von Edgar L. Gärtner

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und seine Ministerpräsidentin Elisabeth Borne sind dabei, die Franzosen auf einen harten Winter vorzubereiten. Das staatliche TV-Programm „France 2“ stimmt sein Publikum tagtäglich auf rotierende Stromsperren („Brown Outs“) ein, mit deren Hilfe der monopolistische Netzbetreiber RTE den im Januar schon bei einer mittelschweren Kältewelle drohenden flächendeckenden „Blackout“ verhindern will. Die Franzosen mussten mit Erschrecken zur Kenntnis nehmen, dass bei planmäßigen Stromabschaltungen selbst die Notruf-Systeme außer Betrieb sein werden. Wer dann verunglückt, hat einfach Pech gehabt. Der Grund der ganzen Aufregung: Kurz vor dem meteorologischen Winteranfang stehen dem Land, in dem überwiegend elektrisch geheizt wird, nur etwa 30 Gigawatt, das heißt weniger als die Hälfte seiner Kernkraft-Kapazität von insgesamt 61,4 GW zur Verfügung.

Hauptgrund für den massiven Ausfall von Nuklear-Kapazitäten sind Korrosionsprobleme an kritischen Anlageteilen, die ausgewechselt werden müssen. Am 3. November musste EDF die Verlängerung des Stillstands von vier Reaktoren bekanntgeben, darunter ein Reaktor des KKW Cattenom an der Mosel unweit der deutschen Grenze. Dessen Wiederinbetriebnahme wurde von der französischen KKW-Sicherheitsbehörde ASN wegen fortbestehender Mängel abgelehnt. Hinzu kam die routinemäßige Abschaltung weiterer Reaktoren, um vorgeschriebene Wartungsintervalle zu respektieren. Das Maß voll machten Streikbewegungen der im Oktober. Die linke Gewerkschaft CGT verhinderte, dass bereits reparierte oder gewartete Reaktoren wieder ans Netz gingen. Der inzwischen wieder verstaatlichte französische Stromkonzern EDF war noch im Juli davon ausgegangen, dass gegen Ende November wenigstens 39 Kernreaktoren zur Verfügung stehen. Tatsächlich sind bislang aber nur 30 im Einsatz. Nur wenn es EDF gelingt, im Dezember weitere Reaktoren flott zu machen, um auf die im Sommer für Weihnachten angekündigten 42 Kernreaktoren zählen zu können, könnte das Land beruhigt der im Januar erwarteten Frostperiode entgegensehen. Um den Wettlauf mit der Zeit zu gewinnen, hat EDF inzwischen Schweißer aus den USA und Kanada ausgeliehen, weil auf dem französischen Arbeitsmarkt nicht rasch genug qualifiziertes Personal aufzutreiben war.

Noch gehört Frankreich zu den Ländern mit den günstigsten Stromtarifen in Europa. Nach Angaben des Vergleichsportals Hello Watt (zitiert in der „Frankfurter Allgemeinen“) zahlten französische Haushalte bis vor kurzem noch einen Durchschnittspreis von 21,3 Cent je Kilowattstunde – im Vergleich zu 56,3 Cent in Deutschland, 46,8 Cent in Großbritannien und 38,3 Cent in Spanien. Möglich ist das nur, weil der französische Staat die Energie-Tarife unter einen Schutzschild („bouclier tarifaire“) gestellt hat. Das kostet den französischen Staat nach Berechnungen des Forschungsinstituts Cepremap und der Paris School of Economics bis jetzt 58 Milliarden Euro. Dadurch wachse dessen Schuldenstand auf 112,5 Prozent des BIP im Jahre 2027. Ohne den „bouclier tarifaire“ wären es „nur“ 110,7 Prozent. Im kommenden Jahr soll der Preisanstieg für Strom und Gas auf 15 Prozent begrenzt werden. Dann kämen für den Staatshaushalt zu den 58 Milliarden Euro weitre 52 Milliarden hinzu. Nach Meinung von Antoine Bozio von der Paris School of Economics rechnet sich diese zusätzliche Staatsverschuldung, weil sie die Inflation und wirtschaftliche Wachstumseinbußen infolge zu hoher Energiepreise begrenze. Kein Kommentar.

Allerdings hätte die FAZ erwähnen sollen, dass der Tarif-Schutzschild sich neben den Privathaushalten nur auf Kleinst-Unternehmen erstreckt, d.h. auf Unternehmen mit weniger als 10 Angestellten, einem Umsatz unter 2 Millionen Euro und einem Stromanschluss unter 36 kVA. Allen größeren Unternehmen flatterte dieser Tage ein Schreiben von EDF auf den Schreibtisch, in dem Tariferhöhungen zwischen 261 und 423 Prozent angekündigt werden. Die erste Zahl steht für Schwachlast-Stunden im Sommer, die zweite für Volllast-Stunden im Winter. Das machte dieser Tage der betroffene Weinbau-Unternehmer Yves d’Amécourt bekannt. Amécourt schätzt, dass sich die Stromrechnung seiner Firma im nächsten Jahr von 12.000 auf 42.000 Euro erhöhen wird. Er empfiehlt deshalb seinen Kollegen im Mittelstand, Diesel-Generatoren in Betrieb zu nehmen, um ihren Netzanschlusswert unter die Schwelle von 36 kVA drücken und damit unter den Tarif-Schutzschild schlüpfen zu können.

Yves d’Amécourt ärgert sich darüber, dass Frankreich seinen Trumpf, über einen hohen Anteil preisgünstiger und obendrein CO2-armer Kernenergie verfügen zu können, nicht ausspielen kann, weil seine linken Staatspräsidenten Hollande und Macron es vorzogen, sich dem grünen Diktat Deutschlands und der EU zu unterwerfen und damit die wahltaktische Unterstützung der französischen Grünen zu erkaufen. Für besonders ärgerlich hält er die Tatsache, dass aufgrund einer europäischen Regelung auch in Frankreich die Strompreise vom teuren Gas und nicht von der dort noch immer überwiegenden preisgünstigen Kernenergie bestimmt werden. Macrons Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire reagierte auf den Druck aus dem Unternehmerlager, indem er Ende September die EU-Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager öffentlich aufforderte, diese Regelung zu kippen. Seither hat man von dieser Initiative aber nichts mehr vernommen. Präsident Macron hat entschieden, lieber den grün-technokratischen Schrumpfungs-Vorgaben aus Brüssel zu folgen.

Die wichtigsten Bestimmungen des im August 2015 verabschiedete und seither mehrfach geänderten französischen Gesetzes über die Energiewende und das grüne Wachstum (Loi de transition énergétique pour la croissance verte) gelten nach wie vor. Dazu gehört die Reduktion des Anteils der Kernenergie an der Elektrizitätserzeugung von bislang etwa 70 auf 50 Prozent bis zum Jahr 2035 durch die Außerbetriebnahme von insgesamt 14 Kernreaktoren. Deshalb dürften linke und grüne Politiker über den aktuellen Stillstand etwa der Hälfte des französischen Nuklearparks nicht allzu unglücklich sein. Emmanuel Macron hat zwar feierlich den Bau von sechs neuen Kernkraftwerken des Typs EPR angekündigt. Aber es fehlen bislang sichtbare Schritte, um diesen Plan umzusetzen. Stattdessen hat die Präsidenten-Partei „Renaissance“ konkrete gesetzliche Erleichterungen für den Bau von Offshore-Windparks in unmittelbarer Küstennähe mithilfe der grün-linksradikalen NUPES-Gruppierung durchs Parlament gebracht. Das hat Methode: Macron beteuert, sowohl die Kernenergie als auch die „Erneuerbaren“ fördern zu wollen, zieht aber in der Praxis die letztgenannten vor. Macrons Lippenbekenntnis zu einer Renaissance der Kernenergie dient wohl in erster Linie dazu, eine Bevölkerung zu beruhigen, die die Nutzung der Kernenergie zu 75 Prozent befürwortet

Noch im Jahre 2020 erzeugte Frankreich über 500 Terawattstunden (TWh) Kernenergie und exportierte davon netto über 43 TWh. Frankreich war damit der größte europäische Stromexporteur. In diesem Jahr wird der Kernenergie-Output bei lediglich 280 TWh liegen. Das niedrigste Niveau seit 30 Jahren. Vor kurzem musste die französische Regierung einen Vertrag abschließen, der Stromimporte aus Deutschland erleichtern soll. Gerade wurde auch das stillgelegte alte Kohlekraftwerk im lothringischen St. Avold unmittelbar an der deutschen Grenze wieder angefahren. Im Panikmodus erlaubt die Regierung auf einmal fast alles, was sie noch vor kurzem für Tabu erklärt hatte, um den Grünen und der WEF-Schickeria von Davos zu gefallen. Die Mehrheit der Franzosen wird wohl nicht mehr lange akzeptieren, dass ihre Politik dem Diktat der Weltverbesserungspläne übergeschnappter Milliardäre unterliegt.

 

image_pdfBeitrag als PDF speichernimage_printBeitrag drucken