Das von beiden Einrichtungen erarbeitete Konzept ist nach Einschätzung des Autors ebenso revolutionär wie radikal und werde in der Energiewelt zu einem Machtkampf führen. Als Heilsweg wird dabei die Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch vorgeschlagen: Werde gerade mehr Strom produziert als gebraucht wird, so solle sein Preis deutlich sinken. Große Abnehmer sollen so dazu gebracht werden, mehr zu verbrauchen. Fabriken könnten zum Beispiel die Produktion erhöhen, große Kühlhäuser stärker kühlen. In Zeiten, in denen mehr Strom gebraucht wird als gerade verfügbar ist, sollen die Preise dagegen deutlich steigen. Verbraucher sollen so dazu gebracht werden, sich zu bescheiden.
 
EE-Fortschritt: In Zukunft soll unser Leben wieder den Zufällen von Wind und Wetter unterworfen werden
Das Bild rechts wurde von der SPON Website übernommen

Drei Hebel für die Steuerung des Strompreises

Durch Vernetzung und Kommunikation, so das Fazit, sollen sowohl Erzeugung – bevorzugt durch EE-Quellen – als auch Verbraucher sich kurzfristig auf wechselnde Strompreise einstellen. Als zentrale Hebel sieht man die EEG-Umlage, die Netzentgelte und den Kraft-Wärme-Kopplungsbonus, den Kraftwerke dann erhalten, wenn sie die Abwärme ihrer Stromproduktion ins Wärmenetz einspeisen. Der Vorschlag dieser „Wissenschaftler“ sieht nun vor, alle drei Umlagen zu Zeiten eines Stromüberangebots zu senken, um dadurch den Strom deutlich billiger zu machen, im umgekehrten Fall dagegen zu steigern, d.h. den Strom deutlich teurer zu machen. Schon heute, so ihr Argument, gebe es in Deutschland eine Reihe „wetterfühliger Fabriken“. Künftig solle diese Technik zum Standard werden.
 
Abb. 1: Schöne neue Energiewelt: Schneller schweißen Jungs, gleich wird der Strom teurer

Fernab jeden Realitätsbezugs

Für jeden, der die Realitäten des Stromverbrauchs sowohl im Haushalt als auch im industriellen Bereich auch nur näherungsweise kennt, stellt sich die Frage, aus welcher Abteilung man denn heute solche „Wissenschaftler“ rekrutiert. Schon im Haushalt werden Strom, Heizung, Warmwasser und Licht dann gebraucht, wenn die Bewohner zuhause sind und es zum Tagesablauf passt. Den Bürgern vorschreiben zu wollen, sie sollten morgens ungewaschen zur Arbeit gehen, weil der Wind gerade nicht weht, zeugt geradezu von Infantilität. Auch werden Straßenbahn und Eisenbahn ihre Fahrpläne wohl kaum nach solchen Kriterien kurzfristig über den Haufen werfen. In der heutigen Zeit gibt es kaum eine Fabrik, die ihre Produktion einem wechselnden Stromaufkommen anpassen könnte, selbst Aluminiumhütten und Stahlwerke können höchstens kurzfristig mal die Produktion herunterfahren. Bei Ausfällen im Bereich mehrerer Stunden ist Schluss mit lustig, dann besteht die Gefahr, dass ihnen die Öfen einfrieren. Eine Steigerung ist dagegen faktisch unmöglich, da solche Produktionseinrichtungen ansonsten stets mit der maximal möglichen Auslastung gefahren werden, mehr Strom kann gar nicht in mehr Produktion umgesetzt werden. Moderne, computergesteuerte Fertigungsanlagen können ihre Produktion, die von ausgetüftelten Parametern, langfristigen Planungen, Transport- und Logistikketten sowie Markterfordernissen diktiert wird, sowieso nicht mal „so eben“ den Launen von Wind und Sonne anpassen. Der Vorschlag dieser angeblichen Wissenschaftler ist so unsinnig, dass jedem, der moderne Fabriken und ihre Abläufe kennt, schlicht die Worte fehlen, um den hinter solchen Vorschlägen steckenden Grad an Ignoranz noch mit halbwegs höflichen Worten zu beschreiben. Ebenso könnte man vorschlagen, die zeitlich bis ins kleinste Detail durchoptimierten Abläufe in einem modernen Containerhafen wieder an das Timing von Teeklippern anzupassen, die auf See mal wieder in eine Flaute geraten sind. Oder einer werdenden Mutter raten, die Wehen doch bis nächste Woche aufzuschieben….
Fred F. Mueller
[SPIE] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/energiewende-so-koennte-der-strommarkt-der-zukunft-aussehen-a-1017164.html
(1) Stefan Schultz Vita
Jahrgang 1980, studierte Medienkultur, Politik und Britische Literatur in Hamburg und Lissabon (M.A.). Praktika und freie Mitarbeit bei „Hamburger Abendblatt Online“, „Prinz“, „Hamburg LIVE“ und der portugiesischen Tageszeitung „24 Horas“. Entwicklungsredakteur und Crossmedia-Beauftragter für die Print- und TV-Ausgabe von „Deutschland International“. Seit 2007 Volontär bei SPIEGEL ONLINE. Seit 2008 Redakteur im Ressort Wirtschaft, Spezialgebiete: Energie, IT-Wirtschaft und China. Kurzkorrespondenz in San Francisco (2009) und New York (2010). Ernst-Schneider-Preis für Online-Journalisten (2011). Dreimonatiges Journalisten-Stipendium in China (2012).

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