1. Die Bauernregeln
2020 verlief der September relativ warm. In solchen Fällen könnte die Regel „Ist der September gelind, bleibt der Winter ein Kind.“ zutreffen. Allerdings zählte dieser September nicht zu den 15 wärmsten in Deutschland; daher ist Vorsicht geboten; zumal sein Luftdruck wegen einer intensiven Tiefdruckphase in der letzten Dekade nur leicht überdurchschnittlich war.
„Ist Martini trüb und feucht, wird gewiss der Winter leicht.“ Um den 10.11.2020 herrschte im Tiefland meist mildes, trübes, trockenes Wetter; am Nordrand der Berge, auf diesen und im Westen war es aber teils sonnig. Wegen der Kalenderreform von 1583 (10 Tage Verschiebung aller Lostage) ist auch die Witterung um den 20.11. beachtenswert, welche trüb-feucht war. „Elisabeth (19.11., diesmal wolkig, Regenschauer, fast normale Temperaturen) sagt an, was der Winter für ein Mann“. „Wie’s Wetter an Kathrein (25.11., diesmal nach Nachtfrost fast normal temperiert, trocken, stellenweise sonnig), so wird es auch im Januar sein.“ Solche Regeln haben nur einen sehr groben Wahrheitswert. Insgesamt trafen auf das Unglücksjahr 2020 auffallend wenige Bauernregeln zu; diese wenigen deuten nur vage auf einen milden bis normalen Winter hin.
[Ausführlich auf das Thema Bauernregeln geht dieser Beitrag ein.]
2. La Nina oder El Nono – was bedeutet das?
Bislang herrschen im Herbst 2020 im tropischen Südost- Pazifik einschließlich der Südamerikanischen Küste deutlich zu niedrige Meeresoberflächentemperaturen; deutliche Merkmale für „La Nina“. Die Aussichten Richtung Winter sind aber noch unklar. Direkte Auswirkungen auf die Winterwitterung in Deutschland lassen sich aus El Nino- oder La Nina-Ereignissen ohnehin kaum ableiten; deshalb sind auch alle im Netz kursierenden Meldungen, es werde „wegen La Nina einen sehr kalten Winter in Deutschland geben“, unseriös!
3. Nachlassende Sonnenaktivität – Menetekel der Abkühlung
Direkte Sonnen- und Infrarotstrahlung schwanken nur wenig, umso mehr aber das solare Magnetfeld, die Teilchenstrahlung („Solarwind“, verantwortlich u.a. für Polarlichter), die Radiostrahlung und die von der oberen Erdatmosphäre weitgehend absorbierte kurzwellige Strahlung (Röntgen, kurzwelliges UV). Sie beeinflussen Wetter und Klima wesentlich; allerdings besteht noch Forschungsbedarf. Die Sonnenfleckenanzahl bildet die Sonnenaktivität grob ab; je mehr Sonnenflecken, desto höher die Sonnenaktivität. Die Sonnenaktivität wirkt auf verschiedenen Zeitskalen; hierzu wird intensiv geforscht. Im Jahr 2019 war die Fleckenzahl sehr gering; oftmals blieb die Sonne völlig fleckenlos, was Kältewellen in den kommenden Monaten begünstigen könnte, aber nicht zwangsläufig muss.
Dem noch intensiven 23. folgte der schwache 24. SCHWABE- Zyklus; und aktuell beginnt der ebenfalls sehr schwache 25. SCHWABE-Zyklus; im November 2020 zeigten sich aber erstmals wieder recht zahlreiche Sonnenflecken.
Das Minimum zwischen den Zyklen 24 und 25 trat also zwischen Herbst 2019 und Frühherbst 2020 ein und zog sich damit sehr lange hin. Das solare Verhalten ähnelt damit dem des DALTON-Minimums im frühen 19. Jahrhundert; einer Kaltphase, die aber auch durch eine ungewöhnlich hohe vulkanische Tätigkeit begünstigt wurde (u.a. Tambora-Ausbruch). Der Winter 2020/21 ist der siebente nach dem Maximum des SCHWABE-Zyklus. Die 12 Vergleichswinter seit 1881/82 liegen mit etwa +0,1°C etwas unter dem Wintermittel des gesamten Zeitraumes 1881/82 bis 2019/20, das etwa 0,3°C beträgt. Von diesen 12 Vergleichswintern waren die von 1889/90, 1899/1900, 1923/24, 1953/54, 1985/86 und 1995/96 deutlich, aber nicht herausragend, zu kalt, zwei Winter waren etwa normal, vier zu mild, darunter 1974/75 und 2007/08 extrem mild. Betrachtet man alle Winter nach ihrem Rang im SCHWABE-Zyklus, so verliefen der sechste und der neunte nach dem Zyklus-Maximum im DWD-Deutschlandmittel am mildesten; freilich ist der „Vorhersagewert“ wegen des geringen Stichprobenumfangs mit Vorsicht zu genießen:
Sehr kalte Winter treten bevorzugt zum Minimum des Schwabe-Zyklus oder 1 bis 2 Jahre nach diesem auf; letztmalig 2009/10, davor 1995/96 und 1996/97 sowie 1986/87. Dreizehn der zwanzig kältesten Winter nach 1945 in Deutschland traten in der Nähe des Sonnenminimums auf, nur sieben in der Nähe des Maximums. Hier zeigt sich schon eine gewisse Verzögerung, mit der die Wintertemperaturen der solaren Aktivität folgen.
In den kommenden Jahrzehnten sinkt die Sonnenaktivität aber vermutlich weiter (neues Dalton- oder Maunder-Minimum), was weltweit abkühlend wirkt und in Mitteleuropa Meridionale Lagen (im Winter oft kalt) begünstigt. Das träge Klimasystem reagiert nur mit Verzögerungen von etwa 10 bis 30 Jahren auf die schon nach 1990 beginnende tendenzielle Abschwächung der Sonnenaktivität, so dass sich negative Auswirkungen erst ab den 2020er Jahren deutlicher zeigen werden. Vermutlich gab es deswegen bereits in den letzten 23 Jahren zwar noch eine Erwärmung in Deutschland; in Zentralengland kühlte es sich dagegen trotz der stark steigenden CO2-Konzentrationen schon leicht ab:
Insgesamt lässt die geringe Sonnenaktivität 2020 eher einen normalen bis zu kalten Winter erwarten.
4. Die Zirkulationsverhältnisse: Mehr Winter als in den Vorjahren?
Westliche Luftströmungen (Zonale Großwetterlagen) bringen milde Atlantikluft nach Deutschland, nördliche und vor allem östliche Kaltluft. Bei Süd- und Zentralhochlagen muss ein starker Wind die bodennah aus Ost einsickernde oder vor Ort immer wieder neu entstehende Kaltluftschicht vertreiben, ansonsten können auch sie im Tiefland bitterkalt sein, während es auf den Berggipfeln sehr mild ist. Der Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der Luftströmungen mit Westanteil (Großwettertypen W, SW und NW) sowie den Wintertemperaturen in Deutschland ist sehr eng (folgende Grafik):
Für längerfristige Vorhersagen muss man die Zirkulationsverhältnisse vorhersehen können, was kaum möglich ist. Im Herbst 2020 war die Zonalzirkulation zwischen etwa dem 10.September und dem 20. Oktober fast völlig zusammengebrochen, nach kurzer Beschleunigung ab dem 3. November dann ebenfalls meist schwach entwickelt, was ein versteckter Hinweis auf einen Kaltwinter ist. Ob die seit der Jahrtausendwende zu beobachtende leichte Abnahme der Westlagenhäufigkeit in diesem Jahr eine Rolle spielt, ist mehr als fraglich. Die seit 2018 gehäuften Zirkulationsstörungen, welche auch 2020 die Westdrift zeitweise schwächten oder gar blockierten, machen gewisse Hoffnungen auf zeitweise winterliches Wetter. Wegen der aktuell herrschenden Westwind-Phase der QBO (Erklärung siehe Punkt 7) muss eine spätere Zonalisierung mit milden Westlagen leider jedoch in Betracht gezogen werden.
5. Die mittelfristigen Modelle: Kühlerer Dezember als in den Vorjahren?
Die verbesserte Kurzfrist-Vorhersagegüte (etwa 1 bis 4 Tage im Voraus) resultierte aus der Entwicklung und Verfeinerung numerischer Modelle, basierend auf Gleichungen der Thermodynamik, in Verbindung mit immer schnelleren Computern sowie mehr und besseren Mess- oder Beobachtungsdaten per Satelliten und Automaten. Für längerfristige Vorhersagen dienen sogenannte Ensemble-Modelle, bei denen man die Ergebnisse mehrerer Modell-Läufe (gerechnet mit leicht variierten Anfangsparametern) mittelt. Sie liefern keine detaillierten Vorhersagen, doch gute Abschätzungen der Luftdruckverhältnisse für etwa eine Woche im Voraus und vage für bis zu 15 Tagen. Die Ensemble-Vorhersagekarte des NOAA (USA- Wetterdienst) vom 25.11. für den 10.12.2020 zeigt tiefen Luftdruck von Island zum Eismeer, hohen Luftdruck über Iberien und westlich davon. Interessant ist der tiefe Luftdruck im östlichen Mittelmeer; er könnte die Westdrift schwächen (Quelle: NOAA). Sollte das so eintreten (noch sehr unsicher), so würde über Mitteleuropa eine mäßige, eher milde Westströmung herrschen, nach tiefem Winter sieht das zwar nicht aus, aber zumindest zeitweise könnte subpolare Meeresluft für Flockenwirbel im Bergland und vielleicht gar für nassen Schnee und häufigere Nachtfröste im Tiefland sorgen:
Allerdings zeigten die einzelnen Modell-Läufe des GFS, es gibt deren je 30 für jeden Startzeitpunkt, seit etwa dem 20.11. vermehrt Fälle, in denen zumindest zeitweise entweder hoher Luftdruck über dem nördlichen Mitteleuropa und Skandinavien herrschen soll, oder es zu einer mehr oder weniger deutlichen Troglage über Mitteleuropa und dem Mittelmeer kommt; Beides eröffnet Chancen für zumindest teilweise winterliche Verhältnisse; hier zwei Beispiele (Quelle):
Die obere Karte ähnelt einer Troglage über Mitteleuropa; Schnee wäre möglich, besonders im Bergland. Die untere Karte zeigt ein Hoch über Nordwest-Russland mit Keil nach Skandinavien, was Kälte und vielleicht auch etwas Schnee bedeutet. Leider zeigen aber auch noch einige Modell-Läufe in diesem stets extrem unsicheren „Glaskugel-Bereich“ mildes Westwetter; immerhin verlief aber der Monatswechsel Nov./Dez. recht kalt; so dass man sich größere Hoffnungen auf einen mehr oder weniger winterlichen Dezember, vielleicht gar mit der ein oder anderen „Weißen Überraschung“ bis ins Flachland, machen kann.
6. Die aktuelle Tendenz der Wintertemperaturen in Deutschland
Trends erlauben nie Rückschlüsse auf den Einzelfall und keine Extrapolation in die Zukunft. Die Wintertemperaturen entwickelten sich in den letzten gut 30 Jahren folgendermaßen:
Trotz der sehr milden Winter 2013/14, 2015/16, 2018/19 und 2019/20 sowie kontinuierlich steigender CO2-Konzentration (obere, grüne Linie) stieg das Wintermittel seit 33 Jahren als einziges Jahreszeitenmittel kaum noch, weil die schon erwähnte nachlassende Sonnenaktivität und schwächere Zonalzirkulation bereits Wirkung zeigen. Und die DWD-Daten sind nicht wärmeinselbereinigt. Einen deutlicher fallenden Trend zeigt die wärmeinselarme Station Amtsberg/Erzgebirge:
Aber die „richtige“ Kälte dürfte indes wegen der Trägheit des Klimasystems erst in wenigen Jahren bis Jahrzehnten zuschlagen („Kleine Eiszeit“). Die seit einigen Jahren wieder leicht steigende Zahl von Nebeltagen weist gleichfalls auf eine sehr langsam beginnende Abkühlung hin.
7. Die Nordatlantische Oszillation (NAO), die AMO, die QBO und der Polarwirbel – verderben uns QBO-Westwindphase und Polarwirbel mal wieder den Winter?
Der NAO-Index ist ein Maß für die Intensität der Westströmung über dem Ostatlantik im Vergleich zum Langjährigen Mittel. Positive NAO-Werte bedeuten häufigere und intensivere, im Winter eher milde Westwetterlagen. Bei negativen NAO-Werten schwächt sich die Intensität der Zonalströmung ab, bei stark negativen Werten kann sie gar in eine Ostströmung umschlagen oder meridional verlaufen. Im Juli und bis Mitte Oktober überwogen negative, danach und im August/September positive NAO-Werte bei merklichen Schwankungen (Quelle):
Mitunter verändert sich die NAO sprunghaft (schwere Vorhersagbarkeit). Die AMO (ein Maß für die Wassertemperaturschwankungen im zentralen Nordatlantik) beendet vermutlich bald ihre Warmphase. Ein kompletter AMO-Zyklus dauerte seit Beginn regelmäßiger Messungen meist etwa 50 bis 80 Jahre, somit ist in naher Zukunft ein Wechsel in die Kaltphase möglich. Mehr zum Zusammenhang von AMO, NAO und den Temperaturverhältnissen in Deutschland unter anderem hier.
AMO-Warmphasen erhöhen die Wahrscheinlichkeit für einen kalten Winter nur leicht, weil diese Konstellation kalte, nordöstliche Strömungen („Wintermonsun“) begünstigen könnte. Und die sogenannte QBO (Windverhältnisse in der unteren Stratosphäre der Tropen, die etwa alle 2,2 Jahre zwischen West und Ost pendeln), wechselte im Herbst fast in allen Schichten zur Westwind-Phase, was eher für eine Begünstigung der milden Westlagen spricht. In diesem Zusammenhang lohnt noch ein Blick auf die mögliche Entwicklung des Polarwirbels. Ein ungestörter, sehr kalter Polarwirbel im 10-hPa-Niveau (gut 25 Km Höhe, Stratosphäre) ist kreisrund und in der Arktis extrem kalt, was Westwetterlagen begünstigt, welche in Deutschland mild sind. Für den 11. Dezember wird ein Polarwirbel vorhergesagt, der relativ gut entwickelt und nur leicht gestört ist; in seinem Zentrum östlich von Grönland sollen so um die minus 84°C herrschen – leider ein wichtiges Vorzeichen für eher milde Dezember-Witterung in Mitteleuropa (Quelle: Französischer Wetterdienst):
NAO, QBO, AMO und das Verhalten des Polarwirbels deuten also auf einen eher milden bis sehr milden Winter hin.
8. Verursacht das angeblich verschwindende Arktische Meereis kältere Winter? Für die relativ kalten Winter 2009/10 und 2012/13 wurde das schwindende arktische Meereis, speziell im September, verantwortlich gemacht. Mit etwa 3,9 Millionen Km² gab es im Septembermittel 2020 nur eine etwas größere Eisfläche, als zum bisherigen Negativ-Rekordmittel von 3,57 Millionen Km² (Sept. 2012) (Daten: NSIDC, National Snow and Ice Data Center der USA). Bei AMO-Warmphasen wird mehr Wärme in die europäische Arktis eingetragen. Die minimale Eisausdehnung und die geringere Westlagenhäufigkeit der 2000er Jahre „passen“ gut zum AMO-Maximum. Genaueres Zahlenmaterial zur Eisausdehnung liegt leider erst seit 1979 vor (Einführung der flächendeckenden, satellitengestützten Überwachung). Zumindest in diesem relativ kurzen Zeitraum von gut 40 Jahren bestand ein signifikanter Zusammenhang zwischen der AMO und der Fläche des winterlichen Arktis-Meereises:
Ähnlich wie in den 1930er Jahren, als während der damaligen AMO-Warmphase ebenfalls ein Meereisrückgang sowie vor allem ein starkes Abschmelzen der Grönland-Gletscher herrschte. Näheres dazu hier. Die These „weniger Arktiseis – mehr Winterkälte in Deutschland“ ist unhaltbar; tatsächlich gibt es nur einen geringen, nicht signifikanten Zusammenhang:
Auch bei Betrachtung anderer Bezugszeiträume besteht keine signifikante Korrelation. Die aktuelle Meereisbedeckung im Vergleich zu den Vorjahren auf der Nordhalbkugel kann man hier abrufen. Laut einer Fehlprognose von Al Gore sollte der Nordpol schon im Spätsommer 2013 eisfrei sein. Näheres hier. Im Herbst 2020 setzte das Eiswachstum relativ spät und erst verhalten, ab Mitte Oktober dann beschleunigt ein, zeitweise gab es weniger Eisflächen, als im Herbst 2012; die starke Eiszunahme im Spätherbst könnte den Temperaturgegensatz zwischen niederen und hohen Breiten aber verstärken und milde Westlagen im Frühwinter begünstigen. Insgesamt hat das komplizierte, wenig erforschte Zusammenspiel zwischen Meeresströmungen, AMO, Meereis und Großwetterlagen wahrscheinlich großen Einfluss auf die Witterungsverhältnisse. Die Ausdehnung der Schneebedeckung im Spätherbst (Okt/Nov) in Eurasien hat ebenfalls keine eindeutigen Auswirkungen auf die deutsche Winterwitterung. So bedeckte der Schnee in den Spätherbsten 1968, 70, 72, 76, 93, 2002, 09, 14,15 und 16 auf der größten zusammenhängenden Landmasse der Erde eine deutlich überdurchschnittliche Fläche, doch nur die 3 Winter 1968/69, 2002/03 und 2009/10 waren danach zu kalt, während die anderen 7 zu mild ausfielen; letztmalig der von 2016/17, trotz des kalten Januars. Eine große Überraschung bot dieser Analyseteil trotzdem. Im Herbst und Winter wächst nämlich die mit Schnee bedeckte Fläche Eurasiens; nur im Frühling und Sommer nimmt sie ab. Sollte es Dank des „Klimawandels“ nicht immer weniger Schneeflächen in allen Jahreszeiten geben?? Und die wahre Ursache für die Abnahme im Frühjahr/Sommer ist nicht das CO2, sondern vermutlich mehr Sonnenschein (siehe folgende Abbildung):
9. Analogfälle (ähnliche Witterung wie 2019)
Bei dieser Methode werden die dem Winter vorangehenden Monate hinsichtlich ihres Witterungsverlaufs untersucht. Betrachtet man alle mehr oder weniger zu kalten Winter der vergangenen 4 Jahrzehnte inklusive solcher, die bei milder Gesamtwitterung mindestens eine mehrwöchige Kälteperiode aufwiesen, so gingen diesen Wintern bis auf die Ausnahme von 2011 Herbste voraus, die schon mindestens einen auffälligen Kälteeinbruch hatten. Dabei war nur selten der Herbst insgesamt zu kalt, aber er wies dann mindestens einen zu kalten Monat oder wenigstens eine markante Kaltphase auf (November 1978, 1980, 1981, 1984, 1985, September 1986, September 1990, November 1993, November 1995, September 1996, September/Oktober 2002, November 2005, September 2008, Oktober 2009, November 2010, Oktober 2012, 2015, Oktober/November 2016, September 2017). Schneite es bereits im Oktober stellenweise bis ins Flachland (2002, 2009, 2012 und 2015), so war in den ersten 3 Fällen der gesamte Winter zu kalt; 2015/16 kam es nur im Januar besonders in Nordostdeutschland zu längeren, winterlichen Phasen. Vor den meisten fast durchgängig milden Wintern (1973/74,1974/75,1987/88,1988/89,1989/90, 2006/07, 2007/08, 2013/14, 2014/15) waren die Herbste entweder rau, gemäßigt oder extrem mild; markante Kälteeinbrüche fehlten jedoch oder waren, so wie auch 2020, nur undeutlich und kurz (November 1988 und 1989). Das Witterungsverhalten im September/Oktober 2020 (Sept. zu trocken und zu warm, Oktober zu mild und zu nass) deutet eher auf einen mehr oder weniger milden Winter hin.
Zu warmen Sommern folgen meist zu milde Winter (positiver Zusammenhang). Für seriöse Vorhersagen ist diese Beziehung allein freilich viel zu schwach. Zwischen den Herbst- und Wintertemperaturen findet sich sogar ein etwas deutlicherer positiver Zusammenhang; der insgesamt recht milde Herbst 2020 deutet also eher auf einen milden Winter hin. Bei Betrachtung des Deutschland-Temperaturmittels aus den meteorologischen Jahreszeiten Sommer und Herbst zusammen ergibt sich ein bemerkenswerter Zusammenhang; besonders, wenn man nur diejenigen Zeiträume betrachtet, in denen das zu hohe Temperaturmittel von Juni bis November die einfache Standardabweichung von1881 bis 2019 erreicht oder überschreitet:
Von den 19 Fällen mit deutlich zu hohem Sommer- und Herbstmittel folgten also nur zwei zu kalte Winter; die übrigen 16 waren allesamt mehr oder weniger deutlich zu mild. Betrachtet man von diesen 19 Fällen nur die 8, bei denen auch der Sommer und der Herbst für sich ihre einfache Temperatur-Standardabweichung erreichten oder überschritten (pink markiert), so waren sogar alle ihnen folgenden Winter zu mild, darunter die extrem milden 2006/07 und 2019/20. Aber der Spätsommer 2020 (August und September) liefert dazu widersprüchliche Hinweise. Er stellte nach der Objektiven Wetterlagen-Klassifikation des DWD (seit 1979 verfügbar) mit 31 Tagen einen neuen Häufigkeitsrekord der Unbestimmten Wetterlagen (solche ohne eindeutige Anströmrichtung, als XX-Lagen bezeichnet) auf. Ähnlichen Spätsommern folgten in der Vergangenheit tendenziell kalte Frühwinter; zum Februar besteht keinerlei Zusammenhang:
Vage in die andere Richtung weist die Sonnenscheindauer des vorangehenden Frühlings und Sommers. War sie, wie auch 2020, zu hoch, so folgt tendenziell eher ein milder Winter. Lohnender ist ein Blick auf die mittlere Höhenlage der 500-hPa-Fläche über Deutschland. Lag diese im Jahresmittel, so wie auch 2020 zu erwarten, höher als im Langjährigen Mittel, so deutet das mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auf einen Mildwinter hin, besonders dann, wenn diese zu hohe Lage zwischen Januar und September auftrat, was, mit Ausnahme des Junis, auch 2020 zutraf. In den Fällen, bei denen das Höhenlage-Mittel von Januar bis September die einfache Standardabweichung des Zeitraumes von 1948 bis 2019 überschritt, das war erstmals 1989 und insgesamt zwölfmal zu verzeichnen, waren 11 der Folgewinter, vor allem der Januar, mehr oder weniger deutlich zu mild, nur der von 2002/03 zu kalt. Und 2020 war das Geopotential dieses Zeitraumes mit etwa 5653 gpdm so hoch, wie noch nie. Auch die deutlich zu geringe Anzahl der Wetterlagen mit nördlichem Strömungsanteil (dafür zu viele südliche) zwischen Juli und September 2020 ist ein gewisser Hinweis auf einen eher milden Winter. Insgesamt deutet sich nach den Analogfällen bei extremer Widersprüchlichkeit der Signale also eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen bestenfalls normalen, wahrscheinlicher viel zu milden Winter an, aber vielleicht trotzdem mit einer längeren Kaltphase oder einem einzelnen, kalten Monat.
10. Die Hurrikan-Aktivität (Nordatlantik) und Zyklonen-Aktivität (nördlicher Indik)
Mit gewissen Abstrichen (mangelnde Beobachtungsmöglichkeiten vor Einführung der Satellitentechnik) ist die jährliche Anzahl der Tropischen Wirbelstürme im Nordatlantik (Hurrikane) und der Zyklone (nördlicher Indischer Ozean) etwa bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt. Die verheerenden, meist wenige Tage bis selten länger als zwei Wochen existierenden Hurrikane gelangen nie nach Mitteleuropa. Aber sie beeinflussen unsere Witterung. Sie schwächen bei bestimmten Zugbahnen das Azorenhoch oder kommen bei Einbeziehung in die Westdrift als normale Tiefs nach Europa, wo sie im Spätsommer/Herbst mitunter einen markanten Witterungsumschwung einleiten. Auch die Anzahl der im nördlichen Indischen Ozean jährlich vorkommenden Wirbelstürme (Zyklone) könnte einen gewissen Einfluss auf unsere Winterwitterung haben; es gibt von 1890 bis 2018 eine leicht negative Korrelation (tendenziell kältere Winter, wenn dort viele Zyklone auftraten). Im Mittel von 1851 bis 2017 sind gut 5 Hurrikane pro Jahr (die Saison beginnt meist erst zwischen Mai und Juli, doch 2016 gab es schon im Januar einen Hurrikan, und endet spätestens Anfang Dezember) aufgetreten. Erreichte ihre Zahl mindestens 10 (1870, 1878, 1886, 1887, 1893, 1916, 1933, 1950, 1969, 1995, 1998, 2005, 2012 und 2017), so waren von den 14 Folgewintern 11 zu kalt, und nur 3 (1998/99, 1950/51 und 2017/18, da aber kalter Februar!) zu mild. Bei fast all diesen Fällen brachte allerdings schon der Spätherbst markante Kältewellen; selbst vor zwei der milden Wintern waren diese zu beobachten; besonders markant 1998, und 2017 war der September zu kalt. Bei deutlich übernormaler Hurrikan-Anzahl besteht eine erhöhte Neigung zur Bildung winterlicher Hochdruckgebiete zwischen Grönland und Skandinavien. In diesem Jahr gab es bislang schon 13 Hurrikane und damit erheblich zu viele, bloß vor dem Kaltwinter 2005/06 gab es mit 15 Hurrikanen noch mehr, was für einen kalten Winter spricht. Von den bisher 15 Fällen mit mindestens 10 Hurrikanen pro Saison waren 10 Folge-Winter mehr oder weniger kalt, darunter die von 1916/17, 1969/70, 1995/96 und 2010/11; zwei normal und drei zu mild, letztmalig 2017/18. Aber diese fünf normalen bis wärmeren Winter wiesen stets wenigstens kältere Abschnitte oder gar einen zu kalten Monat auf; letztmalig den Februar 2018. Im Indischen Ozean war die Zyklon-Aktivität 2020 aber deutlich unterdurchschnittlich, was aber nur vage auf einen Mildwinter hindeutet. Die Wirbelsturm-Aktivität gibt diesmal also eher Hinweise auf einen Kaltwinter in Deutschland.
11. Die Langfrist- Vorhersagen einiger Institute, Wetterdienste und Privatpersonen:
UKMO-Metoffice (Großbritannien): Stand 11.11.2020 Winter (D, J, F) mit deutlich erhöhter Wahrscheinlichkeit in ganz Deutschland zu mild (folgende Karte):
Anmerkung: Hier wird nur die Metoffice- Karte mit der Wahrscheinlichkeit des Abweichens vom Median gezeigt. Es gibt zwei weitere. Diese Median-bezogene Wahrscheinlichkeitsaussage zeigt, wie die anderen Karten auch, eine sehr stark erhöhte Wahrscheinlichkeit für über dem Median liegende Wintertemperaturen besonders in Mittel- und Nordosteuropa sowie über dem Eismeer und Teilen des Mittelmeeres:
Die aktuellen Karten jederzeit hier
Meteo Schweiz Stand Nov. 2020: Je leicht erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen normalen und einen zu milden Winter. Zusammen ergibt das eine Wahrscheinlichkeit von gut 80% für „normal“ bis „zu mild.“ Zu kalter Winter zu kaum 20% wahrscheinlich; normaler zu etwa 40%, milder etwas mehr. Die „doppelten T“ sind die Fehlerbalken; die Prognose gilt nur für die Nordostschweiz, ist aber auch für Süddeutschland repräsentativ:
ZAMG (Wetterdienst Österreichs) Stand Nov. 2020: Dezember mit je ganz leicht erhöhter Wahrscheinlichkeit normal oder mild; immerhin noch gut 25% Wahrscheinlichkeit für einen kalten Dezember. Im Januar 2021 erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für „normal“ oder „zu mild“ etwas; für Februar lag noch keine Aussage vor (Prognose hier)
LARS THIEME (langfristwetter.com) Vorhersage von Anfang November 2020: Dezember und Januar normal, Februar sehr mild. Winter daher insgesamt eher zu mild. Die Prognose bezieht sich vorrangig auf Mittel- und Nordostdeutschland; leider diesmal ohne „von-bis-Temperaturintervalle“ für die einzelnen Monate:
IRI (folgende Abbildung), Vorhersage vom Nov. 2020: Kaum Aussagen für Deutschland; lediglich in Südost-Sachsen und Süd-Bayern leicht erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen zu kalten Winter; zu mild in weiten Teilen Nord- und Osteuropas:
DWD (Offenbach): In Deutschland 0,5 bis 2°C zu mild, je nach Ensemble-Auswahl, bezogen auf den DWD-Mittelwert der Jahre 2004 bis 2019, der ca. 1,4°C beträgt (Stand 11. Nov. 2020):
NASA (US-Weltraumbehörde) Karten vom November 2020: Dezember in Nordwestdeutschland normal, sonst etwa um 0,5°C zu mild, Januar normal, Februar deutlich zu mild; Winter insgesamt also überall zu mild:
CFSv2- Modell des NOAA (Wetterdienst der USA, folgende 3 Abbildungen, Eingabezeitraum 14. bis 24.11. 2020): Winter insgesamt etwa 1 bis 2 K zu mild. Dezember (oben) 0,5 bis 2 K, Januar (Mitte) 1 bis 3 K, Februar (unten) 0,5 bis 2 K zu mild. Die vorhergesagten Temperaturabweichungen beziehen sich auf die Mittelwerte der Periode 1981 bis 2010. Bemerkenswert ist, dass der Mildwinter von diesem Modell schon seit dem Sommer 2020 nahezu durchgängig vorhergesagt wird. Diese experimentellen, fast täglich aktualisierten, aber unsicheren Prognosen unter http://www.cpc.ncep.noaa.gov/products/people/wwang/cfsv2fcst/ (Europe T2m, ganz unten in der Menütabelle; E3 ist der aktuellste Eingabezeitraum):
Die Mehrzahl dieser experimentellen, nicht verlässlichen Langfristprognosen deutet also einen eher normalen bis deutlich zu milden Winter an.
Fazit: Eindeutige, verlässliche Anzeichen für einen Winter in die extrem kalte Richtung fehlen; für die extrem milde Richtung gibt es nur ganz wenige Signale. Die Prognosesignale waren selten so widersprüchlich und instabil; lassen aber Raum für mehr Kälte. Die Vorhersagen der Wetterdienste und Institute tendieren jedoch bei extrem großer Unsicherheit in Richtung eines normalen bis sehr milden Winters. Allerdings verdichten sich die Anzeichen für einen kälteren Dezember als in den Vorjahren, weil unter anderem zumindest anfangs die Westdrift blockiert und geschwächt ist. Insgesamt fällt der Winter 2020/21 nach momentanem Stand also bei enormer Unsicherheit fast normal aus und wird im Deutschland-Mittel auf minus 1,0 bis +3,0°C geschätzt (LJM 1991 bis 2020 +1,4°C). In den Kategorien „zu kalt“, „normal“ und „zu mild“ stellen sich die Wahrscheinlichkeiten des Winters 2020/21 folgendermaßen dar:
Die Schneesituation für Wintersport besonders in Lagen unter 1.000m bleibt zumindest in der ersten Dezemberdekade eher schlecht, weil eine ausreichende Schneeauflage fehlt und sehr ergiebige Schneefälle vorerst nicht sehr wahrscheinlich sind. Geschätzte Dezember- Monatsmitteltemperatur für Erfurt-Bindersleben (Mittel 1981- 2010 +0,5°C) minus 1,5 bis +2,5°C (fast normal). Für Jan/Feb. 2021 lässt sich noch kein Temperaturbereich schätzen; doch deuten viele Signale auf einen eher normalen bis milden Januar hin; Richtung Februar ist die Entwicklung noch völlig offen. Das Schneeaufkommen nach Mitte Dezember ist kaum vorhersehbar (langfristige Niederschlagsprognosen sind besonders unsicher; doch dürfte das enorme Niederschlagsdefizit der Dürregebiete in Ostdeutschland wohl nicht ausgeglichen werden). Zur Winterlänge fehlen bisher ebenfalls noch Hinweise. Die Hochwinterwitterung (Jan/Feb.) kann erst anhand des Witterungstrends zum Jahreswechsel etwas genauer abgeschätzt werden; momentan ist ein normaler bis milder Hochwinter etwas wahrscheinlicher, als ein durchgehend zu kalter. Wegen einer möglichen Westwindphase in der unteren Stratosphäre (QBO) sind mildere Phasen möglich. Sollte der Dezember aber tatsächlich eher kühl ausfallen, so erhöht das die Wahrscheinlichkeit für einen kalten Hochwinter 2021, besonders im Januar, zumindest etwas.
Dieses Fazit wurde aus 10% der Tendenz der Bauern- Regeln, 10% Sonnenaktivität, 20% Zirkulationsverhältnisse, 10% Mittelfrist- Modelle, 10% NAO, AMO,QBO, Polarwirbel, 15% Analogfälle, 10% Wirbelsturm-Aktivität und 15% der vorwiegenden Tendenz der Langfristprognosen gewichtet. Aktualisierung voraussichtlich Ende Dezember.
Ihnen, Herr Hübner ein ein ganz herzliches Dankeschön für Ihre Anmerkung, die ich so witzig fand, daß ich unwillkürlich ganz laut lachen mußte.
Aber auch Herr Kämpfe hat für seine unwahrscheinliche Fleißarbeit viel Anerkennung verdient. Ist das die Arbeit eines Freizeitmeterologen; das wäre dann doch wirklich phänominal. Ich werde mir jedenfalls ein Lesezeichen einrichten, um dann im nächsten Frühjahr es mit der tatsächlichen Entwicklung vergleichen zu können.
Der Index der Arktischen Oszillation ist derzeit noch positiv. D.h. der Nordpolarwirbel ist noch stabil und die Kaltluft der Arktis kann noch nicht in südliche Breiten vordringen.
Heute gab es hier im Norden aber schon Frost und nachher noch ein bisschen Schnee.
Ich rechne mit einem richtigen Wintereinbruch hier im Norden erst in einem Monat. So um Neujahr. Mal schauen, ob ich damit richtig liege.
Mal schauen
Also ich schließe mich mal der Prognose an: Es wird ein normaler mitteleuropäischer Winter, zumindest in der Region Westsachsen/Ostthüringen. Meine „Vorhersagekristallkugel“ seit Jahren: Das Wachstum, der Blätter und Blütestand der Königskerze. Dem kalten, schneereichen und langen Winter 2009/2010 ging bei uns ein langes, extremes Blütenmeer der Königskerze voraus. In den letzten beiden Jahren waren die Königskerzen eher kümmerlich – milde Winter folgten. Dieser Zusammenhang wird auch schon in „alten Kräuterbüchern“ beschrieben und hat sich als allgemeine Winterprognose bisher ganz gut bewährt. Diesen Sommer waren die Königskerzen im Juli/August recht groß und blühten gut (nicht sehr gut). Das weißt auf einen durchschnittlich normal winterlichen Januar/Februar hin, wobei es natürlich auch hier zu wärmeren Tagen kommen kann. Wie gesagt: regional. Mal sehen, ob dies wieder stimmt.
Die bisher sicherste und noch nie widerlegte Wettervorhersage lautet: Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt so wie es ist. Leider gibt es bei uns immer weniger Misthaufen, weshalb die Vorhersage immer schwieriger wird.
Hallo Herr Hübner,
noch besser ist aber diese Regel: „Regen im Mai – April vorbei!“ Leider kann sie, wie unschwer zu erkennen ist, nicht auf den Winter angewendet werden.
„Boah, wo kommt denn dieser eiskalte Wind her ?“ – so wurde wohl das Wort W I N T E R „geboren“ 😉
mag sein Herr Palla. Im Schwäbischen spricht man „Wind“ mit e, also „wend“ aus und Winter wird zu „wendr“