von Hans Hofmann-Reinecke

Projekte zum Thema kontrollierte Kernfusion werden von viel PR und großer Hoffnung begleitet. Sollten Politiker diese Energiequelle in ihre Planungen konkret einbeziehen? Nehmen wir dazu den Champion unter den Kandidaten einmal unter die Lupe. Schauen wir uns ITER mit seinen Chancen und Risiken an.

Ein Donut voll Plasma

Unter den verschiedenen Anstrengungen, um auf Erden eine kleine Sonne zu bauen, die durch Fusion von Atomkernen endlose und ziemlich saubere Energie liefert, ist das Projekt ITER der teuerste Kandidat. Ist ITER auch der Champion? Wird er als erster das Ziel erreichen? Wird er es überhaupt jemals erreichen?

Um das zu beurteilen müssen wir kurz in die Technik einsteigen. Die Achse des Guten (wie auch EIKE) hat hier, hier und hier schon darüber berichtet, aber Sie verstehen die Sache auch so. Es geht darum, Atomkerne einander sehr nahe zu bringen, sodass sie miteinander verschmelzen. Dazu müssen sie zunächst eine starke Abstoßung überwinden. Wenn man die Kerne aber auf 150 Millionen °C erhitzt, dann haben sie ausreichend Schwung, so um die 1000 km/sec, um den Widerstand zu bezwingen und sie können schließlich zu einander finden.

Der Behälter, in dem das stattfinden soll, ist ein Donut-förmiges Rohr, ein Torus, mit einem sehr starken Magnetfeld, welches die Mischung aus Atomkernen und Elektronen, genannt Plasma, daran hindern soll, an die Wandungen zu rasen. Eine Reihe unterschiedlicher Vorrichtungen sorgt dafür, dass Energie in das System gepumpt wird, um es aufzuheizen. Nennen wie diese Energie E1, und die Energie, die bei der nun folgenden Fusion entsteht ist E2. Damit das Ganze eine Energiequelle wird muss offensichtlich E2 > E1 sein, anders ausgedrückt, der Quotient Q = E2/E1 sollte >1 sein.

Der Weltrekord von 1997

Und? Sind das alles nur Zahlenspielereien auf dem Papier? Gibt es das auch in echt? Hat man schon einmal so ein verdammtes Q > 1 gemessen?

Der Weltrekord wurde 1997 aufgestellt mit Q = 0,67, und zwar im „Joint European Torus“ – seine Freunde nennen ihn JET. Der hat einen Durchmesser von 6 Metern und liegt eine gute Autostunde westlich von London. Das alleine beeindruckt Sie vielleicht nicht, aber mit all dem Drum und Dran wird dann doch eine recht imposante Anlage daraus. Das oben erwähnte Magnetfeld beispielsweise wird von 32 Kupferspulen erzeugt, von denen jede 12 Tonnen auf die Waage bringt.

Ist dieses Q = 0,67 nun alles? Ist es das Ende der Fahnenstange? Antwort: Jein. Vom JET kann man kaum mehr erwarten, aber die Methode gibt Hoffnung. Man müsste so ein Ding größer machen, dann würde es funktionieren. Und zwar aus folgendem Grund: Die Energie geht bei solch einem Torus irgendwie durch die Wandungen verloren, erzeugt wird sie aber in seinem Inneren. Machen wir den Donut also doppelt so groß, geben wir ihm 12 Meter Durchmesser statt 6, dann wird seine Oberfläche 2 x 2 = 4 mal so groß, aber sein Volumen 2 x 2 x 2 = 8 mal so groß.

Die große Wärmflasche

Jetzt hält die Energie In dem zur Oberfläche verhältnismäßig größeren Volumen besser zusammen – so wie auch eine große Wärmflasche länger warm hält als eine kleine (vielleicht ein ganz nützlicher Hinweis für den Winter, damit sich das Frieren für den Frieden in Grenzen hält).

Der Torus von ITER, dem gigantischen internationalen Fusionsexperiment im Süden Frankreichs, hat 12,4 m Durchmesser statt der 6 m seines kleinen und älteren Bruders JET, und er bietet dem Plasma ein Volumen von 840 m3 statt nur 100 m3. Aber auch andere Dinge sind „nichtlinear“ in die Höhe geschnellt. So wird der Torus aus neun Segmenten zusammengesetzt, ähnlich dem oben abgebildeten Gugelhupf. Jedes dieser Segmente hat nach Adam Riese einen Winkel von 360° / 9 = 40° und wiegt 500 Tonnen – pro Stück. Das ist auch das maximale Abfluggewicht eines A380 Superjumbos.

Für die Magnetspulen wird eine Legierung des Elements Niob verwendet, welche im Gegensatz zu Kupfer keinen elektrischen Widerstand hat, was die Stromrechnung niedriger hält. Allerdings müssen diese Spulen, so wie alle Supraleiter und alle Supraleiterinnen, auf extrem niedrige Temperatur gekühlt werden. Und das kommt nicht zum Nulltarif.

Die Komplexität und die elefantösen Ausmaße dieser Maschine machen sie derzeit vermutlich zur anspruchsvollsten Vorrichtung weltweit. Das stellt nicht nur die Wissenschaft auf die Probe, sondern auch die Industrie, welche völlig neuartige Komponenten liefern soll, in deren Fertigung sie wenig Erfahrung hat. Und so hat man kürzlich an den erwähnten Torus-Segmenten feine Riss festgestellt, welche die Montage des Torus erst einmal bremsen. Das tut weh!

Wie geht’s weiter?

Der nächste wichtige Meilenstein ist “First Plasma”. Zu diesem Zeitpunkt wäre die Anlage fertig montiert und man hätte zum ersten Mal Plasma im Torus erzeugt. Die unzähligen Systeme wie etwa Kältetechnik, Stromversorgung, Vakuum etc. etc. hätten ihre Funktion bewiesen. Als Datum für diesen Meilenstein ist auf ITERs Website Dezember 2025 angegeben, allerding mit diesem Caveat:

*Das Datum dieses Meilensteins kann sich ändern. Aufgrund der Auswirkungen von Covid-19 auf die ITER-Fertigung ist das Projekt dabei, einige technische Meilensteine neu zu bewerten. Änderungen am Baseline-Zeitplan von ITER können nur vom ITER-Council vorgenommen werden.

Ich möchte nicht in den Schuhen von Pietro Barabaschi stecken, ITERs neuem Director General, von dem demnächst ein neuer Zeitplan erwartet wird.

Und noch etwas: „First Plasma“ ist noch sehr weit weg von der Kernfusion, dem eigentlichen Ziel. Der Beginn der Experimente, bei denen dann erstmals ein Plasma aus Tritium und Deuterium, dem eigentlichen „Brennstoff“ verwendet würde, war für 2035 vorgesehen. Aber auch falls dann ein paar Jahre später das gesteckte Ziel erreicht wird, nämlich ein Q>10 für einige Minuten, wenn ITER also seine Schuldigkeit getan hätte, auch dann wäre es noch ein sehr langer Weg zu einem Fusionskraftwerk, das uns mit Strom versorgen könnte.

Fazit

  • ITERs Schwierigkeiten könnte zur Annahme führen, dass Energieversorgung durch kontrollierte Kernfusion zu kompliziert, zu teuer, oder schlicht unmöglich ist. Allerdings war auch das Manhattan Projekt zur Entwicklung der US Atombomben unendlich kompliziert und teuer, aber es hat schließlich den Weg zu den heutigen, durchaus nützlichen Kernreaktoren geebnet.

  • Ein Problem für ITER ist sicherlich die Balance zwischen Wissenschaft und Technik einerseits, und Politik und PR andererseits. Zur weiteren Finanzierung des Projekts muss nach außen strammer Optimismus kommuniziert werden, es wäre aber gefährlich, wenn auch die eigenen Techniker und Wissenschaftler begännen an ITERs externe PR zu glauben.

  • Für ITER oder die anderen, vergleichsweise kleineren Projekte ist das Geld der Steuerzahler wesentlich besser investiert, als für Windmühlen oder Genderforschung. Egal ob wir jemals Fusionskraftwerke haben werden oder nicht, die Arbeit daran ist ein Beitrag zur Rettung westlicher Wissenschaft und Intelligenz vor dem totalen Verfall.

Dieser Artikel erschien zuerst im Blog des Autors Think-Again. Sein Bestseller „Grün und Dumm“ ist bei Amazon erhältlich.

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