Früher nahm die „Ostzone“ eine Sonderstellung ein. Als Sinnbild des Mangels, eingeschränkter Freiheit und eines ineffektiven Wirtschaftssystems war der Versuch, ein neues Gesellschaftssystem zu etablieren, ein am Ende gescheitertes Experiment.

Nunmehr wird die „Südzone“ zu einer Besonderheit. Die neue Demarkationslinie wird nicht bewacht, sie definiert sich über das Höchstspannungsnetz und weist dem Gebiet etwa südlich der Mainlinie eine besondere Stellung zu. Auch hier handelt es sich im Rahmen der „Energiewende“ um ein Experiment. Wie viele Kraftwerke kann man abschalten, ohne dass die Weißwurst kalt bleibt, beim Daimler nicht mehr geschafft werden kann oder die Seilbahn zur Zugspitze nicht mehr fährt?

Offenbar ist die absehbare Situation von einigem Ernst, so dass die Uni Stuttgart, und das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) im Auftrag des baden-württembergischem Umweltministerium im Dezember 2018 zum wiederholten Mal eine Studievorlegte, die schon die betreffende Frage im Titel trägt: „Versorgungssicherheit in Süddeutschland bis 2025 – sichere Nachfragedeckung auch in Extremsituationen?“

Alle Leistungsbilanzen wurden betrachtet, auch in den Nachbarländern, auch die „aufgetretenen Schwierigkeiten mit der Systemsicherheit im Januar 2017“. Zwei Varianten wurden untersucht, sowohl die mit als auch ohne beschleunigten Kohleausstieg, wobei nach den Empfehlungen der „Kohlekommission“ wohl nur noch die Variante des schnelleren Abschaltens zum Tragen kommen dürfte.

Ganz kurz zusammengefasst: Das Ergebnis lautet, dass „2025 für die Deckung der Nachfrage ausreichende Erzeugungskapazitäten vorhanden sind“. Die wichtige Ergänzung lautet: „Allerdings ist Deutschland dann in deutlichem Umfang auf Importleistung aus den Nachbarländern angewiesen“ und seine Kapazitätsreserven würden aufgebraucht, die eigentlich eine zusätzliche Sicherheit bei unvorhergesehenen Entwicklungen bilden sollen. Risiken für besonders kritische Zustände würden steigen.

Im Vergleich zu einer Vorgängerstudie würde durch den längeren Weiterbetrieb von Kraftwerken im Ausland, insbesondere Frankreich und Polen, mehr Leistung zur Verfügung stehen. Im Klartext bedeutet dies, dass Altanlagen im benachbarten Ausland durch ihren Weiterbetrieb die Abschaltung zum Teil moderner deutscher Anlagen erst ermöglichen. Wer in bewährter deutscher Nabelschau nur die nationale Emissionsbilanz sieht, wird das dennoch begrüßen.

Im 60-seitigen Text kommt der Begriff „Import“ immerhin 44-mal vor.

Ausgehend von der nüchternen Feststellung, dass die Südzone bereits heute ein Bilanzdefizit mit den dort am Markt agierenden Kraftwerken von 9,1 Gigawatt habe, rechneten die Wissenschaftler die Kapazitäten aus. Dabei werden die über die Bundesnetzagentur gebundenen Netzreservekraftwerkevon 6,9 Gigawatt für die Versorgungssicherheit berücksichtigt. Weiterhin zwei Gigawatt aus der  Kapazitätsreservesowie auch die Braunkohlekraftwerke mit insgesamt 2,7 Gigawatt, die politisch erzwungen in die „Sicherheitsbereitschaft“ gestellt wurden. Die Leistung aller Pumpspeicherwerke wurde ebenso mit verfrühstückt, wenngleich sie nur zeitweise zur Verfügung steht.

Ohne diese Reserven anzugreifen, blieben insgesamt bis zu 16 Gigawatt an Importbedarf (bei 17,2 Gigawatt Leitungskapazität), wobei man rechnerisch annimmt, dass die Nachbarländer diese Leistung auch zur Verfügung stellen werden. Abstimmungen oder Verhandlungen zur Sicherung dieser Lieferungen seien bislang nicht geführt worden, Verträge existieren nicht.

Obgleich unsere Regierung für jegliche Frage nach einer EU-weiten Lösung ruft, bleibt man an dieser Stelle merkwürdig passiv. Mit Italien gibt es bereits einen Netto-Stromimporteur, der auch beliefert werden will.

Die fluktuierenden „Erneuerbaren“ werden mit Leistungen zwischen 77 und 2,4 Gigawatt kalkuliert, was kaum einen Beitrag zur Versorgungssicherheit darstellt.

Wer liefert?

Welche Kraftwerke werden für die Versorgung der Südzone besonders wichtig sein?

Zunächst gibt es den innerdeutschen Export in die Zone. NRW stellt mit den großen Braunkohlekraftwerken in Niederaußem, Neurath, Weisweiler und Frimmersdorf noch eine Hochburg der Stromerzeugung dar. Wenn jedoch politische Festlegungen zum Hambacher Forst oder zur Nicht-Inbetriebnahme des Steinkohle-Neubaus in Datteln führen sollten, geht der mögliche Export in den Süden deutlich in die Knie. Zudem diskutiert man schon öffentlich, ob nun zwei oder drei Gigawatt zusätzlich in Umsetzung der Ergebnisse der „Kohlekommission“ abgeschaltet werden.

Im Nordosten in Lippendorf bei Leipzig steht ein Braunkohlekraftwerk, das schon heute einen großen Teil seiner Produktion gemeinsam mit dem Braunkohlekraftwerk in Schkopau über die neue, 2015 eröffnete Südwest-Kuppelleitung („Thüringer Strombrücke“) via Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt nach Redwitz in Oberfranken schiebt.

Im Osten liefert auch das Kernkraftwerk Temelin (2000 in Betrieb genommen), knapp 60 Kilometer von der bayrisch-tschechischen Grenze gelegen und von bayrischen wie österreichischen Atomgegnern gleichermaßen als „Pannenreaktor“ verteufelt. Bei der Erstinbetriebnahme gab es Probleme mit der Turbine, was zu häufigen Abschaltungen führte. Inzwischen denken die Tschechen über einen weiteren Neubau ab 2030 nach, was auf Grund absehbaren Mangels auf der bayrischen Seite einen guten Grund hat.

Nur sechs Kilometer südlich der baden-württembergischen Grenze steht im Kanton Aargau das Kernkraftwerk Beznau (seit 1969 in Betrieb und damit eines der weltältesten) und druckt fleißig Franken für die Eidgenossen, künftig vermutlich mehr denn je. Das eidgenössische Kernkraftwerk Leibstadt (1984) dampft am Rhein, gegenüber von Dogern in Baden. In der Schweiz gibt es keine Abschalttermine, aber ein Neubaumoratorium.

Direkt am westlichen Rheinufer arbeitet immer noch der Oldtimer in Fessenheim vor sich hin (Inbetriebnahme 1977). Schon mehrfach mit Abschalttermin versehen, ist nunmehr von Monsieur le President die Abschaltung für 2020 angekündigt. Weiter nördlich spaltet das Kernkraftwerk Cattenom (1986) weiter unverdrossen die Atomkerne, zwölf Kilometer westlich der saarländischen Grenze. Es soll noch bis Ende der vierziger Jahre laufen. Wie lange noch die belgischen Reaktoren in Tihange und Doel laufen werden, ist ungewiss. Sie liegen zwar auf der Höhe von Aachen und damit entfernter von der Zone, haben aber ebenfalls Einfluss auf die Bilanzen des Großraums.

Soweit seien nur einige der großen Kraftwerke genannt, die auf Grund ihrer Lage und Netzanbindung große Mengen an Strom nach Deutschland exportieren werden, zumindest sollen. Zum Teil ist es heute schon Praxis, wie einige Gaskraftwerke der Linz AG zeigen, die in den beiden letzten Jahren für 82 bzw. 100 Tage im deutschen Netz aushalfen.

 

Geld spielt keine Rolle

In der Studie wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keine Kostenbetrachtung durchgeführt wurde. Jede Schwächung der Angebotsseite wird zwangsläufig zu höheren Marktpreisen führen, Zahlen anzugeben wäre auf Grund der vielen Unwägbarkeiten blanke Spekulation. Aussagen unserer Umweltministerin, es werde steigende Preise nicht geben oder die Absicht des Wirtschaftsministers, man könne sie durch Steuergeld abfedern, entspringen erkennbar einem Wunschdenken.

Als Folge der deutschnationalen Abschaltpolitik sind Spannungen mit unseren Nachbarn zu erwarten, die ihre eigene Versorgung natürlich in den Vordergrund stellen werden. Wie schon die Auflösung der deutsch-österreichischen Strompreiszoneund die Differenzen um Nordstream 2 zeigen, ist auf dem Sektor Energie ein Zusammenwachsen in der EU nicht zu erkennen, eher eine Spaltung, die von Deutschland ausgeht.

Die „Energiewende“ wird kein Exportmodell sein, wenn sie darauf fußt, dass wir uns nicht mehr selbst versorgen können und Nachbarländer ihre konventionellen Kraftwerke länger laufen lassen müssen, um sich und den „Vorreiter“ abzusichern.

Wie auch immer, viel Glück für die Zone im Rahmen dieses Experiments.

Der Beitrag erschien zuerst bei TE hier

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