Fieberhaft suchen westeuropäische Staaten nach Möglichkeiten, auf russisches Gas zu verzichten. Dabei läge die Lösung nahe: Unter dem europäischen Boden gibt es grosse Mengen an unkonventionellen Rohstoffen. Doch die Möglichkeit zum Fracking wurde bisher überall verhindert und verboten.

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Alex Reichmuth

Jetzt ist guter Rat teuer. Nach der Invasion Russlands in der Ukraine will West- und Mitteleuropa dringend wegkommen von Putins Gas- und Öllieferungen. Denn durch entsprechende Ankäufe wird der Krieg des russischen Machthabers wesentlich mitfinanziert. Doch die EU-Staaten sind heute beim Erdgas zu 90 Prozent von Importen abhängig. 40 Prozent dieser Importe kommen aus Russland.

Zwar wird auch in Westeuropa Erdgas gefördert, zum Beispiel in der Nordsee. Doch viele dieser konventionellen Lagerstätten sind allmählich erschöpft. Aus ihnen strömt immer weniger Gas. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten: In zahlreichen europäischen Ländern gibt es unter dem Boden namhafte Vorkommen an sogenannt unkonventionellem Gas in Schiefer- oder Sandsteinschichten. Dieses könnte mittels der Frackingtechnik erschlossen werden (siehe Kasten).

USA dank Fracking-Boom unabhängig von Gasimporten

Die USA haben es vorgemacht: Die Förderung von Schiefergas und Schieferöl mittels Fracking hat dort schon vor 10 bis 15 Jahren einen grossen Boom erlebt. Dank dieser Förderung ist Amerika zu grossen Mengen an günstiger Energie gekommen, die zu einer Reindustrialisierung des Landes geführt haben. Die USA sind heute dank Fracking unabhängig von Gas- und Ölimporten. Amerika konnte zudem den CO₂-Ausstoss prozentual stärker senken als jedes andere Industrieland, weil viele Kohlekraftwerke durch Gaskraftwerke ersetzt wurden.

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Europäische Regionen mit Potential für unkonventionelles Gas. Quelle: Aqua & Gas

Laut einer Erhebung der US-Behörden gibt es auch in Europa beträchtliche Reserven an Schiefergas. Diese belaufen sich gemäss einem Bericht auf immerhin 75 Prozent verglichen mit denen der USA. Die grössten Vorkommen gibt es demnach in Polen und Frankreich, gefolgt von Rumänien, Dänemark, Grossbritannien und den Niederlanden. Laut Fachleuten gibt es auch in der Schweiz beträchtliche Vorkommen (siehe hier).

Doch in Europa wird heute kein einziger Kubikmeter Schiefergas durch Fracking gewonnen. Dabei gab es bis vor etwa zehn Jahren Firmen, die an der Gewinnung von unkonventionellem Gas Interesse gehabt hätten. Rigide Vorschriften und Verbote haben aber dazu geführt, dass alle Aktivitäten gestoppt wurden.

Frankreich ging mit dem Verbot voran

Grund für die Verhinderung waren Ängste vor ökologischen Risiken beim Fracking, die aber weitgehend unnötig sind (siehe Kasten). Auch entschieden sich viele Länder wegen des Klimaschutzes gegen die Förderung von Schiefergas.

Frankreich war 2011 das erste europäische Land, das Fracking verbot. Vorausgegangen waren heftige Proteste in den südfranzösischen Regionen Aveyron und Ardeche gegen die Technologie. Das Land entzog damals dem US-Konzern Schuepbach eine bereits erteilte Bewilligung zur Schiefergasförderung.

Grossbritannien verfolgte ebenfalls lange Zeit Pläne für Fracking. «Wir setzen voll und ganz auf Schiefer», sagte 2014 der damalige Premier David Cameron. «Das bedeutet mehr Arbeitsplätze, mehr Möglichkeiten für die Menschen sowie wirtschaftliche Sicherheit für unser Land.» Noch 2016 plante die Regierung, innert vier Jahren an 20 Orten Gas mittels Fracking zu fördern.

Doch 2019 verhängte das Land ein Moratorium für die Technologie, das bis heute andauert. Offizieller Grund waren ausgelöste Erdbeben nach Probebohrungen. «Dieser Sieg ist einer der grössten, den die Klimabewegung je gesehen hat», bejubelte die Klimaschutzbewegung 350.org das Moratorium (siehe hier).

«Die Industrie fasst dieses Thema nicht an»

Ein Verbot für die Förderung von Schiefergas gibt es auch in Deutschland, das zu 55 Prozent von russischem Erdgas abhängt. Dabei hat das Land eigentlich jahrzehntelange Erfahrung mit dem Fracking in Sandstein. Aber 2020 liess das Bundesumweltministerium verlauten, Erdgas aus Fracking sei keine Option und müsse «ausnahmslos» verboten werden. Es sei deutlich klimaschädlicher als Pipelinegas aus konventionellen Lagerstätten.

In Deutschland haben die Kreise, die an einer Förderung interessiert sein könnten, darum längst kapituliert. «Fracking stösst seit etlichen Jahren auf eine klare gesellschaftliche, politische und juristische Ablehnung», schreibt der Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie auf Anfrage des «Nebelspalters». «Die Industrie akzeptiert das und fasst dieses Thema daher nicht an.»

Prinzipdarstellung des Fracking, Bild Shutterstock

Auch Länder wie Tschechien und Bulgarien kennen ein Verbot von Fracking. In Italien gibt es zumindest prohibitiv hohe Auflagen. In der Schweiz gibt es zwar kein landesweites Verbot. Der Bundesrat hat aber klargemacht, dass er aus Gründen des Klimaschutzes gegen Fracking ist (siehe hier).

Russland förderte die Abneigung gegen Fracking

Die Abneigung von West- und Mitteleuropa gegen unkonventionelles Gas wurde offenbar durch Russland massgeblich gefördert. Laut dem britischen Publizisten Matt Ridley hat die russische Regierung 95 Millionen Dollar aufgewendet für Kampagnen gegen Schiefergas. Insbesondere der von den Russen kontrollierte Ausland-Fernsehsender «RT» habe «endlose Anti-Fracking-Geschichten» in Umlauf gesetzt. Ein Bericht des amerikanischen «Office of the Director of National Intelligence» kam schon 2017 zum Schluss, dass «RT» Anti-Fracking-Programme lanciert habe, die Umweltprobleme und Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit hervorstreichen.

Die Folgen der europäischen Abneigung gegen Fracking hat Peter Burri, früherer Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Energie-Geowissenschaftler, schon 2013 vorhergesehen. In einem Interview in der «Weltwoche» sagte er auf die Frage, was es bedeute, wenn Europa bei der Schiefergas-Förderung abseitsstehe, fast prophetisch: «Europa bleibt damit von den Gaslieferungen anderer Länder abhängig – vor allem von Russland und Nordafrika. Das macht europäische Länder erpressbar. Zudem muss sich Europa mit hohen Gaspreisen abfinden.»

«Die Diskussionen werden wohl wieder kommen»

Fachleute sind aber überzeugt, dass Fracking nun wieder zu einem Thema wird. «Das Potenzial in Europa ist gross, und die Diskussionen werden wohl wieder kommen», sagt etwa der Geologe Werner Leu von der Firma Geoform, der über jahrzehntelange Erfahrung in der Exploration von Energieressourcen hat.

Zumindest in Grossbritannien haben diese Diskussionen bereits eingesetzt. Anfangs März haben 40 Parlamentarier der Konservativen Partei Premierminister Boris Johnson in einem Brief aufgefordert, Fracking wieder zu aktivieren. Es brauche eine «nationale Mission», um die Abhängigkeit von importiertem Gas zu verringern. Auch Aussenministerin Liz Truss macht sich für eine Wiederaufnahme der Fracking-Pläne stark (siehe hier).

Welche Chancen für Fracking in der Schweiz bestehen: siehe hier

Was ist Fracking?

Beim Fracking wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien mit grossem Druck in den Untergrund gepumpt. Damit entstehen Risse und Brüche, die Porenräume verbinden, in denen sogenannt unkonventionelles Erdgas oder Erdöl gespeichert ist. Meist erfolgt dies in dichtem Sandstein oder Schiefergestein. Vor allem in den USA hat Fracking in Verbindung mit horizontalem Bohren, dank dem günstigen Gesteinschichten gefolgt werden kann, einen Boom erlebt. Von einer Bohrstelle aus können mehrere Horizontalbohrungen gestartet werden, bei denen je 30 bis 40 Mal gefrackt wird, entlang mehrerer Kilometer. Durch Fracking werden Rohstoffvorkommen erschlossen, die durch konventionelles Bohren nicht zur Verfügung stünden.

Kaum ökologische Risiken beim Fracking

Fracking hat noch immer den Ruf, eine Gefahr für die Umwelt darzustellen. Ökologische Kreise führen an, dass bei dieser Technologie das Grund- und Trinkwasser durch Gas kontaminiert werden könnte, das  durch die erzeugten Risse und Spälte nach oben dringe. Die Chemikalien, die dem Wasser beim Fracking beigemischt werden, könnten ebenfalls zu Gewässerverschmutzungen führen. Zudem drohten wegen des Aufbrechens von Gestein Erdbeben. Auch sei der Landbedarf bei die Fracking-Technologie gross.

Diese Risiken sind bei richtigem und umsichtigem Vorgehen allerdings weitgehend vermeidbar. Die chemischen Substanzen, die heute dem Wasser beim Fracken beigemischt werden, sind umwelt- und gesundheitsverträglich. Eine Gewässerverunreinigung ist praktisch ausgeschlossen. Eine Gefahr, dass Gas durch erzeugte Risse im Gestein bis an die Oberfläche gelangt, besteht kaum. Das Risiko eines Gasaustritts durch unsachgemässes Vorgehen ist nicht grösser als bei konventionellen Bohrungen.

Beim Fracking kommt es zwar immer wieder zu Mikrobeben. Weil heute zur Erdgas- und Erdölgewinnung öfter, aber weniger stark gefrackt wird, ist das Risiko grösserer Erdbeben aber minimal. Die Bohrungen werden mit Seismografen ständig überwacht, um stärkeren Beben vorzubeugen. Auch der Landbedarf bei Fracking-Bohrungen ist kleiner als früher: Dank der Möglichkeit zu horizontalem Bohren können von einem Bohrplatz aus Schichten erschlossen werden, die mehrere Kilometer entfernt liegen.

Der Beitrag erschien zuerst beim Schweizer Nebelspalter hier

 

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