Dies ist auch die Erwartungshaltung der Bundesregierung an die von ihr getroffenen Entscheidungen. Denn die vier Leitthesen des Bürgerdialogs zur Energiewende spiegeln diese Aussichten wieder.  In der Zeit vom 11.07. bis zum 25.08.2011 war es auf dem durch das Bundesforschungsministerium betriebenen Portal für jeden möglich, seine Meinung zu diesen Fragestellungen zu äußern:
    •    These 1 (“Speicher und Netze”): Ich trage den Ausbau der Energieinfrastruktur mit, auch wenn es bedeutet, dass in meiner Umgebung neue Stromleitungen oder Energiespeicher gebaut werden müssen.
    •    These 2 (“Brückentechnologien”): Ich halte Investitionen in neue Gas- und Kohletechnologie für notwendig, auch wenn dadurch die Klimaschutzziele in Deutschland nicht vollständig erreicht werden.
    •    These 3 (“Erneuerbare Energien”): Ich bin bereit, höhere Strompreise (ca. 3 -6 % pro Jahr bis 2020) zu zahlen, um den Ausbau der erneuerbaren Energietechnologien zu fördern.
    •    These 4 (“Energieeffizienz”): Ich halte Maßnahmen zum Energiesparen für sinnvoll, auch wenn sie mich in meinem persönlichen Lebensstil einschränken.
Neben einer formalisierten Bewertung dieser Aussagen in dem Raster “vollständige Zustimmung”, “teilweise Zustimmung”, “neutral”, “teilweise Ablehnung” und “vollständige Ablehnung” gab es auch noch die Möglichkeit, seine Haltung mit einem kurzen Kommentar zu erläutern. Unser Autor Quentin Quencher hat in mühevoller Kleinarbeit (für die ihm an dieser Stelle großer Dank und große Anerkennung auszusprechen sind) alle diese Kommentare inhaltlich ausgewertet. Es waren 2.450. Es kann leider nicht festgestellt werden, wieviele Bürger sich an dieser Befragung wirklich beteiligt haben. Eine ganze Reihe Nutzer hat alle vier Thesen kommentiert, andere haben sich nur bei einzelnen zu Wort gemeldet. Da man auch anonym schreiben durfte, können Mehrfachkommentierungen durch einzelne Personen nicht ausgeschlossen werden. Repräsentativ ist das Meinungsbild des Bürgerdialogs natürlich auch nicht. Aber es mag für die Bundesregierung eine interessante und unerwartete Erfahrung darstellen, was insgesamt zum Ausdruck gebracht wurde.

Abbildung 1: Bewertung der Leitthesen
Abbildung 1 zeigt die weit überwiegende Ablehnung der vier Thesen (die Zahlen in der Beschriftung auf der x-Achse stehen für die Gesamtzahl an Wertungen, die für die jeweilige These abgegeben wurden).   Besonders deutlich ist die Abneigung gegen eine Subventionierung der NIEs ausgeprägt.
Die These zu den Brückentechnologien verlangt eine differenzierte Betrachtung. Denn hier wird die weitere und intensivere Nutzung der Energieträger Kohle und Gas als kontraproduktiv zu den deutschen Klimaschutzbemühungen dargestellt. Was ja auch richtig ist. Da mir beispielsweise der Klimaschutz völlig gleichgültig ist, habe ich “vollständige Zustimmung” ausgewählt. Viele andere Kommentatoren haben die These allerdings genau deswegen negiert, weil sie ihre Ablehnung von Maßnahmen zur Emissionsreduzierung zum Ausdruck bringen wollten. Eine Opposition gegen Kohle- und Gaskraftwerke kann und darf man also aus diesem Antwortverhalten nicht ableiten. Durch die Fragestellung hat man es vielmehr geschafft, Klimaskeptiker, Klimaalarmisten und diejenigen, die ihre Zustimmung zur Kernkraft verdeutlichen wollten, zu einem identischen Abstimmungsverhalten anzuregen.
Betreffend These 4 ist festzuhalten, daß “Effizienzsteigerung” und “Sparen” (im Sinne der Fragestellung) nicht dasselbe sind. Dieser Irrtum wurde in sehr vielen Beiträgen thematisiert. Die überwiegende Ablehnung bezieht sich daher eindeutig auf das Sparen, das mit einer “Einschränkung des persönlichen Lebensstils” verbunden ist.
Die Nutzer des Onlinedialogs akzeptieren also die zu erwartenden Folgen der Energiewende mit großer Mehrheit nicht. Wenn man daraus Widerspruch gegen die Energiewende insgesamt ableitet, liegt man nicht falsch (Abbildung 2).


Abbildung 2: Haltung zur Energiewende insgesamt
Quentin hat alle 2.450 Kommentare daraufhin durchgearbeitet, ob man aus dem Geschriebenen die Haltung zur Energiewende insgesamt erkennen kann oder nicht. Und das Resultat ist klar und deutlich. In 62% der Kommentare werden die jüngst getroffenen Entscheidungen der Bundesregierung abgelehnt.
Es stellt sich die Frage, ob denn auch die Befürworter der Energiewende deren negative Folgen verstanden haben. Ja, sie haben (Abbildung 3). Aber sie sind bereit, diese in Kauf zu nehmen. Die Befürworter der Energiewende sind also willens, flächenverbrauchende Infrastrukturen in ihrer unmittelbaren Lebensumwelt hinzunehmen, sie akzeptieren, erheblich mehr für Strom zu bezahlen zu müssen um den Ausbau der NIEs aus eigener Tasche zu finanzieren und sie sind richtig scharf darauf, sich durch Energiesparen in ihrem persönlichen Lebensstil einzuschränken. Man kann erwarten, daß das BMBF exakt diese Botschaft in den Energiedialog hineininterpretieren wird. “Energiedialog zeigt: Bürger mit den Auswirkungen der Energiewende einverstanden” – so oder so ähnlich könnte der Tenor der offiziellen Kommunikation lauten.


Abbildung 3: Die Haltung der Befürworter
Es war eben nicht Ansinnen der Bundesregierung, durch den Bürgerdialog Zustimmung oder Ablehnung zur Energiewende insgesamt, oder auch zu einzelnen Themen wie Klimaschutz und Kernenergie in Erfahrung zu bringen. Es ging allein um die Fragestellungen, die sich innerhalb des durch die Energiewende mit beschleunigtem Ausstieg aus der Kernenergie gesetzten Rahmens stellen. Man hat die Online-Plattform also unter der Annahme gestaltet, die Bürger wären ohnehin in großer Mehrheit für den bereits gesetzlich festgelegten Umbau unserer Stromversorgung. Wichtig ist, sich zu verdeutlichen, daß dieser Umbau in Wahrheit schon lange vor Fukushima beschlossen wurde. Das Modell des Jahres 2010, das eine moderate Laufzeitverlängerung der Kernenergienutzung von 12 Jahren, einen schnellen Ausstieg aus der Verstromung von Braunkohle und Gas sowie eine erhebliche Reduzierung des Strombedarfes und eine Ausweitung der Importe vorsah, zeigt Abbildung 4. Schon damals war die Resonanz auf diese Pläne eher wenig enthusiastisch.
 

Abbildung 4: Das Energiekonzept des Jahres 2010
 
Nun hat man durch den Störfall in Japan die Chance bekommen, dieses Konzept erneut offensiv zu vermarkten, lediglich geändert durch die Vertauschung der Rollen von Kernkraft und fossilen Energieträgern. Und wieder zeigt sich: Begeisterung für diese Pläne ist kaum zu wecken. Die Befürworter der Energiewende argumentieren auch im Online-Dialog überwiegend nicht getrieben von der Aussicht auf technische und ökonomische Verbesserungen. Sondern getrieben von der Angst vor Klimakatastrophen und Radioaktivität. Die zeigt sich in ihrer Ablehnung von Kohle- und Gaskraftwerken (These “Brückentechnologien”). Strom aus Kernkraftwerken darf in ihrer Weltsicht nicht nur nicht genutzt, er darf auch nicht durch Strom aus fossilen Quellen ersetzt werden. Sie halten es für geboten, zu verzichten.
Wie sehr Furcht die Basis für die Befürworter der Energiewende darstellt, zeigt sich auch in der Abwesenheit von Ideen zur Behebung der ihr innewohnenden Probleme. Gerade mal drei Vorschläge finden sich in nachweisbarer Größenordnung in den Kommentaren (Abbildung 5). Vom “Smart Grid” erwartet man eine Verringerung der erforderlichen Produktionskapazitäten, von den “dezentralen Netzen” einen größeren Wettbewerb, der zu einem geringeren Kostenanstieg beiträgt. Und als einzige Innovation im Bereich der NIEs wird “Windgas” genannt, womit die Erzeugung von Wasserstoff oder Methan als Zwischenspeicher durch den von Windanlagen produzierten überschüssigen Strom in Zeiten geringeren Bedarfs gemeint ist.

Abbildung 5: Lösungsvorschläge in den Kommentaren
In deutlich mehr Kommentaren hingegen wurde die Kernenergie verteidigt. Hier sind sowohl diejenigen eingerechnet, die die gegenwärtige Technologie weiter nutzen wollen, als auch diejenigen, die sich von Kernkraftwerken der kommenden Generationen und insbesondere von einem neuen, auf Thorium basierendem Brennstoffkreislauf, erhebliche Vorteile versprechen.
Der Bürgerdialog wurde genutzt, um Fragen zu beantworten, die nicht gestellt wurden. Die Nutzer haben ihre Ablehnung der Energiewende und ihre Befürwortung der Kernenergie sehr deutlich artikuliert. Wer nun erwartet hatte, die Macher der Online-Plattform hätten dies in der nun begonnenen zweiten Phase berücksichtigt, wurde enttäuscht. Nun sollen nicht mehr die Risiken, sondern die Chancen und Möglichkeiten diskutiert werden und bei den vorgegebenen Ideen wurde das Ergebnis der ersten Phase schlicht ignoriert.
Es nützt nichts. Einmal mehr agieren die befragten Bürger anders, als von der Bundesregierung intendiert. Mit “Kostenverteilung nach Verursacherprinzip“, “neue Reaktoren“, “AKW Laufzeit verlängern” und “Subventionen abschaffen” erhalten vier von Bürgern zusätzlich eingebrachte Vorschläge derzeit den meisten Zuspruch. Vorschläge, durch deren Umsetzung die Energiewende verhindert würde.
Dr. Peter Heller; zuerst erschienen auf Science Sceptical hier

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