Vorgeschichte und maßgebende Versäumnisse der MSWI Studie

Die Gutachter haben es sich mit der Sichtung von über 1200  Veröffentlichungen nicht leicht gemacht. Davon wurden 166 kurz im Text zitiert, aber nur die drei des US-amerikanischen Neurobiologen Alec Salt /2/ ausführlich besprochen. Es handelt sich um den experimentellen Nachweis, dass die äußeren Haarzellen im Innenohr Druckwellen im IS-Bereich in elektrische Signale wandeln können. Damit bewies Salt die  Wahrnehmbarkeit des IS unterhalb der Hörschwelle. Man muss den Autoren der MSWI danken, dass sie dieser Arbeit so viel Raum einräumten, obwohl sie wissen mussten, dass  damit das Standardargument, IS sei unschädlich, da unhörbar, falsifiziert worden war.

Nur einer einzigen weiteren Beobachtung gaben die Gutachter vergleichbares Gewicht. Sie betonten immer wieder, dass als besonders belästigend  Tonhaltigkeit im IS-Bereich und Pegelschwankungen im tieffrequenten Hörbereich empfunden würden. Dabei lägen die Modulationsfrequenzen dieser Schwankungen (nicht die Frequenzen der Seitenbänder!) im Bereich um 1Hz, also ebenfalls im IS-Bereich. Nicht unwichtig sind auch die Hinweise, dass Personen, die in ländlichen Gegenden wohnen, die älter sind oder die langzeitlich von IS belastet wurden, von diesen Beschwerden besonders betroffen seien.

Eine systematische Dokumentation der Häufigkeit der im Zusammenhang mit IS berichteten Beschwerden wird man in der MSWI nicht finden. Erwähnt  werden Schlafstörungen als Leitsymptom, Kopfschmerzen, Angstgefühle, Schwindel- und Unbehaglichkeitsempfindungen, Auswirkungen auf Konzentration und Reaktionszeit, auf  Nervensystem und Gleichgewichtsorgane und insbesondere Depressionen, als nichtmentale Beeinträchtigungen auch Herz- und Kreislaufprobleme.  Die viel beachtete Arbeit der amerikanischen Kinderärztin N. Pearpont /3/ wird ignoriert. Diese zeigte in zehn Fallstudien, dass  ursprünglich gesunde Personen, die im Umkreis von Windrädern wohnten, nach deren Inbetriebnahme so stark  unter psychischen Störungen gelitten hätten, dass sie zusammen mit ihren Familien den Wohnsitz wechseln mussten. Danach wären die betreffenden Krankheitsbilder verschwunden. Es mag sein, dass die Beweiskraft der von Pearpont angewandten Methode nicht allzu hoch ist, aber eine ähnliche schlagen auch die Autoren der MSWI für weiterführende Studien vor.

Alle psychischen Dysfunktionen, die in der MSWI als auch in Pearponts Arbeit  aufgelistet wurden, sind seit jeher bei  Föhn beobachtet worden (s. Tab. 1). Aber erst vor 10 Jahren konnte die Münchner Meteorologin E. Wanka /4/ praktisch unwiderlegbar nachweisen, dass schmalbandiger IS das Vehikel ist, mit dem Föhn auf den menschlichen Organismus einwirkt. Diese Übereinstimmung mit den in der

Autor

MWSI /1/

Pearpont /3/

Faust /6/

Wanka /5/

Jahr

2014

2009

1976

2003

IS-Quelle

Beliebig

Windrad

(Wetter)

Föhn/Wetter

Frequenz (Hz)

0.1 – 10

0.1 – 10

0.001 – 0.1

0.001 – 0.1

Symptome

Schlafstörungen,

Tinnitus

Schlafstörungen,

Tinnitus

Schlafstörungen

Kopfschmerzen,

Unbehaglichkeit

Kopfschmerzen,

Übelkeit

Kopfschmerzen

Kopfschmerzen,

Migräne, Phantom-

Schmerzen

Konzentrations-

Schwächen

Konzentrations-,

Gedächtnis- und

Lernschwächen

Konzentrations- und

Gedächtnis-

Schwächen

Angst, Depression

Angst, Panik,

Depression

Nervosität, Angst,

depressive

Stimmung, Suizid

Psychiatrische Störung,

Suizidversuch, Suizid

Reizbarkeit, Zorn

Aggression

Herz- und Kreis-

Laufprobleme

Herzrasen

Herz- und Kreislauf-

Probleme

Herz- und Kreislauf-

Probleme

Tab. 1: Vergleichende Auflistung der Symptome, die in der MSWI /1/ und in den Veröffentlichungen von Pearpont /3/, Faust /5/ und Wanka /6/ mit Infraschall in Verbindung gebracht werden.

MSWI zitierten Ergebnissen ist sehr bemerkenswert. Weiterhin ist Wankas Arbeit zu entnehmen, dass sehr breitbandiger IS, also Rauschen, keine solche Wirkung hat. Man kann daraus folgern – soweit ging Wanka allerdings nicht – dass das Signal-Rausch-Verhältnis der eigentliche, bisher verborgene Parameter ist, zu dem die beobachteten Beschwerden korreliert sind. Mit dieser Hypothese kann auch die in der MSWI erwähnte besondere Sensibilität der ländlichen Bevölkerung erklärt werden: dort ist der Pegel des von (verkehrs-)technischen Einrichtungen emittierten IS-Rauschens niedrig, daher wird  bei vorgegebener Signalamplitude das Signal-Rausch-Verhältnis entsprechend größer. Bekannt ist auch, dass nach Oberbayern Zugezogene erst nach etwa 10 Jahren föhnempfindlich werden – ebenfalls eine Analogie zu der in der MSWI erwähnten  Sensibilisierung mit der Dauer der IS-Belastung.

Das experimentum crucis von Wanka

Insgesamt gleichen die Wirkungen und Wirkmechanismen des föhngenerierten IS denen des windradgenerierten so sehr, dass es nicht einsichtig ist, warum in der MSWI die statistisch gut abgesicherten Ergebnisse der Föhnstdien nicht berücksichtigt wurden. Formal erklärt dies die  Beschränkung der MSWI auf den Frequenzbereich 0,1 – 20 Hz. Wetterbedingte IS-Resonanzen werden aber eher im Bereich 0,001 – 0,1 Hz beobachtet. In diesen beiden Teilbereichen des IS werden die von den Haarzellen in elektrische Wellen transformierten Druckwellen dem Zentralhirn durch das Nervensystem zugeleitet .  Die Frequenzanalyse  im Hörbereich ist komplizierter und  stellt so ein charakteristisches  Merkmal bereit, das den IS-Bereich vom Hörbereich bei menschlichen Organismen  abgrenzt. Trotzdem wird in der MSWI immer wieder versucht, Vorstellungen, die sich im Hörbereich bewährt haben, auf das Problem der Gesundheitsgefährdung durch IS zu übertragen. So geht man dort  davon aus, dass höhere Frequenzanteile zu den bekannten Belästigungen führen und  dass der Beitrag des IS auf eine Herabsetzung  der Hörschwelle bei einigen Personen beschränkt ist. Damit jedoch bleibt unverständlich, warum breitbandiger IS  (Rauschen) unschädlich, schmalbandiger aber schädlich ist.

Wesentlich plausibler scheint eine Hypothese zu sein, deren Bruchstücke vor allem im Internet zu finden sind und die die Bedeutung des IS für die Evolution unterstreicht. Sie lässt sich mit folgender Wirkungskette skizzieren: Erzeugung von IS durch die Schrittfolge eines Feindes – Wahrnehmung durch die äußeren Haarzellen oder das Gleichgewichtsorgan –  Interpretation durch das Zentralnervensystem als Bedrohung –  Schlaflosigkeit (besser erhöhte Wachsamkeit und Aufmerksamkeit) – Fight orflight bzw. Aggression oder Depression. Im Laufe der Evolution hat erst diese Art der Wahrnehmung den Fluchttieren das Überleben ermöglicht. Allgemein gilt, dass einfach strukturierte Signale, die sich mit großem aber konstantem  Zeitabstand wiederholen, vom Zentralnervensystem als Bedrohung interpretiert werden. So haben vom IS um den Schlaf Gebrachte den Eindruck, Einbrecher seien im Hause /3/. Im weiteren Sinne fällt unter dieser Kategorie die Unüberhörbarkeit der akustischen Warnsignale von Polizei-, Feuerwehr- und Rettungsdienstfahrzeugen, die Unübersehbarkeit der optischen Blinksignale bei Baustellen, Bahnübergängen und Leuchttürmen sowie die Unerträglichkeit eines tropfenden Wasserhahnes.   

Der MSWI sind quantitative Zusammenhänge zwischen IS-Pegel und Häufigkeit bestimmter Beschwerden nicht zu entnehmen. Trotzdem haben die Gutachter für die Dimensionierung von Experimenten, die diese Kenntnisse liefern sollen, präzise Vorstellungen. Die vorgeschlagene Zahl von Probanden ist jedoch viel zu klein, um Beschwerden außer Schlaflosigkeit und vielleicht noch Tinnitus nachzuweisen. Ein Blick in Wankas Diplomarbeit /5/ hätte geholfen. Auch ihr gelang es  nicht, durch Befragungen von  30 Probanden Korrelationen zwischen föhngeneriertem IS und Kopfschmerzen signifikant nachzuweisen. Erst mit ca. 1,5 Millionen Probanden, den Einwohnern von München und Umgebung, gelang ihr in einem natürlichen Experiment der Beweis, dass mit Föhn verknüpfter IS in München maximal eine Verdreifachung der durch Suizid, Suizidversuch oder psychische Störungen bedingten täglichen Rettungsdiensteinsätze bewirkt. Danach wären solche Folgen schwerster Depressionen bei ca. 0,1% des Bevölkerungsanteils, der windradgeneriertem IS ausgesetzt würde, zu erwarten. Da zumindest Suizid nicht als zumutbare Belästigung eingestuft werden kann, sollte dieser  Zahlenwert den Umfang der in der MSWI geplanten Stichproben bestimmen.

Obwohl alles darauf hinweist, dass das Phänomen der Gesundheitsgefährdung durch IS mit herkömmliche Theorien nicht erklärbar ist, wird im letzten Abschnitt der MSWI empfohlen, die Vorstellungen, die der TA Lärm und der DIN 45680 zugrunde liegen, mit minimalen Änderungen in die Neufassung dieser DIN-Vorschrift zu übernehmen. Etwas salopp ausgedrückt besagen diese Vorstellungen, solange IS nicht die Ohren betäubt und das Trommelfell zerreißt, sei er gesundheitlich unbedenklich. Darauf weist insbesondere die vorgesehene Streichung der Berücksichtigung einer Tonhaltigkeit hin sowie die Versuche, die Belästigungspotentiale von tieffrequentem Hörschall und von IS  gemeinsam durch eine Ein-Zahl-Bewertung zu charakterisieren.

Abschließende Bewertung der MSWI Studie

Die MSWI hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Mit der Betonung der Wahrnehmbarkeit des IS weit unterhalb der Hörschwelle und der besonderen Wirksamkeit schmalbandiger IS-Signale stellt sie den Stand der Wissenschaft angemessen dar, soweit es sich um Wirkungsmechanismen handelt. Ebenfalls zeigt sie, dass die Ausbreitung des IS nicht prognostizierbar sei. Dagegen werden wesentliche  Veröffentlichungen über die gesundheitsschädigenden Wirkungen des IS ignoriert. Als machbar  wird  eine Befragung vorgeschlagen, die mit Sicherheit schwere Gesundheitsstörungen nicht erfassen wird. Abschließend wird dem Gesetzgeber ohne hinreichende Begründung bescheinigt, dass  geringfügige Anpassungen der geltenden Schallschutzverordnungen genügen würden, IS-Immissionen angemessen zu bewerten. Die sich zwingend ergebenden Konsequenzen werden verschwiegen: der bisherigen Genehmigungspraxis für WEA-Standorte sind nachträglich  die Grundlagen entzogen worden und  Planungen für geeignete Standorte sind nicht mehr möglich.               

Es  wäre naiv, dem Bundesumweltamt zu unterstellen, es wäre sich der Brisanz, aber auch der Mängel der MSWI nicht bewusst gewesen. Man erkennt dies am Fazit, das offensichtlich nicht die sachliche Handschrift der Gutachter trägt. Es lautet:

 Eine nachhaltige Konfliktbewältigung erfordert eine ganzheitliche Beurteilung, die Festlegung von Grenzwerten sowie standardisierte und genormte Prognoseverfahren. Pauschale Ansätze, die eine Prognosesituation mit dem Ziel einer Konfliktbewältigung einseitig überschätzen wie beispielsweise die Festlegung von Mindestabständen, erscheinen ohne fundierte wissenschaftliche Kenntnisse über die Wirkmechanismen als nicht sachgerecht.

Dieses Fazit wird der Bedeutung der MSWI in keiner Weise gerecht.  Die Behauptung, es gäbe keine fundierten Kenntnisse über dieWirkmechanismen ist grob irreführend und steht im Widerspruch zum Inhalt der MSWI. Die Festlegung von Mindestabständen steht sowieso nicht mehr auf der  Agenda, da, wie auch in der MSWI festgestellt wurde, die Ausbreitung von Infraschall nicht prognostizierbar ist. Die Verwendung des Begriffes  nachhaltige Konfliktbewältigung soll wohl suggerieren, dass die Bewertung der Ergebnisse der Studie im gesellschaftlichen Konsens erfolgen müsse, was hieße, das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit könne Gegenstand eines Interessenaus-gleiches sein. Sachgerecht  wäre der Nachweis der gesundheitlichen Unschädlichkeit von windradgeneriertem IS, den der Verursacher zu erbringen hätte. 

Die Umweltämter des Bundes und der Länder haben jahrelang die Öffentlichkeit und die aufsichtsführenden Ministerien mit der These, windradgenerierter Infraschall sei gesundheitlich unbedenklich, da unhörbar, in die Irre geführt. Von dieser These hat es sich das BUA jetzt  klammheimlich verabschiedet. Trotzdem sieht es keinen Anlass, den forcierten Ausbau der Energiegewinnung aus Windkraft in Frage zu stellen. Dabei wird nach meiner Ansicht eine stetig zunehmende Gesundheitsgefährdung vieler Bürger in Kauf genommen. Die vorgeschlagenen Feldstudien besitzen allenfalls eine Alibifunktion. Sie werden bestätigen, dass windradgenerierter Infraschall Schlafstörungen bewirkt, wobei man wahrscheinlich versuchen wird, diese als zumutbare Belästigungen einzustufen – in Guantanamo zählte Schlafentzug als hochwirksame Foltermethode. Die Auslegung jedoch wurde so bemessen, dass die wesentlich schwerwiegenderen Folgereaktionen  vermutlich unterhalb der Nachweisschwelle verbleiben werden.

Literatur:

/1/ Krahe, D., Schreckenberg, D., Ebner, F., Eulitz, C., Möhler, U.,  Machbarkeitsstudie zu Wirkungen des Infraschalls , (2014), www.umweltbundesamt.de (PDF) 
/2/ Salt, A.N. andHullar, T.E., Responses oftheeartolowfrequencysounds, infrasoundand windturbines, Hearing Research, (268) 12- 21 (2010) 
/3/ Pearpont, N., Wind turbinesyndrome, K-selected Books (2009)
/4/ Wanka, R. and P. Höppe, Human biometeorologicalrelevanceoflowfrequencyair
pressureoscillations,
Meteorologische Zeitschrift, 14, 279 -284 (2005)
/5/ Wanka, R., Messung und Analyse niederfrequenter Luftdruckschwankungen in München, Diplomarbeit LMU München (2003)
/6/ Faust, V. Biometeorologie, Hippokrates Verlag, Stuttgart (1976)

*Anschrift: Dr. Joachim Schlüter, Hohlenweg 8, 79410 Badenweiler, e-mail: schlueter-j@gmx.de

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