USA
Während der vergangenen Monate erschienen zwei Arbeiten zur USA, die sowohl die West- als auch Ostküste zum Thema hatten. Im März 2015 veröffentlichten Thomas Wahl und Don Chambers im Fachblatt Journal of Geophysical Research eine Studie, in der die Autoren sechs Meeresbereiche um die USA identifizieren, die sich durch jeweils gemeinsame Muster in der natürlichen Variabilität der Meeresspiegelentwicklung auszeichnen. Ein verbessertes Verständnis dieser Bewegungsmuster ist unerlässlich, um natürliche von anthropogenen Anteilen des Meeresspiegelanstiegs zu differenzieren. Hier der Abstract:
Beweise für eine multidekadische Variabilität in den Extrem-Meeresspiegel-Aufzeichnungen der USA:
Wir analysieren einen Datensatz von 20 Tidenmessungen an der gesamten zusammenhängenden US-Küstenlinie im Zeitraum von 1929 bis 2013, um langfristige Trends und multidekadische Variationen des Meeresspiegels (ESL) zu identifizieren relativ zu Änderungen der mittleren Höhe des Meeresspiegels (MSL). Verschiedene Methoden der Datensammlung und Analyseverfahren werden angewendet, um die Robustheit der Ergebnisse mit der gewählten Verfahrensweise abzuklopfen. Bedeutende, jedoch kleine langfristige Trends hinsichtlich ESL über/unter dem MSL wurden an individuellen Stellen entlang der meisten Küstenabschnitte gefunden, beschränken sich jedoch hauptsächlich auf die Südostküste und den Winter, wenn Sturmfluten hauptsächlich durch extratropische Zyklonen getrieben werden. Wir identifizieren sechs Regionen mit etwa kohärenten und merklichen multidekadischen ESL-Variationen, die keine Beziehung zu Änderungen des MSL aufweisen. Mittels einer quasi-nichtstationären Extremwert-Analyse zeigen wir, dass Letzteres Variationen verursacht hätte von design relevant return water levels [?] (50 bis 200-jährige Wiederkehr-Perioden) im Bereich etwa 10 cm bis zu 110 cm in den sechs Regionen. Die Ergebnisse werfen Fragen auf hinsichtlich der Anwendbarkeit der „MSL-Offset-Methode“ mit der Hypothese, dass ESL-Änderungen primär von Änderungen des MSL getrieben werden, ohne eigene langzeitliche Trends oder Variationen geringer Häufigkeit zuzulassen. Die Identifizierung der kohärenten multidekadischen ESL-Variabilität ist unabdingbar zum Verständnis der treibenden physikalischen Faktoren. Ultimativ muss diese Information in Baumaßnahmen an der Küste sowie Anpassungsprozesse Eingang finden.
Drei Monate später, im Juni 2015, legten Hamlington et al. ebenfalls im Journal of Geophysical Research nach und beschrieben Meeresspiegeleffekte, die auf das Wechselspiel zwischen El Nino/La Nina zurückgehen. Auch diese führen entlang der US-Küsten zu charakteristischen Meeresspiegelschwankungen. Im Folgenden die Kurzfassung der Studie:
Die Auswirkung der El Nino-Southern Oscillation auf den regionalen und küstennahen Meeresspiegel in den USA:
Obwohl sich das Interesse am zukünftigen Anstieg des Meeresspiegels auf den Zusammenhang mit der anthropogenen Erwärmung konzentriert, kann die interne Klimavariabilität in kürzeren Zeiträumen signifikant zum regionalen Zustand des Meeresspiegels beitragen. Diese Variabilität des Meeresspiegels sollte in die Überlegungen einbezogen werden, wenn es um die Planung der Bemühungen geht, die Auswirkungen eines zukünftigen Anstiegs des Meeresspiegels abzuschwächen. In dieser Studie quantifizieren wir den Beitrag der El Nino Southern Oscillation (ENSO) zum regionalen Meeresspiegel. Mittels einer zyklo-stationären empirischen orthogonalen Funktionsanalyse (CSEOF) des weit in die Vergangenheit rekonstruierten Datensatzes und eines Datensatzes mit Tidenmessungen in den USA werden zwei globale Zustände identifiziert, die von der Variabilität des Pazifiks zusammen mit ENSO dominiert werden und auch durch die Pacific Decadal Oscillation. Mittels einer Schätzung des kombinierten Beitrages dieser zwei Zustände zum regionalen Meeresspiegel kommen wir zu dem Ergebnis, dass ENSO signifikant im Kurzfristzeitraum zur Höhe des Meeresspiegels beiträgt, wobei es entlang der US-Westküste Änderungen bis zu 20 cm geben kann. CSEOF der langzeitlichen Tidenmessungen um die USA unterstreichen den Einfluss von ENSO an der US-Ostküste. Mit Tandem-Analysen sowohl der rekonstruierten als auch der gemessenen Aufzeichnungen untersuchen wir auch die Brauchbarkeit der Meeresspiegel-Rekonstruktionen für küstennahe Studien.
Florida
Im Stern konnte man am 6. Dezember 2014 eine unterhaltsame vorweihnachtliche Reportage aus Miami von Norbert Höfler lesen:
Klimawandel in Miami: Täglich verlassen die Kakerlaken die sinkende Stadt
Irgendwann wird das Meer Miami gefressen haben. Schon jetzt sind die ersten Vorboten zu spüren. Erstaunlich, dass die Stadt dennoch boomt wie nie. Besuch in einer Stadt am Rand des Untergangs.
Gänsehaut. Eine Stadt kurz vor dem Exitus. Party auf der Titanic kurz vor dem Untergang. Zum Glück gibt es Visionäre, die schon Ideen für den Tag X haben. Waterworld lässt grüßen. Wir lesen im Stern:
Raymond Romero, der Fischer aus Miami Beach, hat viel über den Klimawandel und die Veränderungen in den Ozeanen gehört. Das Eis an den Polen schmilzt, und die Temperatur in den Meeren zieht an. Wärmeres Wasser braucht mehr Platz als kaltes. Der Meeresspiegel steigt. Romero macht schon Notfallpläne. “Ich fülle den unteren Stock des Hauses mit Sand und Beton und baue ein neues obendrauf.” Ein Haus auf dem Haus. Wenn das alle so wie er machen würden, glaubt er, könnte eine neue Stadt auf der alten Stadt entstehen. Ob das zu bezahlen ist? Romero zuckt mit den Schultern und sagt: “Entweder Miami ersäuft und wird zur Geisterstadt – oder zum teuersten Pflaster der Welt.” Die meisten Bewohner der Millionenmetropole wissen, dass ihre Stadt ein Opfer des steigenden Meeresspiegels werden wird. Es ist keine Frage mehr, ob es passiert. Ungewiss ist nur noch, wann die Wassermassen einen Großteil Floridas unbewohnbar machen. Ob schon in 20 Jahren, in 50 oder in 100 Jahren. Forscher warnen: Miami wird zur Hochwasserruine.
Es ist richtig, dass Miami heute nur knapp über dem Meeresspiegel liegt. Deshalb jedoch vor einem moderaten Meeresspiegelanstieg von 30 cm pro Jahrhundert in Panik zu geraten wäre sicher falsch. Gerade eine reiche Stadt wie Miami wird sicher die Mittel aufbringen können, um sich vor dem Wasser zu schützen. Man erinnere sich an die Niederlande. Dort liegt etwa ein Viertel der gesamten Landesfläche unterhalb des Meeresspiegels, geschützt von umfangreichen Deichsystemen. Unmöglich in Miami?
Alaska
Vom warmen Miami geht es nun nach Alaska. Von dort berichteten Briggs und Kollegen im April 2014 in den Geophysical Research Letters über einen Sintflut-Retter, über den die Bewohner Miamis sicher neidisch sind: Aufgrund von tektonischen Prozessen wurde die Küste von Sitkinak Island im Kodiak Archipel mehrfach vor der Überflutung bewahrt und nach oben gedrückt. Die Mitgliederzeitschrift der American Geophysical Union „Eos“ schreibt über die Studie:
Im Laufe der letzten 2300 Jahre hat sich die Sitkinak-Insel im Kodiak-Archipel wiederholt über den Meeresspiegel erhoben und ist wieder versunken, wenn der Alaska-Aleuten-Grabenbruch unter der Inselgruppe weiter aufreißt. Mittels einer Vielfalt von Beobachtungsverfahren haben Briggs et al. die sich ändernde Meereshöhe von Sitkinak zurückverfolgt. Bei diesem Prozess wurde eine zuvor nicht erforschte Historie des Grabenbruchs bekannt.
Brasilien
Auf nach Südamerika. Im brasilianischen Bundestaat Rio de Janeiro hat der Meeresspiegel eine ganz und gar verrückte Entwicklung genommen. Vor 5000 Jahren lag der Meeresspiegel noch 5 m über dem heutigen Niveau. In den folgenden Jahrtausenden fiel er in mehreren Etappen und erreichte heute das aktuelle Niveau (Abbildung 1). Die entsprechende Arbeit eines Teams um Alberto Figueiredo Jr. erschien im Dezember 2014 in Palaeo3. Hier der Abstract:
Gekoppelte Variationen von Akkumulationsraten in Sedimenten und des Meeresspiegels in der Guanabara-Bucht in Brasilien während der letzten 6000 Jahre:
Variable Sediment-Akkumulationsraten in Bohrkernen aus der Guanabara-Bucht zeigen, dass das Auffüllen der Bucht vor 6000 Jahren begonnen hat und dass diese Auffüllung nicht gleichmäßig vonstatten gegangen war. Der Vergleich dieser unterschiedlichen Sediment-Akkumulatiosraten und der Meeresspiegel-Fluktuationen während der letzten 5500 Jahre zeigt bezüglich dieses Vorgangs eine lineare Regression. Das Absinken des Meeresspiegels im Zeitraum zwischen vor 5500 und 5000 Jahren zum Beispiel korrespondiert mit höheren Akkumulationsraten im Zeitraum zwischen vor 5130 und 4350 Jahren. Zu dieser Zeit sank der Meeresspiegel von 5 m auf 2 m über dem heutigen Niveau. Das führte zu einem Absinken der Wellenbasis und als Konsequenz zu einer Sedimentverlagerung in die tieferen Regionen der Guanabara-Bucht. Zwischen etwa vor 4350 und 2000-1800 Jahren war der Meeresspiegel stabil mit einer daraus resultierenden Reduktion der Akkumulationsrate. Von dieser Zeit an bis vor etwa 500 Jahren stiegen die Akkumulationsraten wieder, weil ein weiterer Rückgang des Meeresspiegels von 2 m über auf das heutige Niveau stattfand. Die Rate dieses zweiten Absinkens des Meeresspiegels war nicht so hoch wie beim ersten Mal, das gilt auch für die Zunahme der Akkumulationsrate. Obwohl die Radiokarbon-Methode der Datierung eine dramatische Reduktion der Akkumulationsraten zwischen vor 4000 bis 2000 Jahren zeigt, ergeben sich aus Schätzungen der letzten 150 Jahre mit ↑210Pb eine progressive Zunahme der Akkumulationsraten trotz der vermuteten Stabilität und vielleicht sogar einer geringen Anhebung des modernen Meeresspiegel-Niveaus während der letzten 150 Jahre, was sich aus Tidenmessungen ergibt. Akkumulationsraten steigen von 0,14 cm/Jahr auf 0,49 cm/Jahr im Zeitraum 1922 bis 1951 und erreichen 0,60 cm/Jahr von 1963 bis 1993. Während der letzten fünf Jahre verdoppeln sich die Akkumulationsraten von 0,60 cm/Jahr auf 1,25 cm/Jahr. Diese höheren Akkumulationsraten während eines stabilen oder steigenden Meeresspiegels gehen wahrscheinlich zurück auf zunehmende Entwaldung, Ausweitung von Ackerbau, ausgebaggerten Kanälen und zunehmender Versiegelung durch Straßenbau.
Abbildung 1: Meeresspiegelentwicklung im brasilianischen Bundestaat Rio de Janeiro während der vergangenen 6000 Jahre (gestrichelte Kurve). Karos mit Kreuz markieren Meeresspiegelpunkte. Quelle: Figueiredo Jr. Et al. 2014.
Abschließend noch ein Stückchen weiter nach Süden, nach Uruguay. Von dort berichteten Sergio Martinez und Alejandra Rojas im März 2013 ebenfalls Palaeo3 eine weit zurückreichende Meeresspiegelrekonstruktion. Vor 6000 Jahre lag der Meeresspiegel noch deutlich über dem heutigen Niveau und nahm in der Folgezeit bis auf den heutigen Wert ab. Hier die Kurzfassung:
Relativer Meeresspiegel während des Holozäns in Uruguay
Ein Graph des relativen Meeresspiegels während des Holozäns in Uruguay wurde auf der Grundlage von Sturmablagerungen am Strand konstruiert. Der Fehlerbereich war zu groß, um kleine aber signifikante Oszillationen zu erfassen, aber die Anzahl der Punkte und die Koinzidenz unserer Daten mit den Daten aus der Literatur zeigen, dass der Meeresspiegel in Uruguay vor etwa 6000 Jahren über dem heutigen Niveau lag und seitdem gesunken ist. Das nicht parametrisierte Glättungsverfahren zeigt eher eine glatte Kurve des Absinkens des Meeresspiegels, ähnlich der vor der Küste Brasiliens (unterschiedliche Neigung).
Eine Gruppe um Roberto Bracco präzisierte 2014 diese Angaben und geht von einem Meeresspiegelstand vor 6000 Jahren aus, der 4m über dem heutigen Wert lag. Vor 4700 Jahren sank der Meeresspiegel dann innerhalb von einem halben Jahrtausend um einen Meter ab. In der Folgezeit reduzierte sich der Meeresspiegel dann in konstanter Weise um weitere 3 m.
Abbildung 2: Meeresspiegelentwicklung in Uruguay während der vergangenen 7000 Jahre. Quelle: Bracco et al. 2014.
Einen langandauernden Meeresspiegelabfall aus Uruguay beschrieben im März 2015 auch Dominique Mourelle und Kollegen in einem weiteren Palaeo3-Artikel. Hier der Abstract:
Multiproxy-Analyse von Umweltveränderungen während des mittleren und späten Holozäns in Verbindung mit Meeresspiegel-Fluktuationen und Klimavariabilität im Mündungsagebiet des Rio de la Plata:
In dieser Studie haben wir Pollen, Kieselalgen und Andere für palynomorphe Analysen herangezogen aus einer Sedimentschicht aus dem Marschland von Arroyo Solis Grande an der Nordostküste des Rio de la Plata (Uruguay). Die Ergebnisse haben wir verglichen mit einem Regionalmodell der Beziehung zwischen Pollen und Vegetation in den küstennahen atlantischen Salzmarschen (30°S bis 37°S). Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Vegetation in Salzmarschen im Mündungsbereich zwischen vor 8000 und 5100 Jahren entwickelt hatte, als der Meeresspiegel stieg und den Höchststand während des Holozäns erreicht hatte. Brackwassergebiete rund um das Mündungsgebiet reflektieren den Rückgang des Meeresspiegel-Niveaus zum Ende des Holozäns zwischen vor 5100 und 2900 Jahren, verbunden mit einem gesteigerten Zufluss von Süßwasser. Brackwassergebiete und kleine Salzseen zwischen vor 2900 und 1000 Jahren stehen höchstwahrscheinlich mit der Bildung des Deltas des Parana-Flusses in Zusammenhang sowie mit einem weiteren Absinken des Meeresspiegels. Die heutigen Salzmarschen hinter den Sanddünen charakterisieren die letzten 1000 Jahre. Die Integration unserer Ergebnisse mit den Multiproxy-Aufzeichnungen von der südlichen Küste des Rio de la Plata-Mündungsgebietes (Argentinien) und von der Küstenebene des Anteils am Südatlantik von Südamerika (30°S bis 37°S) zeigen, dass der maritime Einfluss während des Meeresspiegel-Höchststandes zur Entwicklung einer Vegetation führte ähnlich der der geographischen Region. Allerdings kam es nach vor etwa 3000 Jahren zu lokalen Unterschieden in Zusammenhang mit unterschiedlichem Klima und unterschiedlicher Geomorphologie in jedem Gebiet. Dies führte zur Etablierung unterschiedlicher heutiger Pflanzengemeinschaften zu verschiedenen Zeiten zum Ende des Holozäns.
Link: http://www.kaltesonne.de/28025/
Beitrag zuerst erschienen im Blog „Die Kalte Sonne“. Übersetzung der englischen Abschnitte von Chris Frey EIKE
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Zu diesem Themenbereich gibt es einen Link aus der WAZ von heute:
http://goo.gl/Evj8Ii
Ich finde es bemerkenswert, dass diese Forschung überhaupt veröffentlicht wurde.