Mit ISAR II wird bald nicht nur das letzte Kernkraftwerk zerstört, sondern auf lange Zeit auch die Rückkehr zu eigener Kernenergie. Wenn das letzte Kernkraftwerk fällt, fällt die ganze Nukleartechnologie, und der Fadenriss ist komplett. Wer wird zur Verantwortung gezogen, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass der Atom-Ausstieg ein gigantischer Fehler war?

von Manfred Haferburg

Ich habe in meiner Berufslaufbahn als Sicherheitsexperte in mehr als 120 verschiedenen Kernkraftwerken weltweit gearbeitet. Das sind mehr als zwei Drittel aller existierenden Kernkraftwerke. Es gibt zwar 440 Reaktoren, jedoch sind sie oft in Mehrblockanlagen zu einem KKW zusammengefasst. Es waren ältere Anlagen, super gepflegt und in tadellosem Zustand dabei, es waren hochmoderne, teilweise noch im Bau befindliche Kraftwerke dabei, deren Konstruktion von den Ingenieuren so gut durchdacht war, dass man die Anlage geradezu als „schön“ bezeichnen konnte. Dazu gehören die Europäischen Druckwasserreaktoren (EPR) in Olkiluoto, Finnland und  die zwei EPRs in Taishan, China. Das sind die sichersten und leistungsstärksten Anlagen der Welt.

Ich hatte auch im bayerischen Kernkraftwerk ISAR II zu tun. Ich erinnere mich, wie faszinierend „schön“ diese Anlage war. Dazu muss ich wohl erklären, dass für einen Ingenieur der Begriff Schönheit durchaus technischer Art sein kann und als hochgradig optimierte, funktional perfekte und tadellos instandgehaltene Technik gesehen wird. Isar II, von der Konstruktion her der etwas ältere Bruder des EPR, gehörte für mich zweifelsfrei zur besten Handvoll von Kernkraftwerken der Welt. Der 1988 erbaute Reaktor der Baureihe „Konvoi“ war mit 1.500 Megawatt der zweitstärkste Block der Welt und stand 95 Prozent des Jahres für die Stromerzeugung zur Verfügung. Zum Vergleich, ein normales Windrad hat drei Megawatt und steht 25 Prozent zur Verfügung. ISAR II wurde zur Ausregelung der schwankenden Erneuerbaren eingesetzt, auch wenn Grüne unermüdlich behaupten, dass dies nicht möglich sei. ISAR konnte seine Leistung um 700 Megawatt schnell hoch- und runterregeln, wenn der Netzbetreiber das brauchte.

40 Jahre alt war ISAR II in einem Zustand, den ich als „besser als neu“ bezeichnen möchte. Durch ständige Nachrüstung stets dem Stand der Technik angepasst und von der 350-köpfigen Mannschaft liebevoll instandgehalten und gepflegt, könnte das Kraftwerk weitere 30 bis 40 Jahre sicher und ökonomisch betrieben werden. Die Investition war bezahlt inklusive der Rückstellungen für Rückbau und Endlagerung des Brennstoffs, so dass das Kraftwerk Strom zu Kosten von ca. drei Cent/Kilowattstunde erzeugen konnte. So wurde das Kraftwerk ISAR II zehnmal Erzeugungsweltmeister. Dieses eine Kraftwerk erzeugte 15 Prozent des gesamten bayerischen Stroms – bis energiepolitische Geisterfahrer seine Abschaltung verfügten. Noch Mitte des Jahres 2023 hatte der Betreiber der deutschen Regierung einen Weiterbetrieb zu einem Feststrompreis von sechs Cent/kWh für die Industrie angeboten, was von der Ampelregierung brüsk abgelehnt wurde. Der ehemalige Umweltminister Trittin soll dazu gesagt haben, dass er sich doch nicht den Atomausstieg kaputtmachen lassen würde.

Wie steht es heute um ISAR II?

Seit dem 15. April 2023 ist die Anlage stillgelegt  und soll nun zerstört werden. Die Anlage verkörpert einen wirtschaftlichen Wert von mehreren Milliarden Euro, die jetzt – ähnlich wie im modernen Kohlekraftwerk Moorburg – einfach so weggeworfen werden sollen. Das ist so ein Wahnsinn, dass mir, wenn ich mit meinen Kollegen spreche, die Tränen kommen. Ich frage mich oft, ob denn die Politiker keine Angst haben, eines Tages für diese ungeheuerliche Sabotage zur Verantwortung gezogen zu werden.

Die Netztrennung des Werkes ist nun fast ein Jahr her. Die Brennstäbe sind aus dem Reaktor ausgeladen, und ein paar warten noch im Abklingbecken darauf, in Castoren gesetzt und ins Zwischenlager transportiert zu werden. Der Betreiber wartet noch auf die Rückbaugenehmigung, die wahrscheinlich im März dieses Jahres erteilt wird.

Mit Erteilung der Rückbaugenehmigung würde allerdings die Betriebsgenehmigung des Kraftwerkes erlöschen. Zerstört wurde bisher an der Technik noch nichts, es steht alles noch so da, wie es beim Betrieb war. Nur die Dekontamination des Primärkreislaufes läuft in diesen Wochen. Das bedeutet, dass mittels einer Spülung mit Säure und Lauge Ablagerungen entfernt werden – ungefähr so etwas, wie das Entkalken einer Kaffeemaschine. Genauso wenig wie die Kaffeemaschine hinterher kaputt sein sollte, wird der Primärkreislauf des KKW hinterher nicht kaputt sein. Für eine Wiederinbetriebnahme würde sich allerdings dadurch der Prüf- und Instandhaltungsaufwand erhöhen.

Was macht das Personal von ISAR II?

Das Kraftwerk bereitet sich seit Jahren personalmäßig auf den Rückbau vor. Schließlich erfolgt diese große personelle Veränderung im Einvernehmen mit den Betroffenen. Einige gehen in den Vorruherstand, andere wechseln das Metier innerhalb des Kraftwerks oder gehen in andere Industriezweige. Zum ersten April wird mit dem letzten Schritt zum Interessenausgleich beim Abbau von Personal (Vorruhestand) eine deutliche Personalreduzierung umgesetzt. Dann steht nicht mehr ausreichend Personal für einen Leistungsbetrieb zur Verfügung.

Das ist ja nicht irgendein beliebiges Personal. Das sind Lizenzträger – z.B. Reaktorfahrer und Schichtleiter – so etwas wie Piloten und Flugkapitäne, die besten Technologen der Welt. Es dauert drei Jahre, um einen Reaktorfahrer zu lizensieren und fünf Jahre nach abgeschlossenem Studium, um Schichtleiter zu werden. Auch die Ausbildungseinrichtung dieser Experten, das Simulator Zentrum KSG/GfS in Essen, wird abgewickelt. Jedes deutsche KKW hatte seinen eigenen Vollsimulator, Wunderwerke der Technik, ich habe sie selbst mitgebaut. Die KSG/GfS wird zum Jahresende liquidiert, viele Ausbilder sind schon weg, so dass eine Ausbildung am Simulator zurzeit schon nicht mehr stattfinden kann.

Jetzt fällen sie den letzten Baum

Sie nannten es Fadenriss und haben systematisch viele Jahre daran gearbeitet. Sie haben die Kerntechnikforschung ausgetrocknet und die Lehrstühle für Kernenergetik durch Lehrstühle für Genderforschung ersetzt. Sie haben die Castortransporte von gebrauchtem Brennstoff verboten. Sie haben die Wiederaufbereitung von abgebranntem Uran, das noch 95 Prozent seiner Energie enthält, verboten. Sie haben die Kernenergie-Industrie, welche einst die besten und sichersten Kernkraftwerke herstellen konnte, vergrault und aus dem Land getrieben. Sie haben alle einflussreichen Posten in Ministerien und Behörden mit erbitterten Kernenergiegegnern besetzt. Sie haben die Betreiber der Kernkraftwerke mit Bürokratie zur Verzweiflung getrieben. Sie haben die Betreiber sogar unter Bruch der Verfassung enteignet. Zum Schluss haben sie sogar die Stromerzeugung aus Kernenergie verboten.

Um die Leute hinter die Fichte zu führen, hat eine gut geölte Propagandamaschine Angst vor der Kernkraft verbreitet. Schon die Kinder in der Schule wurden von kernkraftgegnerischen Lehrern indoktriniert. Die Medien konnten gar nicht genug frei erfundene Horrorzahlen an Kernenergieopfern verbreiten. Die Mietwissenschaftler erzeugten in Serie Schrott-Studien, die nachweisen sollten, dass in der Umgebung von Kernkraftwerken die Kinder sterben.

Sie haben so lange Anti-Atom-Propaganda betrieben, bis sie am Ende selbst daran glaubten und eine angstneurotische Bundeskanzlerin nach einem Tsunami in Japan mit schwerer Beschädigung eines an der Küste gelegenen Kernkraftwerks per Telefon gegen jedes Recht acht Kernkraftwerke stilllegen ließ und sich den endgültigen Maschinensturm auf die Kernenergie von ein paar willfährigen Bischöfen, Politikwissenschaftlern und ehemaligen Funktionären, genannt „Ethikkommission“, bestätigen ließ. Die Gefahr eines Tsunami in der norddeutschen Tiefebene oder im bayerischen Waldshut konnte so gebannt werden.

Die Grünen haben jahrzehntelang getönt: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ Jetzt fällen sie den letzten Baum mit voller Absicht und im Bewusstsein der Folgen. Und nach dem ersten Blackout wird gesagt werden: „Erst wenn das letzte Kraftwerk verschrottet, die letzte Kohlegrube geflutet, das millionste Windrad gebaut und der letzte Quadratmeter mit Solarpaneelen verstellt ist, merkten wir, dass der Strom nicht aus der Steckdose kam“. Mit ISAR II fällen sie den letzten Baum. Die Geschichte der Osterinsel lässt grüßen, auch wenn diese nur ein Mythos war.

ISAR II darf nicht verschrottet werden

Ich möchte den Politikern zurufen: „Sie haben sich verrannt! Kehren Sie um! Hören Sie auf, die letzten Kernkraftwerke zu zerstören, bevor nicht der Ersatz für diese gebaut und funktionstüchtig ist! Was ist, wenn Ihre großen Pläne nicht funktionieren?“

Aber ganz offensichtlich wollen die Politiker den Fachleuten nicht zuhören. Alle Parteien, außer der AfD haben wieder und wieder gegen die Rettung der Kernkraftwerke inmitten der größten Energiekrise gestimmt. Auch CDU/CSU und FDP, obwohl sie es schon vergessen zu haben scheinen. Sie wollen zumindest nicht mehr daran erinnert werden, weil ihnen jetzt langsam dämmert, wie verantwortungslos diese Energiepolitik ist. Jetzt, wo Physik und Ökonomie die Tür eintreten, drohen ganz offensichtlich schwere Konsequenzen. Jetzt, wo es zu spät ist, sagen sie das exakte Gegenteil von dem, was noch vor einem Jahr ihre Politik war.

Aber selbst heute finden meine Kollegen und ich keinen verantwortlichen Politiker außerhalb der AfD, der auch nur bereit wäre, uns einmal zuzuhören. Wir haben es versucht. Wir haben Bücher und Artikel geschrieben, auf Konferenzen vorgetragen, die daraufhin von Politikern und ihren Tastaturbücklingen umgehend als rechts diffamiert wurden, als gäbe es so etwas, wie eine rechte Stromerzeugung. Wir haben uns als Gutachter in Landtagen und im Bundestag abqualifizieren und verunglimpfen lassen. Ein Professor Sinn, ein Professor Vahrenholt und viele brave Ingenieure – Fachleute, die sich viel bequemer und einträglicher in ihrem Beruf oder in ihrer Pension tummeln könnten – haben es versucht, immer und immer wieder. Politiker sind absolut beratungsresistent. Sie antworten: „Das bringt keine Wählerstimmen“ oder „Das fordert ja die falsche Partei“, als ginge es bei der Stromerzeugung um Parteienpolitik oder Wahlen und nicht um das Wohlergehen des ganzen Landes.

Sollte es einen interessierten Abgeordneten von CDU/CSU/SPD/FDP/Grünen und Linken im Bundestag geben, darf er gern mit mir oder einem Kollegen Kontakt aufnehmen.

Der endgültige Fadenriss droht

Warum wohl betreiben die Holländer das mit 500 Megawatt sicherlich nicht gerade am wirtschaftlichsten arbeitende KKW Borssele weiter? Um den Fadenriss zu vermeiden. Nun zahlt es sich aus. Sie haben beschlossen, neue KKWs zu bauen und werden dies auch können.

Wenn das letzte Kernkraftwerk fällt, fällt die ganze Nukleartechnologie, und der Fadenriss ist komplett. Weil mit dem letzten Kernkraftwerk eine ganze Infrastruktur den Bach runtergeht.

Die Behörden werden verlernen, Kernkraftwerksaufsicht zu führen.

Die Betreiber werden verlernen, Kernkraftwerke zu betreiben und zu managen. Die Management-Systeme beim Betrieb eines Kernkraftwerkes sind genauso komplex wie die Kernenergietechnologie.

Die Fach- und Hochschulen werden verlernen, Kernenergetiker und Kerntechnikingenieure auszubilden, und es wird auch keine jungen Menschen mehr geben, die einen einschlägigen Ausbildungsweg einschlagen. Auch die Spezialausbildungsstätten wie KSG/GfS wird es nicht mehr geben.

Die Herstellerfirmen und die auf Kerntechnikinstandhaltung ausgerichteten Firmen werden sich anderweitig orientieren und verlernen, Kernkraftwerke und ihre Teile zu konstruieren und zu bauen oder instandzuhalten.

Das Land wird den Anschluss an die internationale Entwicklung dieser Technologie verlieren, weil es niemanden mehr gibt, der sich darum kümmert. Und Politiker können so etwas nicht, nicht einmal organisieren.

Das Verlernen hat schon eingesetzt und wird mit höchster Geschwindigkeit voranschreiten, so dass Deutschland in weniger als drei Jahren auf den Stand eines  kerntechnischen Entwicklungslandes zurückfällt. Das geschieht so schnell, weil die noch vorhandenen Fachleute sich umgehend anders orientieren müssen oder ins Ausland abwandern – so wie ich. Aber ich habe den Verdacht, dass dies von den Politikern genau so beabsichtigt ist. Sie wollen mit voller Absicht dem Land eine Rückkehr in diese Technologie so schwierig wie möglich machen. Was aber ist, wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass der Ausstieg aus der Kernenergie und die Zerstörung von 25 Prozent der Stromerzeugungskapazität ein gigantischer Fehler war?

Wenn ISAR II rückgebaut – was ja nur ein Euphemismus für zerstört ist – hat sich Deutschland für die nächsten 25 Jahre aus der Kernenergie verabschiedet, egal was auf der Welt und in Deutschland passiert. Dann gibt es in absehbarer Zeit kein Zurück mehr. Dann kann Deutschland höchstens noch die USA, Südkorea, Japan oder Russland dafür bezahlen, dass sie Kernkraftwerke in Deutschland bauen und betreiben. Aber vielleicht ist ja auch das die Absicht.

Noch ist ISAR II nicht verloren

Politiker sollten sich fragen, ob sie wirklich diese Verantwortung zu tragen bereit sind. Man hat schon ganz andere Leute zur Verantwortung gezogen. Oder ob es nicht vielleicht besser wäre, dem Betreiber von ISAR II drei Milliarden Euro zu geben, um wenigstens die Zerstörung und Unbrauchbarmachung des letzten deutschen Kernkraftwerkes zu stoppen. Damit ließe sich vielleicht das Management des Betreibers umstimmen. Die Regierung hat ja dieses und noch viel mehr Geld auch gern mal für andere Länder zur Verfügung.

Man könnte es mit diesem Geld vielleicht sogar erreichen, das Kraftwerk innerhalb von drei Jahren wieder anzufahren, allerdings nur, wenn der Betreiber eine 10-jährige Laufzeitverlängerung garantiert bekommt. Doch vielleicht reichten diese zehn Jahre ja, um neue KKW oder gar welche der Generation IV zu installieren.

Man könnte auch, statt Radwege in Peru zu finanzieren, das Radweg-Geld den Ingenieuren des Dual-Fluid-Reaktors anbieten, um sie aus Kanada, Polen und Ruanda zurück nach Deutschland zu locken.

Aber ich träume wohl. Das würde ja vielleicht keine Wählerstimmen bringen und sogar Wasser auf die Mühlen der Falschen leiten. Also „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ mit Honeckerscher Gründlichkeit.

Der Beitrag erschien zuerst auf ACHGUT hier

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