Die Schweizer Regierung will das Verbot für den Bau neuer Kernkraftwerke streichen. Damit bricht sie ein Tabu. Die Linken toben. Die Rechten frohlocken. Ob am Ende wirklich neue Meiler entstehen, steht in den Sternen.

Von Peter Panther

Der Bundesrat, die siebenköpfige Regierung der Schweiz, meint es ernst. Sie stellt den Antrag, dass in der Schweiz neue KKW grundsätzlich wieder möglich sein sollen. Seit 2017 ist der Neubau von Kernkraftwerken gesetzlich verboten. So hat es das Volk damals in einer Abstimmung beschlossen. Damit soll jetzt Schluss sein. Es brauche «Technologieoffenheit», lautet die Losung des Bundesrats.

Die Schweiz war bis jetzt punkto Kerntechnologie die kleine Verbündete von Deutschland. Während Deutschland nach dem Atomunfall in Fukushima nach und nach alle laufenden Reaktoren vom Netz nahm, liess die Schweiz (bis auf das kleine Werk in Mühleberg) alle KKWs am Netz, gleiste aber das Verbot für neue Werke auf. Doch jetzt gibt es eine Kehrtwende. Zumindest eine Kehrtwende der Regierung.

Die Linken und Grünen im Land speien Gift und Galle. Gegen den Willen des Volkes sei dieser Beschluss, werfen sie dem Bundesrat vor. Richtig ist, dass das KKW-Neubauverbot vor sieben Jahren nur einer von vielen Punkten im neuen Energiegesetz war, das damals an der Urne durchkam. Das Stimmvolk hat den Atomausstieg nie in einer separaten Vorlage gutgeheissen. Und bevor in der Schweiz neue Kernkraftwerke entstünden, könnte das Volk sowieso wieder dazu Stellung nehmen – sogar mehrmals.

Der gewiefte Energieminister Albert Rösti steht dahinter

Bei den bürgerlichen Parteien hingegen herrscht Jubelstimmung. Endlich, heisst es hier, habe die Regierung erkannt, dass das Land ein hohes Risiko eingehe, wenn es künftig bei der Stromproduktion neben Wasserkraft nur auf Sonne und Wind setze. Weil es an zuverlässigem Bandstrom fehle. Während die rechtskonservative SVP schon immer gegen das Atomverbot war, forderte in letzter Zeit auch die freisinnige FDP einen Richtungswechsel. Und zusammen haben diese beiden Parteien in der Regierung eine Mehrheit von vier Sitzen.

Das hatten sie allerdings seit 2015. Dass es nun geklappt hat mit dem Antrag, das Atomverbot zu streichen, gilt vor allem als Verdienst von Energieminister Albert Rösti. Der SVP-Mann – ein AKW-Befürworter durch und durch – kam vor zwei Jahren in den Bundesrat und gilt als gewiefter Taktiker. Seinem geschickten Vorgehen ist es wohl geschuldet, dass er seine Regierungskollegen von der Hinfälligkeit des Neubauverbots überzeugen konnte – oder zumindest eine Mehrheit davon.

Doch der Weg zu neuen Meilern in der Schweiz ist noch sehr lange. Zuerst muss das Parlament die Streichung des AKW-Verbots absegnen. Dieser Entscheid, das weiss man schon jetzt, steht auf der Kippe. Damit der Antrag durchgeht, sind SVP und FDP auf die Stimmen der Mitte-Partei angewiesen, früher Christlich-demokratische Volkspartei (CVP). Die Mitte ist aber die Partei der früheren Bundesrätin Doris Leuthard, die den Atomausstieg und die ökologische Energiewende in der Schweiz veranlasst und gesetzlich durchgesetzt hat. Mit diesem Erbe zu brechen, kommt für die meisten Mitte-Parlamentarier nicht in Frage. Aber einige Abweichler von der offiziellen Parteidoktrin genügen für ein Ja. Jede Stimme zählt.

In Umfragen steht es spitz auf spitz

Und am Ende wird garantiert das Volk über die Streichung des Neubauverbots entscheiden. Zwar ist die Vorlage nur dem fakultativen Referendum unterstellt, das heisst, es braucht 50’000 Unterschriften für eine Abstimmung. Aber diese bringen die Atomgegner locker zusammen, daran besteht kein Zweifel. Wie ein allfälliger Entscheid an der Urne ausgehen wird, ist ebenfalls offen. In Umfragen steht es spitz auf spitz.

Doch selbst wenn das gesetzliche Neubauverbot fallen würde, wäre damit noch längst kein Kernkraftwerk gebaut. Einerseits ist das Bewilligungsprozedere langfädig und zäh. Ohne klare Vereinfachung wird wohl jedes Bauprojekt im Dickicht der Einsprachen und Referenden steckenbleiben. Erst mit einer Straffung dieses Prozesses haben neue Atommeiler eine Chance. Aber dazu ist wieder ein Volksbeschluss notwendig.

Des Weiteren haben alle grossen Energieunternehmen der Schweiz klargemacht, dass sie an einem Neubau kein Interesse haben. Das erstaunt nicht, denn die Planungsrisiken sind enorm. Und die Bereitschaft, viele Milliarden Franken in ein Projekt zu investieren, das wohl frühestens nach einigen Jahrzehnten rentiert, fehlt in der Privatwirtschaft. Wie in anderen Ländern gilt: Ohne finanzielles Engagement des Staates gibt es keine neuen Kernkraftwerke. Aber damit die offizielle Schweiz allenfalls Geld für einen Neubau locker machen darf, bräuchte es wieder eine Volksabstimmung. Mit sehr ungewissem Ausgang.

Alles ist eine Frage des politischen Willens

Derweil dampfen die bestehenden Kernkraftwerke in Gösgen, Beznau und Leibstadt weiter vor sich hin. Sie sollen so lange am Netz bleiben, wie es die Sicherheit erlaubt, lautet die Devise in der Schweiz. Dieser Grundsatz ist mittlerweile von fast allen politischen Kräften anerkannt. Denn die Kernenergie leistet weiterhin über ein Drittel an die Stromversorgung des Landes. Das soll noch mehrere Jahrzehnte so bleiben. Was dann kommt, ist offen.

Und doch sind die bürgerlichen Kräfte in der Schweiz froh über den Atomentscheid der Regierung. Ohne das Neubauverbot könnte das Land rasch mit einem KKW-Projekt reagieren, wenn sich der geplante Ausbau des erneuerbaren Stroms als illusorisch herausstellen sollte. Oder wenn neue Typen von Reaktoren auf den Markt kommen. Oder wenn ein grosser Blackout Europa erschüttert und die öffentliche Meinung punkto Atom entscheidend verändert. Denn letztlich ist alles eine Frage des politischen Willens – auch, oder gerade in der KKW-Frage.

 

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