Bei näherem Hinsehen lässt seine Methode diesen Schluss aber nicht zu. Leicht lassen sich skeptische Arbeiten finden, die die 100-Prozent-These falsifizieren.

Dass eine methodisch so unzulängliche Studie wie die von Powell es in ein begutachtetes Fachblatt schafft, zeigt, wie niedrig die Hürden inzwischen sind, so lange die Botschaft „stimmt“.

James Powell hat jüngst (20.11.2019) im „Bulletin of Science, Technology & Society“ alle 11 602 zwischen Januar und August dieses Jahres erschienenen begutachteten Artikel mit den Stichworten „Klimawandel“ und „Erderwärmung“ ausgewertet und gefunden, dass nicht mehr nur die vielzitierten 97 Prozent, sondern hundert Prozent der Veröffentlichungen mit der These vom menschengemachten Klimawandel konform gehen.

https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0270467619886266?casa_token=lvf6kcdX1mUAAAAA%3AILFGljYGX9Hl8YZmQcrVCCFTkjuBlLEuE35xs9JezCjkU6ZFeC915Bfer4ntYsK-6-H68Z5ePzmpTw

Die FAZ schreibt dazu am 11.12.2019: „In der Klimasprache heißt das: Mehr Einigkeit geht nicht.“

https://www.faz.net/aktuell/wissen/klimaforscher-sind-die-dramaturgen-der-klimawende-16527767.html#void

Aufgrund des FAZ-Artikels habe ich die erwähnte Arbeit von Powell gelesen und seine online hinterlegte Datenbank  stichprobenartig geprüft.

Aus drei Gründen lässt die Arbeit den behaupteten Schluss „The consensus among research scientists on anthropogenic global warming has grown to 100%“ (Powell) bzw. „mehr Einigkeit in der Klimaforschung geht nicht“ (FAZ) jedoch nicht zu:

1) Falsche Grundgesamtheit: Da Powell nur nach den Stichworten Global Warming und Climate Change gesucht hat, findet er hauptsächlich Arbeiten, die gar nicht nach den Ursachen der Erderwärmung fragen (a), und übersieht dabei viele, die danach fragen (b).

  1. Die Suchworte Global Warming und Climate Change liefern, das zeigt seine Datenbank, vor allem Arbeiten, die diese Begriffe als Anlass (oder Marketing), nicht aber als Gegenstand der Forschung haben. Das heißt, sie untersuchen gar nicht die Ursachen der Erderwärmung, sondern ganz andere Fragen. Bereits die ersten beiden Artikel seiner Datenbank sind z.B. ingenieurwissenschaftliche Arbeiten in „Advanced Materials“ bzw. „Applied Materials“. (Beispielzitat: „CO2 photoconversion into hydrocarbon solar fuels by engineered semiconductors is considered as a feasible plan to address global energy requirements in times of global warming“, auf Deutsch: „Die Photokonvertierung von CO2 in Kohlenwasserstoff-Solarkraftstoffe durch technische Halbleiter wird als praktikabler Plan angesehen, um den globalen Energiebedarf in Zeiten der globalen Erwärmung zu decken.“)
  2. Eine in der Fachliteratur alternativ diskutierte Hypothese zu Ursachen von Klimawandel bzw. Erderwärmung betrifft den Einfluss solarer und ozeanischer Zyklen auf den Klimawandel mit entsprechenden Verstärkungsmechanismen, welche gegenwärtig weiter erforscht werden (z.B. Svensmark et al., Nature Communications 2199, 2017). Geben Sie zum Beispiel einmal „solar forcing“ auf Google Scholar ein, dann sehen Sie, wie lebhaft und kontrovers die Fachdiskussion nach wie vor ist! In den Erhebungszeitraum von Powell fällt beispielsweise die Arbeit von Laurenz, Lüdecke & Lüning (2019) [2], die diese Alternativthese stützt, mit Powells groben Suchwörtern aber übersehen wird. (Allein durch dieses Beispiel sind die 100 Prozent schon falsifiziert).

2) Falsches Kriterium: Ich verfolge die fachwissenschaftliche Diskussion zu den Ursachen des Klimawandels seit Langem. Nach meiner Wahrnehmung besteht der aktuelle Dissens nicht so sehr darin, ob der Mensch irgendeinen Anteil daran habe, sondern vielmehr, wie groß dieser sei – und ob eine menschgemachte Erderwärmung (AGW) nur den CO2-Eintrag oder auch den urbanen Wärmeinseleffekt (UHI) umfasst. Heute wie früher schätzen zahlreiche Fachwissenschaftler den Anteil der menschgemachten Erderwärmung auf deutlich unter 50%. Das sind die so genannten Skeptiker. Man wird ihre Arbeiten mit Powells Methoden aber nicht auffinden, da sie nicht plump „reject“ schreiben (z.B. 2015) oder gleich am Titel erkennbar sind (2019). Auch hierfür stellt Laurenz, Lüdecke & Lüning (2019) ein Beispiel dar.

3) Publication Bias: Aufgrund von Berichten skeptischer Klimawissenschaftler über gezielte Mittelkürzungen und Stellenstreichungen bis hin zum Verlust der eigenen Stelle ist zu vermuten, dass es im Peer-Review-System einen Publikationsbias gibt: Skeptische Ansätze haben es heutzutage ungleich schwerer, es in die Fachjournale zu schaffen. Das führt zu einer systematischen Unterrepräsentation in Datenbanken, gerade wenn man, wie Powell, die Stichprobe auf wenige Monate in 2019 beschränkt.

Es ist also nicht, wie die FAZ schreibt: „Mehr Einigkeit geht nicht. Mathematisch mag das korrekt sein, doch der politische Mehrwert – und der ist entscheidend – bleibt abzuwarten.“ Nein, schon methodisch-statistisch ist hier überhaupt nichts korrekt.

Die Tatsache, dass eine methodisch so unzulängliche Studie überhaupt in einem begutachteten Fachblatt erscheint, zeigt außerdem, wie niedrig die Hürden hier inzwischen sind, so lange die Botschaft ideologisch stimmt (und liefert direkt Evidenz für den obigen Punkt 3).

[1] Hier Powell 2019_Scientists Reach 100% Consensus on Anthropogenic Global Warming PowelSearchClimateChange2 PowellSearchGlobalWarming PowellSearchGlobalWarming

[2] Laurenz, L., Lüdecke, H.-J. & Lüning, S. (2019): Influence of solar activity on European rainfall. J. Atmospheric and Solar-Terrestrial Physics, 185: 29-42, 2019. Das Supplement der Arbeit, welches zusätzliche Ergebnisse enthält (hier).

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