von AR Göhring

Axel Bojanowski von der Welt ist ein alter Hase im Journalismus-Geschäft und bestens vertraut mit den Untiefen der Klimaforschung. Kürzlich publizierte er einen Artikel zur Konstruktion der „Kipp-Punkte“, die zum Gutteil auf das Potsdamer Haus von Schellnhuber und Rahmstorf zurückgeht. Rahmstorf, der viel twittert, zieh Bojanowski durch den Nachrichtendienst sofort der Unwissenheit – der retournierte auf seinem Blog bei Substack.

Die „Kipp-Punkte“ und ähnliche Weltende-Fristen sind ein beliebtes Mittel des Öko-Alarmismus. Schon in den 1970ern hatten professionelle Panikmacher wie Schmetterlingsbiologe Paul R. Ehrlich („Die Bevölkerungsbombe“) unablässig vor diversen ökologisch bedingten Katastrophen gewarnt, die in naher Zukunft einträfen. Die Spitze dieser Entwicklung bildete der Wettstreit von Spiegel und Stern zu Beginn der 80er, wer den deutschen Wald am frühesten sterben läßt – schon in fünf, oder schon in drei Jahren?

Auch wenn sich die peinlichen Weltuntergangsfantasien aus dem pseudowissenschaftlich-journalistischen Komplex stets als Hirngespinst erwiesen, fielen die Medienkonsumenten der westlichen Länder, vor allem der deutschsprachigen, immer wieder auf sie herein. Dennoch wollten sich die Klimaalarmisten ab den 1990ern wohl besser absichern und führten die Kipp-Punkt-Rhetorik ein: Da wurde nicht mehr – juristisch durchaus faßbar – von einem totalen Verlustereignis im Jahr x gesprochen, sondern etwas verschwurbelt von einer Art Point of no return, an dem die weisgesagte Katastrophe noch nicht sichtbar sein muß, es aber schon „zu spät“ sei, weil ein „Selbstläuferprozeß“ nicht mehr umkehrbar geworden sei.

Selbstläuferprozesse wurden vor allem vom britischen Mathematiker Ronald Fisher schon in den 1930ern analysiert – und wurden in der Modellierungs-lastigen Klimaforschung heutiger Tage übernommen. Im Englischen werden sie als „Runaway“-Prozesse bezeichnet, was etwas bildhafter ist: Ein einmal begonnener Prozeß hat Folgen, die ihn verstärken und so aufrecht erhalten, bis zum bitteren Ende. Typisches Beispiel aus der Evolutionsbiologie: Weibliche Säuger schätzen große Hörner oder Geweihe der Männchen – mit der Folge, daß die Hörner und Geweihe immer größer werden. Mitunter zu groß – schon Darwin vermutete, daß so manche Spezies an ihren hohen Kosten zugrunde ging.

Bezogen auf das Klima wird gerne behauptet, daß das toxische Industrie-CO2 die Atmosphäre erhitze, es verdampft mehr Wasser, das noch mehr Wärme in der Atmosphäre halte usw. – die „positive Rückkopplung“.

Ob das in der Atmosphäre tatsächlich passiert, darf bezweifelt werden, da Wasserdampf in den oberen Schichten der Atmosphäre kondensiert und zu Albedo-senkenden Wolken wird und somit kühlt, siehe Svensmark-Shaviv-Effekt.

Die Kipp-Punkte sind also keine klaren Aussagen zum Untergang wie damals beim Waldsterben, sondern theoretische Umschlagpunkte, hinter denen irgendwann später der Untergang komme – geschickt, oder? Daher werden diese Punkte seit den 90ern gern ausgerufen, wie der von Klima-Hypermillionär Al Gore, der in den Nuller Jahren von nur noch „100 Monaten“ sprach, die „wir Zeit hätten“. Nach Ablauf der rund acht Jahre hatten dummerweise alle, Medien, Al Gore und Klimaforscher, die Warnung wieder vergessen. Ähnlich amüsant die Titelgeschichte der Bild-Zeitung von 2007, die uns „nur noch 13 Jahre“ gab. Im besonders kalten und schneereichen Winter 2020/21 dann ging Henryk Broder mit dem ausgedruckten Bild-Titel um den Hals auf eine FfF-Demo, um an die gebrochenen Versprechen der Untergangsszene zu erinnern.

Henryk Broder weist auf eine Weltuntergangserzählung der Presse von 2007 hin, nach der uns nur noch 13 Jahre blieben. Bild von 2020.

A propos Fridays for future: Greta Thunberg löschte kürzlich einen vor fünf Jahren geteilten Artikel in ihrem Twitter-Konto, nachdem „in fünf Jahren“, also jetzt, wieder einmal so ein Kippunkt erreicht sei.

Quelle: Twitter

Vermutlich aus diesem Anlaß schrieb Axel Bojanowski für die Welt den Artikel „Wie ein Forschernetzwerk die Kipppunkte-Warnung in die Debatte trickste“. Auch die neueste und krawalligste Klimaschützergruppe, die Asphaltkleber der „Letzten Generation“, nutzen die Theorie schon im Namen, da die Jungen um 20 die letzten seien, die das Eintreten der Kipp-Punkte noch verhindern könne. Trotz der hochaggressiven und mittlerweile teils straffällig gewordenen Klimakleber unterstützen die professoralen Alarmisten die Aktivisten noch:

Wenig überraschend macht sich auch die „Letzte Generation“ die Kippunkt-Theorie zunutze und lässt ihre Anhänger wissen: „Wir sind die letzte Generation vor den Kipppunkten.“ Unterstützt werden die Klima-Hysteriker von Wissenschaftlern wie dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Institutsdirektor Johan Rockström warnte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar gleich vor 16 Kipppunkten. Bei neun ortet er Anzeichen der Instabilität. Grund genug für den schwedischen Resilienzforscher, die Apokalypse auszurufen. Die Kipppunkte hätten das Potenzial, „die Menschheit zu unterminieren“, verkündet Klima-Kassandra Rockström.

Dumm nur, daß der UN-Weltklimarat IPCC im aktuellsten Sachstandsbericht AR 6 die Kippunkt-Theorie nicht sonderlich unterstützt – die Punkte seien zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich.

Die Phänomene könnten zwar „nicht ausgeschlossen werden“, doch es gebe „ungenügende Evidenz“, einen „Mangel an Daten“, das Thema sei „herausfordernd“.

Erfahrene EIKE-Leser wundert das nicht – im vollständigen Bericht mit Hunderten Seiten steht sowieso kaum etwas eindeutig Alarmistisches drin – man liest hier themenunabhängig häufig „könnte“ oder „ist wahrscheinlich“. Erst der Kurzbericht für Politiker und die Massenmedien machen daraus eindeutig angsteinflößende Aussagen.

 

Rahmstorf-Kritiker Klimaforscher Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg

antwortet auf die Frage, welcher Kipppunkt ihm am meisten Sorge bereite, kurz und klar: „keiner.“

Das hatte er schon mehrfach betont – die PIK-Theorie scheint auch in Deutschland nicht besonders beliebt zu sein. Nachdem die Kipp-Punkte schon einige Jahre in der Diskussion waren, verhalfen ihr Rahmstorf und Schellnhuber mit einer Publikation in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ PNAS 2008 zum Durchbruch. Seltsamerweise aber nicht mit einem begutachteten Forschungsartikel, sondern nur einer Art Umfrage, die von der Redaktion des Magazins als „Perspective“ eingestuft wurde. Das sind zum Beispiel Texte, die Akademie-Neumitglieder wie damals Schellnhuber als Einstandsartikel publizieren dürfen.

Dennoch wurde der PNAS-Artikel extrem einflußreich – mit Tausenden von Zitierungen. Eine folgende zweite Umfrage ein Jahr später wurde diesmal als echte wissenschaftliche Studie akzeptiert – mit der Konsequenz, daß von der Gewißheit der Existenz wenig übrig blieb. Folgerichtig lautete der Titel im IPCC-Sachstandsbericht-Duktus „Ungenaue Wahrscheinlichkeitsabschätzung von Kipppunkten im Klimasystem“. 2018 folgte während eines warmen Sommers ein weiterer „Perspective“-Artikel von Schellnhuber et al. – der aber keine neuen Informationen enthielt, nur die bekannten Spekulationen. Es ist schon erstaunlich, wie bereitwillig das Organ der Nationalen US-Akademie der Wissenschaften solche Texte veröffentlicht. Die PNAS als Herold der politischen Interessensgruppen? Erneut war der mediale Almauftrieb groß – der Herold hat in der Tat seine Aufgabe erfüllt.

Aber auch andere Magazin-Größen wie Nature machen fleißig mit: 2019 publizierten die PIKler dort einen weiteren Kippunkt-Kommentar. Ein Kollege, Justin Ritchie, wunderte sich über den häufigen Gebrauch des Konjunktivs in Schellnhuber&Cos Artikel:

„Wenn es elfmal ‚falls‘ braucht, um eine Meinung zu stützen, dann sollte man die Substanz überprüfen. Nach dem Lesen bin ich nun weniger überzeugt von bevorstehenden Kipppunkten.“

Noch peinlicher: Der Nature-Artikel enthielt grobe Fehler, die offiziell verbessert werden mußten. Trotzdem legten die PIKler noch nach und publizierten 2022 eine weitere „Perspective“:

„Climate Endgame – Erforschung katastrophaler Klimawandelszenarien“.

Falls der geneigte Leser nun denkt, daß wir von EIKE unsere Finger im Spiel hatten, weil der Titel so schön satirisch-übertrieben klingt: Nein, haben wir nicht, die machen das von ganz alleine.

Die zunehmende Zuspitzung des eigenen Narrativs klingt für kritische Ohren wie das Verhalten von Profiteuren, die ihre Felle davonschwimmen sehen. Da die „Perspective“ im Jahr 2022 publiziert wurde, erinnert man sich an einen anderen politmedialen Komplex, dessen Vertreter sich ebenfalls zunehmend radikalisierten: 2022 wurden angesichts Tausender Montagsdemonstrationen Coronakritiker und Impfunwillige von den Eliten heftig beschimpft und mit der Zwangs-Transfektion bedroht.

So, wie nun ein zunehmend desorientierter Gesundheitsminister nervös gestikulierend von ZDF-Journalisten einer peinlichen Befragung unterzogen wird, könnte es bald auch dem Schwesterkomplex der Klimaforscher gehen. Der zunehmend ungeduldige Kipp-Punkt-Widerspruch von internationalen Kollegen deutet auf eine bevorstehende Revision des CO2-Narrativs hin. Die finanziell gebeutelten Bürger mögen das zunächst kaum mitbekommen – dafür werden sie von den dilettierenden Wirtschafts- und Gesundheitsministern der Grünen bis aufs Blut gereizt, unterstützt vom realitätsfremden EU-Apparat. Habeck will schon 2024 die „fossilen“ Heizungen verbieten, während Brüssel weitere unbezahlbare Haussanierungen verlangt – alles für „das Klima“.

Ob nun Politik oder Magazine – der Gegenwind wird stärker, die Nerven liegen blanker. Da wird jeder Strohhalm genutzt, zum Beispiel Axel Bojanowski Unwissenheit vorzuwerfen, wie der für seine „Rabiatheit“ (Zitat Spiegel 2007) bekannte Stefan Rahmstorf gerade via Twitter. Da muß das Argument herhalten, es habe schon vor 2008 Diskussionen über klimatische Kipp-Punkte gegeben. Als Beispiel werden diverse Zeitungs-Titel angeführt.

Zwar mag der Welt-Artikel von Bojanowski auf den Klima-unerfahrenen Leser so wirken, als hätte die Diskussion um Kipp-Punkte erst 2008 begonnen – ein hartes Argument gegen die vorgebrachten Punkte Bojanowskis ist es nicht. Stattdessen dreht sich alles mehr oder minder um das übliche „Wir sind mehr“ – man denke nur an die unwissenschaftlichen Umfragen im Stile von „97% aller Wissenschaftler…“

Es lohnt sich daher, Rahmstorfs Tweets zu verfolgen, einige aktuelle Schlaglichter der Nervosität zu Kippunkt-Debatte:

https://twitter.com/rahmstorf/status/1636001606607990786

https://twitter.com/rahmstorf/status/1636001606607990786

Zum Schluß eine lustige Fußnote: Anders Levermann vom PIK meldete noch 2020 in der taz das Ende des EINEN Kippunktes – Zitat:

– Noch mal: Was ist mit den Kipppunkten?
– Erstmal: Es gibt Kipppunkte von Teilen des Klimasystems, aber wir können nicht genau sagen, bei welcher Temperatur wir die für welche Elemente im Erdsystem überschreiten. Dass wir sie bei unbegrenzter Erwärmung irgendwann überschreiten, ist klar, nur wann? Da gibt es einfach Unsicherheitsbereiche.

Aber, und das ist mir wichtig, es gibt definitiv nicht den einen Kipppunkt für das gesamte Klima, vor dem sich alle fürchten, der die Erwärmung dann immer weiter beschleunigt und vorantreibt. Alle Länder auf null Emissionen bis 2050 hätte den Vorteil, dass damit das Risiko sinkt, dass es gesellschaftlich kippt. Denn auch gesellschaftlich kann es Kipppunkte geben, positive oder negative.

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