In vielen europäischen Staaten dürfte bald der Strom knapp werden. Das birgt eine einmalige Geschäftschance für die Eidgenossenschaft: Die Schweiz sollte mehrere AKW aufstellen und das Ausland mit Elektrizität beliefern. Ein Aufruf.

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von Alex Reichmuth

Es war die goldene Zeit der Schweizer Stromwirtschaft: In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts verdienten die Betreiber von Pumpspeicherwerken gutes Geld mit einem gewitzten Geschäftsmodell: Zuerst beförderten sie jeweils mit billigem Nachtstrom Wasser in ihre Stauseen hoch. Dann, über Mittag, liessen sie dieses Wasser auf ihre Turbinen nieder und verkauften den so erzeugten Strom in halb Europa – exakt dann, wenn dieser Strom am meisten nachgefragt war und deshalb Spitzenpreise erzielte.

Mittlerweile ist dieses Modell Geschichte. Heute liefern die vielen neuen Solaranlagen im In- und Ausland exakt am Mittag am meisten Elektrizität und verhageln den Schweizer Stromerzeugern so das Geschäft. Doch goldene Zeiten könnten wieder anbrechen – wenn die Schweiz sich auf ihre Stärken besinnt, die künftige Situation in der europäischen Stromwirtschaft vorwegnimmt und sofort beginnt, die Voraussetzungen für künftigen wirtschaftlichen Erfolg zu schaffen.

Europäische Staaten werden bald nach Strom lechzen

Der Ansatz ist der: In einigen Jahren, sicher aber in wenigen Jahrzehnten wird in Europa der Strom knapp werden. Das wird insbesondere im Winterhalbjahr der Fall sein. Denn die Schere geht immer weiter auseinander. Einerseits steigt die Stromnachfrage stetig: Aus Klimaschutzgründen wird der Verkehr auf Elektromobilität umgestellt und in den Gebäuden kommen immer mehr Wärmepumpen statt Öl- und Gasheizungen zum Einsatz. Zudem laufen immer mehr elektronische Geräte. Das braucht Strom in rauhen Mengen.

Andererseits legen die europäischen Staaten immer mehr Kraftwerke still: insbesondere fossile Kraftwerke, die aus Kohle, Öl und Gas Elektrizität produzieren, weil sie klimaschädlich sind; teilweise auch, wie in Deutschland und eventuell in Belgien, Kernkraftwerke.

Neue Wasserkraftwerke kann die Schweiz kaum mehr bauen, weil sie dem Schutz der Landschaft entgegenstehen.

Europäische Staaten werden darum in 10, 20 oder 30 Jahren nach Strom lechzen – insbesondere nach Strom, der im Winter verlässlich fliesst. Hier ist die Schweiz gefragt.

KKW liefern zuverlässig und klimafreundlich Strom

Die Schweiz sollte neue Kernkraftwerke bauen. Damit könnte sie nicht nur die Stromlücken, die im eigenen Land drohen, beseitigen. Sie könnte damit auch andere Staaten beliefern, wenn dort der Strom ausgeht.

Auf Kernkraftwerke zu setzen ist deshalb angesagt, weil diese die einzige klimafreundliche und zuverlässige Form der Erzeugung von Elektrizität darstellen. Denn neue Wasserkraftwerke kann die Schweiz kaum mehr bauen, weil sie dem Schutz der Landschaft entgegenstehen. Beim Bau von Gaskraftwerken wiederum könnte das Land seine günstige Klimabilanz vergessen. Solar- und Windstrom fallen unzuverlässig an und sind für eine sichere Stromversorgung sowieso nicht zu gebrauchen.

Der Vorschlag besteht konkret darin, drei neue Kernkraftwerke zu bauen. Eines in Mühleberg. Eines in Beznau. Und eines in Gösgen. Damit kann die Schweiz genug Strom auch für künftige Exporte herstellen.

Das Neubauverbot müsste beseitigt werden

Natürlich: Es gibt Hindernisse. Eines besteht darin, dass der Neubau von Kernkraftwerken per Gesetz verboten ist. So hat es das Stimmvolk 2017 beschlossen, als ihm fälschlicherweise weisgemacht wurde, die Versorgung könne künftig mit Solar- und Windstrom gesichert werden. Dieses Verbot müsste man aufheben, was wohl eine Volksabstimmung nötig machen würde.

Die Bewilligungsverfahren sollten beschleunigt werden, damit potentielle Geldgeber wieder ein Interesse haben, in Kernkraftwerke zu investieren.

Weiter müsste dafür gesorgt werden, dass die Bewilligungsverfahren für neue KKW zeitlich gestrafft werden. Sonst dauert die Planung ewig. Bundesrätin Simonetta Sommaruga macht es derzeit bei den Verfahren für Wasserkraft- und Windkraftanlagen vor: Sie will das Bewilligungsprozedere bündeln, sodass die Gegner solcher Anlagen nicht mehrmals bis vor Bundesgericht gelangen können, sondern nur ein einziges Mal. Damit sollen die Verfahren beschleunigt werden, damit potentielle Geldgeber wieder ein Interesse haben, in solche Kraftwerke zu investieren. Dasselbe ist bei Atomkraftwerken notwendig.

Potenzielle Investoren wurden abgeschreckt

KKW-Gegner werden einwenden, dass Kernstrom viel zu teuer sei und sich kaum Investoren finden liessen. In der Tat haben die grossen Schweizer Stromkonzerne der Kernenergiewirtschaft abgeschworen und bekunden derzeit kein Interesse an Neubauten. Doch wer möchte ihnen das verübeln? Die Kernkraft wurde jahrzehntelang schlecht geredet. Die Auflagen an die Betreiber wurden immer weiter erhöht. Und die Bewilligungsverfahren wurden ins schier Unermessliche verkompliziert. Es gilt, diese Entwicklungen rückgängig zu machen, wo es die Sicherheit zulässt: Kernkraftwerke zu bauen, muss wieder eine realistische und lohnenswerte Option werden.

Gewiss: In Europa sind mehrere Neubau-Projekte zeitlich und finanziell aus dem Ruder gelaufen. Die Stichworte dazu sind: Flamanville in Frankreich, Olkiluoto in Finnland und Hinkley Point in Grossbritannien. Die Gründe dafür sind Probleme mit einem neuen Kraftwerkstyp und Missmanagement. Doch andere Neubauten zeigen, dass es noch immer möglich ist, neue KKW zügig und zu vernünftigen Kosten aufzustellen.

Südkorea baut in Abu Dhabi vier grosse Reaktoren

Zu erwähnen ist insbesondere die Grossanlage Barakah in Abu Dhabi. Dort entstehen vier Reaktoren mit einer Leistung von je 1,45 Gigawatt, zu überschaubaren Kosten von insgesamt 20,4 Milliarden Dollar. (Zum Vergleich: Das KKW Gösgen hat eine Leistung von 1,06 Gigawatt.) Zwei Barakah-Reaktoren haben letztes Jahr den Betrieb aufgenommen. Die anderen werden auch bald Strom liefern. Erbaut werden die vier Reaktoren unter Leitung des südkoreanischen Stromversorgers Kepco. Warum klopft die Schweiz nicht auch in Südkorea an?

Die EU-Kommission hat soeben entschieden, dass Investitionen in die Kernkraft als nachhaltig gelten (siehe hier). Das dürfte neue Geldgeber anlocken. Auch die Schweiz, obwohl nicht EU-Land, könnte von diesem Rückenwind für die Kerntechnologie profitieren.

Ein bürgerlicher Schulterschluss ist notwendig

In Europa plant mittlerweile eine ganze Reihe von Ländern neue Kernkraftwerke: Frankreich, Grossbritannien, die Niederlande, Finnland, Polen, Tschechien, Ungarn. In all diesen Ländern ist man offensichtlich optimistisch, Investoren zu finden. Es ist nicht einzusehen, warum es nicht auch der Schweiz gelingen sollte, neue KKW zu verwirklichen.

Die Schweiz könnte sich mit Stromexporten aus Kernkraftwerken eine goldene Nase verdienen.

Voraussetzung für eine neue Zukunft der Schweizer Stromwirtschaft ist ein entsprechender politischer Wille. Die Politiker des Landes sollten jetzt eingestehen, dass die Energiestrategie 2050 gescheitert ist und in eine Strommangellage führt. Sie sollten stattdessen eine KKW-Offensive propagieren. Die linken und grünen Parteien werden zwar nicht mitmachen. Darum braucht es einen Schulterschluss der Bürgerlichen.

In spätestens 20 Jahren würden drei neue Schweizer KKW in Betrieb gehen. Die Stromlücke wäre abgewendet. Und das Land könnte sich mit Exporten eine goldene Nase verdienen.

Der Beitrag erschien zuerst im Schweizer Nebelspalter hier

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