Der österreichische Kurier jammerte in seiner Ausgabe vom 18. November 2014:

40 Prozent weniger Eisbären
Der Klimawandel bedroht den Lebensraum des Königs der Arktis, des Eisbären – das ist nicht neu. Neu ist jetzt aber eine Studie, die das Bedrohungsszenario in Zahlen gießt. Wissenschaftler aus Kanada und den Vereinigten Staaten haben die weißen Bären mehr als zehn Jahre lang beobachtet und kommen in einer Studie zu dem Schluss, dass ihre Zahl zwischen 2001 bis 2010 nördlich von Alaska um etwa 40 Prozent gesunken ist.

Einige Tage später sprang auch Die Welt in den Ring und schrieb am 23. November 2014:

Klimaerwärmung: Eisbären in Alaska sind vom Aussterben bedroht
Der Klimawandel macht den Eisbären stark zu schaffen. Ohne das Packeis auf dem Meer fehlt den Tieren ihre Plattform zum Jagen. Die Folge ist ein dramatischer Rückgang des Bestandes.
Den Eisbären schmilzt langsam, aber sicher ihr Lebensraum davon: Nur noch 900 Eisbären leben derzeit in der Beaufortsee in Alaska und im Nordwesten Kanadas, wie eine jetzt im Fachjournal “Ecological Applications” veröffentlichte Studie zeigt. Im Jahr 2004 waren es dagegen noch 1500 Tiere, wie das Forschungsteam unter der Leitung von Jeffrey Bromaghin vom Alaska Science Center schreibt.
Weltweit gibt es noch etwa 20.000 bis 25.000 Eisbären. Ursache für den Rückgang des Bestandes ist vor allem das fehlende Eis im Sommer. “Der Klimawandel macht den Tieren zunehmend zu schaffen”, sagt die WWF-Expertin Sybille Klenzendorf.

Das klingt dramatisch, und wenn sich die Todesspirale weiter fortsetzt, dann sind schon bald alle Eisbären tot. Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls beim Lesen der beiden Presseartikel. Nun lohnt es sich jedoch durchaus, einmal in die Originalarbeit selber hineinzuschauen. In der Zusammenfassung schreiben die Autoren nämlich einige Dinge, die die Zeitungen ihren Lesern leider vergaßen mitzuteilen:
Die geringe Überlebensrate von 2004 bis 2006 führte zu einem Rückgang um 25% bis 50%. … Aus nicht geklärten Gründen hat sich jedoch die Überlebensrate von adulten und Jungtieren ab 2007 wieder verbessert, und der Bestand war von 2008 bis 2010 vergleichsweise stabil mit etwa 900 Bären im Jahre 2010.
Die Studie umfasste die Jahre 2001 bis 2010. In den Jahren 2004-2006 ging die Population stark zurück, allerdings erholte sie sich ab 2007 wieder, und die Eisbärenzahlen gingen wieder nach oben. Diese seit nunmehr 7 Jahren andauernde positive Entwicklung wird in der medialen Katastrophenberichterstattung doch glatt unterschlagen. Zudem passt der Trendumschlag im Jahr 2007 so gar nicht zur angebotenen Erklärung, das schwindende Sommer-Meereis könnte etwas mit dem Eisbärensterben zu tun haben. In jenem Jahr schrumpfte das arktische Meereis im Sommer auf ein Rekordminimum. Trotzdem nahmen die Eisbären zu jener Zeit wieder zu. Die schwierigste Zeit erlebten die Eisbären 2004-2006, als das Eis noch viel ausgedehnter war als 2007.

Abbildung: Entwicklung des polaren Meereises in der Arktis (blaue Kurve) und Antarktis (rote Kurve) während der vergangenen 35 Jahre. Quelle: Climate4You-Newsletter, September 2014, nach NSIDC-Daten.
Ähnliche Einbrüche der Eisbärenpopulation wie 2004-2006 hatte es in der Beaufortsee in der Vergangenheit stets gegeben, wie die Zoologin Susan Crockford in ihrem Blog Polar Bear Science am 18. November 2014 in einer Besprechung der neuen Arbeit berichtete:
Hier kommen ein paar weitere gute Nachrichten hinsichtlich der Eisbärenpopulation, diesmal aus einer umfangreichen Studie aus der Südlichen Beaufort-See. Eine jüngst veröffentliche Studie zeigt eine Abnahme um 25% bis 50% zwischen 2004 und 2006 (stärker als ursprünglich berechnet). Allerdings hat sich die Population bis zum Jahre 2010 deutlich erholt (obwohl das vorherige Niveau noch nicht erreicht ist). Alle Schlagzeilen in den Medien (z. B. in The Guardian) sind den Pressemitteilungen gefolgt, die sich auf das Ausmaß des Rückgangs konzentriert haben. Dabei ist die Erholung des Bestandes der Teil der Studie, der wirklich eine neue Nachricht ist, basiert dies doch auf neuen Daten. Diese Erholung ist ähnlich einer solchen, die Ende der siebziger Jahre dokumentiert worden ist. Davor war es zwischen 1974 und 1976 zu einer starken Abnahme der Population gekommen, verursacht durch besonders starken Eisgang im Frühjahr (hier). … Allerdings zeigte sich in der Studie keinerlei Korrelation zwischen Rückgang der Population und Eisbedingungen. Eine solche Korrelation konnte nicht gefunden werden, weil man nicht die Dicke des Eises im Frühjahr in die Modelle eingegeben hatte – man hatte lediglich die sommerlichen Eisbedingungen betrachtet. Ich finde das ziemlich merkwürdig, da frühere Beispiele dieses Phänomens, das etwa alle 10 Jahre seit den sechziger Jahren zu beobachten ist, allesamt mit dicken Eisbedingungen im Frühjahr zusammenhingen (Die Rückgänge von 1974 bis 1976 sowie von 2004 bis 2006 waren die schlimmsten). Ein weiterer Vorgang dieser Art könnte sich im Frühjahr dieses Jahres ereignet haben (April 2014 hier), doch wurde dieser Vorgang bislang nicht bestätigt.
Das zyklisch alle 10 Jahre auftretende Eisbärensterben hat laut Studien eher mit den Meereisbedingungen im Frühling zu tun und gar nicht so sehr mit der Eislage im Sommer. Das Frühlingseis war jedoch gar nicht Thema der neuen Studie von Jeffrey Bromaghin und Kollegen und blieb somit unberücksichtigt. Die zeitlichen Diskrepanzen zwischen Eisverlauf und Eisbärenentwicklung fielen letztendlich auch den Autoren auf. In der Kurzfassung ihres Papers erklären sie explizit, dass hier wohl ganz andere Faktoren abseits des Meereises eine Rolle spielen:
Allerdings zeigen unsere Ergebnisse im Kurzfristzeitraum, dass andere Faktoren als das Meereis das Überleben beeinflussen können. Ein verbessertes Verständnis der ökologischen Grundlagen als Basis für die Dynamik der Eisbärenpopulation ist notwendig, um Projektionen ihres Status‘ in der Zukunft zu verbessern und zur Entwicklung von Management-Strategien zum Schutz der Eisbären.
Peinlich für Sybille Klenzendorf vom WWF, die im Gespräch mit der Welt weiterhin ihr Sommermeereismärchen verkündet. Offenbar hat sie das Paper gar nicht gelesen. Vorwürfe muss man jedoch auch den Autoren der Studie selber machen. In ihrer Pressemitteilung zur Studie schüren sie die Klimaangst, indem sie einleitend die alarmistische Richtung vorgeben:
In einer neuen, heute veröffentlichten Studie über Eisbären haben Wissenschaftler aus den USA und Kanada herausgefunden, dass die Anzahl der Polarbären in der Südlichen Beaufort-See während der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts stark zurückgegangen ist, und zwar um etwa 40%.
Ein paar Absätze weiter unten werden dann doch Zweifel ausgedrückt, die es nicht in die deutschsprachige Presse geschafft haben:
Das Überleben der adulten Tiere und ihres Nachwuchses begann sich ab 2007 zu verbessern, und die Population stabilisierte sich bei etwa 900 Bären im Jahre 2010, dem letzten von der Studie abgedeckten Jahr. … Die geringe Überlebensrate kann verursacht sein durch eine Kombination von Faktoren, die schwierig zu erkunden sind, und warum sich die Population zum Ende der Studie erholte, ist unbekannt. Forschung und Überwachung für ein besseres Verständnis der das Überleben beeinflussenden Faktoren gehen weiter.
Die Pressemitteilung stammt vom 17. November 2014. Zu jenem Zeitpunkt hätten die Autoren jedoch bereits wissen müssen, dass sich die Eisbärenpopulation nach Ende des Untersuchungszeitraums sogar noch weiter erholt hat. Weshalb erwähnen Jeffrey Bromaghin und seine Mitstreiter dies nicht, fragte sich auch Susan Crockford in einem weiteren Beitrag vom 19. November 2014 in ihrem Blog:
Warum hat man mit der Überwachung der Eisbärenpopulation in der Südlichen Beaufort-See im Jahre 2010 aufgehört? Klar ist, dass die kürzlich veröffentlichte und verbreitet in den Himmel gelobte neue Studie zu einem Zeitpunkt beendet worden ist, bevor die Erholung aus einem bekannten Rückgang vollständig war. Die Forscher der jüngst veröffentlichten Studie wussten schon vor Beginn ihrer Arbeit im Jahre 2007, dass ein Rückgang der Population erfolgt war. Sie wussten auch, warum es dazu gekommen war und dass auf frühere Rückgänge, verursacht durch ähnliche Bedingungen, jedes Mal eine vollständige Erholung gefolgt war. Haben sie wirklich geglaubt, dass es zu einer vollständigen Erholung des Bestandes in nur vier Jahren kommen würde, innerhalb einer Zeitspanne also, in der 2007 geborene Jungtiere noch gar nicht das Fortpflanzungsalter erreicht hatten? Tatsächlich hat eine Fallstudie des US Fish and Wildlife Service (USFWS) in der Südlichen Beaufort-See höhere Bestände gefunden hat als jemals in einem Jahrzehnt. … Allerdings berichtet der USFWS im Eisbären-Newsletter 2013/2014 (pdf hier, Seite 17 unten rechts) dass dessen Überwachung aus der Luft gezeigt hat, dass die Population im Jahre 2012 in der Südlichen Beaufort-See „hoch“ war im Vergleich zu früheren Jahren, und dass sich die Bären in „normaler“ Kondition befanden.
Die Anzahl der im Jahre 2012 beobachteten Eisbären war im Vergleich zu früheren Erkundungen während des vergangenen Jahrzehnts hoch. Die Körperkonstitution schien relativ normal zu sein für diese Jahreszeit, fand man doch die meisten Bären in normaler Körperkonstitution vor.
Warum sollten die Autoren der Studie aus dem Jahr 2014 hinsichtlich ihres Endzeitpunktes Rosinenpickerei betreiben, wenn sie doch zum Zeitpunkt der Einreichung ihrer Studie zur Veröffentlichung wissen mussten, dass sich die Erholung der Population über das Jahr 2010 hinaus erstreckt hat? … Unter dem Strich: Die Autoren wussten, dass es Daten gibt, die zeigten, dass sich die Erholung des Bestandes auch nach 2010 noch fortgesetzt hatte, aber sie haben diese Tatsache in ihrer Studie weggelassen, ebenso wie in der Presseerklärung oder in ihren Presseinterviews.
Ein erschreckendes Resultat: Bewusst unvollständige Berichterstattung in den Medien, Unterschlagung von positiven Trends, Ausblendung von wissenschaftlichen Zweifeln und geschickt gewählte Endpunkte von statistischen Untersuchungen. Haben Journalisten und Wissenschaftler in den letzten Jahren wirklich nichts dazugelernt?
Link: http://www.kaltesonne.de/die-neueste-eisbaren-ente/
Artikel zuerst bei der Kalten Sonne erschienen. Übersetzung der englischen Passagen von Chris Frey EIKE

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