Die herbstliche Temperatur-Rekordjagd wird im November entschieden, aber die Messlatte liegt sehr hoch

Stefan Kämpfe

Dieser Oktober 2023 bot alles, was der Herbst auf Lager hat. Insgesamt fiel er zwar dank einer rekordwarmen ersten Hälfte erneut sehr mild aus, Näheres dazu hier, doch verbreitete Frühfröste zeigten um die Monatsmitte das Nahen der kalten Jahreszeit, und trotz baldiger Milderung trübten in der zweiten Monatshälfte oft viele Regenwolken das Bild. Enorme Schwankungen zwischen Flauten und Stürmen legten die erheblichen Mängel der Deutschen Energiewende schonungslos offen, und die Sonne, welche am Monatsanfang noch für Sommertage in Süd- und Mitteldeutschland sorgte, verabschiedete sich ab der Monatsmitte in den Winterurlaub.

Das langfristige Temperaturverhalten – der Oktober wurde deutlich wärmer

Ähnlich wie die meisten Monate, erwärmte sich der Oktober bis ins frühe 20. Jahrhundert, dann folgte eine Stagnationsphase bis zu den 1990er Jahren, danach ab 1995 bis gegenwärtig eine starke Erwärmung; seitdem dominieren, von den kalten Oktobern 2015 und 2016 einmal abgesehen, milde bis sehr milde Monate. Seit Aufzeichnungsbeginn (1881) betrug die Erwärmung gut 2 Kelvin (°C). Damit zählt der Gilbhart zu den erwärmungsstarken Monaten. Aber die DWD-Daten sind auch noch wärmeinselbelastet, und die DWD-Reihe beginnt in der letzten Phase der „Kleinen Eiszeit“ – um 1880 war es besonders kühl. Oktober-Monate mit mehr als 12°C gab es bislang nur dreimal, 2001, 2006 und 2022.

Abbildung 1: Verlauf der Oktobertemperaturen im Deutschland-Mittel seit 1881 mit drei Entwicklungsphasen. Einer ersten, bis 1907 dauernden Erwärmung folgte eine fast 90ig-jährige Phase mit nur geringer Erwärmung; mit dem Oktober 1995 setzte eine starke Erwärmung ein; die bis heute anhält. In den gesamten 143 Jahren der Reihe betrug der Temperaturanstieg reichlich 2 Kelvin (°C) – bei enorm steigenden CO₂-Konzentrationen. Mit WI-Bereinigung hätte es eine geringere Oktober-Erwärmung um 1,5 Kelvin gegeben. Der 2023er Oktober wird aller Voraussicht nach 11,7 bis höchstens 12,0°C erreichen. Zur Beachtung: Die Grafik zeigt KEINE Klimasensitivität der CO₂-Konzentration; sie verdeutlicht lediglich, dass die von etwa 290 auf etwa 418 ppm steigende CO₂-Konzentration über lange Zeiträume nicht gut zur Temperaturentwicklung passt.

Durchaus ähnlich verlief die Entwicklung der Oktobertemperaturen in Zentralengland (Midlands), für das eine über 360ig-jährige Messreihe vorliegt; sie erfasst damit auch den Höhepunkt der „Kleinen Eiszeit“, das so genannte Maunder-Minimum als vermutlich kälteste Epoche in den mindestens letzten 2.000 Jahren. Seitdem sollte es doch eine kräftige Erwärmung um mehrere Grad gegeben haben – aber die reellen 1,5 Kelvin sind wohl nur der Erholungsphase des Klimas seit dem Höhepunkt der „Kleinen Eiszeit“ geschuldet; zumal sich dort eine ganze Reihe anderer Monate um deutlich weniger als 1 Kelvin im selben Zeitraum erwärmten.

Abbildung 2: Mit etwa 1,5 Kelvin ein bescheidener Oktober-Temperaturanstieg seit über 360 Jahren in Zentralengland; das sind nur gute 0,4 K pro Jahrhundert. Ähnlich wie in Deutschland, scheint der Höhepunkt der Erwärmung in den 2000er Jahren überschritten zu sein. 2023 wird dort der Oktober mit etwa 12,3°C sehr warm ausfallen, aber weit entfernt von den bislang wärmsten Oktobern 2006, 2005, 2001 und 1969.

Der Oktober 2023 im Vergleich zu den rekordwarmen Oktobern 2001 und 2022

An der wärmeinselarmen Station Dachwig, deren Langjährige Temperaturmittel dem DWD-Flächenmittel stark ähneln, zeigte sich der Charakter des 2023er Oktobers im Vergleich zu den Wärme-Rekordhaltern 2001 und 2022. Den ersten beiden rekordwarmen Oktoberwochen folgte ein Temperatursturz, der 2001 und 2022 schwächer ausfiel. Die Ausnahmestellung der ersten beiden Oktoberwochen 2023 wird deutlich, denn sie übertrafen die ohnehin schon sehr warmen von 2001 um 2 Kelvin (°C)! An sechs Tagen erreichte dieser Oktober 2023 noch ein Temperaturniveau, wie es im Langjährigen deutschen Sommer-Flächenmittel (von 1881 bis 2022) herrscht!

Abbildung 3: Temperaturverlauf tageweise (Tagesmittel) an der ländlichen, freilich auch nicht ganz WI-freien Station Dachwig im Thüringer Becken nordwestlich von Erfurt im Oktober der Jahre 2001, 2022 und 2023. Man erkennt die Ausnahmestellung der rekordwarmen ersten Oktoberhälfte 2023, zur besseren Einordnung sind das Langjährige DWD-Oktobermittel (blauer Balken) und das des Sommers (rosa Balken) aufgetragen. An keinem einzigen Tag dieser zwei ersten Oktoberwochen sank das Tagesmittel 2023 auch nur in die Nähe des normalen Oktober-Niveaus! Aber während im Oktober 2022 nach verhaltenem Beginn dann in der zweiten Monatshälfte einzelne Tage fast Sommertemperaturen erreichten, war der Sommer 2023 nach dem 13. Oktober endgültig vorbei. Und der 2001er Oktober verlief insgesamt ausgeglichen-mild. In Dachwig war, bedingt durch Föhneffekte, der 2023er Oktober, anders als im DWD-Flächenmittel, der wärmste.

Nach Monatsanfang kam es zunächst nur in Nord-, ab Monatsmitte zunehmend auch in Süd- und Mitteldeutschland zu ergiebigen Regenfällen, so dass dieser Gilbhart mit Ausnahme Südost-Deutschlands fast überall erheblich zu nass ausfiel. Für dieses Temperatur- und Witterungsverhalten waren charakteristische Großwetterlagen verantwortlich. Anfangs zogen bei Südwest- und Westlagen die Tiefs weiter nördlich, so dass sehr warme Luft vor allem nach Süd- und Mitteldeutschland gelangte; der Norden lag oft unter Regenwolken. Ab der Monatsmitte blockierte über längere Zeit ein Skandinavien-Hoch die Bahn der Tiefdruckgebiete; sie konnten nicht mehr schnell nordostwärts ziehen und regneten sich über Mitteleuropa ab. Das sonst so häufige, ruhige, beständige, goldene Hochdruckwetter fehlte in diesem sehr wechselhaften 2023er Oktober fast völlig.

Abbildung 4: Wetterlage am 20. Oktober 2023. Ein kräftiges Skandinavien-Hoch blockiert die „normale“ Zugbahn der herbstlichen Tiefs über Skandinavien ost- bis nordostwärts. Das Tief über Südengland verlagerte sich nur langsam; an einer Luftmassengrenze, die schon winterlich kalte Luft über Nordost- von sehr milder über Südeuropa trennte, regnete es ergiebig über Deutschland. Hätte die Luftmassengrenze weiter südlich gelegen, wäre es zu seltenem Oktoberschnee auch im Deutschen Flachland gekommen. Diese Wetterlage wiederholte sich mehrfach. Bildquelle wetterzentrale.de, ergänzt.

Mehr Oktoberwärme nicht wegen mehr CO₂, sondern wegen geänderter Großwetterlagen-Häufigkeiten!

Ein ganz wesentlicher Teil der Oktober-Erwärmung ist den geänderten Häufigkeitsverhältnissen der Großwetterlagen geschuldet – die besonders kühlend wirkenden Nord- und Ostlagen wurden deutlich seltener, die wärmenden mit südlichem Strömungsanteil dafür umso häufiger.

Abbildung 5: Die Häufigkeitsabnahme der kühlend wirkenden Nord-und Ostwetterlagen bei deutlicher Zunahme der Lagen mit südlichem Strömungsanteil (nach HESS/BREZOWSKY) trug ganz wesentlich zur Oktober-Erwärmung in Deutschland bei; Daten für Okt. 2023 liegen noch nicht vor.

Anders, als im Sommerhalbjahr, leistet hingegen die Sonnenscheindauer nur einen unwesentlichen Beitrag zur Oktober-Erwärmung. Der Oktober 2023 zählte mit etwa 11,8°C im Deutschland-Mittel zwar zu den mildesten seit 1881; trotzdem kam es zur Monatsmitte zu ersten Nachtfrösten, welche die rekordwarme erste Herbsthälfte abrupt beendeten; Näheres dazu hier.

Abbildung 6: Wetterlage am 11.Oktober 2023, als sehr milde Südwestluft bei hohem Luftdruckgefälle nach Deutschland strömte, doch im Norddeutschen Tiefland war es schon bewölkter und etwas kühler mit gebietsweisem Regen. Solche SW-Lagen mit kräftigen Warmluftschüben und Föhneinbrüchen an den Nordrändern der Hoch- und Mittelgebirge häuften sich in den vergangenen Jahrzehnten stark und bewirkten die enorme Herbsterwärmung in Deutschland. Bildquelle: wetterzentrale.de

Sonnenaktivität, die Noch-AMO-Warmphase und warme Oktober-Monate in Deutschland

Die vorübergehend nachlassende Sonnenaktivität wird stets mit Abkühlung in Verbindung gebracht; doch das könnte unter bestimmten Umständen voreilig sein. Erstens nimmt die solare Aktivität momentan wieder unerwartet stark zu. Zweitens fördert eine geringe Sonnenaktivität so genannte Meridionallagen, bei denen der Luftmassentransport überwiegend entlang der Längengrade erfolgt (Nord- oder Südlagen; in Europa auch der Sonderfall der Ostwetterlagen). Insgesamt schwächt sich die Zirkulation ab und verlagert sich südwärts. Südliche Lagen fallen aber, anders als im Winter, im Oktober fast stets noch zu warm aus. Drittens gibt es das Phänomen der so genannten Koronalen Löcher, welche trotz geringer Sonnenaktivität längere, sehr warme Schönwetterperioden auslösten, wie wir das seit 2018 häufig erlebten. Näheres dazu hier. Und viertens wirkt momentan noch die AMO-Warmphase stark auf die Häufigkeit und Intensität der Süd- und Südwestlagen positiv ein, was Erwärmung bedeutet:

Abbildung 7: Nur sehr grobe zeitliche Übereinstimmung der AMO und der Oktober-Temperaturen in Deutschland, aber In AMO-Warmphasen, wie zur Mitte des 20. Jh. und aktuell, sind die Oktobertemperaturen tendenziell höher. Ähnliches gilt, und zwar deutlicher, für den gesamten Herbst. Die AMO-Oktoberwerte für 2023 werden nicht mehr vom NOAA veröffentlicht.

Sollte, was in naher Zukunft durchaus zu erwarten ist, eine AMO-Kaltphase eintreten, so wird es mit den häufig schönen, milden Oktobern endgültig vorbei sein.

Keine WI- und UHI-Effekte im Oktober?

Anders als im strahlungsreichen Sommerhalbjahr, wenn die Sonne die Großstädte stärker aufheizt als das spärlich bebaute Land, und im Hochwinter, wenn in den Siedlungskernen Abwärme die Temperaturen treibt, verwischen im Herbst viel häufiger starker Wind und tiefe Wolken die Unterschiede zwischen Stadt und Land; KÄMPFE hatte das schon mehrfach unter anderem anhand der Berlin-Umland-Vergleiche gezeigt; Näheres hier. In Thüringen liegt das DWD-Stationspaar Dachwig (ländlich) und Jena-Sternwarte (Innenstadt) nicht weit voneinander entfernt, in ähnlicher Höhenlage und blieb seit 1988 verlagerungsfrei.

Abbildung 8: Verlauf der Oktobermittelwerte an der ländlichen Station Dachwig (blau) und Jena-Sternwarte (orange) 1988 bis 2022. Das ländliche Dachwig holte auf, erwärmte sich also im Oktober etwas stärker als die Großstadt Jena. Über mögliche Ursachen kann nur spekuliert werden: Effekte des Jenaer Saaletals, wo sich im Herbst bevorzugt Kaltluft sammelt (aber auch im inneren Thüringer Becken ist das der Fall) oder Föhn-Effekte bei den häufigeren S- und SW-Lagen könnten eine Rolle gespielt haben. Im Sommer erwärmte sich Jena-Sternwarte hingegen markant stärker, als Dachwig. Dieser Einzelfall ist nicht auf die Gesamtverhältnisse in Deutschland übertragbar, zeigt aber, dass sich WI- und UHI-Effekte nicht einfach mit wenigen Stationsvergleichen abschätzen lassen! Daten für 2023 noch nicht vorliegend.

Stromproduktion im Oktober: Zwischen Flaute-Mangel und Windüberschuss – die „Erneuerbaren“ Energien gefährden die Versorgungssicherheit

Der Oktober 2023 war nun wirklich ein fast völlig normaler Herbstmonat mit einem Mix aus sonnigen, trüben, flauen und sehr windigen Tagen – aber genau das legte die eklatanten Schwächen der Deutschen Energiewende schonungslos offen.

Abbildung 9: Dieser aus klimatologischer Sicht hinsichtlich Wind und Sonnenscheindauer fast normale Oktober 2023 offenbarte das ganze Ausmaß des Scheiterns der Energiewende. Die mit Abstand wichtigste Säule der so genannten erneuerbaren Energien, die Windkraft (hell- und dunkelgraugrüne Flächen), schwankte enorm stark, und effektive, ökonomisch und ökologisch akzeptable Speicher sind in naher Zukunft nicht in Sicht. Die Solarenergie (gelbe Spitzen) spielt im Oktober nur noch eine untergeordnete Rolle und vermag die Defizite der Windkraft nicht auszugleichen. Und während noch bis in den Winter 2022 oftmals Erdgas die Lücken der Erneuerbaren füllte, ist es nun knapp und teuer – heimische Braunkohle und teure Import-Steinkohle (dunkelgrau) mussten einspringen. Man achte auf die gelegentlich großen, weißen Flächen unter der schwarzen Lastlinie – sie bedeuten teuren Stromimport. Bildquelle energy-charts.info; ergänzt; Daten bis zum 31.10. mittags vorliegend.

Würde man nun, wie das Fridays for Future, Letzte Generation und die Grünen fordern, sofort alle Kohlekraftwerke abschalten, so müsste noch mehr Kernkraft- oder Kohlestrom aus den Nachbarländern importiert werden, oder die immer öfter schon flackernden Lichter gingen in Deutschland ganz aus; effektive, umweltschonende und bezahlbare Speichermöglichkeiten für Wind- und Solarstrom stehen auf lange Sicht nicht zur Verfügung; Wasserstoffproduktion ist ineffizient, extrem teuer, und die Infrastruktur dafür muss erst mühsam aufgebaut werden – wir Verbraucher bezahlen teuer für diesen ganzen Energiewende-Irrsinn!

Herbstliche Temperatur-Rekordjagd – ein Kopf an Kopf-Rennen?

Der bisherige Temperatur-Rekordhalter 2006 erreichte ein Herbstmittel (September bis November) von knapp über 12°C, wobei alle Monate herausragend warm ausfielen – der September unwesentlich kühler, der Oktober etwas wärmer, als 2023. Die im November 2006 gemessenen 7,0°C (DWD-Mittel Deutschland) müssten also erreicht oder etwa um 0,1 bis 0,3 K überboten werden – nicht unmöglich, aber schwierig, weil der bislang wärmste November (2015) 7,5°C erreichte. Zwar wird ein insgesamt viel zu milder November 2023 erwartet – doch ein neuer Monatsrekord eher nicht. Die Spannung, wie dieses knappe „Rennen“ ausgehen wird, bleibt uns aber auf jeden Fall bis weit in den November, welcher sehr mild startet, erhalten… .

Stefan Kämpfe, Diplomagraringenieur, unabhängiger Natur- und Klimaforscher

 

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