von Prof. Dr. Fritz Vahrenholt:

Die russische Besetzung der Ukraine rückt die durch den doppelten deutschen Ausstieg aus Kernenergie und Kohle verursachte Abhängigkeit von russischen Gas-und Ölexporten in den Mittelpunkt der energiepolitischen Debatte. Verantwortliche für diese Situation wie Ex-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wiegeln ab („Wir werden genug Lieferanten finden, die uns auch mit Energieressourcen versorgen“).

Wir wollen untersuchen, wie ernst die durch die Energiewende verursachte Abhängigkeit wirklich ist.

Der Ukraine-Krieg und die Energiewende

Der Stopp der Inbetriebnahme der fertiggestellten Gaspipeline Nordstream 2 hat Konsequenzen für die Energiewende. Die Pipeline ist (wie Nordstream 1) alleine fast doppelt so leistungsstark wie die Pipeline aus der Ukraine. Nordstream 2 war eine tragende Säule der deutschen Energiewende. Nach dem Doppelausstieg aus Kohle und Kernenergie war klar, dass die gesicherte Leistung der konventionellen Kraftwerke nur durch einen erheblichen Import von Erdgas sichergestellt werden könnte. Selbst der forcierte Ausbau von Wind- und Solarenergie, wie er im Koalitionsvertrag vom Dezember 2021 angekündigt wurde, löst das Problem der Volatilität der Erneuerbaren Energieerzeugung nicht.

Wind steht eben nur mit 25 % der Vollaststundenzahl des Jahres zur Verfügung, Sonne nur zu etwa 10 % des Jahres. Daher hatte der Koalitionsvertrag folgerichtig einen massiven Ausbau von Gaskraftwerken vorgesehen. Die etwa 50 neuen Gaskraftwerke werden nun eine neue Lieferquelle benötigen. Dies erfolgt in einer Lage, in der die Gasmärkte der Welt bereits von Engpässen und extremen Preisentwicklungen gekennzeichnet sind. Aktuell ist der Gaspreis achtmal so hoch wie vor einem Jahr. (Quelle Grafik :Dutch TTF Gas Futures in € pro MWh)

Minister Habeck erkennt den Ernst der Lage

Noch vor wenigen Monaten hieß es von Seiten der Spitzenkandidatin der Grünen , Annalena Baerbock : „Die nächste Regierung ist die letzte, die noch aktiv Einfluss auf die Klimakrise nehmen kann.“ Und : „Deutschland braucht eine Klimaregierung„. Die Regierung ist nun auf dem Boden der Realität angekommen. Zwar gibt es immer noch genug Märchenerzähler , wie den Bundesverband Windenergie, die Windeneergie als Lösung zur Unabhängigkeit von Russland anpreisen oder die Deutsche Umwelthilfe, die gerade in diesen Tagen gegen den Braunkohletagebau Jänschwalde klagt und damit das Aus ostdeutscher Braunkohlekraftwerke unmittelbar herbeiführen will ( die dann durch Erdgaskraftwerke ersetzt werden müssten). Dabei ist es genau andersherum : jeder weitere Zubau mit fluktuierenden Windkraftanlagen erhöht die Notwendigkeit von Backup-Kraftwerken, solange Speicher nicht zur Verfügung stehen.

Dr. Detlef Ahlborn von Vernunftkraft : „Für die Dauer von 36 Tagen im Jahr fällt die Windenergieproduktion de facto aus. An jedem 4. Tag, also für die Dauer von drei Monaten, liegt die Stromproduktion unter 10 % der installierten Leistung.“ Im Jahr 2021 trug Erdgas 26,7 % zum deutschen Primärenergiebedarf bei, davon bezog Deutschland 55 % aus Russland. Windenergie trug 3,5 % zum Primärenergiebedarf bei – und das mit hoher Fluktuation. Dem Wirtschaftsminister scheinen diese Zusammenhänge mittlerweile klar geworden zu sein, denn immerhin schließt er nicht mehr aus, dass Kohlekraftwerke in Deutschland länger laufen könnten.

Wind- und Solareinspeisung vs. inst. Leistung und verbauch Daten Entso-2, Grafik Ralf Schuster Vernunftkraft

Selbst hinsichtlich einer Laufzeitverlängerung der noch verbliebenen Kernkraftwerke gab es zumindest eine Tonfalländerung. Sein Ministerium prüfe das. Der Vorsitzende der Industriegerwerkschaft Bergbau, Chemie und Energie , Michael Vassiliadis brach ein weiteres Tabu :“ Inzwischen fordern ja auch die Grünen, amerikanisches Fracking-Gas zu kaufen. Wir könnten auch in Deutschland auf diese Weise Gas fördern.Das ist viel sicherer, als man denkt“. Tatsächlich könnte Deutschland mit dieser 2016 hierzulande verbotenen Technik einen großen Teill der Importe ersetzen (Jahresverbrauch Deutschland etwa 100 Milliarden m³). Immerhin 2,3 Billionen m³ Gas liegt in 1000 bis 3000 m tiefen Schieferschichten.

Die Speicher leeren sich

Die Gasspeicher in Deutschland sind nur zu einem Drittel gefüllt (siehe Grafik : blaue Linie bezogen auf die schwarze Linie (maximale Kapazität), die grüne Linie ist die Höhe der Einspeicherung. Jeden Tag leeren sich die Speicher um etwa 1 %. Bislang rettet uns ein milder Winter. Falls es noch zu einem kalten Märzwinter kommt, sind bei einem Stopp der russischen Lieferungen bald leer. Für einen solchen Fall liegen die Pläne in der Schublade : Die europäische Gassicherheits -Verordnung bestimmt, dass die Gasversorgung der Industrie eingestellt werden kann und nur noch die „geschützten Verbraucher“ wie Haushalte und Heizwerke beliefert werden.

Zwar hat Präsident Putin zugesichert, dass die Gas-Lieferverträge durch Russland erfüllt werden. Aber wir dürfen nicht übersehen, dass ein Teil der Gaspipelines durch die Gebiete Luhansk und Donezk verlaufen.

Die Weichen für die nächsten Winter müssen jetzt gestellt werden

Die Gasabhängigkeit wird sich erneut verstärkt in den nächsten Wintern stellen. Die Alternative von Flüssiggasanlandungen stellt sich für Deutschland vorerst nicht, da grüner Protest bislang die Flüssiggasterminals an der Nordseeküste verhindert hat. Zwar haben die an der westeuropäischen Küste von Spanien bis Holland errichteten Flüssiggasterminals noch Aufnahmekapazität, aber es fehlt die Infrastruktur, dieses Gas in ausreichender Menge nach Mittel- und Osteuropa zu transportieren. Außerdem sind die Lieferländer wie Katar nicht in der Lage die Förderungen zu erhöhen. Norwegen ist ebenfalls nicht in der Lage mehr zu fördern. Das große holländische Gasfeld Groningen, aus dem auch Deutschland bedient wurde, wird im ersten Halbjahr 2022 stillgelegt, da die Entnahme des Gases zu großräumigen Setzrissen geführt hat. Und das Umlenken der nach Asien gerichteten Gasexporte aus USA und Katar hätte zumindest eine Folge: erhebliche Preisaufschläge in einem Bieterwettstreit um amerikanisches Schiefergas und katarisches Gas.

Wie konnte es soweit kommen, Deutschland in eine Abhängigkeit von Russland zu treiben, das mittlerweile 55 % der Gasversorgung Deutschlands wahrnimmt? Wie konnte es dazu kommen, dass die drei größten deutschen Gasspeicher, darunter die gigantischen Gasspeicher von Rehden und Jemgum in russischer Hand sind und dass Russland am Gasnetzbetreiber VNG beteiligt ist ? Wieso konnte Rosneft die größte deutsche Raffinerie in Schwedt übernehmen?

Das ist das Ergebnis einer zehnjährigen Ausstiegspolitik in der Ära Merkel.

In drei Legislaturperioden mit unterschiedlichen Koalitionspartnern (einmal FDP, zweimal SPD) hat sie es geschafft,die Ausstiegsträume der Grünen zu realisieren und die deutsche Energieversorgung in seinen Fundamenten zu zerstören. Zunächst der Ausstieg aus der Kernenergie und dann der überhastete Ausstieg aus der heimischen Braunkohle sowie der Steinkohle haben Deutschland in eine dramatische Abhängigkeit von Gasimporten gebracht. Mittlerweile ist Deutschland das zweitgrößte Gasimportland nach China.

Hat man wirklich geglaubt mit Solar und Windkraftwerken, Deutschlands Energiebedarf für den Strom, die Wärme, den Verkehr und die Industrie zu wettbewerbsfähigen Kosten sicherzustellen? Das konnte nur gutgehen mit einer wettbewerbsfähigen Kosten sicherzustellen? Das konnte nur gutgehen mit einer alles tragenden Hauptsäule, dem exzessiven Gasimport. Denn die eigenen vorhanden Gasschätze im deutschen Schiefergestein zu heben, wurde einer grünen Wohlfühlpolitik geopfert und verboten. Und die rot-grün-gelbe „Fortschrittskoalition“ beschleunigte das Tempo. Die letzten 6 Kernkraftwerke, die zum Antritt der Regierung Scholz noch vorhanden waren, werden ersetzt werden müssen durch Gaskraftwerke, die 120 TWh Gas verbrauchen– fast ein Viertel der Leistung der nun gestoppten Nordstream 2 Leitung .

Es ist höchste Zeit neben der ökologischen Frage die zwei anderen Säulen einer nachhaltigen Energieversorgung neu zu entdecken: die der Wirtschaftlichkeit und die der Versorgungssicherheit. Die Reduktion der zukünftigen Energieversorgung auf Windenergie, Photovoltaik und Erdgas trägt nicht mehr. Der Ausstieg aus der heimischen Braunkohle- „idealerweise 2030“- wird sich nicht realisieren lassen.

Es ist Zeit für Tabubrüche und technologische Innovation, um die Kriegserklärung Putins an die europäische Sicherheit zu beantworten: CO2-Abscheidung bei Kohlekraftwerken, Kernkraftwerkstechnologien, die inhärent sicher aus abgebrannten Brennelementen Strom produzieren und verstärkte eigene Erdgasförderung. Dann kann man sich vielleicht auch den sehr teuren Wasserstoffpfad für synthetische Kraftstoffe leisten, um fluktuierende erneuerbare Energien zuverlässig nutzbar zu machen.

Mit den besten Wünschen

Ihr

Fritz Vahrenholt

 

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