von Klaus-Dieter Humpich
Hin und wieder empfiehlt es sich, mal einen Blick auf seine „kleinen“ Nachbarn zu werfen. Dies gilt ganz besonders für die, die glauben immer voran gehen zu können – sonst könnten die irgendwann feststellen, daß sie ganz allein dastehen, umzingelt von Andersdenkenden. Tschechien war und ist Kohlenland. Zwar ist der Primärenergie-Anteil nach dem Zusammenbruch des Ostblocks schon deutlich geringer geworden (1990–63,2%, 2020–30,3%), aber immer noch sehr hoch. Im Ostblock war Tschechien sogar Nettoexporteur. Der Energieverbrauch an Kohle betrug 2019 rund 14 Mtoe (Millionen Tonnen Öläquivalent), von dem etwa 74% für Wärme und Stromerzeugung eingesetzt wurden. Der Anteil an Steinkohle an der inländischen Förderung ist nur noch gering und soll bis 2023 vollständig auslaufen. Bei Braunkohle sieht es noch anders aus: Die Jahresproduktion betrug 2020 über 31 Millionen Tonnen. Die laufenden Tagebaue verfügen noch über Reserven von knapp 600 Mto. Allerdings kommt der Bergbau auch in Tschechien an seine wirtschaftlichen Grenzen und die Kohleimporte nehmen stetig zu. Der Löwenanteil wird – wie in Deutschland auch – in elektrische Energie umgewandelt. Eine Besonderheit ist, daß jährlich 2 bis 3 Millionen Tonnen Braunkohle für die Gebäudeheizung verwendet werden – überwiegend in Fernwärmenetzen in den Städten – und nur in geringem Umfang als Brikett in ländlichen Regionen.
Der Druck aus Brüssel
Braunkohle ist ein heimischer Energieträger, der dem Staat sogar noch direkte Einnahmen über Royalties und indirekte über die Arbeitsplätze verschafft. Brüssel nimmt nun diese Industrie auf mehreren Wegen in die Zange:
- Durch den Emissionshandel ETS verteuert sich der heimische Energieträger Braunkohle rapide gegenüber dem importierten Erdgas (aus Russland).
- Die strengen Abgasvorschriften der EU für Kraftwerke zwingen Tschechien zu einem teueren Nachrüstungsprogramm oder sogar zur Schließung der Kraftwerke. So sollen bis 2023 knapp 1,6 GW Braunkohle-Kraftwerke vom Netz gehen. Das sind etwa 14% der Gesamtleistung. Konsequenz ist, daß der Kohlestrom schon 2025 nur noch 25% und ab 2030 wahrscheinlich nur noch 12,5% betragen soll. Eine enorme Bürde für ein so kleines Land mit seiner leidvollen Geschichte.
Die sozialen Verwerfungen der „Großen Transformation“ werden gewaltig sein. Wie weltfremd und absurd Brüssel dabei vorgeht, zeigt sich z. B. an den zu erwartenden Heizkostensteigerungen in den sozialen Brennpunkten der Großstädte: Man unterwirft die Heizkraftwerke der vollen ETS-Abgabe, während Individual-Heizungen davon befreit bleiben – wehe wenn Zentralismus und „Sozialpolitik“ aufeinander treffen. Die Zeche zahlen nicht nur die Mieter in den Plattenbausiedlungen, sondern letztlich auch noch die Natur, denn Kraft-Wärme-Kopplung ist einer der umweltfreundlichsten Formen der Heizung. Immerhin werden ungefähr die Hälfte der Bevölkerung durch Fernwärme versorgt.
Die Alternativen
Tschechien hat 10,7 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 79 000 km2. 75% der Einwohner leben in Städten. „Bioenergie“ kann deshalb keine Alternative, bestenfalls eine Ergänzung sein. Offshore-Wind geht in einem Binnenstaat auch nicht. Mit Sonnenenergie ein Industrieland in solch nördlichen Breiten versorgen zu wollen ist absurd. Die totale Abhängigkeit von russischem Erdgas will auch keiner, die Verschandelung der Höhenzüge mit Windmühlen geht mangels Platz und fehlender Speicher auch nicht. Es bleibt also nur mit voller Kraft voraus ins Kernenergiezeitalter. Keine neue Erkenntnis, die Bevölkerung war und ist immer positiv gegenüber Kernkraftwerken eingestellt. Daran hat dort auch keine Flutwelle im fernen Japan etwas ändern können.
Dukovani und Temelin
Tschechien besitzt die Kernkraftwerke Dukovani (vier Blöcke mit zusammen 2040 MW) und Temelin (zwei Blöcke mit zusammen 2250 MW). Die Reaktoren in Dukovani (VVER-440/213) gingen zwischen 1985 und 1987 ans Netz. Die Reaktoren in Temelin (VVER-1000/320) wurden 2002 und 2003 – also erst nach dem Zusammenbruch des Ostblocks – fertiggestellt. Bemerkenswert ist die Kontinuität im Bau von Kernkraftwerken über alle System-Brüche hinweg. Alle Reaktoren sind noch sowjetische Konstruktionen. Sie wurden aber auf westliche Sicherheitsstandards nachgerüstet bzw. durch Westinghouse zu Ende gebaut. Verständlich, daß man sich nach dem „Prager Frühling“ gegenüber Russland etwas distanziert verhält. 2020 produzierten diese Kraftwerke etwa 37,5% der elektrischen Energie bzw. 19,5% der Primärenergie.
Bemerkenswert ist die Versorgung mit Fernwärme für zwei Nachbarstädte von Temelin. Der Ausbau für die 26 km entfernte Stadt České Budějovice (100 000 Einwohner) ist in Arbeit. Der Ausbau der Fernwärme um den Standort Dukovani in Planung (Brno mit 380 000 Einwohnern, 40 km entfernt). Ein so konsequentes Bekenntnis für Kernenergie zur Gebäudeheizung findet man sonst nirgendwo (noch nicht) in Europa.
Die tschechischen Kernkraftwerke wurden nicht nur sicherheitstechnisch auf internationalen Standard nachgerüstet, sondern auch beständig modernisiert. So wurde die Leistung des Kraftwerks Dukovani bis 2021 um 12% auf 2040 MWel gesteigert. Ein ähnliches Programm für Temelin läuft noch. Das alles ist möglich, weil Tschechien über eine bemerkenswerte Forschungs- (3 Forschungsreaktoren) und Ausbildungskapazität verfügt. Skoda war schon im Ostblock ein angesehener Lieferant für Kraftwerkskomponenten.
Neubauprogramm
In den letzten Jahrzehnten wurde immer wieder der Ausbau befürwortet und Angebote eingeholt. 2015 wurde im Rahmen eines Langzeitprogramms für die kerntechnische Industrie der Zubau von drei Reaktoren an den alten Standorten genehmigt. Priorität hat Dukovani 5 als Ersatz für die vorhandenen Blöcke nach (bisher geplant) 60 Jahren Betriebszeit. Geplant ist der Baubeginn für 2029 und die Fertigstellung 2036. Aufgerufen sind nur Modelle mit nachgewiesener Betriebserfahrung. Favorisiert werden der französische EPR, der koreanische APR1400 und der AP1000 aus den USA. Die endgültige Entscheidung wird für den Herbst 2021 – nach den Parlamentswahlen – erwartet.
Die neu gegründete Zweckgesellschaft Elektrárna Dukovany II geht von Baukosten von 6 bis 7 Milliarden USD aus (5000–5833 USD/kWe ohne Finanzierungskosten). Die tschechische Regierung beschloss 2020, daß 70% der Investitionskosten durch einen staatlichen Kredit finanziert werden, der während der Bauzeit zinslos ist und nach Inbetriebnahme mit 2% verzinst wird. Darüberhinaus verabschiedete 2020 die tschechische Regierung ein Gesetz, das es dem Staat erlaubt, ein festes Kontingent (>100 MWel) für mindestens 30 Jahre vom Erzeuger abzukaufen. Diese Energiemenge wird über den Großhandel verkauft. Etwaige Verluste oder Gewinne werden über den Einzelhandelspreis umgelegt. Bei Lichte betrachtet, entspricht dieser Ansatz einer öffentlichen Investition – z. B. für eine Autobahn, einen Kanal etc. – die zu einem Festpreis (das Risiko von Kostensteigerungen während der Bauzeit geht voll zu Lasten des Lieferanten) vergeben wird und die Nutzung (Preis der kWh) meistbietend versteigert wird. Dies ist eine besonders intelligente Lösung, wenn man bedenkt, daß Temelin z. B. nur 60 km von der deutschen und 50 km von der österreichischen Grenze entfernt ist. Diese beiden Länder können sich gern bei Dunkelflaute Strom in Tschechien (zu hohen Preisen wegen der Nachfrage) ersteigern, der „Profit“ kommt dann unmittelbar dem tschechischen Stromkunden zu gute. Energiepolitik einmal ohne Ideologie, dafür aber clever. Sie ist nicht gegen die eigene Bevölkerung gerichtet. Anders als z. B. in Deutschland, wo alle Risiken über das EEG von der Allgemeinheit (den Stromkunden) voll getragen werden müssen, die Gewinne aber ausschließlich garantiert in die Taschen der Sonnen- und Windbarone fließen.
Tschechien geht aber auch mit der Zeit. Frühzeitig wurden Kooperationen für Small Modular Reactors (SMR) mit GE Hitachi (300 MWel Siedewasserreaktor), NuScale (77 MWel Druckwasser-Module) und Rolls-Royce (477 MWel Leichtwasserreaktor) geschlossen. Kleine Reaktoren können für die Kraft-Wärme-Kopplung und die Industrie eine sinnvolle Ergänzung darstellen. Außerdem kann sich die heimische Industrie (Skoda) besser in die Lieferketten einbringen. Der Eigenanteil könnte wesentlich höher sein.
Konsequenzen für Deutschland
Man kann die Ausbaupläne mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten. In Deutschland werden die Strom- und Heizkosten weiter explodieren – die momentanen Preissteigerungen bei Erdgas sind nur das Wetterleuchten. Wer auf Wind und Sonne zur Energieversorgung setzt, setzt in Wirklichkeit auf Erdgas, wenn er aus Kohle und Kernenergie aussteigt. Immer, wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint (ausgerechnet im Winter bis zu 16 h täglich) müssen die Erdgaskraftwerke ran. Wasserstoff aus der Nordsee oder Batterien sind in diesem Sinne reines Schlangenöl. Die Bayern können sich glücklich schätzen, wenn Tschechien vor ihrer Tür neue Kernkraftwerke baut. Teurer Strom ist immer noch besser, als gar kein Strom. Teuer wird er werden, denn der Preis richtet sich immer nach Angebot und Nachfrage, nicht nach den Produktionskosten. Warum sollte Tschechien auch Mitleid mit Deutschland haben? Der ein oder andere Deutsche kann vielleicht sogar als Gastarbeiter über die Grenze gehen, wenn er entsprechend qualifiziert ist. Glückliches Bayern, mit Rindviechern und Biobauern.
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Ich denke erst nach dem ersten langandauernden deutschlandweiten Blackout wird vielen ein Licht aufgehen.
Je länger erdauert, umso heller wird dieses Licht strahlen.
Es muss wohl erst immer alles vollkommen bis zum bitteren Ende ausgekostet werden, bis sich wieder vernünftige Menschen in diesem unseren Land durchsetzen.
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Das wäre schon sehr verwunderlich, wenn sich Tschechen nach grün-verdummten Deutschen richten. Während des Prager Frühlings sind die 68er in die Tschechoslowakei gereist, um die Tschechen von den Vorzügen des Sozialismus zu überzeugen. Ähnlich „schlau“ wie jene 68er, die die Massenmörder PolPot und Mao besuchten und bewunderten. Die Tschechen, die hofften, dem Sowjet-Sozialismus zu entrinnen, haben die irren deutschen 68er betrachtet wie Aliens aus einer fernen Galaxie. Soweit die (west)deutschen Irren. Heute betreiben die Nachfolger der 68er Grün- und Klima-Verdummung. Und auf EU-Ebene ruiniert eine unfähige Westdeutsche die ganze EU mit grünem Klima-Wahn.
Es wird nicht lange dauern, und die Tschechen werden in Europa wieder führend sein. Und wie schon früher einmal mit der Schweiz verglichen werden und uns die lange Nase zeigen. Vielleicht sollten sie ihre Grenzen gut bewachen. Denn das grün-verdummte Deutschland braucht wieder Lebensraum – diesmal für Windräder…
Eines der beiden KKW’s in Temelin versorgt Wien mit Kernstrom, und das schon seit Temelin 2 ans Netz ging. Die Österreicher wollen keinen Kernstrom, aber warum kappen sie nicht einfach die Leitung hinüber nach Tschechien???
Am 28. Septemper 2010 hat Herr Dr. Lutz Niemann gepostet bei EIKE
Und nach 11 Jahren immer noch keine AKW Baustelle in Tschechien.
Jetzt im September 2021, nach 11 Jahre und 2 Tagen wird wieder was gebracht in EIKE das Tschechien ein AKW bauen möchte, wird das was ?
Bei der Ausschreibung war ein russischer Reaktor dabei, i.d.R. günstiger, da keine Dividende mit verdient werden muss. Das hat dem Grosskapital nicht gefallen, daher musste erst der Streit um eine Explosion in einem Munitionswerk vor vielen Jahren vom Zaun gebrochen werden, dass sinnentfernt den Russen in die Schuhe geschoben wurde. Nun ist Tschechien für Russland ein “ unfreundlicher Staat“ und im Gegenzug wurde Rosatom aus der Ausschreibung rausgeschmissen. Egal wer baut, die Börse gewinnt immer. Wahrscheinlich haben sich die Haupakteure schon beschlossen, wer die Ausschreibung gewinnt und sich mit den entsprechenden Aktien eingedeckt.
Solche Aktionen dauern nun mal, und haben mit der Nutzung von Atomenergie an sich nichts zu tun.
Einige Bundesländer wollten mit Sputnik 5 impfen und sogar produzieren. Nun raten Sie mal, warum das nicht stattfand sondern die mehrfach teureren Produkte verwendet werden?
Bei politischen Entscheidungen muss man immer untersuchen, nutzt es den Finanzmärkten oder nicht….
Herr Gert Friederichs,
Zeit ist doch heute der entscheidende Faktor bei der Wirtschaft und auch Privat.
Was macht mehr Sinn ?
20 Jahre auf den ersten Strom vom AKW warten?
Nach 20 Tagen von der PV-Anlage jeden Tag von ca. Sonnenaufgang bis ca. Sonnenuntergang PV-Strom zu bekommen ?
Eindeutig das AKW. Denn diese Technik ist verfügbar und wird ausserhalb Deutschlands inzwischen weiterentwickelt. Die für die „Erneuerbaren“ notwendige Speichertechnologie ist noch nicht einmal entwickelt, geschweige denn gebaut. Die notwendige Änderung der Netzreglung ist auch nicht in Sicht, zudem müsste diese in ganz Europa erfolgen. Und Sie glauben ernsthaft, dass das in 20 Jahren passiert sein wird?
Noch sinnvoller ist es natürlich, vorhandene AKWs abzuschalten, wenn man Wert auf eine CO2 – freie Stromerzeugung legt.
Lesen Sie mal den neusten Artikel über die Batterie-Stromstabilisierung in Australien Franki! Falls Sie des Lesens und Schreibens mächtig sind, bei Namen scheitern Sie schon komplett!
@ Marius Frank:
PV macht strom im Sommer in der Mittagszeit, im Winter kommt so gut wie nix. Schauen Sie doch mal am Abend aus dem Fenster, dann geht die Sonne unter.
Von PV-Fans habe ich schon gehört „wir werden dann im Winter mit Solarstrom heizen“. —- Na ja, dann man los.
„Nach 20 Tagen von der PV-Anlage jeden Tag von ca. Sonnenaufgang bis ca. Sonnenuntergang PV-Strom zu bekommen ?“
Spinner. Die ALDI- Dachanlage gleich um die Ecke mit ca. 6-700m² (geschätzt) brachte gestern mittag bisschen was über 7kW. nächsten Monat bei ähnlicher Witterung wirds noch die Hälfte sein. Bis Februar bleibt das auch bei bedecktem Himmel so.
Die knapp 130kW von Mitte Juni bei bestem Sonnenschein und -stand nützen Dir heute genau NICHTS.
OT
WINDRAD in Haltern am See eingestürzt.
https://www.welt.de/vermischtes/article234112658/Haltern-am-See-240-Meter-hohes-Windrad-knickt-einfach-ab-Millionenschaden.html
Glückliches Bayern??? Bis die Tschechen ihre Überschuss liefernden AKW lieferbereit haben, ist es nicht nur in Bayern, sondern wohl in ganz Deutschland schon länger ziemlich dunkel!
Es sollte mich wirklich wundern, wenn die in unserem Umweltministerium mal anfangen aufzuwachen und versuchen zu zaubern!