen, greifen sie zu Durchschnittszahlen. Die naturgesetzlich notwendige Gleichzeitigkeit von Stromproduktion und –verbrauch kann man damit umgehen und auch die Tatsache, dass wir dieses erforderliche Gleichgewicht inzwischen nicht mehr im Griff haben. Bereits heute – vor Atom- und Kohleausstieg – sind wir bezüglich der Sicherheit unseres Netzbetriebes vom Ausland abhängig. Mit schöner Regelmäßigkeit flutet der deutsche Schönwetter-Ökostrom das europäische Netz, wonach sich bei Einbruch der Dunkelheit – wenn Menschen den Luxus elektrischer Beleuchtung in Anspruch nehmen – die Stromflussrichtung umkehrt und wir zum bedürftigen Importeur werden. Der Monat April 2020 legte dies schonungslos offen:

Ganz offensichtlich fallen große Exportmengen und niedrige Börsenpreise mit hohen Leistungen aus Wind- und Solarenergie zeitlich zusammen, bei geringer Produktion muss Strom importiert werden. Dieser Zwangsexport ist nötig, um die Netzstabilität zu erhalten. Das führt bei der besonderen, kaum speicherbaren Ware Strom zum Irrsinn des Entsorgens von Strom gegen eine Gebühr. Im Energiewende-Neusprech heißt diese Gebühr Negativpreis. Neu und auffallend sind längere Zeiträume durchgehenden Imports, was offenlegt, dass unsere Netzsicherheit inzwischen maßgeblich von unseren Nachbarn gewährleistet wird.

Gegen Gebühr entsorgte Strommenge (Megawattstunden) und volkswirtschaftliche Kosten für die Monate Januar bis April 2020
Mit der von Januar bis April verschenkten Strommenge ließe sich die Stadt Hamburg acht Monate lang mit Strom versorgen. Der gleiche Strom, der für 107,4 Millionen Euro entsorgt werden musste, wurde den Produzenten aufgrund von gesetzlich garantierten Einspeisevergütungen mit 976,9 Millionen Euro bezahlt. Die Stromverbraucher zahlen beides: Produktion und Entsorgung des „Ökostroms“, allein in diesem Jahr bisher fast 1,1 Milliarden Euro. Dieser Betrag entspricht dem Hochschul-Budget des Landes Rheinland Pfalz.
Eine weitergehende Erläuterung der Zusammenhänge, bezogen auf das erste Quartal 2020, findet sich hier. Der lange Jahre übliche Vorwurf, wir sollten weniger Strom exportieren, um Emissionen zu senken, ist bereits gegenstandslos geworden. Unser Exportstrom ist heute überwiegend Ökostrom, wie an dieser Korrelation erkennbar ist.

Die heilige grüne Einfalt beklagt in einer Gebetsmühle die angebliche Unflexibilität der konventionellen Stromerzeuger, ohne zu erwähnen, dass ein Mindestbetrieb dieser Anlagen technisch notwendig ist, um Systemdienstleistungen (Frequenzhaltung / Spannungshaltung) zu erbringen und damit das Netz zu sichern. Die gepriesenen „Erneuerbaren“ könnten es technisch ohnehin nur eingeschränkt tun, sie werden aber regulativ dazu nicht animiert. Wie auf diesem Weg die Öko-Vollstromversorgung gelingen soll, ist ein regierungsamtliches Geheimnis. Den bejubelten 52 Prozent volatiler Einspeisung stehen genau null Prozent Systemverantwortung gegenüber.
Die Situation könnte auch mit einer gewissen Realitätsferne der Entscheider zu tun haben. Wirtschaftsminister Altmaier antwortete nach dem Kabinettsbeschluss zum Kohleausstieg im Januar auf eine Frage zum Thema Versorgungssicherheit, dass man künftig weniger exportieren werde. Dies ist bereits jetzt der Fall, ganz ohne abgeschlossenen Atom- und begonnenen Kohleausstieg. Hinzu kommt die Import-Notwendigkeit. Nur gut, dass unsere Nachbarländer nicht auch ihre Stromsysteme nach deutschem Muster in Grund und Boden fahren.Frau Andreae, Cheflobbyistin und Geschäftsführerin des inzwischen politisch ergrünten BDEW (Bundesverband der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft) vergießt indessen Krokodilstränen über den stockenden weiteren Ausbau von Zufalls-Stromproduzenten. Rein rechnerisch wäre nach den Wende-Konzepten natürlich der weitere exzessive, sogar beschleunigte Ausbau der instabilen Erneuerbaren nötig. Eine Studie des Übertragungsnetzbetreibers TransnetBW nennt die Randbedingungen zum Erreichen der klimapolitischen Ziele bis 2050: Bei Zunahme der Stromnachfrage um 50 Prozent eine drei- bis vierfache Erhöhung der installierten Leistung Wind und Solar, zudem reiche der Netzentwicklungsplan 2030 nicht aus.
So hätte die Einspeisung im Monat April 2020 ausgesehen, wenn wir hypothetisch die dreifachen Kapazitäten der Wind- und Solarstromerzeugung bereits hätten:

Stromerzeugung und Verbrauch bei verdreifachten Wind- und Solarkapazitäten
Erkennbar ist, dass uns beim Ausgleich dieser extremen Schwankungen dann auch die Nachbarn nicht mehr helfen könnten. Jeder Zubau solcher Kapazitäten verschärft das Entsorgungsproblem und dennoch bleiben wir zeitweise auf Import angewiesen. Große Stromspeicher finden derzeit nur in Szenarien statt, Power-to-Gas in Pilotanlagenmaßstab ohne Aussicht auf Wirtschaftlichkeit. Selbst Optimisten halten den Grünen Wasserstoff nicht vor 2030 für wirksam. Unterdessen bauen Windanlagenhersteller Arbeitsplätze ab, Vestas 400, Enercon in Magdeburg 143. Die Realitäten zeigen, dass jegliche Subventionswirtschaft befristet ist.
Dringend nötig wäre ohnehin ein Ausbaumoratorium der volatilen Einspeiser, um die Netzfrequenz zu beherrschen. Der maßgebende Parameter für die Energiewende sind nicht x-Millionen Tonnen vermiedenen Kohlendioxids, sondern es ist die 50- Hertz-Netzfrequenz.
In diesen Krisenzeiten irrlichtern die Grünen auf der Suche nach medialer Aufmerksamkeit mit schrägen Vorschlägen durch das Land. Kurz vor dem Ruin stehende Hotel- und Gastronomiebetriebe sollen ihre Heizungen erneuern, deutsche Kernkraftwerke sollen sofort abgeschaltet werden (weil Revisionen im Schutzanzug zu gefährlich sind) und im Bundestag fordern sie die Regierung auf – Pandemie hin oder her – den „weltweiten Atomausstieg voran zu bringen“. National will man mit einer Absenkung der EEG-Umlage punkten. Um satte fünf Cent pro Kilowattstunde (ausgehend von 6,756 plus Mehrwertsteuer) soll entlastet werden, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Man verweist darauf, dass dann Elektroautos, Wärmepumpen und Wasserstoff-Anwendungen wirtschaftlicher würden. Auch dies ein Zeichen wahrlich überbordender Wirtschaftskompetenz der Grünen. Wenn eine Umlage durch Steuergeld oder Geld aus einer CO2-Abgabe ersetzt wird, macht dies die Technologie nicht wirtschaftlicher.Künftig werden diejenigen Länder wirtschaftlich erfolgreich sein, die Zugang zu ausreichender und preiswerter Energie haben. Davon verabschieden wir uns zusehends. Der April 2020 war ein Rekordmonat im negativen Sinne, ein Offenbarungseid und ein Pyrrhussieg. Der Überproduktion, die nicht gebraucht, sondern teuer entsorgt werden muss, steht Mangel gegenüber, der teuer ausgeglichen werden muss. In einer Strombilanz reicht es nicht aus, nur Durchschnittswerte zu betrachten.

Der Dorfteich war im Durchschnitt nur einen halben Meter tief. Aber die Kuh ist trotzdem ertrunken. Nicht zu 52, sondern zu 100 Prozent.


Dr.-Ing. Detlef Ahlborn ist Maschinenbau-Ingenieur, angewandter Mathematiker und 2. Vorsitzender der Bundesinitiative Vernunftkraft e.V. Dort leitet er den Arbeitsbereich Technik.
Der Beitrag erschien zuerst auf TE hier

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