LNT or not LNT, that is the Question

Prof. Dr. Klaus Becker

ZUSAMMENFASSUNG

Der Autor prüft kritisch Grundlagen und Auswirkungen der LNT-Hypothese und kommt unter anderem zu dem Schluss, dass die extremen Kosten zur Dosisreduzierung im Niedrigdosis-Bereich selbst bei Akzeptanz der LNT-Hypothese in einem hohen Missverhältnis zu rein hypothetischen und allenfalls marginalen Gesundheitsfolgen stehen. Er fordert deshalb einen baldigen Paradigmenwechsel im Strahlenschutz.

Paradigmenwechsel im Strahlenschutz?

Die Bewertung von Gesundheitsrisiken durch Strahlenexpositionen im Bereich von weniger als etwa 100 mSv ist für eine breitere Akzeptanz der Strahlennutzung auf allen Gebieten einschließlich Kernenergie von erheblicher Bedeutung. Hierzu findet im Zusammenhang mit Berichten und Empfehlungen renommierter Institutionen wie ICRP und BEIR sowie kritischen Stellungnahmen dazu seitens der französischen Akademien der Wissenschaften etc. inzwischen auch hierzulande eine grundsätzliche Diskussion um einen erforderlichen Paradigmenwechsel statt – weg von der LNT(Linear No Threshold)-Hypothese und der daraus abgeleiteten Kollektivdosis und hin zu einem strahlenbiologisch sinnvolleren Konzept. Erkenntnisse über grundsätzliche Unterschiede in der biologischen Wirkung niedriger und höherer Dosen, aber auch die fortgeschriebene Beurteilung der radiologischen Folgen des Tschernobyl-Unfalles vermitteln dazu anregende Einsichten.

Nicht nur in der StrahlenschutzPRAXIS (z. B. [1, 2]), sondern auch in anderen Fachzeitschriften [3, 4, 5] hat in den letzten Jahren u. a. der Verfasser auf die weltweite Kontroverse zu den Risikoannahmen für niedrige und niedrigste Strahlendosen aufmerksam gemacht. Auf Grund neuerer Erkenntnisse findet dieses Thema zunehmend auch in Deutschland Interesse. So fand z. B. im April 2006 in Theuern ein Workshop zur LNT- und Kollektivdosis-Problematik statt [6] und auch die 4. Biophysikalische Arbeitstagung in Bad Schlema vom 22. Bis 24. 9. 2006 befasst sich mit dieser Thematik. Dies mag eine kurze Darstellung einiger neuer Entwicklungen rechtfertigen.

Wahrnehmung und Kosten des Niedrigdosis-Risikos

Zur Definition niedriger und niedrigster Strahlendosen gibt es noch keinen formellen internationalen Konsens. Die meisten Autoren sprechen bei weniger als 100–200 mSv, das heißt unterhalb der Schwelle nachweisbarer negativer Gesundheitseffekte, von niedrigen und unterhalb 10–20 mSv von niedrigsten Dosen. So werden in einer wichtigen Erklärung der französischen Akademien der Wissenschaften und Medizin zur Bewertung von Niedrigdosen [7] konservativ < 100 mSv als Niedrigdosen angenommen. Leider ist eine rein sachliche Risikodefinition, etwa als Produkt aus Schadensgröße und Eintrittswahrscheinlichkeit, infolge einer Vielzahl komplizierender Faktoren hier nur bedingt anwendbar. Es gibt deshalb Modelle zur Quantifizierung des „gefühlten Risikos“ [8] unter Berücksichtigung von

·       Risikokontrolle (durch den Einzelnen kontrollierbar oder nicht),

·       Nutzen (Risiko verursacht Nutzen für den Einzelnen oder nicht),

·       Freiwilligkeit (Risiko freiwillig oder unfreiwillig),

·       Schweregrad (von kleineren bekannten Risiken bis zu katastrophalen Ereignissen),

·       Manifestierung (sofortige oder verzögerte Wirkung),

·       Ursache (natürliche oder „künstliche“ Risikoquelle) etc.

Unter anderem stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Möglichkeit einer monetären Bewertung von Gesundheitsschäden. So kommt man in einem der zahlreichen Vergleiche von Risikominderungs-Kosten [9] zu dem Schluss, dass die Anwendung der derzeitigen US-Strahlenemissions-Vorschriften für Kernkraftwerke für ein Jahr zusätzlicher statistischer Lebenserwartung etwa 100 Mio. USD kostet. Bei der Radionuklid-Emission durch ein NRC-genehmigtes Kernkraftwerk auf der Basis der derzeit „offiziellen“ Annahmen zum Strahlenrisiko liegen diese Kosten mit 1.200 USD noch erheblich höher. Zum Vergleich: Bei Verbreiterung der Landstraßen um 60 cm läge dieser Wert bei etwa USD 0,12.

Selbst wenn man die LNT-Hypothese für richtig halt, bleibt das Risiko niedriger Dosen für die Volksgesundheit nach allen strahlenbiologischen Erkenntnissen vernachlässigbar, das Risiko für die Volkswirtschaft hingegen nicht. So errechnet sich ohne natürliche und medizinische Strahlenquellen für den Aufwand zur Vermeidung eines hypothetischen „Strahlentoten“ in der Nuklearindustrie ein monetärer Wert zwischen etwa 2 und 10 Mio. USD (bis zu 40 Mio. USD), mit einem Mittelwert in England um 4 Mio. USD [10] (übrigens sinkt mit zunehmendem Alter die „Willingness to Pay“). Solche Summen sind recht hoch für die Hälfte der Menschheit mit weniger als 700 USD Jahreseinkommen, wo 4 Mio. USD mindestens 5.700 Jahreseinkommen entsprechen. Daraus ergeben sich unter anderem interessante ethische Fragen. Oder wie es kürzlich formuliert wurde [8]: „Welche Denkweise konnte zu solch einer Ungleichheit und ungeheuerlichen (engl. „eregrious“) Verschwendung von Ressourcen führen?“

Die LNT-Kontroverse

Mehrere Expertengremien wie ICRP, NCRP und BEIR haben sich kürzlich zur kanzerogenen Wirkung niedriger Dosen geäußert. Besondere Beachtung fand der Entwurf ICRP 2005. In diesen Entwürfen finden sich zwar vorsichtige Einschränkungen hinsichtlich der wissenschaftlichen Belastbarkeit der LNT-Hypothese und der daraus durch Multiplikation niedrigster Dosiswerte mit großen Bevölkerungszahlen abgeleiteten Risiken. So heißt es in dem Entwurf ICRP 2005, dass die „Kollektivdosis nicht als solche benutzt werden sollte, um Entscheidungen zu treffen. Für Entscheidungen ist eine hohe Dosis für wenige Personen nicht äquivalent mit einer niedrigen Dosis für viele Personen …“ sowie die vage Bemerkung, dass „die Beziehung zwischen Dosis und gesundheitlicher Wirkung komplex ist“.

Trotzdem wird aber letztlich entschieden, dass die Mittelung der absorbierten Dosis nur unter der Annahme von LNT möglich ist, da alle Einheiten im Strahlenschutz auf dieser Hypothese basieren.

ICRP konzidiert, dass diese Empfehlungen „nicht allein auf der Basis wissenschaftlicher Konzepte“ beruhen, sondern auf „weltweiten Entscheidungen von Regierungen, Gerichten und Volksbefragungen“ [1]. Hier mischen sich eindeutig wissenschaftlich begründbare Sachfragen mit den fluktuierenden Stimmungslagen der „political correctness“ [5]. Dies wird auch besonders deutlich in der zunehmenden Tendenz, hinausgehend über die bisher übliche Praxis künftig auch alle anderen tierischen und pflanzlichen Spezies in Strahlenschutzbetrachtungen einzubeziehen, und ICRP gründete ein neues Komitee für solche und andere „ethische“ Fragen.

Zur uneingeschränkten Benutzung des Kollektiv-Dosis-Dogmas wurden schon häufig Bedenken geäußert, unter anderem seitens der SSK vor fast zwei Jahrzehnten [24]. Das hat aber keinesfalls bewirkt, bei Rückbau- und Sanierungsmaßnahmen nicht 0,01 mSv/Jahr, das heißt ca. 0,4 % der mittleren natürlichen Exposition, als Freigabegrenze zu praktizieren.

Die Meinung der Fachwelt

Wie voraussehbar, gibt es zunehmend Bedenken gegen LNT und Kollektivdosis in den Grenzwertfestlegungen der Regelsetzer. Diese haben sich unter anderem in einer Serie von zweijährlichen internationalen Kongressen zum Thema „Wirkung niedriger und sehr niedriger Dosen ionisierender Strahlung auf die menschliche Gesundheit“ (Versailles 1999, Dublin 2001, Teheran 2003, Hamilton/Kanada 2005, Varanisi 2006), über die zum Teil auch in der StrahlenschutzPRAXIS berichtet wurde, und in speziellen Fachzeitschriften wie „Internat. J. Nonlinearity“ und „Internat. J. Low Dose“ artikuliert. Die Bemühungen der Strahlenbiologen konzentrieren sich besonders auf Apoptose, Bystander-Effekte, genomische Instabilität, strahleninduzierte Reparaturmechanismen etc. nicht nur auf zellulärer Ebene, sondern auch in größeren Strukturen wie Organen und dem Gesamtorganismus.

Als Ursachen dafür, dass trotz der Bemühungen von Roger Clarke et al. kaum grundsätzliche Verbesserungen der alten Empfehlungen erfolgten, werden unter anderem die bekannte behördliche Lethargie hinsichtlich der Änderung obsoleter Vorschriften, politische Interessen und Einflussnahmen in manchen Ländern, und ökonomische Interessen seitens der Kreise, die von der Erhaltung der Radiophobie recht gut leben, vermutet. Dies hat auch innerhalb der ICRP und anderen Gremien schon zu erheblichen Kontroversen geführt. Im Internet waren bereits Ende 2004 über 200 überwiegend kritische Kommentare gegen den Entwurf ICRP 2005 zu finden. Der substanziellste ist der inzwischen auch in englischer Sprache vorliegende Bericht Nr. 2 der französischen Akademien [7, 11], in dem auf der Basis von 306 vorwiegend neueren Literaturhinweisen die Gültigkeit der LNT-Hypothese in Frage gestellt wird.

Ein anderes Beispiel ist ein Brief des Direktors des Office of Science des U.S. Energieministeriums vom 15. 7. 2005 an den Präsidenten der National Academy of Sciences, in dem es unter anderem heißt: „Es ist bekannt, dass auf dem molekularen, zellularen und Gewebe- bzw. Gesamtorganismus-Level Reparaturmechanismen existieren, die geschädigte Zellen eliminieren und die Krebsentstehung unterdrücken. Neuere Studien belegen, dass die Wirkungsweise sehr niedriger Dosen grundsätzlich anders ist als die hoher Dosen.“

Als Hinweis auf die Meinung der Strahlenschutzfachleute in den USA kann auch eine (derzeit noch unvollständige) Meinungsumfrage eines Strahlenschutz-Informationssystems dienen [12]. Von den Teilnehmern aus unterschiedlichen Bereichen des Strahlenschutzes sprachen sich nur 12 % für die Beibehaltung der LNT-Hypothese aus, jeweils etwa 40 % votierten für eine Schwellenbeziehung bzw. Hormesis und 7 % für eine sublineare quadratische Dosis-Wirkungs-Beziehung.

Strahlenbiologische Erklärung der Hormesis

Die Hormesis, die als Folge der Überlagerung von Schadens- und Defensivmechanismen im Organismus zu einer zunächst J-förmigen Dosis-Wirkungs-Beziehung und einem Schwellenwert um 100–200 mGy führt, ist in letzter Zeit besonders durch die Arbeiten von L. Feinendegen et al. [13] strahlenbiologisch zwingend erklärt und von vielen Seiten experimentell bestätigt worden, nachdem sie zunächst in der Fachwelt unter dem Eindruck des primären DNA-Schadens mit einer gewissen Skepsis betrachtet worden war. Inzwischen hat sie jedoch auch in der Strahlenbiologie einen Platz gefunden, den sie auf anderen Gebieten wie Pharmakologie und Toxikologie längst erlangte.

Deshalb wurde kürzlich von E. L. Calabrese von der University of Massachusetts eine International Hormesis Society mit einer eigenen Fachzeitschrift gegründet. Es ist seit langem für alle erdenklichen Umweltnoxen bekannt, dass eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung eine seltene Ausnahme und keinesfalls die Regel darstellt und kleine Dosen in den meisten Fällen zunächst biopositive Effekte auslösen [23]. Strahlenwirkungen stellen hier keine Ausnahme dar [14].

Kritik an den Grundlagen regulativer Maßnahmen

Die Berichte und Empfehlungen der Vertreter des Strahlenschutz-Establishments als Grundlagen regulativer Maßnahmen wurden auch aus anderen Gründen kritisiert. Unter anderem wird auf die fehlende demokratische Legitimation dieser sich weitgehend aus sich selbst heraus regenerierenden Gruppen mit vielen personellen Überschneidungen zwischen den nationalen und internationalen Gremien hingewiesen. Die hochentwickelte Kunst des selektiven Zitierens stößt ebenfalls nicht überall auf Verständnis: Befunde und Autoren, die dem offiziösen LNT-Dogma widersprechen, werden nur selten und/oder abwertend zitiert, und es gibt begründete Vorwürfe hinsichtlich des Umganges mit epidemiologischen und statistischen Ergebnissen durch Auslassungen, Modifikation bzw. zielführende Interpretation unsicherer Befunde, die dann als Beweis für die LNT-Hypothese interpretiert werden. Außerdem bleibt es nationalen Behörden freigestellt, die ohnehin recht restriktiven Empfehlungen der ICRP noch weiter zu verschärfen. Der Entwurf eines deutschen „Radonschutzgesetzes“ bietet dafür ein anschauliches Beispiel [15].

So ist beispielsweise eine neuere Arbeit von E. Cardis et al. zum Krebsrisiko von Beschäftigten in der Nuklearindustrie in die Kritik geraten. Dazu heißt es in einer kürzlichen Stellungnahme des AKS des FS [16] unter anderem: „Solche Rechnungen sind außerordentlich problematisch. Sie setzen unmittelbar voraus, dass das LNT-Konzept Gültigkeit hat. Nahezu alle hypothetischen Todesfälle werden für einen Dosisbereich berechnet, für den eine Risikoerhöhung nicht nachgewiesen ist … so kann leicht ein grob verzerrter und suggestiv tendenziöser Eindruck vermittelt werden.“

Tschernobyl-Folgen

Als Hauptargumente gegen die Kernenergienutzung werden vor allem genannt: (a) Hypothetisch angenommene, jedoch nicht nachweisbare Schäden durch niedrige Strahlendosen; (b) die wegen politischer Behinderung immer noch „ungelöste“ Entsorgungsfrage; und (c) der Tschernobyl-Unfall als bisher einziger Unfall in einem kommerziell genutzten KKW, bei dem tatsächlich Strahlentote zu beklagen waren. In allen Fällen handelt es sich letztlich um die Bewertung von Niedrigstdosen. Trotz der hinreichend bekannten Fakten [17–19] wurden als Strahlenopfer von Tschernobyl in den vergangenen nahezu zwei Jahrzehnten nicht nur in Medien und Politik immer wieder unsinnig überhöhte Zahlen genannt. Hinweise (auch des Verfassers) auf die tatsächlichen Zahlen wurden selbst im Kollegenkreis oft als unangemessene Verharmlosung angezweifelt.

Zur vorläufig abschließenden Klärung dieser Frage fand zu dem Thema „Chernobyl: Looking Back to Go Forward“ im September 2005 in Wien eine interessante Tagung statt. Die Ergebnisse liegen als überaus lesenswerte Zusammenfassung [20] vor. Die umfassendste Untersuchung eines technischen Unfalles, die je durchgeführt wurde (andere Bezeichnungen wie Katastrophe, Tragödie oder Desaster werden von Fachleuten nur selten benutzt), wurden im allgemeinen Konsens der anwesenden Experten vom Konferenzpräsidenten Burt Bennett (RERF Hiroshima) dahin gehend zusammengefasst, dass es sich um ein Niedrigdosis-Ereignis handelte ohne weitreichende radiologische Folgen. Nachweisbare Erhöhungen der Leukämierate, anderer Krebsformen (außer dem praktisch hundertprozentig heilbaren kindlichen Schilddrüsenkrebs), von genetischen Defekten usw. wurden nicht festgestellt und sind auch nicht zu erwarten. Belegt sind ca. 43 vermutlich hauptsächlich strahlungsbedingte Todesfälle, darunter 29 als Folge des akuten Strahlensyndroms und neun als Folge der erhöhten Schilddrüsenkrebs-Inzidenz unter Kindern (wovon u. a. zwei nicht behandelt und bei einem die Medikamente nicht verabreicht wurden).

Damit liegt die Todeszahl, um ein Beispiel aus einem anderen Bereich der Energiewirtschaft zu wählen, unter einem Durchschnittstag im globalen (60 Tote) [21] bzw. wenigen Tagen im chinesischen Steinkohlebergbau (2004 über 6.000 namentlich bekannte Tote). Andere Vergleiche, z. B. mit erheblichen und z. T. sachlich unbegründeten Strahlenexpositionen in der medizinischen Strahlendiagnostik, die in Deutschland im Jahr nach dem Unfall zehnfach höher lagen als die kollektive Zusatzdosis durch Tschernobyl [22], sind bekannt. Selbst wenn man mögliche Sekundarkarzinome bei den Schilddrüsenfallen etc. berücksichtigt, durfte die Gesamtzahl der „Strahlentoten“ in der betroffenen Bevölkerung im zweistelligen Bereich liegen. Der Grund für eine deutlich verminderte Lebenserwartung unter den Männern und eine Vielzahl sozialer und ökonomischer Probleme ist, und auch darüber bestand voller Konsens, an ganz anderer Stelle zu suchen: Die soziale Verwahrlosung zeigt sich unter anderem im hohen Zigaretten- und Alkoholkonsum, ungesunder Ernährung, Arbeitslosigkeit und einer depressiv-initiativlosen Grundeinstellung.

Trotzdem fand sich in den Presseberichten über die Konferenz die nicht nachvollziehbare Zahl von ca. 4.000 „möglichen Todesopfern“. Auch andere Zahlen wurden mit dreistelliger Genauigkeit gehandelt von möglicherweise noch zu erwartenden, wenn auch grundsätzlich nicht nachweisbaren „Strahlenopfern“ in einer Population mit Millionen normalerweise zu erwartenden Krebsfällen. Diese Zahlen, von E. Cardis und F. Mettler mittels LNT-/Kollektivdosis-Hypothese errechnet, wurden bei den in Wien versammelten Fachleuten als „just politics“ bewertet.

Außerdem wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass sich Hochdosis-Kurzzeitwerte von Hiroshima-Nagasaki-Überlebenden keinesfalls auf die Niedrigdosis-Langzeiteffekte im Tschernobyl-Umfeld übertragen lassen. Offen blieb die Frage, weshalb die relativ geringen Strahlenwirkungen des Tschernobyl-Unfalles eine solche nachhaltige publizistische Breitenwirkung erzielen konnten. Allerdings gibt es inzwischen eine „Tschernobyl-Industrie“ in Ost und West, die von der wirtschaftlichen Auswertung des Unfalles gut lebt. Hinzu kommen politisch-ideologische Interessengruppen, die den Unfall als Anti-Kernenergieargument instrumentalisieren.

Fazit

Zusammenfassend kann man feststellen, dass auf der Basis der in diesem Beitrag nur verkürzt dargestellten neueren Entwicklungen

·       die hohen Kosten zur Dosisreduzierung im Niedrigdosis-Bereich selbst bei Akzeptanz der LNT-Hypothese in einem extremen Missverhältnis zu rein hypothetischen und allenfalls marginalen Gesundheitsfolgen stehen;

·       durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse belegt ist, dass sich Hochdosis-Dosisleistungs-Effekte nicht auf die biologische Wirkung niedriger und niedrigster Dosen extrapolieren lassen; und

·       die überaus konservative LNT-Hypothese vielfach zur Behinderung von Strahlennutzung in Medizin, Forschung, Technik und Kernenergie instrumentalisiert wurde.

Aus diesen und Gründen wissenschaftlicher Korrektheit und intellektueller Redlichkeit ist ein baldiger Paradigmenwechsel im Strahlenschutz erforderlich.

Literatur

[1] Becker, K.: Niedrigdosiseffekte und kein Ende. In: StrahlenschutzPRAXIS 4/2005, S. 87–90. Und: Quo vadis, Strahlenschutz? atw 51/1, 2006, S. 41–45.

[2] Becker, K.: ICRP 2005 – Much ado about nothing? StrahlenschutzPRAXIS 3/2004, S. 56–57.

[3] Becker, K.: Ursachen, Folgen und Therapie des Radiophobie-Syndroms. atw 50/2, 2004.

[4] Becker, K.: Reflections on Public Acceptance of Nuclear Energy and the Low Dose Issue. atw 46/1, 2001, S. 54–58.

[5] Becker, K.: Low Dose Regulations – from Science to Political Correctness. Internat. J. Low Dose, im Druck.

[6] LNT-Modell und Kollektivdosis – Neue Erkenntnisse und Kritik der Konzepte. 43. Radiometr. Seminar, Theuren, Kontakt: H. v. Philipsborn, Tel.++49/941/ 9 43-33 16.

[7] Académie des Sciences – Académie Nationale de Médicine, Tubiana M., et al. (Ed.): Dose-effect relationships and estimation of the cancerogenic effects of low doses of ionizing radiation. Nucleon, Paris 2005, ISBN 2-84332-018-6.

[8] Sandquist G. M.: Quantifying the perceived risk associated with nuclear energy issues. Int. J. Nucl. Energy Science and Technology 1/1, 2002, S. 61–67.

[9] Tengs, T. O., et al.: Five hundred life saving interventions and their cost-effectivness. Risk Anal. 15, 1995, S. 369–390.

[10] Jackson, D., et al.: A risk related value of spend for saving a statistical life. Proceed 7th Internal Symp. of the Society for Radiolog. Protect., U.K. 2005, in press.

[11] Authors of French Study rebut BEIR VII. Nucl. News 76, Nov. 2005.

[12] Karam, A.: Persönliche Mitteilung. August 2005.

[13] Feinendegen, L. E./Neumann, R. D.: Physics Must Join With Biology in Better Assessing Risk from Low-dose Irradiation. Radiat. Protect. Dos., in press.

[14] Calabrese, J. E./Baldwin, L. A.: Radiation hormesis: Its historical foundation as a biological hypothesis. Human & Experiment, Toxicology 19, 2000, S. 41–75.

[15] Becker, K.: Das Radonschutzgesetz – Ein neuer deutscher Weltrekord? StrahlenschutzPRAXIS 1/2005, S. 65–69.

[16] Breckow, J.: Cardis-Studienkommentar 5 des AKS. StrahlenschutzPRAXIS 4/2005, S. 126–128. Und: Müller et al.: Chernobyl – Looking Back to go Forward. Konferenzbericht, StrahlenschutzPRAXIS 4/2005, S. 80–82.

[17] UNSCEAR 2000: Report to the General Assembly, Sources and Effects of Ionizing Radiation, Vol. II. Annex J: Exposures and Effects of the Chernobyl Accident. United Nations 2000, S. 453–566.

[18] Becker, K.: Zehn Jahre danach: Das Erbe von Tschernobyl. Elektrizitätswirtschaft 95/3, S. 94–96.

[19] Informationskreis Kernenergie: Der Reaktorunfall in Tschernobyl. 2004, ISBN 3-926956-48-8.

[20] Chernobyl Legacy: Health, Environmental and Socioeconomic Aspects, and Recommendations to the Governments of Belarus, the Russian Federation and Ukraine. The Chernobyl Forum, IAEA/PI/A.87/05- 28601, erhältlich von info@iaea.org.

[21] Nuclear Reactions. IAEA Bulletin 47/1, 16. 10. 2005, S. 57.

[22] Regulla, D. F./Eder H.: Patient Exposure in Medical X-ray Imaging in Europe. Radiat. Protect. Dos. 114/1–3, 2005, S. 11–25.

[23] Calabrese, E. J.: Paradigm lost, paradigm found: The re-emergence of hormesis as a fundamental dose response model on the toxicological sciences. Environment. Pollution 2005, im Druck.

[24] Kaul, A., et al. Health Phys. 53, 1987, S. 9–10.

Aus der STRAHLENSCHUTZPRAXIS 2/2006, Seite 44 bis 48

Anmerkung der Redaktion

Herr Prof. Becker ist einer der ganz großen in Deutschland, die sich im Bereich der Wir-kungen von ionisierender Strahlung wissenschaftlich betätigt haben. Sein Bericht erschien 2006 in der Fachzeitschrift „StrahlenschutzPRAXIS“. Für einen Bericht ähn-lichen Inhalts erhielt Prof. Becker internationale Anerkennung durch den Preis der European Nuclear Society für die beste Publikation des Jahres 1998. 

Prof. Becker erhielt für einen Aufsatz mit ähnlichem Inhalt in Nuclear Europe Worldscan 1998 in London den Preis der European Nuclear Society für die beste Publikation des Jahres 1998.

Prof. Dr. Klaus Becker, geb. 1933, Studium der Chemie an der FU Berlin, Diplom 1957, Promotion TU München 1961, Leiter der Dosimetriegruppe der KFA Jülich 1959–1967, Leiter der Sektion „Angewandte Dosimetrieforschung“, ORNL, Oak Ridge, 1967–1975, 1975–1997 Geschäftsführer im DIN und Sekretär des TC 85 der ISO, seit 1996 Vizepräsident (Europa) von „Radiation, Science and Health“. Internationale Herausgeber- und Beraterfunktionen, u. a. für IAEA, EU, WHO und bilateral in ca. 20 Ländern. Etwa 350 Publikationen, Bücher und Patente zu Festkörperdosimetrie, Personen und Umgebungsüberwachung, Strahlenschutznormung sowie über grundsätzliche Fragen der Strahlenrisiko-Bewertung.

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