von  Rainer Küper

Am 06. Dezember 2016 verkündete das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Urteil im Verfahren über den beschleunigten Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie, der 2011 von Bundesregierung und Bundestag beschlossen worden war.

Das BVerfG stellt fest, dass Enteignungen nicht vorgenommen worden sind. In diesem Falle wäre Eigentum entzogen worden und in das Eigentum der öffentlichen Hand überführt worden. Die Eigentumsverhältnisse der 2011 stillgelegten Kernkraftwerke und die der laufzeitbeschränkten Kernkraftwerke sind aber unverändert.

Mit der 13. AtG-Novelle von 2011 sind lediglich Produktionslizenzen entzogen worden, ein Vorgang, mit dem jedes Unternehmen zu rechnen hätte.

Die vom BVerfG erkannten Verstöße gegen das Grundgesetz betreffen daher nur zwei Bereiche:

  1. 2002 wurden mit der Laufzeitbegrenzung der Kernkraftwerke Produktionsmengen festgelegt, die einen besonderen Vertrauensschutz genießen. Deren Nichtausschöpfung infolge der 2011 festgelegten starren Abschalttermine ist entschädigungswürdig. Insofern ist die 13. AtG-Novelle grundgesetzwidrig.
  2. Investitionen der Betreiber aufgrund der im Dezember 2010 vom Bundestag beschlossenen Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke, die aufgrund des Japan-Tsunamis im März 2011 zugunsten früherer und fester Abschalttermine zurückgenommen wurde, werden als gefrustete Investitionen gewertet. Sie sind ebenfalls entschädigungswürdig. Auch insofern ist die 13. AtG-Novelle grundgesetzwidrig.

In der Bewertung einer Technik ist der Bundestag jedoch frei. Der Bundestag kann jederzeit eine Technik zulassen oder verbieten.

Den konkreten Fall des beschleunigten Ausstiegs aus der Kernenergie beurteilt das BVerfG wie folgt, vgl. untenstehenden Link zur Pressemitteilung:

„[…] Demgegenüber sind die mit der 13. AtG-Novelle verfolgten Gemeinwohl­belange (Leben und Gesundheit der Bevölkerung, Schutz der natür­lichen Lebensgrundlagen) von hohem Wert und in der konkreten Umsetzung der Rücknahme der Laufzeitverlängerung von 2010 von großem Gewicht. Der Gesetz­geber wollte den 2002 beschlossen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie beschleunigen, indem er feste Abschalt­termine einführte und die Ende 2010 erfolgte Ver­längerung der Laufzeiten rückgängig machte. Hierdurch wurde eine Risikominderung von ganz erheblichem Ausmaß erreicht. Dabei ist auch nicht zu beanstanden, dass der Gesetz­geber auf die Ereignisse in Fukushima reagierte, obwohl hieraus keine neuen Gefährdungs­erkennt­nisse abgeleitet werden konnten. Wie weit allein geänderte politische Wertungen oder gewachsene Befürch­tungen und Ängste in der Bevöl­kerung auch Maß­nahmen tragen können, die ‑ wie die Beschleuni­gung des Atom­ausstiegs ‑ erheblich in Grundrechte der Betrof­fenen eingreifen, und welches Gewicht ihnen beigemessen werden kann, lässt sich allerdings nicht allgemein bestimmen. Jedenfalls bei der Beurteilung einer Hoch­risiko­techno­logie, deren Schadens­risiken in besonderem Maße von einer politi­schen Bewertung und einer öffent­lichen Akzeptanz abhängig sind, kann auch Ereignissen ein eigenes Gewicht beigelegt werden, die allein das Bewusst­sein der Öffent­lichkeit für diese Risiken ändern, obwohl neue Gefährdungen nicht erkennbar sind. […].“

Das BVerfG trägt eine Begründung vor, die den Anschein erweckt, Bundes­re­gierung und Parlament nicht schaden zu wollen.

Das BVerfG behauptet pauschal, mit den neuen festen Abschaltterminen „wurde eine Risikominderung in erheblichem Ausmaß“ erreicht, obwohl „keine neuen Gefährdungserkenntnisse abgeleitet werden können“.

Sollte das Risiko des Betriebes der Kernkraftwerke nicht tolerierbar sein, dann müssten alle sofort stillgelegt werden. Das sofortige Stilllegen der 8 Kernkraftwerke im März 2011 reduziert das Risiko um weniger als den Faktor 2, also nicht „erheblich“. In der Probabilistik sind erst Faktoren von 10 resp. 1/10 von Bedeutung. Faktor 2 ist Rauschen. Die Stilllegung der restlichen Kernkraftwerke würde erst ab Ende 2022 das Risiko aus dem Leistungsbetrieb auf Null setzen. Solange sich Brennelemente im Kraftwerk befinden, bleibt ein Risiko größer als Null, wenngleich extrem klein. Der Risikogewinn besteht als nur darin, dass Kernkraftwerke statt bis ca. 2030 nur bis 2022 im Leistungsbetrieb sein werden.

Das BVerfG erkennt an, dass für den Betrieb der Kernkraftwerke keine „neuen Gefährdungserkenntnisse“ vorliegen. Die Risikominderung kann also allenfalls die Differenz zwischen dem genehmigten extrem-winzig und dem zukünftigen hyper-winzig sein. 1/20 von ganz wenig über Null bleibt aber ganz wenig über Null. Insofern kann von „Risikominderung von ganz erheblichem Ausmaß“ keine Rede sein.

Das BVerfG widmet sich auch der Willkür von Bundesregierung und Bundestag, die mit hü und hott heute dies und morgen jenes durchsetzen und hat damit einen Entschädigungsanspruch begründet.

Insgesamt erscheint das BVerfG-Urteil jedoch mehr politisch als sachlich motiviert zu sein.

Die BVerfG-Begründung ist auch insofern verwunderlich, als sie jederzeit auf andere Industriezweige übertragbar ist. Der Bundestag könnte z. B. übermorgen beschließen, dass der eine oder der andere Zweig der chemischen Industrie ihm wegen eines Bauchgefühles zu gefährlich erscheine, das Risiko „in erheblichem Ausmaß“ gemindert werden müsse, und die Produktion stillzulegen sei. Da in diesem Falle nicht einmal mit vereinbarten Produktionsmengen argumentiert werden kann, würde der betroffene Betrieb der chemischen Industrie zwar nicht im juristischen Sinne, aber im praktischen Sinne per parlamentarischer Willkür über Nacht enteignet worden sein.

In Deutschland wird geschwurbelt, bis das Urteil zur Politik passt. Ohne Geschwurbel, klar und eindeutig das Votum des Schweizer Volkes am 27.11.2016 gegen die vorzeitige Stilllegung der Kernkraftwerke in ihrem Land. In der Schweiz hat das Volk entschieden, dass die Kernkraftwerke in Betrieb bleiben dürfen, solange sie sicher sind. Über die Kriterien entscheidet das Volk.

Das Deutsche Volk dagegen begnügt sich damit, andere über sich entscheiden zu lassen.

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