Im Dezember 1938 entdeckte ein Forscherteam um den deutschen Chemiker Otto Hahn die Spaltung des Atomkerns. Bis dahin galt es als fait accompli, dass chemische Elemente wie Sauerstoff, Gold oder Schwefel in alle Ewigkeit genau das bleiben, was sie sind, nämlich Sauerstoff, Gold oder Schwefel. Gut, ihre Erscheinungsform mag sich ändern – Sauerstoff in der Luft beispielsweise ist etwas anderes als der im H2O, aber das ist nur eine Spielerei der Elektronen. In seinem Wesenskern, in seinem Atomkern, bleibt der Sauerstoff das, was er schon immer war.

Nun aber hatten die Forscher beobachtet, wie sich das schwere Metall Uran in andere Elemente verwandeln konnte, etwa in das leichtere Metall Barium und das Edelgas Krypton.

Als wäre das nicht schon der Sensation genug, so hatte man auch beobachtet, dass dabei das Millionenfache der Energie frei wird, die bei der Verbrennung von Kohle entsteht.

 

Die nukleare „Slot Machine“

Diese Spaltung des Atomkerns passiert allerdings nicht spontan. Man muss ihn dazu mit Neutronen beschießen; das sind die kleinen Teilchen, die ihrerseits Bausteine des Kerns sind. Woher soll man die nehmen? Wie es der Zufall will bleiben bei der Spaltung nun genau einige dieser Teilchen übrig, so zwei bis drei Stück jedes Mal. Die könnte man doch verwenden, um weitere Kerne zu spalten, oder?

Das wäre wie die ideale Slot Machine: Sie stecken oben eine Münze rein, und unten kommen jedes Mal zwei bis drei raus – garantiert. Die brauchen Sie jetzt nur wieder oben reinzuwerfen, und in kürzester Zeit sind Sie Millionär. Wenn Sie das nur schnell genug machen, dann gibt es eine regelrechte Geldexplosion. Und wenn man das mit dem Uran so machen würde, dann …

Langsam. Die Slot Machine schluckt nämlich nur 1-Euro-Geldstücke, spuckt den Gewinn aber auch in Form der geschmackvollen 2-Euro-Münzen aus. Da ist die Kettenreaktion dann schnell unterbrochen. Was jetzt? Sie holen Ihren besten Freund mit ins Team und schicken ihn mit einem Sack voller Zweier zum Wechseln in die Bank. Die Bank macht das ungern und nimmt hohe Kommission, und auch der Freund, dem Sie bislang blind vertraut hatten, verliert auf mysteriöse Weise bei jedem Trip zur Bank eine stattliche Summe.

Sie haben jetzt alle Hände voll zu tun, um überhaupt liquide zu bleiben. Aber Sie sind ja geschickt und motiviert, und  nach einiger Zeit haben Sie ein System, mit dem Sie die Maschine kontinuierlich mit Cash versorgen. Sie haben das erreicht, was die Atom-Ingenieure „Criticality“ nennen.

 

Ein nützlicher Moderator

In der Welt des Atoms sind die 2 Euro Münzen die schnellen Neutronen: Sie sind nützlich, aber irgendwie doch nicht. Die bei der Spaltung erzeugten Neutronen sind zu schnell, um weitere Kerne spalten zu können. Man muss sie abbremsen,  gewissermaßen erst zur Bank schicken, um sie weiter im  Prozess einzusetzen. Nichts leichter als das sagen Sie? Man kann Autos ja auch abbremsen, indem man diese Bodenschwellen quer über die Straße legt.

Nun gibt es viele Materialien, durch die man die Neutronen schicken kann, um sie abzubremsen. Das Problem ist, dass sie dann oft nicht mehr rauskommen. Sie werden absorbiert. Das wäre dann eine Bank, die 100% Kommission nimmt. Ein brauchbares Bremsmaterial, das noch Neutronen durchkommen lässt  – von den Fachleuten „Moderator“ genannt – ist beispielsweise Graphit, eine Variante des Kohlenstoffs.

 

Wettlauf der Genies

Jetzt wissen Sie mehr, als die Physiker 1938 wussten. Oben sind drei von ihnen abgebildet, zwei davon gute Freunde, etwa gleichaltrig. Bald würden sie sich, durch Politik entzweit, einen erbitterten, historischen Wettlauf liefern.

Der mit der hellen Jacke ist Werner Heisenberg, links neben ihm der Italiener Enrico Fermi, beide Jahrgang 1901. Denken Sie sich noch Albert Einstein als Gottvater dazu, dann haben Sie die heilige Dreifaltigkeit der Physik des 20. Jahrhunderts. Von Heisenberg stammt die Unschärferelation, von Fermi die Kernphysik und von Einstein die Relativitätstheorie. Ja, diese Auswahl der Götter mag willkürlich sein, etwa so als sollte man die drei besten Opernkomponisten aufzählen. Wen außer Wagner sollte man da noch nennen? Verdi und Puccini? Und was ist mit Rossini und Mozart?

Mekka der Physik war damals die Universität Göttingen, heute im akademischen World Ranking auf Platz 197. Dort hatte eine eingeschworene Gemeinschaft die nötige kritische Masse an Intelligenz, um die anspruchsvollsten Fragen zu lösen, die der Menschheit von der Schöpfung an den Kopf geworfen werden. Im Gegenstrom zu dieser internationalen intellektuellen Elite bewegte sich die deutsche Politik. Im Monat, in dem die einen die Kernspaltung entdeckten, organisierten die anderen die „Reichskristallnacht“. Und ein Jahr später tobte der Weltkrieg.

Die jüdischen Forscher emigrierten, meist in die USA. Wer alles das Land verließ, wäre die falsche Frage. Es waren die meisten. Unter denen, die blieben, war Werner Heisenberg. Er liebte sein Vaterland – er war Nationalist aber kein Sozialist – und er lehnte die Nazis ab. Fermi, mit einer Jüdin verheiratet, ging nach Amerika, ebenso Einstein und Oppenheimer.

 

Krieg und Physik

Es lag nahe, die gigantischen Energien, die mit der Kernspaltung verfügbar waren, nicht nur zivil, sondern auch militärisch einzusetzen. Für die nach Amerika emigrierten Physiker war es eine apokalyptische Vorstellung, dass Hitler in den Besitz von Atomwaffen kommen könnte. Eine nicht unrealistische Befürchtung, denn immerhin war deutsche Technologie damals ihrer Zeit voraus. Man entwickelte gerade die V2, die erste ballistische Mittelstreckenrakete, und den ersten „Düsenjäger“, die Me262.

Die einzige Antwort auf die nukleare Bedrohung war aus amerikanischer Sicht der Bau eigener Bomben. So schickten die emigrierten Forscher im August 1939 einen von Einstein signierten Brief an Präsident Roosevelt, der den Anstoß zum „Manhattan Project“ gab, dem amerikanischen Nuklearprogramm.

Zu dieser Zeit hatte man zwar die Vorstellung von nuklearen Kettenreaktionen, man hatte sie aber noch nie technisch realisiert. Dazu begann man nun mit dem Bau einer entsprechenden Maschine, einem „Kernreaktor“. Fermi leitete das Projekt. Man berechnete die notwendigen Dimensionen – ohne Computer, nur mit Papier, Bleistift und Rechenschieber – und kam dann zu einem Gebilde aus 50 Tonnen Uran und 300 Tonnen Graphit. Im Dezember 1942 fand in diesem Apparat dann die erste von Menschen gemachte nukleare Kettenreaktion statt. Es war der Beginn des „Atomzeitalters“.

 

Groves und Oppenheimer

Von einer Bombe war man aber noch Lichtjahre entfernt. Es war so, als hätten die Gebrüder Wright gerade den ersten Hüpfer über 100 Meter mit ihrem Flieger aus Holz, Leinwand und Draht vollbracht, und jetzt sollte eine Flotte strategischer B52-Langstreckenbomber gebaut werden.

Den Amerikanern gelang es. Bis zu 130.000 Menschen arbeiteten im Manhattan Project, die meisten ohne zu wissen, was sie da taten. Die Führung hatte ein ungleiches Paar inne: Robert Oppenheimer und Leslie Groves. Letzterer ein hemdsärmeliger Generalmayor und Ingenieur, ersterer der Innbegriff des sensiblen, asketischen Wissenschaftlers. Zusammen waren die beiden unschlagbar. Groves machte „Oppi“ einmal das Kompliment: Mit dem Kerl kann man sich über alles unterhalten – außer Sport. Gesprächsthemen, die Oppenheimer an Groves vermisst hat sind nicht überliefert.

Wie das Manhattan Project ausging wissen Sie: Sechs Jahre nach Einsteins Brief an Roosevelt explodierten die Atombomben über Japan – die ersten und bislang letzten in kriegerischem Einsatz.

 

Die deutsche Bombe

Trotz Emigration der intellektuellen Elite hatte Deutschland nach 1939 noch Gelehrte, die an Atomphysik interessiert waren und auch kompetent genug, um anspruchsvolle Forschung durchzuführen. Und auch sie versuchten, ihre „Uranmaschine“ zu bauen, eine Vorrichtung für nukleare Kettenreaktionen.

Heisenberg war die natürliche Autorität unter ihnen, hatte aber schlechte Karten bei den Nazis, nachdem er die Physik des Juden Einstein in seinen Vorlesungen verbreitet hatte. Es gab noch ein anderes Problem für ihn: Er war kein Experimentalphysiker. Er konnte die wildesten Gleichungen entwickeln und in sieben Dimensionen gleichzeitig denken, war aber kein Spezialist, wenn es darum ging Maschinen zu konstruieren.

Das wusste er selbst und holte sich einen gewissen Robert Döpel ins Team, um mit seiner Hilfe einen Reaktor zu bauen. Anders als die Amerikaner setzte man zum Abbremsen der Neutronen so-genanntes „schweres Wasser“ ein. Das kommt in der Natur vor: Pro Tonne normalen Wassers gibt es 100 Gramm davon. In einem Prozess, der enorm viel Elektrizität verbraucht kann das separiert werden. In Norwegen, das von der Wehrmacht besetzt war, stand so eine Anlage direkt neben einem hydraulischen Kraftwerk. Hier beschlagnahmte das Militär das schwere Wasser, wobei Kommandos der Alliierten und Norweger immer wieder heldenhafte Sabotage verübten – sie ahnten, was man mit dem Zeug vor-hatte.

 

Plutonium

Der Bau eines Reaktors, einer Uranmaschine, war zunächst nur ein „Proof of Concept“ der nuklearen Kettenreaktion, die Maschine selbst war keine Bombe. Eine Vorrichtung mit vielen Tonnen schweren Wassers und Uran kann von keinem Flugzeug abgeworfen werden. Und auch physikalische Gründe sprechen dagegen.

Aber wie es der Zufall will, so bildet sich beim Betrieb so eines Reaktors ein Material, welches auch ohne Moderator eine sehr schnelle Kettenreaktion ermöglicht: Plutonium. Sowohl in Deutschland wie auch in den USA hatte man das erkannt und man würde diesen Weg zum Bau der Bombe verfolgen – (wobei die Amis, sozusagen als zweite Option, die Herstellung hoch angereicherten Urans verfolgten; aber das ist eine andere Geschichte). Man versuchte also Reaktoren zu bauen, um in ihnen Plutonium zu produzieren.

Die von Heisenberg und seinem Team 1942 in einem Dresdener Labor gebaute Maschine aus Uran und schwerem Wasser brachte dann zwar eine Vermehrung der eingestrahlten Neutronen, unterhielt aber keine selbsttragende Kettenreaktion. Sie war ein Flop. Um den befürchteten alliierten Luftangriffen zu entgehen, zog man für weitere Experimente dann von Dresden nach Haigerloch in die erwähnte Schwäbischen Alb. Aber auch dort gelang es nie, eine funktionierende Uranmaschine zu bauen – kein Reaktor, kein Plutonium, keine Bombe.

 

Berlin ist nicht Manhattan

Das deutsche Atomprogramm war von Anfang an durch Zwietracht geprägt. Heisenbergs Gegenspieler – und Favorit der Nazis – war der Kernphysiker Kurt Diebner, der ein eigenes Programm leitete.  Aber auch abgesehen von politischer Polarisierung gingen verschiedene Forschungsgruppen eigene Wege. Die Institute waren kleine Königreiche. Es gab, ganz im Gegensatz zur USA, kein gemeinsames Management.

Die Wehrmacht finanzierte die Forschung, die Bombe stand aber nie ganz oben auf ihrer Wunschliste. Und auch die deutschen Wissenschaftler werden sich gefragt haben, was wohl ihr eigenes Schicksal wäre, wenn sie gigantische Mengen an strategischen Ressourcen für ihr Projekt beanspruchten, am Ende aber mit leeren Händen dastünden. Sie wollten ihre Existenz nicht auf eine einsatzfähige Atombombe verwetten.

Anfang 1942 entschied Albert Speer, der Rüstungsminister, dass eine eventuelle deutsche Atombombe auf jeden Fall zu spät käme, um den Ausgang des Krieges zu beeinflussen. Er stoppte die Arbeit daran, befürwortete aber Entwicklungen zur Erzeugung von Energie.

Es ist schwer vorstellbar, dass niemand in den USA vom Scheitern des deutschen Bombenprogramms wusste. Wie auch immer – falls Leslie Groves davon wusste, so hat er das Geheimnis jedenfalls für sich behalten, sein Manhattan Project hat er nicht gestoppt.  Der Besitz der Bombe versprach Amerika ja auch strategische Vorteile für die Zeit nach dem Ende des Krieges und die Oberhand bei der Schlacht im Pazifik.

Als die amerikanischen Truppen dann im April 1945 in die Labors in Haigerloch eindrangen, überzeugt von der technologischen Überlegenheit Deutschlands, da schallte ihnen gewissermaßen homerisches Gelächter entgegen. Es war so, als hätten sie riesige Bunker voller B52-Bomber erwartet und stattdessen stießen sie in einer Garage auf einen nicht flugtüchtigen Hängegleiter.

 

Wiedersehen in Farm Hall

Die zehn führenden deutschen Atomforscher wurden gegen Ende des Krieges gefangen genommen und in England auf dem Landsitz Farm Hall gemeinsam interniert. Die Männer, die sich in Deutschland aus dem Weg gegangen waren, fanden sich jetzt bei den britischen „Gastgebern“ vereint unter einem Dach. Was für eine Ironie des Schicksals.

Der britische Geheimdienst belauschte ihre Gespräche durch versteckte Mikrofone und spielte ihnen am 6. August 1945 die Radiobotschaft der BBC über den Abwurf der Hiroshima-Bombe zu. Diese Nachricht traf die Forscher selbst wie eine Bombe, und es ergab sich das folgende Gespräch:

Otto Hahn (Nobelpreisträger, Entdecker der Kernspaltung):„Eine außerordentlich komplizierte Sache … Wenn die Amerikaner die Uran-Bombe haben, dann seid ihr alle zweitklassig. Armer alter Heisenberg.“

Werner Heisenberg:„Haben sie das Wort Uran in Zusammenhang mit dieser Atombombe gebraucht?“

Otto Hahn: „Nein.“

Werner Heisenberg:„Dann hat es mit Atomen nichts zu tun.“

Es war wohl das einzige Mal, dass Heisenberg, Begründer der Quantenphysik, als zweitklassig betitelt wurde, aber Otto Hahn, damals 66, hat sich das dem 44-Jährigen gegenüber erlaubt.

Der Wortwechsel lässt vermuten, dass Heisenberg, und damit die deutschen Forscher überhaupt, zu der Überzeugung gelangt waren, der Bau einer Bombe sei unmöglich. Und ihre Einstellung wird gewesen sein, „Wenn wir es nicht können, dann können es die Amerikaner erst recht nicht.“ Während die Amerikaner dachten: „Wenn wir es für möglich halten, dann haben es die Deutschen schon gemacht.“

Es gab später viel Diskussion, ob die Physiker in Deutschland vielleicht das Ganze heimlich boykottiert hätten. Carl Friedrich von Weizsäcker, Bruder des ehemaligen Bundespräsidenten und guter Freund Heisenbergs vertrat diese Sicht der Dinge. Das wäre allerdings wenig vereinbar mit einem angeblichen Patent Weizsäckers in Sachen Plutoniumbombe.

https://www.welt.de/kultur/article121016703/Weizsaecker-und-sein-geheimes-Atombomben-Patent.html

Freunde und ich hatten in den 60ern als junge Studenten Kontakt zu einem damals in Farm Hall internierten Forscher. Er war jetzt Universitätsprofessor in Kiel und leitete den Bau des ersten deutschen atomgetriebenen Schiffs. Der ließ keinen Zweifel daran, dass kein Fünkchen Wahrheit an der Heisenberg & Co in den Mund gelegten Behauptung sei: „Wir hätten die Bombe bauen können, haben es aber aus ethischen Gründen verhindert.“

Man konnte es einfach nicht, man konnte nicht einmal einen Reaktor zum Laufen bringen.

 

Beim Rückblick auf diese Zeit drängt sich eine Frage auf

Wie kam Deutschland, ein Land mit solch brillanten Geistern, zu einer solch barbarischen Regierung? Wieso haben die intellektuellen Eliten, die Dichter und Denker zugelassen, dass Top-Universitäten, Rundfunk und Presse zu willfährigen Propagandaanstalten der Politik degradiert wurden?

Edmund Burke, der irische Philosoph und Zeitgenosse Goethes, hat eine Antwort:

Damit das Böse triumphiert, müssen die Guten nur tatenlos zusehen.

Das ist wohl eine zeitlose Feststellung.

Dieser Artikel erschien zuerst bei

www.think-again.org

und im Buch

https://think-again.org/product/grun-und-dumm/

 

 

 

image_pdfBeitrag als PDF speichernimage_printBeitrag drucken