Wer wie Deutschland vorwiegend aussteigt, erlebt den Abstieg zwangsläufig und wird vom Vorreiter zum abschreckenden Beispiel, vom Exporteur zum Importeur und die Konjunktur wird zur Krise. Ein Land erkrankt, weil man sein Herz-Kreislauf-System, seine Energieversorgung, belastet und (zer-)stört. Es droht der Infarkt.

von Frank Hennig

Seit Jahren beharren unsere führenden Politiker darauf, dass wir in Sachen Energiewende Vorreiter seien. Sie haben Recht. Wir bewahren durch unser Tun viele andere Länder vor teuren Irrtümern. Wir treten auf die Minen, die Physik und Naturwissenschaften gelegt haben und von denen man hätte wissen können.

Wir sind das Beispiel, auf das mahnend verwiesen wird, wenn Strukturen und künftige Energiestrategien diskutiert werden. Präsident Macron warnte schon 2018, das deutsche Beispiel zeige, dass der Abschied von der Nuklearenergie eine Abhängigkeit von Kohle und Erdgas nach sich ziehe. Seitdem haben wir die Abhängigkeit nicht nur von der Kernkraft, auch von der Kohle auf Erdgas verlagert.

Kein anderes Land verfuhr wie wir. „Wir brauchen keine Nazis und keine braune Kohle“ tönte es von gehätschelten, aber mangelhaft gebildeten jungen Leuten. Heute ruft Anton Hofreiter von den Grünen nach brauner Kohle. Ist das Einsicht? Nein, es ist die blanke Verzweiflung. Die Energiewende hat bereits das Stadium erreicht, in dem Schuldige gesucht werden. Habeck beschuldigt Merkel, Trittin die CDU, das DIW eine fossile Lobby, die es nicht gibt. Nur die Grünen bleiben seltsam in einer Zwischenwelt, die sich niemand von der politischen Konkurrenz robust zu betreten wagt.

Freund Wladimir

Die deutsche Energiewende hat einen treuen Freund im Hintergrund: Wladimir Putin. Wohlwollend konnte er zusehen, wie Deutschland seine eigenen Energierohstoffe abschaffte, wie es alle anderen Sicherungsleinen ausklinkte, nur die mit dem Erdgas nicht. Als dann Deutschland und die NATO in Afghanistan kapitulierten, sah er die Zeit für die Umsetzung seiner Großmachtambitionen gekommen. Nun führt er einen Wirtschaftskrieg gegen uns. Vergessen wird, dass wir seit Jahren selbst einen Wirtschaftskrieg gegen unser eigenes Land führen. Hass und Hetze bauten sich auf gegen heimische Energierohstoffe und Technologien.

Die Braunkohle als langfristig kalkulierbarer und sicherer Bodenschatz wurde zum „Dreck“ und zum Lieblingsbösewicht der linksgrünen Erweckungsbewegung. Ehemals Konservative hielten sich zurück aus purer Angst, in die Ecke der „Klimaleugner“ geschoben zu werden.

Der Abstieg begann allerdings schon vor dem Krieg, schon vor Corona. Der Rückzug der Industrie hat eingesetzt, ihr Pulsschlag wird schwächer. Akut bedroht ist die GMB Glasmanufaktur Brandenburg in Tschernitz, der letzte verbliebene Solarglasproduzent in Europa. Die Ausrufung der Gas-Alarmstufe jagte vor Ort den Puls nach oben. Bei akutem Gasmangel müsste die Schmelzwanne innerhalb von 30 Tagen herunter gefahren werden, das Hochheizen der kalten Wanne würde 18 Monate dauern. 300 Arbeitsplätze sind in Gefahr und natürlich die hochfliegenden Osterpaket-Ziele des Klimawunder-Ministeriums. Wer in unserer CO2-zentrierten Weltsicht glaubt, die geringeren Emissionen seien wenigstens gut fürs Klima, der irrt. Mit 0,15 Tonnen CO2 pro 1.000 Dollar Bruttoinlandsprodukt gehören wir (noch) zur Weltspitze. In den USA sind es 0,25 Tonnen, in China 0,50.

Es gibt kaum mehr einen Grund, in Deutschland zu investieren. Die Unternehmensberater von Ernst & Young konstatieren ein sinkendes Interesse von ausländischen Investoren am kränkelnden Deutschland. Der grüne Ansatz der „angebotsorientierten Versorgung“ wird auch dort wahrgenommen. Weder das Lieferkettensorfaltspflichtgesetz noch drohende willkürliche Übergewinnsteuern werden als Einladung verstanden.

Die Demografie raubt die Fach- und Abwehrkräfte. Die Arbeitskosten für die knapper werdenden Pfiffigen und manuell Geschickten steigen. Einen Schaltschrank zu verdrahten ist deutlich lukrativer, als seinen Namen zu tanzen (es sei denn, man kommt im Staatsapparat unter). Erstmals seit 1991 weist unser Land eine negative Handelsbilanz auf. Damals gab es noch heimische Steinkohle, einen vereinigungsbedingten Nachfrageboom, eine weltweit bewunderte Autoproduktion, keine Subventionen für teils unausgereifte Autos und auch keine Technologieverbote. Der Markt regelte Angebot und Nachfrage. Befristete Geldabwürfe wie für ein 9-Euro-Ticket, einen zweifelhaften Tankrabatt oder einmalige zu versteuernde Hilfszahlungen an Arbeitnehmer gab es nicht und hätte es unter der damaligen Regierung auch nicht gegeben, denn Placebos helfen nicht.

Schneller bergab

Wir haben heute das Gegenteil von Nachfrage, die Verbraucher waren selten so pessimistisch und geizig wie heute. Es geht an die Substanz. Dazu kommen die Inflation, maßgeblich von der EZB unter deutscher Duldung verursacht, und ein immer schwächerer Euro. Gegenüber dem US-Dollar, dem Britischen Pfund, dem Schweizer Franken und selbst dem Rubel hat sein Wert abgenommen. „Stark wie die Mark“ ist Geschichte, der Euro wird zu einer Weichwährung, einer europäischen Lira. Das hilft beim Export, bei zu importierenden Energierohstoffen ist es blankes Gift. Der Wert deutscher Aktien ist auf einem Allzeittief.

Während jeder mit schmalerem Budget klarkommen muss, kleben sich Wohlstandsverwahrloste auf Straßen fest und sorgen für eine Gefäßverengung der Verkehrsadern. Der Vernunftausstieg hat Fahrt aufgenommen. Die Realitätsverweigerung der Regierung nimmt bizarre Formen an. Anstatt den Atomausstiegsbeschluss von 2011 dem Realitätscheck zu unterziehen und den Kohleausstieg wenigstens zu stoppen, wagt man im Koalitionsvertrag mehr Rückschritt. Obwohl der dort genannte beschleunigte Bau neuer Gaskraftwerke nicht kommen wird, hält man starrsinnig am Kohleausstiegstermin 2030 fest. Der Atomausstieg als Fundament grüner Ideologie wird nicht angetastet und von den etablierten Parteien unterwürfig akzeptiert. Ein krankes Land wird auf Diät gesetzt.

Postindustriell arm

Dieser Kurs lässt sich beibehalten, wenn nur genug Großindustrie verschwindet und Wirtschaft schrumpft. Dann könnte die energiearm-vegane Wirtschaftsweise funktionieren. Die postindustrielle Gesellschaft ist das Ziel der Grünen. Ohne Kernkraft, dafür mit kohlebetriebenen Ersatzkraftwerken werden wir die „Klimaziele“ allerdings nicht erreichen. Das geht nur mit weniger Industrieemissionen.

Wie retten wir wirtschaftliche Gesundheit und realen Wohlstand? Der Export der Gendertechnologie wird nicht helfen. Früher für Wirtschaftskompetenz bekannte Parteien folgen dem gegenwärtigen Kurs. Vermutlich haben sie keine Zeit, sich mit diesen Problemen zu befassen. Die CDU grübelt über die Quote, die FDP über südländische Kofferträger an unseren Flughäfen.

In der aktuellen Energiewendediskussion mangelt es akut an physikalischer Hygiene. Das mag mit der Bildungsmisere unter Politikern zusammenhängen („negativer Wissensvorsprung“), vor allem aber hat nicht immer der politische Gegner Schuld, wenn etwas nicht gelingt.

„Die Energiewende hat nur einen einzigen Feind: Die Unwissenheit über die physikalischen Gesetze, die ihr zugrunde liegen“

sagte Professor Sigismund Kobe schon vor Jahren.

Unterdessen stellen die „Erneuerbaren“ ihre Unfähigkeit zur Versorgung jeden Monat von neuem unter Beweis. Bei fast 65.000 Megawatt (MW) installierter Windleistung kamen im Juni durchschnittlich nur 7.880 MW von den Propellern, ganze 15 Prozent des theoretisch Möglichen. Im Minimum ging die Leistung sogar bis auf 564 MW herunter – der Leistung eines mittleren Kohlekraftwerks. Im Maximum wurden 40 Prozent oder 23.700 MW erreicht, für nur knapp zwei Stunden dieses Monats.

Und die Sonne? Über die Mittagszeit powert sie kräftig, nachmittags fahren dann auch die Gaskraftwerke hoch und gleichen aus. An vielen Tagen kippt der Stromexport zum –import. Nun scheint sie jeden Tag etwas weniger und für die Saga von der katastrophalen Erderhitzung wird sich im kommenden Winter die Bevölkerung kaum erwärmen. Sie wird froh sein über jedes Grad statistischer Abweichung nach oben, sonst kommt der Schüttelfrost bei abgesenkter Raumtemperatur und dem Blick aufs Monatsbudget.

Es droht ein multiples Organversagen. Wir sind darauf nicht vorbereitet.

 

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